OGH 9Ob54/21p

OGH9Ob54/21p24.3.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Ziegelbauer, Hon.‑Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Mag. Korn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Dr. Hermann Rieder, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei D*, vertreten durch Dr. Jörg Lindpaintner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 15.103,85 EUR sA und Feststellung (Streitwert 3.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 22. April 2021, GZ 1 R 56/21a‑43, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 29. Jänner 2021, GZ 67 Cg 21/19a‑27, nicht Folge, der Berufung der beklagten Partei gegen dieses Urteil dagegen Folge gegeben wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0090OB00054.21P.0324.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben. Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass es als Teilurteil zu lauten hat:

„1. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 7.120 EUR samt 4 % Zinsen seit 9. 1. 2018 binnen 14 Tagen zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte dem Kläger für alle diesem in Hinkunft entstehenden Nachteile aus der am 7. 10. 2017 erlittenen Verletzung des rechten Außenknöchels haftet.

3. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.“

Im Übrigen wird das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfang an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Am 7. 10. 2017 fand in S* eine Wahlveranstaltung statt. Der damals 16 Jahre alte Beklagte, der zuvor eine größere Menge Alkohol konsumiert hatte, sprach die dort anwesenden Wahlwerber provokant an, beschimpfte sie als „Nazi“ und „Nazischweine“ und schrie herum. Der Kläger, der Chefinspektor bei der Kriminalpolizei ist, hielt sich damals privat vor Ort auf. Er wurde von Teilnehmern der Wahlveranstaltung, denen er als Polizist bekannt war, auf das Verhalten des Beklagten angesprochen. Der Kläger gab sich daraufhin dem Beklagten gegenüber als Polizist zu erkennen und forderte ihn auf, sein Verhalten einzustellen. Einen Dienstausweis führte er, da er privat unterwegs war, nicht mit. Der Beklagte hörte jedoch mit seinem Herumschreien und seinen Beschimpfungen nicht auf. Daraufhin verständigte der Kläger telefonisch die PI S* und ersuchte um Intervention einer Streife. Er stellte sich weiters in Dienst, teilte dies dem Beklagten auch mit und forderte ihn auf, bis zum Eintreffen der Polizei zu warten.

[2] Der Beklagte entfernte sich jedoch in Richtung Ortsausgang. Der Kläger folgte ihm und forderte ihn erneut auf stehenzubleiben, bis die Polizei komme. Da der Beklagte dem nicht nachkam, fasste der Kläger ihn am Arm oder an der Schulter. Der Beklagte riss sich gewaltsam los und schrie, dass der Kläger ihn in Ruhe lassen solle. Dabei versetzte er dem Kläger einen Stoß gegen die Brust. Der Kläger stolperte nach hinten, wodurch er eine Verletzung im Bereich des rechten Sprunggelenks erlitt. Durch diesen Vorfall litt der Kläger komprimiert einen Tag starke Schmerzen, zwei Tage mittlere Schmerzen und acht Wochen leichte Schmerzen. Es besteht eine objektiv feststellbare Bewegungseinschränkung und eine dauerhafte Funktionsminderung von 5 %. Spät‑ und Dauerfolgen im Sinn eines raschen Fortschreitens der Arthrose im Bereich des rechten Sprunggelenks sind nicht auszuschließen.

[3] Die Strafverfolgung gegen den Beklagten wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt, schwerer Körperverletzung und Beleidigung wurde aufgrund diversioneller Erledigung eingestellt.

[4] Der Kläger begehrt die Zahlung von 15.103,85 EUR sA und die Feststellung der Haftung des Beklagten für alle Nachteile, die er durch die Verletzung des rechten Außenknöchels in Zukunft erleiden wird. Er bringt vor, der Beklagte habe ihm, obwohl er sich als Polizeibeamter zu erkennen gegeben habe und die Festnahme des Beklagten ausgesprochen habe, einen Stoß versetzt. Dadurch sei er über den Außenknöchel umgekippt und habe sich diesen gebrochen. Ihm stehe Schmerzengeld von 12.000 EUR, fiktive Haushaltskosten von 420 EUR und Verdienstentgang von 2.983,85 EUR, abzüglich einer Teilzahlung von 300 EUR der Klagsbetrag zu. Da Spätfolgen nicht auszuschließen seien, habe er auch ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Haftung des Beklagten für die Zukunft.

[5] Der Beklagte bestreitet. Nach § 1 Abs 3 der Verordnung des Bundesministers für Inneres, mit der Richtlinien für das Einschreiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erlassen wurden (RLV), habe keine Berechtigung des Klägers bestanden, sich in Dienst zu stellen. Der Kläger habe keine Berechtigung zu einer Festnahme gehabt und hätte das Eintreffen der Polizeistreife abwarten müssen. Der Beklagte sei mit einem ihm unbekannten Zivilisten, der sich als Polizist ausgegeben habe, ohne sich ausweisen zu können, konfrontiert gewesen. Er habe sich in einer Notwehrsituation gegen die Festnahmeversuche mit der Anwendung mäßig physischer Gewalt zur Wehr gesetzt, indem er dem Kläger einen Stoß gegen die Brust versetzt habe. Ein solches Verhalten sei nicht rechtswidrig, jedenfalls treffe den Kläger ein Mitverschulden. Die geltend gemachten Ansprüche auf Ersatz von Schmerzengeld und Kosten für Haushaltshilfe seien überhöht, der Verdienstentgang nicht schlüssig dargestellt. Dauerfolgen seien nicht zu erwarten.

[6] Das Erstgericht verpflichtete den Beklagten zur Zahlung von 7.120 EUR sA und stellte die Haftung des Beklagten für zukünftige Schäden des Klägers aus dem Vorfall vom 7. 10. 2017 fest. Das Zahlungsmehrbegehren wies es ab. Es ging davon aus, dass der Beklagte den Kläger schuldhaft und rechtswidrig verletzt habe und erachtete ein Schmerzengeld von 7.000 EUR und eine Abgeltung für Haushaltshilfe von 420 EUR für angemessen. Abzüglich der schon geleisteten Zahlung ergab sich der zugesprochene Betrag. Den Verdienstentgang sah es als nicht erwiesen an.

[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers gegen dieses Urteil keine Folge, der Berufung des Beklagten dagegen Folge und änderte die angefochtene Entscheidung dahingehend ab, dass das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen wurde. Eine Situation, die ein „In Dienst Stellen“ durch den Kläger iSd § 1 Abs 3 RLV gerechtfertigt hätte, sei nicht vorgelegen. Der Kläger sei darauf angesprochen worden, dass der Beklagte Personen provokativ beschimpfe. Darin manifestiere sich jedoch keine Gefahr für die in § 1 Abs 3 RLV genannten Rechtsgüter. Der Kläger könne sich auch nicht auf ein allgemeines Anhalterecht nach § 80 Abs 2 StPO berufen. Ein solches bestehe bei gerichtlich mit Strafe bedrohten Handlungen. Dem Beklagten sei jedoch kein Offizialdelikt vorzuwerfen. Indem der Kläger den Beklagten daran gehindert habe, sich zu entfernen und ihn an Schulter und Arm festgehalten habe, habe er einen rechtswidrigen Angriff auf die Freiheit des Beklagten gesetzt. Damit sei eine Notwehrsituation für den Beklagten iSd § 3 StGB vorgelegen. Dass der Beklagte sich losgerissen und den Stoß gegen die Brust des Klägers gesetzt habe, sei nicht unangemessen und habe das gerechtfertigte Maß zur Verteidigung nicht überschritten. Der Kläger habe daher keinen Anspruch auf Schadenersatz.

[8] Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht nachträglich über Antrag des Klägers zugelassen, weil zur Auslegung des § 1 Abs 3 RLV keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.

[9] Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, die Entscheidung des Berufungsgerichts dahingehend abzuändern, dass der Berufung des Klägers Folge gegeben wird, der des Beklagten dagegen nicht Folge gegeben wird und der Klage stattgegeben wird. In eventu wird beantragt, die Entscheidung des Berufungsgerichts aufzuheben.

[10] Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

[11] Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig und auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[12] 1. Der vom Kläger geltend gemachte Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 6 ZPO wurde geprüft und liegt nicht vor. Die Frage der Verletzung einer Bindungswirkung an eine verwaltungsbehördliche Entscheidung stellt sich schon deshalb nicht, weil – wie der Kläger selbst ausführt – eine verwaltungsbehördliche Überprüfung seines Einschreitens nie erfolgte.

[13] 2. Unstrittig hat der Beklagte den Kläger dadurch verletzt, dass er sich von ihm losriss und ihm dabei einen Stoß gegen die Brust versetzte. Das Berufungsgericht hat dennoch eine Haftung verneint, weil es von gerechtfertigter Notwehr durch den Beklagten ausgegangen ist. Die Revision argumentiert dagegen, dass die Anhaltung des Beklagten rechtmäßig erfolgte.

[14] 3. Nach § 3 Abs 1 StGB, der auch für das bürgerliche Recht unmittelbar relevant ist (vgl Posch in Schwimann/Kodek, ABGB5 [2018] § 19 Rz 16) handelt nicht rechtswidrig, wer sich nur der Verteidigung bedient, die notwendig ist, um einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff auf Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, sexuelle Integrität und Selbstbestimmung, Freiheit oder Vermögen von sich oder einem anderen abzuwehren.

[15] Die Notwehrlage entsteht demnach durch einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff auf ein notwehrfähiges Gut. Zu prüfen ist daher, ob das Festhalten durch den Kläger rechtswidrig war, andernfalls eine Notwehrsituation zu verneinen wäre.

[16] 4. Der Kläger hat sich gegenüber dem Beklagten als Polizist zu erkennen gegeben und ausdrücklich darauf hingewiesen, sich in Dienst zu stellen. Die Verordnung des Bundesministers für Inneres, mit der Richtlinien für das Einschreiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erlassen werden (Richtlinien‑Verordnung‑RLV) sieht in § 1 Abs 3 vor: „Sofern sich nicht bereits auf Grund dienstrechtlicher Vorschriften die Verpflichtung außerhalb des Dienstes einzuschreiten ergibt, haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes diesfalls zur Erfüllung ihrer Aufgaben nur dann einzuschreiten, wenn sie erkennen, dass dies zur Abwehr einer gegenwärtig oder unmittelbar drohenden Gefahr für Leben, Gesundheit, Freiheit von Menschen oder für fremdes Eigentum in großem Ausmaß erforderlich, verhältnismäßig und wenn ihnen dies nach den eigenen Umständen zumutbar ist. Im Übrigen haben sie in Fällen, in denen Einschreiten durch Ausübung sicherheitsbehördlicher Befehls‑ und Zwangsgewalt dringend geboten erscheint, die Sicherheitsbehörde hievon zu verständigen.“

[17] Richtig hat das Berufungsgericht die Auffassung vertreten, dass ausgehend vom festgestellten Sachverhalt die in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen für das „In Dienst Stellen“ nicht erfüllt waren. Dem Beklagten sind verbale Ausfälligkeiten zur Last zu legen. Daraus lässt sich aber keine konkrete Bedrohungssituation für die in § 1 Abs 3 RLV genannten Rechtsgüter ableiten.

[18] 5. Zu Recht verweist der Kläger jedoch darauf, dass allein der Umstand, dass er nach § 1 Abs 3 RLV zum „In Dienst Stellen“ nicht verpflichtet war, nicht auf die Rechtswidrigkeit der Festhaltung schließen lässt.

[19] Die gesetzliche Grundlage für die Erlassung der RLV findet sich unter anderem in § 31 SPG. Nach der Konzeption des SPG handelt es sich bei der Frage, ob die Richtlinie verletzt ist, um eine Frage des „inneren Dienstes“ iSd Art 10 Abs 1 Z 14 B‑VG. Die RLV stellt einen Berufspflichtenkodex der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes dar und bezweckt, eine wirkungsvolle einheitliche Vorgangsweise der Sicherheitsexekutive sicherzustellen und die Gefahr von Konflikten mit den Betroffenen zu mindern (VwGH 2003/01/0041 mwN).

[20] Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, dass § 1 Abs 3 RLV jene Voraussetzungen bestimmt, die vorliegen müssen, dass ein Organ des Sicherheitsdienstes, das sich nicht im Dienst befindet, im Rahmen der Sicherheitspolizei einzuschreiten hat. Demgegenüber hat das Organ in allen übrigen Fällen, in denen ein Einschreiten der Ausübung sicherheitsbehördlicher Befehls‑ und Zwangsgewalt (nur) dringend geboten erscheint, gemäß § 1 Abs 3 zweiter Satz RLV die Sicherheitsbehörde zu verständigen. § 1 Abs 3 RLV sehe damit – deckungsgleich – eine sachlich begrenzte Ermächtigungsverpflichtung zur Indienststellung vor, die dem Beamten keinen Ermessensspielraum einräumt, innerhalb dessen er durch eine vertraglich übernommene Verpflichtung zur Indienststellung veranlasst werden könnte, ohne dass er hiezu auch dienstrechtlich verpflichtet wäre (VwGH 2005/12/0087 ua).

[21] Diese Entscheidungen bezogen sich jedoch regelmäßig auf das Rechtsverhältnis zwischen dem Organ und dem Bund als seinem Dienstgeber und allfälligen Ansprüchen aus dem „In Dienst Stellen“ des Organs. Die RLV gewährt dagegen keine subjektiven Rechte (VwGH 2005/01/0032). Sie legt nicht die Modalitäten fest, auf deren Einhaltung der Betroffene bei Ausübung bestimmter Befugnisse durch Exekutivbeamte einen Rechtsanspruch hat (VwGH 2003/01/0041). Der Betroffene erhält jedoch ein Recht auf Feststellung, ob eine Berufspflicht verletzt worden ist, und kann diese Feststellung auch im Wege einer externen Beschwerdekontrolle verlangen. Mit der Feststellung der Verletzung einer Berufspflicht geht die Feststellung des Tatbestands einer Dienstpflichtverletzung (§ 91 BDG 1979) einher. Ob hievon auch die Rechtmäßigkeit der ausgeübten Befugnis beeinträchtigt wird, ist im Einzelfall zu entscheiden (RV 148 BlgNr 18. GP  38).

[22] 6. Die Verletzung der Richtlinie hat daher noch keine zwingenden Auswirkungen auf die Frage der Rechtmäßigkeit einer Befugnisausübung iSd § 87 SPG (vgl Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz4 S 297). Ein Einschreiten des Exekutivorgans außerhalb der Dienstzeit ohne Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ändert im Hinblick auf die dem Beamten in abstrakto zukommende Befugnis nichts an der grundsätzlichen Qualifikation auch dieser Tätigkeit als Amtsgeschäft (Marek/Jerabek, Korruption und Amtsmissbrauch13 § 302 StGB Rz 30).

[23] Der Oberste Gerichtshof hat dementsprechend in einem Strafverfahren wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB ausgesprochen, dass die RLV (bloß) eine Verpflichtung von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes normiert, unter den dort genannten Voraussetzungen und Bedingungen auch außerhalb des Dienstes einzuschreiten, daraus ergebe sich jedoch kein unter dem Aspekt des Schädigungsvorsatzes relevanter Anspruch des Staats, ein Einschreiten bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen zu unterlassen (17 Os 51/14s).

[24] 7. Das bedeutet für den konkreten Fall, dass, auch wenn die Voraussetzungen des § 1 Abs 3 RLV nicht vorlagen und daher der Kläger nach der RLV nicht verpflichtet war, sich in Dienst zu stellen und dazu aus dienstrechtlicher Sicht allenfalls auch nicht ermächtigt war, er dessen ungeachtet als Polizeibeamter in Ausübung verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt tätig wurde, was er dem Beklagten gegenüber auch offenlegte. Damit kam ihm aber zu diesem Zeitpunkt auch die Befugnis zur Anhaltung des Beklagten zu.

[25] 8. Die Behauptungs- und Beweislast für einen Rechtfertigungsgrund trifft generell denjenigen, der in fremdes Rechtsgut eingreift (RS0023098). Die Beweislast für das Vorliegen einer Notwehrsituation liegt daher beim Notwehr übenden Schädiger (6 Ob 572/89; Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 § 19 Rz 183). Gelingt dem Schädiger dieser Beweis nicht oder beruft er sich auf Putativnotwehr, muss er beweisen, dass ihm kein Verschulden an der irrtümlichen Annahme einer Notwehrsituation vorzuwerfen ist (Posch in Schwimann/G. Kodek, ABGB5 § 19 Rz 33; Reischauer aaO Rz 184).

[26] Putativnotwehr (§ 8 StGB) liegt vor, wenn aus einem entschuldbaren Tatsachenirrtum eine Notwehrlage angenommen wurde. Auch ein Handeln in Putativnotwehr schließt eine Schadenersatzverpflichtung aus, aber nur dann, wenn der Gegner einen äußeren Tatbestand gesetzt hat, der die Abwehrhandlung sowohl als solche als auch in ihrem Ausmaß als gerechtfertigt erscheinen lässt (vgl RS0009040).

[27] Eine Schadenersatzpflicht ist jedoch nicht ausgeschlossen, wenn sich der Schädiger in einem fahrlässig verschuldeten Irrtum über eine Notwehrsituation befand. Wer irrtümlich eine Notwehrlage annimmt, hat daher die Handlung (Putativnotwehr) schadenersatzmäßig nach allgemeinen Grundsätzen nicht zu vertreten, wenn ihm bezüglich dieses Irrtums keine Sorgfaltsverletzung unterlaufen oder diese ihm nicht vorwerfbar ist (Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 § 19 Rz 97 mwN). Tatbegehung in Ausübung notwendiger Verteidigung ist aber Voraussetzung sowohl der Notwehr als auch der Putativnotwehr (RS0089390 [T3]).

[28] Von der irrigen Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts kann nur dann die Rede sein, wenn der Irrtum zur Folge hat, dass kein Vorsatz in der Richtung einer nicht gerechtfertigten Deliktserfüllung vorliegt. Bei Zweifel am Vorliegen des rechtfertigenden Sachverhalts kommt § 8 StGB nicht zum Zuge, wenn der Handelnde das Nichtvorliegen der rechtfertigenden Situation ernstlich für möglich gehalten und sich mit dieser Sachverhaltslage abgefunden hat (Höpfel in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 8 [Stand 1. 3. 2012, rdb.at] Rz 8 mwN), also bedingter Vorsatz vorliegt, das Delikt nicht gerechtfertigt zu begehen.

[29] Der Beklagte hat zwar vorgebracht, dass er mit einem ihm unbekannten Zivilisten, der sich als Polizist ausgegeben habe, ohne sich ausweisen zu können, konfrontiert gewesen sei. Dass er sich darüber in Irrtum befunden hat, dass es sich tatsächlich um einen Polizisten gehandelt hat oder er zumindest darauf vertraut hat, von einer nicht zur Anhaltung berechtigten Person festgehalten zu werden, hat er dagegen nicht einmal behauptet. Damit bietet aber schon das Vorbringen des Beklagten keine Grundlage für die Annahme einer Putativnotwehrsituation, weshalb die Vorinstanzen zu Recht keine weitere Prüfung dieser Frage vorgenommen haben.

[30] 9. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts lag daher keine rechtswidrige Freiheitsbeschränkung vor, gegen die der Beklagte sich berechtigt oder aufgrund eines nicht vorwerfbaren Irrtums mit Notwehr hätte zur Wehr setzen dürfen. Vielmehr war der Stoß durch den Beklagten eine rechtswidrige, schuldhafte Handlung, die eine Körperverletzung des Klägers zur Folge hatte. Für diese hat der Beklagte einzustehen. Der geltend gemachte Anspruch auf Schadenersatz aus der Verletzung des Klägers besteht daher dem Grunde nach zu Recht.

[31] Ob der Kläger auch nach anderen Vorschriften, etwa § 43 BDG 1978, oder aufgrund des allgemeinen Anhalterechts nach § 80 Abs 2 StPO zum Einschreiten berechtigt war, muss daher nicht geprüft werden.

[32] 10. Da der Beklagte in seiner Berufung ausschließlich eine Rechtsrüge erstattet hatte, die sich gegen den Grund des Anspruchs richtete, der aber wie dargelegt, keine Berechtigung zukommt, die Höhe des vom Erstgericht zuerkannten Betrags jedoch nicht bestritten wurde, ist das Ersturteil im Umfang dieses Zuspruchs wiederherzustellen. Dagegen hat der Kläger in seiner gegen den klagsabweisenden Teil des Ersturteils gerichteten Berufung auch eine Tatsachen‑ und Verfahrensrüge erhoben, über die das Berufungsgericht aufgrund seiner vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansichten noch nicht entschieden hat. In diesem Umfang war daher die zweitinstanzliche Entscheidung aufzuheben und zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

[33] 11. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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