OGH 8ObA2058/96x

OGH8ObA2058/96x25.4.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag und Dr. Langer und die fachkundigen Laienrichter Mag.Wilhelm Patzold und Dr.Peter Scheuch in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Giorgi K*****, vertreten durch Dr. Andreas Mirecki, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei K***** KEG, ***** vertreten durch Dr. Thomas Höhne, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 55.869,81 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15. Dezember 1995, GZ 9 Ra 149/95-25, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 27. Juni 1995, GZ 14 Cga 263/94m-19, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 4.871,04 (einschließlich S 811,84 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom 15.10.1990 bis 28.7.1994 bei der beklagten Partei, einer KEG, die von Michaela K***** (in der Folge Beklagte) geführt wurde, als Schuster mit einem Bruttogehalt von zuletzt S 15.700,-

monatlich beschäftigt. Am 28.7.1994 wurde er entlassen.

Im Betrieb der Beklagten, die zwei Arbeiter beschäftigt, werden kurzfristig Reparaturarbeiten an Schuhen, die spätestens bis zum übernächsten Tag erledigt werden müssen, durchgeführt. Der Kläger kam wiederholt um 15 bis 30 Minuten zu spät zur Arbeit; er wurde diesbezüglich verwarnt und es wurde ihm angedroht, daß er bei Wiederholung dieses Verhaltens entlassen werden würde.

Am 29.6.1994 starb der Vater des Klägers in Israel. Als dieser hievon telefonisch verständigt wurde, stellte ihn die Beklagte sofort dienstfrei, damit er alles Notwendige erledigen und zum Begräbnis nach Israel fliegen könne. Das Begräbnis fand am 30.6.1994 um 15.00 Uhr statt.

Den Rückflug aus Israel buchte der Kläger, ohne daß er eine ausdrückliche Urlaubsvereinbarung über eine bestimmte Dauer mit der Beklagten getroffen hatte, so, daß er erst wieder am 11.7.1994 zur Arbeit erscheinen konnte. Nach der Rückkehr aus Israel erwähnte er von weiteren religiösen Verpflichtungen, die ihn wieder nach Israel führen würden, nichts; wohl sprach er von Erbschaftsangelegenheiten, hinsichtlich deren Erledigung er jedoch keinen genauen Zeitpunkt nannte. Die Beklagte machte ihn aufmerksam, daß er bis zum Beginn des Betriebsurlaubes mit 1.8.1994 dringend benötigt werde, da der zweite Mitarbeiter vereinbarungsgemäß bereits eine Woche vor dem Betriebsurlaub seinen Urlaub antreten werde.

Im Zusammenhang mit dem Tod seines Vaters führte der Kläger auch ein Gespräch mit dem Rabiner seiner Gemeinde, bei dem er von der "30-Tage-Regelung" und dem Sprechen des Erlösungsgebetes am Grab des Vaters Kenntnis erlangte. Am Montag, dem 25.7.1994, teilte er der Beklagten mit, daß er nur noch bis Mittwoch arbeiten und am Donnerstag nach Israel fliegen werde. Dabei erwähnte er nur die Erbschaftsangelegenheit, jedoch nichts von einer religiösen Verpflichtung. Er wurde von der Beklagten aufgefordert, den Flug zu verschieben, da seine Arbeitskraft unbedingt bis zum Betriebsurlaub benötigt werde. Allenfalls könne er am Freitag, den 29.7.1994, bereits Urlaub nehmen, weil sie für diesen Tag eine Ersatzkraft auftreiben könne. Der Kläger beharrte jedoch darauf, daß er unbedingt bereits Donnerstag fliegen müsse. Er wurde hierauf schriftlich von der Beklagten aufmerksam gemacht, daß er im Falle eines verfrühten Urlaubsantrittes entlassen werde. Als er dann tatsächlich am 28.7.1994 nicht zur Arbeit erschien, sprach die Beklagte die Entlassung aus.

Der Kläger begehrt S 55.869,81 sA entlassungsabhängige Ansprüche und bringt vor, zu Unrecht entlassen worden zu sein; er sei als orthodoxer Jude verpflichtet gewesen, am 30. Tag nach dem Tod seines Vaters am Grab den "Trauer-Kaddish" zu sprechen und habe zu diesem Zweck bereits am 28.7.1994 nach Israel fliegen müssen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Das Berufungsgericht änderte die erstgerichtliche Entscheidung im klagsabweisenden Sinn ab und führte hiezu aus: Religiöse Pflichten könnten zwar ein Rechtfertigungsgrund für das Fernbleiben vom Dienst sein; der Kläger habe aber seine Mitteilungspflicht über den wahren Hinderungsgrund verletzt, wodurch die Beklagte gehindert gewesen sei, eine richtige Interessenabwägung zwischen seinen und ihren Interessen vorzunehmen; er habe sich auch nach Androhung der Entlassung nicht bemüßigt gefühlt, die Beklagte über den wahren Hinderungsgrund aufzuklären. Ein Arbeitnehmer, der sich bei gesetzlich nicht festgelegten Rechtfertigungsgründen nicht einmal bemühe, ein Einverständnis des Arbeitgebers zum Fernbleiben vom Dienst aus bestimmten Gründen zu erreichen, obwohl die Gründe von vornherein leicht darstellbar gewesen wären, könne sich auch nicht im nachhinein auf das Vorliegen solcher Gründe berufen; die Entlassung des Klägers sei daher gerechtfertigt gewesen. Im übrigen hätte er auch bei einem erst einen Tag später erfolgten Abflug noch rechtzeitig den Trauer-Kaddish sprechen können.

Gegen das berufungsgerichtliche Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das erstgerichtliche Urteil wieder herzustellen; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Ergebnis nicht berechtigt.

Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO; siehe Verhandlungsprotokoll ON 24 S 2). Im übrigen kommt den auf Grund der Verlesung der Aussage des Klägers getroffenen abändernden bzw ergänzenden Feststellungen des Berufungsgerichtes (S 9 dritter Absatz) keine rechtliche Bedeutung zu, da die Abweisung des Klagebegehrens bereits aus dem im folgenden auszuführenden Grund berechtigt ist; die Hilfsbegründung des Berufungsgerichtes, auf die sich die behauptete Mangelhaftigkeit bezieht, ist daher bedeutungslos.

Zutreffend ist das Berufungsgericht in seiner rechtlichen Beurteilung davon ausgegangen, daß religiöse und familiäre Verpflichtungen als höherrangige Verpflichtungen in Kollision mit jenen aus dem Arbeitsvertrag treten und das Fernbleiben im Einzelfall, etwa zur Teilnahme an einem Begräbnis oder einer Seelenmesse eines nahen Angehörigen, rechtfertigen können (vgl Kuderna, Entlassungsrecht2 106).

Der Arbeitnehmer ist aber verpflichtet, die Dienstverhinderung dem Arbeitgeber umgehend mitzuteilen und glaubhaft darzulegen. Ist die Verhinderung vorhersehbar, hat er sie anzukündigen, um dem Arbeitgeber die Möglichkeit rechtzeitiger Disposition zu geben. Eine solche Mitteilungspflicht besteht aber auch aus einem weiteren Grund:

Der Arbeitgeber benötigt diese Kenntnis für die Abwägung, ob ein Fernbleiben des Arbeitnehmers sachlich gerechtfertigt erscheint. Bei jenen Rechtfertigungsgründen, die nicht bereits gesetzlich festgelegt sind - wie Krankenstände und Pflegefreistellungen - ist nämlich jeweils im Einzelfall eine Interessenabwägung zwischen den Interessen des Arbeitgebers und jenen des Arbeitnehmers vorzunehmen. Kommt es dem Arbeitnehmer nach der Art des Hinderungsgrundes auf einen ganz bestimmten Termin nicht an, kann er also frei disponieren, hat er die Herstellung eines Einvernehmens über den Zeitpunkt des Fernbleibens mit dem Arbeitgeber anzustreben (Arb 6.739, 9.375, 9.463, 10.718; Kuderna aaO 105). Eine Verletzung dieser aus dem Gesetz, und der allgemeinen Treuepflicht des Arbeitnehmers abgeleiteten Mitteilungspflicht berechtigt zwar im allgemeinen nicht zur Entlassung, wenn objektiv gesehen ein berechtigter Hinderungsgrund vorgelegen ist, kann aber bei Angestellten in besonders schwerwiegenden Fällen die Entlassung wegen Vertrauensunwürdigkeit (§ 27 Abs 1 AngG dritter Tatbestand) rechtfertigen (Arb 9.375, 9.463,10.718; Kuderna aaO 105). Beim Kläger, der Arbeiter ist, scheidet dieser Entlassungsgrund aus, weil die GewO 1859 diesen Entlassungsgrund nicht kennt und die dort (§ 82) angeführten Entlassungsgründe nach herrschender Ansicht taxativ genannt sind (Kuderna aaO 52, 126).

Jedoch trifft jeden Arbeitnehmer - gleichgültig, ob er Angestellter oder Arbeiter ist (vgl Kuderna aaO 137), - der einen ihm bekannten Rechtfertigungsgrund für ein an sich pflichtwidriges Verhalten dem Arbeitgeber trotz bestehender Möglichkeit nicht (rechtzeitig) bekannt gibt, grundsätzlich ein Mitverschulden an seiner Entlassung, wenn sie der Arbeitgeber bei Kenntnis des Rechtfertigungsgrundes aller Voraussicht nach nicht ausgesprochen hätte (Kuderna aaO 76 f).

Den Arbeitgeber trifft ein Verschulden an der Entlassung, wenn er sie ausgesprochen hat, ohne sich vorher Gewißheit zu verschaffen, ob der Arbeitnehmer nicht infolge eines rechtmäßigen Hinderungsgrundes von der Arbeit ferngeblieben ist. Trifft den Arbeitgeber an der Nichtkenntnis des Rechtfertigungsgrundes kein oder ein zu vernachlässigendes geringes Verschulden, ist hingegen dem Arbeitnehmer die Nichtbekanntgabe des Hinderungsgrundes als schwerer Verstoß gegen die Mitteilungspflicht vorzuwerfen, weil er seinen Arbeitgeber hievon hätte leicht in Kenntnis setzen können, kann die Verschuldensabwägung auch dazu führen, daß sich sein Mitverschulden einem Alleinverschulden nähert (Kuderna aaO 77).

Der Gesetzgeber räumt dem Richter ein im Sinn des § 273 ZPO auszuübendes freies Ermessen bei der Entscheidung über die Minderung der Rechtsfolgen ein. Er kann bei Ausübung dieses freien Ermessens den Gesamtanspruch anteilsmäßig, betragsmäßig oder nach einzelnen Teilansprüchen entsprechend dem Verhältnis des Verschuldensanteils teilen. Nach Lage des Falles wird darauf zu achten sein, daß jene Partei, die das überwiegende oder alleinige Verschulden trifft, aus der Vertragsauflösung keine Vorteile ziehen kann. Der Richter kann daher dem überwiegend oder allein Schuldigen auch gar keinen Anspruch zuerkennen, dh den Anspruch des Arbeitnehmers auf null mäßigen (Kuderna aaO 78).

Im vorliegenden Fall hat der Kläger den wahren Grund für seine Abwesenheit, nämlich daß er die für orthodoxe Juden offenbar verbindliche 30-Tage-Trauerregel einhalten und am Grab seines Vaters rechtzeitig den Trauer-Kaddish sprechen wollte - ein Grund, der wohl auch die zweite Abwesenheit des Klägers im Zusammenhang mit dem Tod seines Vaters gerechtfertigt hätte -, seinem Dienstgeber nicht bekanntgegeben, sondern nur mitgeteilt, daß er wegen Erbschaftsangelegenheiten nochmals nach Israel fliegen werde (erstgerichtliches Urteil 8 unten, 9 oben).

Bei Hinderungsgründen, die - wie hier - bereits von vorneherein absehbar sind, und deren Eignung zur Rechtfertigung der Abwesenheit erst bei Abwägung mit den Interessen des Arbeitgebers beurteilt werden kann, ist es erforderlich, daß der Arbeitnehmer bei der Ankündigung, nicht zum Dienst zu erscheinen, auch angibt worin diese gelegen sind, also, warum er nicht zum Dienst erscheinen möchte. Nur dadurch wird es dem Arbeitgeber möglich, den so formulierten Interessen des Arbeitnehmers seine eigenen Interessen entgegenzusetzen und abzuwägen, ob insgesamt das Fernbleiben des Arbeitnehmers als gerechtfertigt anzusehen ist oder nicht.

Die Beklagte benötigte die Arbeitskraft des Klägers dringend. Es gab eine besonders große Arbeitsbelastung unmittelbar vor dem Betriebsurlaub, weil die zur Reparatur übernommenen Schuhe noch vorher den Kunden ausgehändigt werden sollten, sich der zweite Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt bereits auf Urlaub befand und die Beklagte nur für den 29.7.1995 (für den sie dem Kläger anstandslos Urlaub gewährte), nicht aber für den 28.7.1995 eine Ersatzkraft auftreiben konnte.

Der Kläger hat die Beklagte über das Gewicht seines Hinderungsgrundes nicht nur nicht, sondern falsch informiert. Er hat nämlich gar nicht den wahren Grund genannt, obwohl ihm dies auch als einfachem Schuster leicht möglich gewesen wäre. Dabei hätte er seinen Arbeitgeber keineswegs über Details der jüdischen Trauerzeremonie und die Schwierigkeit der Berechnung der Fristen hiefür aufklären müssen, sondern es hätte genügt zu sagen, daß er als gläubiger Jude aus religiösen Gründen nochmals an einem bestimmten Tag am Grab seines Vaters beten müsse. Dies hat er aber gänzlich unterlassen und nur von Erbschaftsangelegenheiten gesprochen, die üblicherweise nicht an einen bestimmten Termin gebunden sind (vgl Arb 9.463). Er hat auch gar nicht behauptet, daß er sie an einem bestimmten Tag erledigen müsse und sie nicht auch noch in den folgenden Tagen, an denen er ohnedies Urlaub hatte, erledigen könne.

Die Beklagte hat bei Abwägung des Gewichtes des ihr bekanntgegebenen Hinderungsgrundes mit jenen der für sie gegebenen Dringlichkeit der Arbeitsleistung des Klägers auch noch am 28.7.1995 das Fernbleiben des Klägers zu Recht als nicht gerechtfertigt beurteilt; sie hatte keine Veranlassung, an der Richtigkeit der Angaben des Klägers zu zweifeln, sondern durfte darauf vertrauen, daß ihr der Kläger den wahren Hinderungsgrund mitgeteilt hat (vgl Arb 10.718). Sie trifft daher keinerlei Verschulden daran, daß sie den Kläger entlassen hat, obwohl er objektiv gesehen einen Rechtfertigungsgrund für sein Fernbleiben hatte.

Hingegen ist dem Kläger wegen der Falschinformation über den wahren Grund seines Fernbleibens ein gravierendes Verschulden vorzuwerfen. Geradezu unverständlich ist, daß er sich, selbst nachdem er von der Beklagten unter ausdrücklichem Hinweis auf die ihm ohnedies bekannte besonders angespannte betriebliche Situation unter Androhung der Entlassung schriftlich gewarnt worden war, nicht veranlaßt sah, ihr seinen wahren Grund für das Fernbleiben bekanntzugeben.

Unter allen diesen Umständen führt die Ermessensabwägung im vorliegenden Fall zum völligen Verlust der entlassungsabhängigen Ansprüche des Klägers.

Demgemäß kann es dahingestellt bleiben, ob der Kläger bei einem erst einen Tag später erfolgten Abflug den Trauer-Kaddish nicht mehr rechtzeitig hätte sprechen können, bzw ob er zumindest glaubte, daß dies nicht sicher möglich sei.

Es trifft zwar zu, daß es nicht unstrittig ist, ob der den ganzen Tag des 28.7.1995 abwesende Kläger solcherart damit "während eines erheblichen Zeitraums" vom Dienst ferngeblieben ist. Unter den vom Erstgericht festgestellten Umständen (Urteil S 8 zweiter Absatz und S 9 erster Absatz) wurde dies jedoch vom Berufungsgericht zutreffend bejaht. Gleiches gilt für die Ausführungen des Berufungsgerichtes betreffend die Rechtzeitigkeit der Entlassungserklärung.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte