OGH 8ObS9/05i

OGH8ObS9/05i30.6.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Lovrek sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler und Robert Maggale als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. Barbara B*****, vertreten durch Hohenberg Strauss Buchbauer, Rechtsanwälte GmbH in Graz, wider die beklagte Partei IAF-Service GmbH, ***** vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 17.378,11 EUR netto sA Insolvenz-Ausfallgeld, über den Rekurs und die Revision der klagenden Partei gegen den Beschluss und das Teilurteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12. Jänner 2005, GZ 8 Rs 91/04w-31, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 27. Mai 2004, GZ 37 Cgs 190/01v-27, teilweise aufgehoben und teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Rekurs und die Revision werden zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Klägerin war ab Jänner 1996 bei einer GmbH, die eine Werbeagentur betrieb, als Angestellte beschäftigt. Geschäftsführer der GmbH war der Vater der Klägerin. Die Klägerin war am Unternehmen mit einer Stammeinlage von 125.000 S (Stammkapital: 500.000 S) beteiligt. Die Hälfte der Stammeinlage war bar einbezahlt. Sie verfügte über keine Sperrminorität.

Zum Aufgabenbereich der Klägerin gehörte die Kundenbetreuung, die Erfassung der Eingangsrechnungen in der EDV und die Übermittlung der monatlichen Saldenlisten an den Steuerberater. Sie leistete somit die „Basisarbeit" für die Buchhaltung. Im Übrigen war das Dienstverhältnis der Klägerin so gestaltet wie jenes anderer Mitarbeiter. Sie erhielt Weisungen vom Geschäftsführer.

Ab Herbst 1998 kam es zu Zahlungsstockungen. Ein großer Kunde reduzierte das Auftragsvolumen.

Der Geschäftsführer entschied, dass der Klägerin und einem weiteren Mitarbeiter ab April 1999 kein Gehalt mehr ausgezahlt werde. Die Gehälter für Jänner 1999 bis März 1999 wurden der Klägerin zwischen 28. 5. 1999 und 19. 7. 1999 überwiesen. Der Klägerin waren die offenen Verbindlichkeiten der GmbH (2,8 Mio S Lieferanten; 1,8 Mio S Bankschulden; 1,1 Mio S Finanzamt; 343.000 S Gebietskrankenkasse) bekannt. Die Klägerin führte die Schwierigkeiten auf die in der Werbebranche üblichen Schwankungen zurück, weil drei Präsentationen offen waren, zu denen drei Agenturen - darunter die Dienstgeberin der Klägerin - eingeladen wurden.

Ab August 1999 wurde die Dienstzeit der Klägerin auf 32 Wochenstunden reduziert. Mitte August 1999 suchten die Klägerin und der Geschäftsführer auf Anraten der Hausbank einen Rechtsanwalt auf, der mitteilte, dass es für ihn nach einem Konkurs ausschaue. Er bräuchte aber genaue Zahlen über Außenstände, um klare Auskünfte geben zu können.

Mit Schreiben vom 20. 9. 1999 forderte die Klägerin die GmbH zur Zahlung der ausständigen Gehälter auf und erklärte für den Fall der nicht fristgerechten Zahlung bis 27. 9. 1999 den vorzeitigen Austritt.

Am 19. 10. 1999 wurde über das Vermögen der GmbH das Konkursverfahren eröffnet. Am 2. 11. 1999 wurde die Schließung des Unternehmens bewilligt.

Die Klägerin begehrt insgesamt 17.378,11 EUR netto (Gehalt April 1999 bis 27. 9. 1999 zuzüglich Urlaubszuschuss/ Weihnachtsremuneration/ Urlaubsentschädigung; Kündigungsentschädigung; zwei Monatsentgelte Abfertigung). Sie habe keinen Einblick in die Bücher gehabt und habe darauf vertraut, dass die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die durch die Insolvenz eines Großkunden eingetreten seien, durch eine angestrebte Auffanglösung überwunden würden.

Die Beklagte wendet ein, die Ansprüche der Klägerin seien als eigenkapitalersetzendes Gesellschafterdarlehen zu qualifizieren. Die Klägerin sei ihrem Vater bei firmenpolitischen Entscheidungen beratend zur Seite gestanden. Sie habe Überblick über die finanzielle Gebarung des Unternehmens und volle Kenntnisse über die Auftrags- und die Finanzlage gehabt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt.

Das Berufungsgericht gab der dagegen von der Beklagten erhobenen Berufung im Umfang eines Begehrens von 8.321,40 EUR (Begehren auf Abfertigung; Urlaubsentschädigung und Kündigungsentschädigung) Folge und wies dieses Begehren mit Teilurteil ab. Im Übrigen hob das Berufungsgericht das Ersturteil im Umfang eines Zuspruches von 9.056,71 EUR samt Nebengebühren auf. Das Berufungsgericht erklärte die Revision und den Rekurs für zulässig, weil eine gesicherte Rechtsprechung, welche Ansprüche der Klägerin in europarechtlicher Hinsicht gebührten, nicht bestehe.

Rechtlich ging das Berufungsgericht davon aus, dass nach der bisherigen oberstgerichtlichen Rechtsprechung das Stehenlassen von Gesellschafterforderungen auch im Arbeitsverhältnis als eigenkapitalersetzend angesehen worden sei. Dem Gesellschafter-Arbeitnehmer stehe eine angemessene, höchstens 60 tägige Überlegungsfrist ab Eintritt der Erkennbarkeit der Krise für die Entscheidung zu, ob er die Kredithilfe belasse oder durch Abzug der Mittel die Liquidation der Gesellschaft beschleunige. Nach dieser Rechtsprechung seien sowohl laufende Ansprüche als auch Ansprüche aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht gesichert, wenn der Gesellschafter-Arbeitnehmer seine Forderung über den genannten Zeitraum hinaus stehen lasse. Für die Klägerin, die als Buchhalterin den festgestellten Schuldenstand gekannt habe, sei ab April 1999 die Krise deutlich erkennbar gewesen. Dennoch habe sie erst im September 1999 ernsthafte Schritte zur Eintreibung gesetzt. Nach nationalem Recht sei ein Anspruch somit zu verneinen.

Unter Berücksichtigung der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Walcher habe der Oberste Gerichtshof in den Entscheidungen 8 ObS 16/03s, 8 ObS 17/03p und 8 ObS 18/03v nach europarechtlichen Gesichtspunkten eine dreimonatige Mindestsicherung gewährt. Im Hinblick auf die hier anzuwendende Fassung des § 3a Abs 1 IESG stünden der Klägerin daher die Gehälter für April bis Juni 1999 sowie die darauf entfallenden Sonderzahlungen zu. Diese Entgeltforderungen seien innerhalb eines Zeitraumes von sechs Monaten vor Konkurseröffnung fällig geworden. Weitergehende Ansprüche bestünden nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht.

Im Umfang der der Klägerin zustehenden Gehaltsansprüche für April bis Juni 1999 zuzüglich Sonderzahlungen sei das Verfahren nicht entscheidungsreif, weil es ohne Erörterung mit den Parteien nicht möglich sei, die der Klägerin im fortgesetzten Verfahren zuzuerkennenden Lohnansprüche von April bis einschließlich Juni 1999 zuzüglich Sonderzahlungen zu errechnen. In diesem Umfang sei daher mit einer Aufhebung vorzugehen.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen den Aufhebungsbeschluss erhobene Rekurs und die gegen das Teilurteil des Berufungsgerichtes erhobene Revision sind ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruches unzulässig:

Die Anfechtung der berufungsgerichtlichen Entscheidung ist nur möglich, wenn das Rechtsmittel die unrichtige Lösung einer im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage geltend macht. Selbst wenn daher das Gericht zweiter Instanz die Zulässigkeit des Rechtsmittels an den Obersten Gerichtshof (hier: Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss und Revision gegen das Teilurteil) zu Recht bejaht hat, der Rechtsmittelwerber dann aber nur solche Gründe geltend macht, deren Erledigung nicht von der Lösung erheblicher Rechtsfragen abhängt, ist das Rechtsmittel trotz des Ausspruches der Zulässigkeit durch das Gericht zweiter Instanz zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0048272; 4 Ob 604/95; zuletzt 8 ObA 90/04z).

Die Klägerin zieht nicht in Zweifel, dass nach der nationalen Rechtslage bis zum Inkrafttreten des (hier noch nicht anzuwendenden) Bundesgesetzes über eigenkapitalersetzende Gesellschafterleistungen (Eigenkapitalersatz-Gesetz-EKEG) Gesellschafter-Arbeitnehmer ihre durch längere Zeit unberichtigten Gehaltsansprüche wegen der Qualifikation als eigenkapitalersetzend im Konkurs ihres Arbeitgebers nicht durchsetzen können und auch ein Rückgriffsanspruch des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds gemäß § 11 IESG gegen die Konkursmasse des ehemaligen Arbeitgebers in diesem Umfang nicht gegeben wäre. Mit der Begründung, dass es nicht Zweck des IESG sei, den Gesellschaftern einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung das Finanzierungsrisiko abzunehmen, wurde dem Gesellschafter-Arbeitnehmer nach der bisherigen ständigen Rechtsprechung Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld verwehrt (siehe 8 ObS 257/00b mwN). Dabei reicht es für die Qualifizierung eines „stehengelassenen" Gehaltsanspruchs als eigenkapitalersetzendes Darlehen, dass dem Gesellschafter die Kreditunwürdigkeit der Gesellschaft zur Zeit der Darlehensgewährung bekannt sein musste (SZ 70/232 uva).

In den Entscheidungen 8 ObS 16/03s = ecolex 2004/170 = wbl 2004/58 = ZAS 2004/20 [Graf]; 8 ObS 17/03p und 8 ObS 18/03k gelangte der erkennende Senat im Hinblick auf das Urteil des EuGH vom 11. 9. 2003 in der Rs Walcher C-201/01 jeweils zum Ergebnis, dass zwar Gesellschafter-Arbeitnehmer nach der österreichischen Rechtslage ihre durch längere Zeit unberichtigten Gehaltsansprüche wegen der Qualifikation als eigenkapitalersetzend im Konkurs ihres Arbeitgebers nicht durchsetzen können, dass aber aus europarechtlicher Sicht die Ansprüche dieser Gesellschafter-Arbeitnehmer im vom EuGH beschriebenen Mindestumfang gesichert sind. Danach gebührt gemäß § 3a Abs 1 IESG in der - auch in diesem Verfahren noch anzuwendenden - Fassung BGBl 107/1997 (§ 17a Abs 11 IESG) Insolvenz-Ausfallgeld im Umfang der dreimonatigen Mindestsicherung. Zur Auslegung des Umfanges dieser „Mindestsicherung" erstattet die Klägerin in ihrem Rechtsmittel keinerlei Ausführungen. Sie bezweifelt auch gar nicht, dass unter den beschriebenen Voraussetzungen Ansprüche von Gesellschafter-Arbeitnehmern nur im Umfang dieser europarechtlichen Mindestsicherung gesichert sind. Ihre Ausführungen zielen ausschließlich dahin, dass der Klägerin - weil sie auf die Akquisition weiterer Aufträge hoffte - die Krise in der GmbH nicht erkennbar war. Damit zeigt sie aber keine Rechtsfrage auf, deren Lösung erhebliche Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zukommt: Ob nämlich im konkreten Fall einem bestimmten Gesellschafter-Arbeitnehmer die Krise im Unternehmen zum maßgeblichen Zeitpunkt erkennbar sein musste, beruht auf den jeweiligen Umständen des Einzelfalls und stellt sich somit - von der hier nicht vorliegenden Ausnahme einer erheblichen Fehlbeurteilung abgesehen - nicht als erheblich dar. Auch in ihrem Rekurs gegen den berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschluss zieht die Klägerin die grundsätzliche Richtigkeit der diesem Aufhebungsbeschluss zugrunde liegenden Rechtsansicht über die dreimonatige europarechtliche Mindestsicherung nicht in Zweifel. Sie meint lediglich, dass eine Berechnung der Klageansprüche entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes auch ohne Verfahrensergänzung möglich wäre. Auch damit wird jedoch keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden weder behauptet noch haben sich dafür Anhaltspunkte ergeben.

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