OGH 9ObA160/05b

OGH9ObA160/05b20.12.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter DI Walter Holzer und Mag. Gabriele Jarosch als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Sargin S*****, Arbeiter, *****, vertreten durch Puttinger, Vogl & Partner, Rechtsanwälte in Ried im Innkreis, gegen die beklagte Partei Schweinespezialbetrieb ***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Georg Maxwald und Dr. Georg Bauer, Rechtsanwälte in Linz, wegen EUR 7.490,14 brutto sA, über die außerordentliche Revision (Revisionsstreitwert EUR 3.745,07 sA) der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. August 2005, GZ 12 Ra 53/05h-19, womit das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Arbeits- und Sozialgericht vom 14. Februar 2005, GZ 14 Cga 114/04k-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

1.) Die Revisionsbeantwortung der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

2.) Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass die Entscheidungen der Vorinstanzen einschließlich des in Rechtskraft erwachsenen Teils zu lauten haben:

„Das Klagebegehren des Inhalts, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger EUR 7.490,14 brutto samt 9,47 % Zinsen seit 19. 5. 2004 zu zahlen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 3.221,09 (darin EUR 531,85 USt und EUR 30,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz sowie die mit EUR 1.006,96 (darin EUR 97,16 USt und EUR 424,-- Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen". Die klagende Partei ist weiters schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 929,74 (darin EUR 66,62 USt und EUR 530,-- Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Zu 1.)

Dem Kläger wurde die Mitteilung des Obersten Gerichtshofs, dass ihm die Beantwortung der außerordentlichen Revision der Beklagten freistehe (§ 508a Abs 2 ZPO) am 19. 10. 2006 zugestellt. Das Ende der vierwöchigen Notfrist zur Einbringung einer Revisionsbeantwortung fiel daher auf den 16. 11. 2006 (§ 507a Abs 1 iVm Abs 2 Z 3 ZPO). Erst an diesem Tag überreichte der Kläger beim Erstgericht eine Revisionsbeantwortung. Dieses leitete den Schriftsatz unverzüglich an den Obersten Gerichtshof weiter, wo er am 20. 11. 2006 einlangte. Gemäß § 507a Abs 3 Z 2 ZPO wäre dieser Schriftsatz aber direkt beim Revisionsgericht einzubringen gewesen. Wird eine Rechtsmittelschrift - wie hier - beim unzuständigen Gericht eingebracht und von diesem an das zuständige Gericht übersendet, kann sie nur dann als rechtzeitig angesehen werden, wenn sie noch innerhalb der offenen Frist beim zuständigen Gericht einlangt (RIS-Justiz RS0041584 [T13]). Die Revisionsbeantwortung ist daher als verspätet zurückzuweisen. Zu 2.)

Der Kläger war seit 15. 4. 1996 als Arbeiter im Schlachtbetrieb der Beklagten beschäftigt, das Arbeitsverhältnis endete am 18. 5. 2004 durch Entlassung. Unmittelbarer Vorgesetzter des Klägers war der Vorarbeiter Josef E*****, dem im Betrieb auch die Arbeitseinteilung oblag. Die Beendigung von Arbeitsverhältnissen konnte Josef E***** jedoch nur in Absprache mit dem Prokuristen Ing. P***** vornehmen. Der Kläger wurde im Schlachtbetrieb zu verschiedenen Tätigkeiten herangezogen, hauptsächlich war er jedoch am Schlachtband zum Betäuben und zum Führen des Entblutestichs eingesetzt. Diese Tätigkeit ist wie folgt zu beschreiben: Mit der linken Hand wird dem Tier mittels einer Betäubungszange ein Stromstoß versetzt, anschließend wird mit der rechten Hand von unten schräg nach oben ein Stich in den Hals des Schweins geführt. Die toten Schweine fallen dann auf ein Förderband, wo ein weiterer Arbeiter mit einer Schlinge eine Kette am Hinterfuß befestigt und das Tier zum Entbluten aufhängt. Die Geschwindigkeit wird dabei vom „Stecher", wie es der Kläger war, vorgegeben. Arbeitet dieser zu schnell, kommt es an der nächsten Station, beim Aufhängen, zu einem Rückstau. In diesem Fall müssen die Schweine dann ein Stück gezogen werden, was auf Grund des Gewichts der Tiere mit erheblicher körperlicher Anstrengung verbunden ist. Die Tätigkeit des Betäubens und Stechens selbst ist keine körperlich schwere Arbeit. Der Kläger arbeitete mit dem im Arbeitsablauf nachfolgenden Aufhänger Karl E***** schon längere Zeit zusammen, wobei sich letzterer hin und wieder beklagt hatte, dass der Kläger zu schnell arbeite, weshalb es bei ihm zu einem Rückstau komme. Mit dem Kläger hatte es vor der Entlassung keine relevanten Probleme gegeben. Er war im Jahr 2001 wegen eines Carpaltunnelsyndroms an der linken Hand operiert worden, die Operation war erfolgreich verlaufen, sodass der Kläger in der Folge seine Arbeit wieder durchführen konnte.

Am Entlassungstag war der Kläger wie üblich zunächst mit der Grobzerlegung beschäftigt und begann um etwa 7.30 Uhr die Stecharbeit. Daneben arbeitete wieder E***** als Aufhänger. Da dieser mit dem Arbeitstempo des Klägers nicht mithalten konnte, kam es zwischen den beiden zu einem Streit. Der Kläger verließ daraufhin seinen Arbeitsplatz, ging zum stellvertretenden Vorarbeiter und verlangte, den Vorarbeiter E***** sprechen zu können. Als Grund dafür gab er nur den Streit mit E*****b an. Der Stellvertreter des Vorarbeiters wies den Kläger an, wieder an seine Arbeit zu gehen, dieser beharrte jedoch darauf, mit dem Vorarbeiter sprechen zu können, welcher schließlich vom Stellvertreter herbeigerufen wurde. Auch der Vorarbeiter E***** forderte den Kläger auf, seine Arbeit wieder aufzunehmen. Dieser weigerte sich mit der Begründung, nicht mehr mit E***** zusammenarbeiten zu wollen und verlangte einen anderen Arbeitsplatz. Nachdem auch weitere Aufforderungen an den Kläger, seine Arbeit fortzusetzen, nicht wirkten, erklärte E***** dem Kläger, dass dies eine Arbeitsverweigerung darstelle, er entlassen werde und nach Hause gehen könne. Der Kläger ging daraufhin in den Aufenthaltsraum. Der Vorarbeiter informierte den Prokuristen Ing. P***** vom Vorfall, welcher ebenfalls noch ein Gespräch mit dem Kläger führte und ihn unter Androhung der Entlassung nochmals zum Weiterarbeiten aufforderte. Der Kläger blieb aber dabei, nicht mehr mit E***** arbeiten zu wollen. Daraufhin sprach P***** die Entlassung aus. Im Entlassungsschreiben vom selben Tag ist „Arbeitsverweigerung" als Entlassungsgrund angeführt. Der Kläger erwähnte trotz ausreichender Gelegenheit weder gegenüber dem Stellvertreter des Vorarbeiters, noch diesem oder dem Prokuristen gegenüber, dass er seine Arbeit auf Grund von Schmerzen nicht mehr durchführen könne und aus diesem Grund eine andere Arbeit übernehmen wolle. Der Kläger verfügt über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache und fungierte für schlecht Deutsch sprechende türkische Kollegen auch als Dolmetsch. Nach der Entlassung suchte der Kläger seinen Hausarzt auf, welcher ihn wegen Schmerzen im linken Handgelenk krank schrieb. Hätte der Kläger einem Personalverantwortlichen der Beklagten, nämlich Ing. P***** oder Josef E***** mitgeteilt, dass er seine Tätigkeit wegen körperlicher Beschwerden nicht weiter durchführen könne, so wäre die Entlassung nicht ausgesprochen worden. Eine Änderung der Arbeitseinteilung wäre an diesem Tage ohne Nachteile für die Beklagte kaum durchführbar gewesen.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger den Zuspruch von Kündigungsentschädigung und Abfertigung. Er sei wegen der Schmerzen in der linken Hand zu seinem Vorgesetzten gegangen, nicht aber wegen eines Streites mit einem Arbeitskollegen. Er sei auf Grund der Schmerzen nicht mehr in der Lage gewesen, seine Arbeit weiter durchzuführen und habe dies sowohl dem Vorarbeiter als auch dem Prokuristen mitgeteilt. Dennoch sei die Entlassung ausgesprochen worden. Infolge der Arbeitsunfähigkeit des Klägers sei die Entlassung aber nicht berechtigt.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger habe unerlaubt seinen Arbeitsplatz verlassen, trotzdem er mehrfach zur Weiterführung der Arbeit aufgefordert und auf die mögliche Entlassungsfolge hingewiesen worden sei. Körperliche Beschwerden habe der Kläger nie erwähnt, sondern lediglich auf Streitigkeiten mit einem Arbeitskollegen hingewiesen. Soweit der Kläger tatsächlich nicht arbeitsfähig gewesen sei, treffe ihn das Alleinverschulden an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, weil er es unterlassen habe, die Arbeitgeberin über seine Erkrankung aufzuklären. Das Erstgericht erkannte die Beklagte schuldig, dem Kläger EUR 3.745,07 sA zu zahlen; das Mehrbegehren auf Zahlung von weiteren EUR 3.745,07 sA wies es (diesbezüglich rechtskräftig) ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass im Rahmen einer Ermessenserwägung dem Kläger, der bislang acht Jahre lang fleißig und zuverlässig gearbeitet habe, nur die Hälfte des Verschuldens an der Entlassung treffe, weil er den Rechtfertigungsgrund der Arbeitsunfähigkeit nicht genannt habe. Die Beklagte habe daher die Hälfte an Kündigungsentschädigung und Abfertigung zu zahlen.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichts. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass zwar der Kläger die Beklagte nicht richtig informiert habe, ihm aber zugute komme, dass er im Zeitpunkt seiner Entlassung noch keine Kenntnis von einem rechtfertigenden Hinderungsgrund gehabt habe, da er erst nachher seinen Hausarzt aufgesucht habe und rückwirkend für den ganzen Tag arbeitsunfähig geschrieben worden sei. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Die Revision ist zulässig, sie ist auch berechtigt. § 1162c ABGB sieht - wie zB § 32 AngG - die Kürzung der aus dem § 1162a und § 1162b ABGB resultierenden Ansprüche bei Mitverschulden vor. Diese Regel ist jedenfalls dann anzuwenden, wenn die vorzeitige Auflösung berechtigt war, aber auch den Auflösenden daran ein Verschulden trifft. Nach der jüngeren Rechtsprechung und herrschenden Lehre (für alle: Kuderna, Entlassungsrecht 76 f; Löschnigg Arbeitsrecht10 537; zuletzt 9 ObA 108/05f) kann den Dienstnehmer auch ein Verschulden an der unberechtigten Entlassung treffen, wenn er einen ihm bekannten Rechtfertigungsgrund für ein sich pflichtwidriges Verhalten dem Dienstgeber schuldhaft nicht bekannt gibt und der Dienstgeber bei Kenntnis des Rechtfertigungsgrunds die Entlassung aller Voraussicht nach nicht ausgesprochen hätte. Sowohl aus dem bei Kuderna (aaO 76 f) genannten Fallbeispiel als auch aus der Rechtsprechung (9 ObA 290/00p in RIS-Justiz RS0101991) wird klar, dass den Arbeitnehmer die Obliegenheit trifft, einen ihm bekannten Rechtfertigungsgrund bekannt zu geben, wenn sein Verhalten beim Arbeitgeber - objektiv betrachtet - den Anschein pflichtwidrigen Verhaltens erwecken kann. Den Arbeitgeber trifft ein Verschulden an der Entlassung, wenn er sie ausgesprochen hat, ohne sich vorher Gewissheit zu verschaffen, ob der Arbeitnehmer nicht infolge eines rechtmäßigen Hinderungsgrunds von der Arbeit fern geblieben ist. Trifft den Arbeitgeber an der Nichtkenntnis des Rechtfertigungsgrunds hingegen kein oder ein zu vernachlässigendes geringes Verschulden und ist dem Arbeitnehmer die Nichtbekanntgabe des Hinderungsgrunds als schwerer Verstoß gegen die Mitteilungspflicht vorzuwerfen, weil er seinen Arbeitgeber hievon hätte leicht in Kenntnis setzen können, dann kann die Verschuldensabwägung auch dazu führen, dass sich sein Mitverschulden einem Alleinverschulden nähert (Kuderna aaO 77; 8 ObA 2058/96x).

Wären nun, wie vom Kläger behauptet, aufgetretene Schmerzen der wahre Grund für die Verweigerung der Weiterarbeit gewesen, dann sind die letztgenannten Voraussetzungen anzunehmen: Trotz ausreichender Gelegenheit, eine Rechtfertigung für sein Verhalten bekannt zu geben, hat der Kläger dies nicht nur unterlassen sondern seine Weigerung, zum Arbeitsplatz zurückzukehren, sogar ausdrücklich auf einen anderen, sein Verhalten keinesfalls rechtfertigenden Grund gestützt. In einer solchen Situation kann aber vom Arbeitgeber nicht verlangt werden, das offengelegte Motiv des Klägers zu hinterfragen und weitere Informationen einzuholen. Auch aus der Entscheidung 8 ObA 52/04m ist kein für den Standpunkt des Klägers günstigeres Ergebnis zu entnehmen: Dort hatte nämlich nur der klagende Arbeitnehmer ein Rechtsmittel ergriffen, während der Teilzuspruch mangels Anfechtung durch den beklagten Arbeitgeber in Rechtskraft erwachsen war. Ob diesen daher überhaupt eine Zahlungspflicht getroffen hätte, war im Revisionsverfahren nicht mehr zu prüfen. Ähnliches gilt für die Entscheidung 9 ObA 108/05f, wo der beklagte Arbeitgeber ebenfalls ein ihm vom Erstgericht beigemessenes Mitverschulden unbekämpft gelassen hatte.

Geht man hingegen von der - im übrigen durch die Aktenlage nicht eindeutig gedeckten - Annahme des Berufungsgerichts aus, wonach der Kläger erst durch seinen Arztbesuch von einem Arbeitsverhinderungsgrund erfahren habe, könnte dies zu keinem anderen Ergebnis führen. In diesem Fall wäre nämlich nicht eine - vom Kläger nicht erkannte - Arbeitsunfähigkeit der Grund für die Arbeitseinstellung gewesen, sondern sein trotz mehrfacher Ermahnungen bekundeter Unwille, weiter mit seinem Kollegen zusammenzuarbeiten. Dies berechtigte aber die Arbeitgeberin zur Entlassung wegen beharrlich fortgesetzter Arbeitsverweigerung.

Das Begehren auf Kündigungsentschädigung und Abfertigung ist daher zur Gänze abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich hinsichtlich des Verfahrens erster Instanz auf § 41 ZPO, hinsichtlich der Rechtsmittelverfahren auch auf § 50 Abs 1 ZPO.

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