European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0090OB00003.24T.0516.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 602,54 EUR (darin enthalten 100,42 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Klägerin hatte mit der Beklagten – einem Elektrizitätsunternehmen – einen Stromlieferungsvertrag abgeschlossen. Mit Schreiben vom 27. 7. 2022 kündigte die Beklagte diesen Vertrag zum 30. 9. 2022 auf und bot der Klägerin gleichzeitig den Abschluss eines neuen Stromlieferungsvertrags ab 1. 10. 2022 zu einem höheren Preis an. Dieses Anbot wurde von der Klägerin nicht angenommen.
[2] Die Klägerin begehrte die Feststellung, dass die von der Beklagten erfolgte Aufkündigung ihres Stromlieferungsvertrags rechtsunwirksam sei und der Stromlieferungsvertrag weiter aufrecht bestehe, in eventu, dass festgestellt werde, dass zwischen ihr und der Beklagten ein aufrechter Stromlieferungsvertrag bestehe. Zudem erhob sie ein Feststellungsbegehren im Hinblick auf künftige Schäden. Es handle sich um eine unzulässige Änderungskündigung zur Umgehung des gesetzlichen Preisänderungsrechts nach § 80 Abs 2a ElWOG.
[3] Die Beklagte bestreitet. Sie habe von ihrem Recht auf ordentliche Kündigung nach § 76 Abs 1 ElWOG Gebrauch gemacht.
[4] Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab. Für die einseitige Kündigung von Verträgen durch den Energieversorger habe § 80 Abs 2a ElWOG keine Bedeutung.
[5] Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur Frage, ob § 80 Abs 2a ElWOG auch dann anzuwenden sei, wenn der Energieanbieter die einseitige Kündigung des bisherigen Energielieferungsvertrags ausspreche und gleichzeitig ein Angebot zum Abschluss eines Neuvertrags mit höheren Preisen unterbreite, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.
[6] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahingehend abzuändern, dass der Klage stattgegeben wird.
[7] Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[8] Die Revision ist zurückzuweisen.
[9] 1. Die von der Beklagten angeführte offenkundige Überbewertung des Streitgegenstands liegt nicht vor: Der Bewertungsanspruch der zweiten Instanz ist grundsätzlich unanfechtbar und auch für den Obersten Gerichtshof bindend (RS0042515), es sei denn, das Berufungsgericht hätte zwingende Bewertungsvorschriften verletzt (RS0042385 [T8]) oder den ihm vom Gesetzgeber eingeräumten Ermessensspielraum überschritten (RS0042385 [T22]; RS0042515 [T8]) und eine offenkundige Unter- oder Überbewertung vorgenommen (RS0109332 [T1]). Dies ist hier nicht der Fall, weil es – selbst wenn man auf die von der Beklagten ins Treffen geführte Preisdifferenz abstellen wollte – nicht allein auf einen Jahresdifferenzbetrag ankommen kann, handelt es sich doch bei Energielieferungsverträgen um sogenannte Sukzessivlieferungsverträge mit einem häufig längerfristigen Zeithorizont (RS0025878 [T2]).
[10] 2. Der Oberste Gerichtshof hat die von der Klägerin behaupteten Mängel des Berufungsverfahrens geprüft; sie bestehen nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
[11] 3. Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel des Obersten Gerichtshofs zu beurteilen (vgl RS0112921; RS0112769). Eine im Zeitpunkt der Einbringung des Rechtsmittels aufgeworfene erhebliche Rechtsfrage fällt weg, wenn sie durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bereits geklärt wurde (RS0112921; RS0112769 [T12]).
[12] 4. Sämtliche in der Revision als erheblich im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO bezeichneten Rechtsfragen hat der Oberste Gerichtshof erst jüngst in seiner Entscheidung 3 Ob 7/24m, der der nahezu idente Sachverhalt zugrunde lag, mit ausführlicher Begründung geklärt. Diese Grundsätze finden auch auf den vorliegenden Fall Anwendung:
[13] 4.1. § 76 Abs 1 ElWOG geht – schon seinem klaren Wortlaut nach – von der Zulässigkeit einer Vertragskündigung („ordentliche Kündigung“) durch den Lieferanten aus, von dem er bei Verträgen mit Verbrauchern im Sinn des § 1 Abs 1 Z 2 KSchG und mit Kleinunternehmern die Einhaltung einer Frist von zumindest acht Wochen verlangt. § 80 Abs 2 und Abs 2a ElWOG betreffen dagegen – wiederum schon nach dem klaren Gesetzeswortlaut und überdies im Einklang mit Art 10 Abs 4 der Elektrizitätsbinnenmarkt‑RL 2019/944/EU – dieeinseitige „Änderung[en] der (…) vertraglich vereinbarten Entgelte“ im aufrechten Vertragsverhältnis, nach welcher der Kunde berechtigt ist, die „Kündigung des Vertrags (...) kostenlos und ungeachtet allfälliger vertraglicher Bindungen zu erklären“. Folgerichtig hat die Novelle BGBl I 2022/7, mit der § 80 Abs 2a ElWOG eingeführt wurde, die – einen anderen Regelungsinhalt betreffende – Bestimmung des § 76 ElWOG unberührt gelassen.
[14] 4.2. Die Beklagte hat mit ihrem Schreiben vom 27. 7. 2022, das – entgegen den untauglichen gegenteiligen Auslegungsversuchen der Klägerin – keinem anderen Verständnis zugänglich ist, keine Änderungen des vertraglich vereinbarten Entgelts bei weiterbestehendem Vertragsverhältnis und keine bloß bedingte, sondern die unbedingte ordentliche Kündigung des damals mit der Klägerin bestandenen Stromlieferungsvertrag vorgenommen.
[15] 4.3. Soweit sich die Ausführungen der Klägerin, wonach jede Preisänderung zu einem unbefristeten Stromlieferungsvertrag in den Anwendungsbereich des § 80 ElWOG falle, (auch) gegen das neue Vertragsanbot der Beklagten richten sollte, welches die Klägerin auch für intransparent sowie sitten- und gesetzwidrig hält, übersieht sie, dass sie das Anbot der Beklagten auf Abschluss eines neuen Vertrags mit höheren Strompreisen nicht angenommen hat und dies auch mit ihrem Klagebegehren nicht anstrebt. Ob dieses Anbot den dafür maßgeblichen gesetzlichen Anforderungen oder den von der Klägerin dazu verlangten Informationen entsprochen hat, bedarf keiner Überprüfung.
[16] 4.4. Für die hier vorliegende Konstellation der Stromversorgung steht es dem Verbraucher infolge Liberalisierung des Strommarkts frei, aus verschiedenen Stromanbietern zu wählen. Der einfache Umstieg zwischen verschiedenen Stromanbietern (Wechselmöglichkeiten) werden durch §§ 76 ff ElWOG sichergestellt. Demnach liegt in diesem Bereich keine Fremdbestimmtheit der Klägerin vor, weil sie als Verbraucherin ein echtes Wahlrecht unter verschiedenen Anbietern hat. Es besteht auch keine marktbeherrschende Stellung der Beklagten für eine Stromlieferung, hat doch das Erstgericht ohnehin zahlreiche Angebote anderer Lieferanten festgestellt, die unter Nutzung des Netzes der Beklagten für die Lieferung von elektrischer Energie an die Wohnung der Klägerin zur Verfügung stehen und aus denen sich keine Hinweise ergeben, dass der Tarif der Beklagten nicht marktkonform wäre. Es liegt demnach kein Fall einer Marktbeherrschung vor, der die Kündigung der Beklagten als unwirksam erweisen und diese zur Weiterbelieferung nach den seinerzeitigen Konditionen verpflichten könnte.
[17] 4.5. Da selbst ein – redlicher – Erklärungsempfänger (vgl RS0014160 [T24]; RS0014205 [insb T2 und T18]) auch wiederholte Preiserhöhungen nicht als (schlüssigen) Verzicht auf das Recht zur ordentlichen Kündigung verstehen könnte, liegen die in diesem Zusammenhang von der Klägerin angeführten sekundären Feststellungsmängel nicht vor.
[18] 5. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).
[19] 6. Die Kostenentscheidung gründet auf die §§ 41, 50 ZPO.
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