European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E127253
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Begründung:
Die beiden Minderjährigen sind die ehelichen Kinder von C* und Co*. Seit der Scheidung der Eltern werden sie überwiegend im mütterlichen Haushalt betreut. Die Obsorge kommt beiden Elternteilen zu.
Mit Beschluss vom 26. 1. 2017 wurde der Vater zu einem monatlichen Unterhalt von 635 EUR je Kind verpflichtet, ausgehend von einer Bemessungsgrundlage von monatlich 5.142,76 EUR sowie unter Berücksichtigung zweier weiterer Sorgepflichten.
Der Vater beantragt eine Herabsetzung seiner Unterhaltsverpflichtung ab 1. 1. 2019 auf je 350 EUR monatlich mit der Begründung, sein Einkommen habe sich aufgrund des Wegfalls von Überstunden reduziert. Darüber hinaus sei er durch die Erfüllung der Zahlungsplanquoten aus dem eröffneten Schuldenregulierungsverfahren so stark belastet, dass er ohne Zuwendungen Dritter nicht überleben könne.
Die Minderjährigen sprachen sich gegen den Herabsetzungsantrag aus und beantragten ihrerseits ausgehend von einem monatlichen Nettoeinkommen von 5.813 EUR im Jahr 2018 eine Erhöhung für den mj S* auf 850 EUR und für den mj J* auf 710 EUR jeweils ab 1. 1. 2019.
Das Erstgericht setzte den monatlich zu leistenden Unterhalt ab 1. 1. 2019 für den mj S* mit 790 EUR und für den mj J* mit 650 EUR fest und wies das darüber hinausgehende Erhöhungsbegehren der Kinder und den Herabsetzungsantrag des Vaters ab. Ausgehend von einem festgestellten Einkommen des Vaters von monatlich 5.717 EUR im Jahr 2018 ergebe sich nach der Prozentwertmethode für den mj S* ein prozentueller Unterhaltsanspruch in Höhe von 15 % und für den mj J* von 12 % des Einkommens des Vaters. Unter Berücksichtigung der steuerlichen Entlastung ergäben sich 730 EUR für den mj S* und 590 EUR für den mj J*. Diesen Beträgen sei der halbe Familienbonus Plus mit monatlich 62,50 EUR hinzuzuschlagen, womit sich die neu festgesetzten Unterhaltsverpflichtungen ergäben. Das Schuldenregulierungsverfahren sei kein Grund für eine Herabsetzung der Unterhaltsverpflichtung.
Den Rekursen der Minderjährigen gegen die Abweisung des Antrags auf Erhöhung der Unterhaltspflicht auf 845 EUR bzw 705 EUR und des Vaters gegen die Abweisung des Antrags auf Herabsetzung des Unterhalts gab das Rekursgericht nicht Folge. Schulden des Unterhaltsschuldners seien in der Regel nicht geeignet, die Bemessungsgrundlage zu vermindern. Auf die Deckung in der Differenz zwischen dem Existenzminimum gemäß § 291a EO und dem Unterhaltsexistenzminimum gemäß § 291b EO komme es nicht an.
Der Familienbonus Plus führe entgegen der Ansicht des Erstgerichts zu einer Erhöhung des Nettoeinkommens, die bei der Ermittlung des Unterhalts zu berücksichtigen sei. Die vom Erstgericht vertretene Ansicht, dass nach Errechnung des Prozentunterhalts und steuerlicher Entlastung der halbe Familienbonus Plus jeweils dem Unterhalt zugeschlagen worden sei, werde allerdings von den Rechtsmitteln nicht bekämpft. Der Vater habe nur darauf verwiesen, dass das Ergebnis unbillig sei, was jedoch nicht überzeuge. Damit habe es bei der erstinstanzlichen Entscheidung zu verbleiben.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen dahingehend abzuändern, dass der Familienbonus Plus bei der Unterhaltsbemessung nicht zugeschlagen wird.
Die Minderjährigen beantragen, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus den vom Rekursgericht genannten Gründen zulässig, jedoch im Ergebnis nicht berechtigt.
Der Vater macht geltend, dass der Bezug des Familienbonus Plus voraussetze, dass der Unterhalt auch geleistet werde, dies sei ihm jedoch aufgrund des Schuldenregulierungsverfahrens nicht möglich. Daher könne er auch den Familienbonus Plus nicht in Anspruch nehmen.
1. Der Revisionsrekurs betrifft die Frage, wie sich der – durch das Jahressteuergesetz 2018, BGBl I 2018/62, neu eingeführte und erstmals für das Kalenderjahr 2019 zustehende – „Familienbonus Plus“ auf die Bemessung des Kindesunterhalts auswirkt und ob die bisher in der Judikatur des Obersten Gerichtshofs gebräuchliche formelhafte Berechnungsmethode zur steuerlichen Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen durch die Anrechnung von Transferleistungen dadurch eine Änderung erfährt.
1.1 Beim Familienbonus Plus handelt es sich – so wie beim Unterhaltsabsetzbetrag – um einen echten Steuerabsetzbetrag (§ 33 Abs 3a EStG). Der Familienbonus Plus ist als erster Absetzbetrag von der sich aufgrund des Einkommensteuertarifs errechneten Steuer abzuziehen, ein Steuerbetrag unter null (sogenannte Negativsteuer) kann dadurch aber nicht zustande kommen (RV 190 BlgNR 26. GP 8; Peyerl, Der steuerliche Familienbonus Plus in der Unterhaltsbemessung, iFamZ 2018, 193). Der Familienbonus Plus ersetzt den Kinderfreibetrag nach § 106a EStG aF sowie die Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten (vgl 5 Ob 92/19v). Der Familienbonus Plus beträgt, sofern er voll ausschöpfbar ist, bis zum Ablauf des Monats, in dem das Kind das 18. Lebensjahr vollendet hat, für jeden Kalendermonat 125 EUR (§ 33 Abs 3a Z 1 lit a EStG), ab diesem Zeitpunkt für jeden Kalendermonat 41,68 EUR (§ 33 Abs 3a Z 1 lit b EStG). Voraussetzung für den Bezug des Familienbonus Plus ist der Bezug der Familienbeihilfe für das Kind nach dem FLAG 1967. Er kann von jedem Elternteil beantragt oder zwischen ihnen auch aufgeteilt werden. Im Regelfall ist davon auszugehen, dass der Familienbonus Plus den Eltern jeweils zur Hälfte zusteht (§ 33 Abs 3a Z 3 lit c EStG). § 33 Abs 3a Z 3 lit b EStG betrifft Kinder, für die ein Unterhaltsabsetzbetrag zusteht, also solche, für die vom nicht im selben Haushalt mit dem Kind lebenden Elternteil Unterhaltsleistungen erbracht werden. In diesem Fall ist der Familienbonus Plus mit dem Unterhaltsabsetzbetrag verknüpft, für den nach § 33 Abs 4 Z 3 EStG zusätzlich vorausgesetzt ist, dass der Steuerpflichtige für dieses Kind den gesetzlichen Unterhalt tatsächlich leistet. Für einen Monat, für den kein Unterhaltsabsetzbetrag zusteht, steht dem Unterhaltsschuldner daher auch kein Familienbonus Plus zu. Der Familienbonus Plus kann entweder im Nachhinein im Rahmen der Arbeitnehmerveranlagung oder bereits im Rahmen der monatlichen Lohnverrechnung durch Antrag beim Dienstgeber geltend gemacht werden (4 Ob 139/19y; siehe dazu auch Bräumann, Umfassende Reformen der steuerlichen Familienförderung, iFamZ 2018, 186 [188]; Tews, Familienbonus Plus – Ende der Familienbeihilfen-Anrechnung? EF‑Z 2019/3, 8).
1.2 Zur Zweckbestimmung des Familienbonus Plus wird in den Gesetzesmaterialien (RV 190 BlgNR 26. GP 1) Folgendes ausgeführt:
„In einer alternden Gesellschaft ist die Entscheidung für Kinder und deren Erziehung eine zunehmend wichtige Leistung, die für die Gesellschaft erbracht wird. Gerade jene Eltern, die neben der Erziehung ihrer Kinder gleichzeitig berufstätig sind, sind durch die derzeitige Besteuerung im Vergleich zu Kinderlosen besonders stark belastet. Entgegen der bisherigen Förderungslogik soll nicht eine neue staatliche Geldleistung ausgezahlt werden, sondern eine substanzielle Steuerentlastung erfolgen. […] Das österreichische Einkommensteuersystem ist vom Grundsatz der Leistungsfähigkeit geprägt. Das subjektive Nettoprinzip verlangt die Berücksichtigung zwangsläufiger privater Ausgaben, weil diese die steuerliche Leistungsfähigkeit vermindern; der Familienbonus Plus dient der Berücksichtigung dieses Prinzips, weil er dem Umstand Rechnung trägt, dass erwerbstätige Steuerpflichtige, die Kinder haben, weniger leistungsfähig sind als Kinderlose mit gleichem Einkommen. Dabei stellt der Familienbonus Plus weder einen Beitrag des Staates zum Unterhalt der Kinder dar, noch deckt er die Kinderlasten ab, die von den Eltern weiterhin zur Gänze übernommen werden. Der Steuerabzug bewirkt aber, dass sie diese Lasten zukünftig aus ihrem unversteuerten Einkommen leisten können und nicht eine darauf lastende Steuer dazu verdienen müssen. Der Beitrag des Staates zum Unterhalt bzw zu den Lebenshaltungskosten der Kinder erfolgt über die Familienbeihilfe und Sachleistungen.“
Die Einführung des Familienbonus Plus ist somit eine (weitere) gesetzliche Maßnahme zur steuerlichen Entlastung der Unterhaltsleistungen. Der Steuerabzug soll zu einer „substanziellen Steuerentlastung“ führen und bewirken, dass die Eltern die Unterhaltslasten „zukünftig aus ihrem unversteuerten Einkommen leisten können und nicht eine darauf lastende Steuer dazuverdienen müssen“.
2. Ausgangspunkt für die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur steuerlichen Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen und die damit verbundene Kürzung des Geldunterhalts durch die Anrechnung von Transferleistungen (RS0117015; RS0117023; RS0117084) war die Judikatur des Verfassungsgerichtshofs.
2.1 Mit Erkenntnis vom 27. Juni 2001, B 1285/00 VfSlg 16.226, hat der Verfassungsgerichtshof die Beschwerde eines Beschwerdeführers gegen die Regelungen über die Nichtabzugsfähigkeit von Unterhaltsleistungen an Kinder bei getrennter Haushaltsführung abgewiesen. Er hat jedoch darauf hingewiesen, dass (zumindest) die Hälfte des gesetzlich geschuldeten Unterhalts steuerlich berücksichtigt werden müsse: Der Geldunterhaltspflichtige müsse einerseits durch Kürzung seiner Unterhaltspflicht (in Form einer teilweisen Anrechnung der Transferleistungen) und andererseits durch die Gewährung des Unterhaltsabsetzbetrags insgesamt jene Entlastung erfahren, die erforderlich sei, um die Steuermehrbelastung abzugelten, die im jeweiligen Fall durch die Nichtabzugsfähigkeit der Hälfte des Unterhalts entstehe.
Hintergrund dieser Auffassung ist, dass sich durch die Leistung von Kindesunterhalt aus dem erzielten Einkommen die steuerliche Leistungsfähigkeit der Eltern verringere. Aus diesem Grund seien die Einkommensbestandteile, die vom Steuerpflichtigen an die Unterhaltsberechtigten weitergegeben würden, nicht zur Gänze zu besteuern; die Hälfte des gesetzlich geschuldeten (nach der Prozentsatzmethode ermittelten bzw aus den Regelbedarfsätzen abgeleiteten) Unterhalts müsse im Effekt steuerfrei bleiben (G 168/96, G 285/96 VfSlg 14.992). Bei gemeinsamer Haushaltsführung reichten die Transferleistungen Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag (nach der ab dem Jahr 2000 geltenden Regelung [Familienpakete 2000]) aus, die Unterhaltslasten abzugelten (B 1340/00 VfSlg 16.026). Anderes gelte für den Fall der getrennten Haushaltsführung, weil der unterhaltspflichtige Elternteil nur den Unterhaltsabsetzbetrag geltend machen könne. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der Unterhalt von den höchsten Einkommensteilen gezahlt werde; zur Berechnung sei der Grenzsteuersatz nach § 33 Abs 1 EStG heranzuziehen (B 1340/00 VfSlg 16.026). Es müsse nicht der volle Grenzsteuersatz berücksichtigt werden, weil das Einkommen auch steuerlich begünstigte oder steuerfreie Komponenten aufweise. Bei einem Grenzsteuersatz von 50 % genüge es, die Steuerbelastung des Unterhalts mit 40 % anzunehmen (B 1340/00 VfSlg 16.026). Ausgehend von diesen Überlegungen berechnete der Verfassungsgerichtshof die steuerliche Entlastung bei einem Grenzsteuersatz von 50 % mit 20 % des geschuldeten Unterhalts abzüglich des Unterhaltsabsetzbetrags.
Abschließend wies der Verfassungsgerichtshof darauf hin, dass es dem Steuergesetzgeber freilich freistehe, die gebotene Anrechnung im Rahmen des § 12a FLAG 1967 auch pauschalierend vorzusehen (und damit zu erleichtern) oder den verfassungsgesetzlichen Vorgaben durch andere sachliche Regelungen Rechnung zu tragen.
2.2 Im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut des § 12a FLAG 1967, wonach die Familienbeihilfe nicht als eigenes Einkommen des Kindes gilt und dessen Unterhaltsanspruch nicht mindert, hielt der Oberste Gerichtshof an seiner Rechtsprechung (10 Ob 537/94 JBl 1995, 372 ua) fest, dass die Transferleistung nicht auf den Unterhaltsanspruch anzurechnen ist. Im Hinblick auf die durch das Erkenntnis B 1285/00 entstandenen Bedenken gegen die Verfassungskonformität stellte er aber den Antrag an den Verfassungsgerichtshof, § 12a FLAG 1967 als verfassungswidrig aufzuheben (6 Ob 262/01z ua).
2.3 Mit Erkenntnis vom 19. Juni 2002 zu G 7/02 ua, VfSlg 16.562, hob der Verfassungsgerichtshof – vor allem in Anknüpfung an das Erkenntnis zu B 1285/00 (VfSlg 16.226) – den zweiten Halbsatz des damaligen § 12a FLAG 1967 („die Familienbeihilfe gilt nicht als eigenes Einkommen des Kindes und mindert nicht dessen Unterhaltsanspruch“) als verfassungswidrig auf, um zu ermöglichen, dass dem verfassungsrechtlichen Gebot der steuerlichen Entlastung von Unterhaltslasten durch Transferleistungen entsprochen werde.
2.4 Die verfassungsrechtlichen Vorgaben lassen sich demnach dahin zusammenfassen, dass das Einkommen, aus dem der Geldunterhalt geleistet wird, nicht zur Gänze besteuert werden soll. Vielmehr soll die Hälfte des gesetzlichen Unterhalts steuerfrei bleiben und dies durch eine steuerliche Entlastung der Unterhaltspflicht in der Größenordnung um 20 % bewirkt werden. Dieses Ziel kann entweder durch eine pauschalierende oder sonst sachliche Regelung des Gesetzgebers oder – solange der Gesetzgeber nicht tätig wird – im Rahmen der gerichtlichen Unterhaltsbemessung erreicht werden (B 1285/00 VfSlg 16.226).
3. Im Anschluss an das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs zu G 7/02 ua hat der Oberste Gerichtshof seine unterhaltsrechtliche Judikatur modifiziert (1 Ob 114/02z; 7 Ob 175/02i uva) und zur steuerlichen Entlastung des Unterhaltspflichtigen eine konkrete Berechnungsmethode entwickelt (vgl 5 Ob 37/02f; 9 Ob 94/03v). Dieser Berechnungsmethode liegt die mathematische Formel „Unterhaltsanspruch = Prozentunterhalt minus (Prozentunterhalt mal Grenzsteuersatz mal 0,004) plus Unterhaltsabsetzbetrag“ zugrunde (vgl RS0117084 [T8]; 6 Ob 44/07z). Diese Formel wurde im Hinblick auf den mit der Steuerreform 2009 eingeführten Kinderfreibetrag (§ 106 EStG) dahin modifiziert, dass neben dem Unterhaltsabsetzbetrag auch der Kinderfreibetrag in Höhe der Steuerersparnis zu berücksichtigen ist und die Formel daher wie folgt lautet: „Unterhaltsanspruch = Prozentunterhalt minus (Prozentunterhalt mal Grenzsteuersatz mal 0,004) plus Unterhaltsabsetzbetrag plus Steuerersparnis durch Kinderfreibetrag“ (vgl 6 Ob 240/17p).
4. Aufgrund der in Rede stehenden neuen steuergesetzlichen Regelung stellt sich nunmehr die Frage, ob mit dem Familienbonus Plus die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Entlastung des Geldunterhaltsschuldners erreicht ist.
4.1 Mit der unterhaltsrechtlichen Behandlung des Familienbonus Plus hat sich die Literatur bereits befasst:
Tews (Familienbonus Plus – Ende der Familienbeihilfen-Anrechnung? EF‑Z 2019/3, 8) weist zunächst zutreffend darauf hin, dass für die Berücksichtigung des Familienbonus Plus bei der Bemessung des Kindesunterhalts (im Wesentlichen) folgende drei Varianten in Betracht kommen:
a) Gänzliche Vernachlässigung der Steuerersparnis;
b) Erhöhung der Unterhaltsbemessungsgrundlage;
c) keine Erhöhung der Unterhalts-bemessungsgrundlage, aber Berücksichtigung der steuerlichen Entlastung bei der Anrechnung der Familienbeihilfe.
Zusammenfassend schließt Tews aus dem Schweigen des Gesetzgebers zur unterhaltsrechtlichen Problematik, dass die bisherige Unterhaltsbemessung unbeeinflusst bleiben solle.
Nach Gitschthaler (Familienbonus Plus und Unterhaltsrecht, EF‑Z 2019, 116) soll – nach der seines Erachtens klaren Absicht des Gesetzgebers – der Familienbonus Plus nicht dem unterhaltsberechtigten Kind, sondern den arbeitenden Eltern zugute kommen. Dies würde die Überlegungen von Tews tragen, wonach der Familienbonus Plus unterhaltsneutral sei. Da es im Unterhaltsrecht auf das Nettoeinkommen des Unterhaltspflichtigen ankomme, sei der Familienbonus Plus zwar bei der Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage zu berücksichtigen. Die Verwendung der Berechnungsformel dürfe aber nicht dazu führen, dass in jenen Fällen, in denen die Steuerentlastung durch den Familienbonus Plus den Kürzungsbetrag aufgrund der Familienbeihilfen-Anrechnung übersteige, der Unterhalt über das Ergebnis der Prozentsatzmethode hinaus angehoben werde.
Peyerl (Der steuerrechtliche Familienbonus Plus in der Unterhaltsbemessung, iFamZ 2018, 193) und Neuhauser (Einige Auswirkungen des Familienbonus Plus auf die Bemessung des Kindesunterhalts, iFamZ 2018, 196; ders in Schwimann/Kodek 5 § 231 ABGB Rz 205) vertreten die Ansicht, dass der Familienbonus Plus als steuerlicher Absetzbetrag das tatsächliche Nettoeinkommen des Unterhaltspflichtigen (soweit dessen berechnete Einkommensteuer nicht null sei) und somit die Unterhaltsbemessungsgrundlage erhöhe. Zudem führe der Familienbonus Plus als steuerliche Entlastung des Unterhaltspflichtigen – so wie der Unterhaltsabsetzbetrag und der bisherige Kinderfreibetrag – zu einer Kürzung der Anrechnung von Transferleistungen. Die Berechnungsformel nach der höchstgerichtlichen Judikatur sei entsprechend zu modifizieren.
Kolmasch (Die Anrechnung der Familienbeihilfe auf den Kindesunterhalt ab 2019, Zak 2018, 324; ders, Familienbonus und Unterhalt – zwischen Zweck und Verteilungsfragen, Zak 2019, 144) geht ebenfalls davon aus, dass in der vom Obersten Gerichtshof entwickelten Formel der Kinderfreibetrag durch den Familienbonus Plus ersetzt werden könne. Die Bemessungsgrundlage sei durch den Familienbonus Plus aber nicht zu erhöhen, weil es nicht gerechtfertigt sei, dass der Unterhaltspflichtige auch vom Entlastungseffekt Unterhalt zahlen müsse.
Ähnlich beziehen sich auch Schwimann/Kolmasch (Unterhaltsrecht9 [2018] 158 ff) auf die Berechnungsformel des Obersten Gerichtshofs und weisen darauf hin, dass der Familienbonus Plus im Vergleich zur bisherigen Berechnung zu einer geringeren Kürzung des Unterhalts durch Anrechnung der Transferleistungen führe. In der Berechnungsformel sei der Kinderfreibetrag durch den Familienbonus Plus zu ersetzen und der Grenzsteuersatz als ganze Zahl einzusetzen. Wenn die Berechnung zu einem höheren als dem zivilrechtlich bemessenen Unterhalt führe, sei der zivilrechtlich bemessene Unterhalt zuzusprechen.
Schließlich vertritt auch Bräumann (Umfassende Reform der steuerlichen Familienförderung, iFamZ 2018, 186) die Ansicht, dass der Familienbonus Plus zu einer Kürzung der Anrechnung von Transferleistungen führe. Die Minderung des Unterhalts aufgrund der Anrechnung von Transferleistungen werde durch die steuerlichen Vorteile des Unterhaltspflichtigen reduziert.
4.2 Soweit die zitierten Literaturstimmen auf die Berechnungsformel des Obersten Gerichtshofs Bezug nehmen, versuchen sie, den Familienbonus Plus in die höchstgerichtliche Judikatur zu integrieren. Weiters finden sich in der Literatur Ansätze, die den Familienbonus Plus als unterhaltsneutral bewerten.
4.3 Der Oberste Gerichtshof hat sich erstmals in der Entscheidung zu 5 Ob 236/18v mit den Auswirkungen des Familienbonus Plus auf die Höhe des Unterhalts beschäftigt. Nach dieser Entscheidung erhöht sich durch die Ausnutzung des Familienbonus Plus das Nettoeinkommen des Unterhaltspflichtigen, das der Unterhaltsleistung zugrunde zu legen ist. Die Frage, ob der Familienbonus Plus auch die Anrechnung der Transferleistungen kürze, wurde in der Entscheidung offen gelassen.
In der Entscheidung zu 5 Ob 92/19v wurde es gleichermaßen als sachgerecht angesehen, wegen der mit dem Familienbonus Plus verbundenen Erhöhung des Nettoeinkommens die Unterhaltsbemessungsgrundlage entsprechend zu erhöhen. Dies gelte jedenfalls in den Fällen, in denen das Ergebnis der vom Obersten Gerichtshof entwickelten Formel ergebe, dass die ausreichende Entlastung des Unterhaltspflichtigen bereits durch den Unterhaltsabsetzbetrag erreicht werde.
5. Aus Anlass der neuen gesetzlichen Regelungen zum Familienbonus Plus ist eine Neuausrichtung der unterhaltsrechtlichen Rechtsprechung insbesondere aufgrund der dadurch bewirkten steuerlichen Entlastung erforderlich.
5.1 Wie bereits dargelegt, lauten die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die steuerliche Entlastung des Unterhaltsschuldners dahin, dass das Einkommen, aus dem der Unterhalt geleistet wird, nicht zur Gänze besteuert werden und die Hälfte des gesetzlich geschuldeten Unterhalts steuerfrei bleiben soll. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass das verfassungsrechtliche Gebot der (zureichenden) steuerlichen Entlastung von Unterhaltslasten auch im Weg einer gesetzlichen Pauschalierung erfolgen kann. Dem Gesetzgeber stehe es frei, eine Anrechnung von Transferleistungen (zur steuerlichen Entlastung) auch pauschalierend vorzusehen und damit zu erleichtern oder den verfassungsrechtlichen Vorgaben durch andere sachliche (gesetzliche) Regelungen Rechnung zu tragen (B 1285/00 VfSlg 16.226).
Wenn der Gesetzgeber auf die Vorgaben durch den Verfassungsgerichtshof reagiert und den Familienbonus Plus mit der Zielsetzung eingeführt hat, dass die Unterhaltspflichtigen die Unterhaltslasten zukünftig aus ihrem unversteuerten Einkommen leisten können und nicht eine darauf leistende Steuer dazuverdienen müssen, besteht das Ziel der in Rede stehenden steuergesetzlichen Maßnahme darin, das Einkommen des Geldunterhaltspflichtigen, aus dem der Unterhalt geleistet wird, im Einklang mit den Vorgaben durch den Verfassungsgerichtshof steuerlich zu entlasten. Auch wenn der Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien nicht auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofs Bezug nimmt, folgt aus der ident formulierten Zielsetzung mit ausreichender Deutlichkeit, dass der Gesetzgeber den verfassungsrechtlichen Vorgaben Rechnung tragen und die gebotene steuerliche Entlastung durch die neue steuergesetzliche Maßnahme im Weg einer pauschalierenden Regelung umsetzen wollte. Nach den Intentionen des Gesetzgebers soll die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Entlastung der Unterhaltsleistungen nunmehr unmittelbar im Weg der steuergesetzlichen Vorschriften durch den Familienbonus Plus und den Unterhaltsabsetzbetrag herbeigeführt werden.
5.2 Die Fragen nach der steuerlichen Entlastung, die durch den Familienbonus Plus erreicht werden soll, und nach den Auswirkungen auf die Unterhaltsbemessungsgrundlage können nicht getrennt voneinander beurteilt werden. Vielmehr ist zu fragen, welche unterhaltsrechtliche Lösung mit den Zielsetzungen des Gesetzgebers im Einklang steht.
Nach der Zielrichtung des Steuergesetzgebers soll der ausschöpfbare Teil des Familienbonus Plus in generalisierender Betrachtungsweise dazu dienen, das Unterhaltseinkommen nach den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs steuerfrei zu stellen. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn der entsprechende Betrag dem Unterhaltspflichtigen verbleibt. Eine Einrechnung in die Unterhaltsbemessungsgrundlage scheidet daher aus. Dies gilt auch dann, wenn die Berücksichtigung des Familienbonus Plus beim Dienstgeber beantragt wird; in einem solchen Fall ist der Familienbonus Plus (ebenso wie der Unterhaltsabsetzbetrag) aus dem „Einkommen“ des Geldunterhaltspflichtigen herauszurechnen.
Der Grundsatz, dass es im Unterhaltsrecht auf das Nettoeinkommen des Unterhaltspflichtigen als die Summe der dem Unterhaltspflichtigen tatsächlich zufließenden verfügbaren Mittel ankomme (vgl RS0013386) und eine Steuerersparnis das Nettoeinkommen erhöhe, gelangt jedenfalls dann nicht zur Anwendung, wenn es sich bei einem Steuerabsetzbetrag um eine zweckbestimmte steuerliche Entlastung und nicht um einen allgemeinen Einkommensbestandteil handelt. Auch die Judikatur, wonach ein dem Unterhaltsschuldner ausgezahlter Kinderzuschuss oder eine solche Kinder- oder Familienzulage die Bemessungsgrundlage (für das jeweilige Kind) erhöht (RS0047467), ist hier nicht einschlägig, weil die genannten Zuschussleistungen an den Unterhaltsschuldner direkt ausgezahlt und für ein bestimmtes Kind gewährt werden und damit für den Unterhalt bzw die Pflege dieses Kindes zu verwenden sind (vgl 1 Ob 76/99d; 4 Ob 139/19y).
5.3 Da nach der Zielsetzung des Gesetzgebers durch den Familienbonus Plus – gemeinsam mit dem Unterhaltsabsetzbetrag – die gebotene steuerliche Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen bewirkt wird, besteht auch kein Anlass mehr, die Unterhaltsleistung durch die Anrechnung von Transferleistungen zu kürzen. Dies bedeutet im Ergebnis, dass sich der Familienbonus Plus und der Unterhaltsabsetzbetrag auf die Unterhaltsleistung nicht auswirken und somit unterhaltsrechtlich neutral bleiben.
5.4 Die substanzielle Steuerentlastung durch den Familienbonus Plus (RV 190 BlgNR 26. GP 1 und 14) führt damit zu einer Entkoppelung von Unterhalts- und Steuerrecht. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der Unterhalt nicht mathematisch zu berechnen, sondern vielmehr nach den von Billigkeitsüberlegungen getragenen Rechtsprechungsgrundsätzen im Einzelfall auszumitteln ist (8 Ob 89/17x; 4 Ob 139/19y; 4 Ob 142/19i; vgl auch Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht9 151). Es ist systemkonform, wenn die steuerliche Berücksichtigung der Unterhaltslasten zur Gänze in das Steuerrecht verlagert und die zivilrechtliche Unterhaltsbemessung vom „Fremdkörper“ der steuerlichen Entlastung entkoppelt wird (vgl Kolmasch, Glosse zu 6 Ob 240/17p, Zak 2018/198, 111; Neuhauser, Einige Auswirkungen des Familienbonus Plus auf die Bemessung des Kindesunterhalts, iFamZ 2018, 196 [198]).
5.5 Der Einwand, dass bei einem Teil der besserverdienenden Unterhaltspflichtigen durch den Familienbonus Plus und den Unterhaltsabsetzbetrag (ohne Anrechnung von Transferleistungen) weniger als die Hälfte des gesetzlich geschuldeten Unterhalts steuerfrei gestellt werde, ist rechnerisch durchaus richtig, entspricht aber dem vom Gesetzgeber nunmehr verfolgten Konzept einer pauschalierenden steuerlichen Entlastung. Da der Gesetzgeber bis 31. Dezember 2018 weder die vom Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis zu B 1285/00 in den Raum gestellte pauschalierende Entlastung noch eine andere sachliche Regelung umgesetzt hat, um den verfassungsrechtlichen Vorgaben zu entsprechen, hat sich der Oberste Gerichtshof in seiner Rechtsprechung an der Ansicht des Verfassungsgerichtshofs orientiert. Die nunmehr vorgenommene pauschalierende gesetzgeberische Maßnahme kann durchaus zu einer Schlechterstellung bestimmter Gruppen von Betroffenen führen. Eine offenkundige Verfassungswidrigkeit der Neuregelung ist jedoch nicht zu erkennen; der Umstand, dass keine Anrechnung der Transferleistung auf die Unterhaltsleistung mehr erfolgt und sich aus diesem Grund der dem Kind zu leistende Unterhalt erhöht, begründet für sich allein keine Unbilligkeit.
5.6 Zu berücksichtigen ist allerdings, dass für Kinder, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, der gesetzlich festgelegte monatliche Betrag an ausschöpfbarem Familienbonus Plus deutlich niedriger ist als für jüngere Kinder. Ob die in dieser Entscheidung entwickelten Grundsätze für die Unterhaltsbemessung von Kindern ab dem 18. Lebensjahr gleichermaßen gelten oder in dieser Hinsicht Modifikationen geboten sind, muss hier nicht geklärt werden.
6. Zusammenfassend ist festzuhalten:
6.1 Beim Familienbonus Plus handelt es sich – so wie beim Unterhaltsabsetzbetrag – um einen echten Steuerabsetzbetrag. Der Gesetzgeber hat den Familienbonus Plus mit der Zielsetzung eingeführt, die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Entlastung der Geldunterhaltspflichtigen nunmehr durch die erwähnten steuergesetzlichen Maßnahmen herbeizuführen. Dadurch findet eine Entkoppelung von Unterhalts- und Steuerrecht statt. Die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen erfolgt nunmehr durch den Familienbonus Plus und den Unterhaltsabsetzbetrag. Der Familienbonus Plus ist nicht in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen; eine Anrechnung von Transferleistungen findet nicht mehr statt. Familienbonus Plus und Unterhaltsabsetzbetrag bleiben damit unterhaltsrechtlich neutral.
6.2 Diese Grundsätze gelten jedenfalls für die Unterhaltsbemessung von Kindern bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Die Frage, wie sich der Familienbonus Plus auf den Unterhaltsanspruch älterer Kinder auswirkt, wird hier unbeantwortet gelassen.
7. Für den konkreten Fall bedeutet das:
7.1 Da sich der Vater bereits im Rekurs gegen die erstinstanzliche Entscheidung dagegen gewendet hat, dass der halbe Familienbonus Plus in Höhe von 62,50 EUR dem Unterhalt zugeschlagen wird, kann dies auch im Revisionsrekurs geltend gemacht werden.
7.2 Der Familienbonus Plus ist, wie dargelegt, bei der Unterhaltsbemessung nicht zu berücksichtigen. Er ist daher nicht dem Prozentunterhalt zuzuschlagen. Zugleich hat allerdings auch keine steuerliche Entlastung des Unterhalts mehr zu erfolgen. Da diese aber im konkreten Fall den angerechneten halben Familienbonus Plus übersteigt, von den Kindern jedoch gegen die Abweisung des Unterhaltsmehrbetrags kein Rechtsmittel erhoben wurde, hat es im Ergebnis beim vom Erstgericht zugesprochenen Unterhaltsbetrag zu bleiben. Dem Revisionsrekurs war daher nicht Folge zu geben und die Entscheidung der Vorinstanzen zu bestätigen.
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