OGH 8ObS4/23f

OGH8ObS4/23f13.12.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, den Hofrat Dr. Thunhart und die fachkundigen Laienrichter MMag. Dr. Andreas Schlegerl (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Anton Starecek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in derSozialrechtssache der klagenden Partei K*, vertreten durch Dr. Peter Wallnöfer, Mag. Eva Suitner‑Logar und MMMag. Nadja Auer, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei IEF‑Service GmbH, Geschäftsstelle Innsbruck, 6020 Innsbruck, Meranerstraße 1, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 12.762 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgerichtin Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 26. Juli 2023, GZ 25 Rs 21/23 h‑27, mit welchem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 24. Jänner 2023, GZ 44 Cgs 43/22p‑20, bestätigt wurde zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:008OBS00004.23F.1213.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.127,40 EUR (darin enthalten 187,90 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die im österreichischen Firmenbuch eingetragene B* Limited ist ein in Irland ansässiges Unternehmen mit einer Zweigniederlassung in Österreich. Nach den Feststellungen des Erstgerichts war der Kläger bei der B* Limited „Zweigniederlassung Österreich“ als Zeitungslieferant beschäftigt, sodass in Österreich Sozialversicherungsbeiträge entrichtet wurden. Der Kläger erhielt bis August 2021 das vereinbarte Entgelt; danach erfolgten keine Zahlungen mehr. Das LandesgerichtInnsbruck eröffnete am 10. 12. 2021 zu 19 S 63/21v über das Vermögen der B* Limited „Zweigniederlassung Österreich“ ein Konkursverfahren. Der Kläger erklärte daraufhin seinen vorzeitigen Austritt aus dem Dienstverhältnis und stellte einen Antrag auf Insolvenz‑Entgelt, der von der Beklagten mit Bescheid vom 6. 4. 2022 abgelehnt wurde, weil die B* Limited in Irland ansässig sei.

[2] Das Erstgericht gab der auf Gewährung von Insolvenz‑Entgelt gerichteten Klage statt. Da eine Zweigniederlassung in Österreich bestanden habe und im Inland Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden seien, bestehe auch ein Anspruch auf Insolvenz‑Entgelt.

[3] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es stellte im Wesentlichen auf die Erfassung nach dem ASVG ab.

[4] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten, mit der sie eine Abweisung der Klage anstrebt.

[5] Der Kläger beantragt in der ihm freigestellten Rechtsmittelbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[6] Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts im Hinblick auf die Frage zulässig, unter welchen Voraussetzungen die bei der inländischen Zweigniederlassung eines ausländischen Rechtsträgers beschäftigten Arbeitnehmer Insolvenz‑Entgelt beanspruchen können. Die Revision ist aber nicht berechtigt.

[7] 1. Arbeitnehmer haben nach § 1 Abs 1 IESG Anspruch auf Insolvenz‑Entgelt, wenn ihr Beschäftigungsort nach § 3 Abs 1 oder Abs 2 lit a bis d ASVG im Inland gelegen ist und über das Vermögen des Arbeitgebers im Inland ein Verfahren nach der Insolvenzordnung eröffnet wird. Im Ergebnis hängt der Anwendungsbereich des IESG damit grundsätzlich davon ab, ob das Beschäftigungsverhältnis der Sozialversicherungspflicht im Inland unterliegt (RIS‑Justiz RS0076447). So hat nach dem Versicherungsprinzip derjenige Anspruch auf Leistung, für den Beiträge geleistet wurden (RS0076447 [T6, T8]). Das Abstellen auf den Beschäftigungsort entspricht der InsolvenzRL 2008/94/EG und der Entscheidung des EuGH zu C‑198/98 , Everson, wonach bei grenzüberschreitenden Sachverhalten die Garantieeinrichtung jenes Mitgliedstaats zuständig ist, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer seine Arbeit gewöhnlich verrichtet hat und der die Beiträge vom Arbeitgeber einheben durfte (RS0076447 [T13]). Da der Kläger in Österreich tätig war und der österreichischen Sozialversicherungspflicht unterlag, fällt sein Beschäftigungsverhältnis in den Schutzbereich des IESG.

[8] 2. Dennoch bestreitet die Beklagte das Bestehen eines Anspruchs auf Insolvenz-Entgelt, weil der Zweigniederlassung in Österreich keine selbständige Rechtspersönlichkeit zukomme und die B* Limited als Arbeitgeber des Klägers nicht zahlungsunfähig sei. Richtig ist, dass einer bloßen Zweigniederlassung grundsätzlich keine Rechtspersönlichkeit zukommt und eine solche auch vom Kläger nicht behauptet wurde (RS0035046). Dementsprechend ist nicht die Zweigniederlassung in Österreich, sondern die in Irland ansässige B* Limited als Arbeitgeber des Klägers anzusehen (Ratka in Straube/Ratka/Rauter 4 § 12 UGB Rz 52).

[9] 3. Auch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens setzt die Rechtsfähigkeit voraus, sodass sich das Insolvenzverfahren im Fall der inländischen Zweigniederlassung eines ausländischen Rechtsträgers nicht gegen die Zweigniederlassung, sondern unmittelbar gegen den ausländischen Rechtsträger richten muss (Burgstaller/Keppelmüller in Burgstaller/Neumayr/ Geroldinger/Schmaranzer, IZVR II Art 3 EuInsVO Rz 31; Zib in Zib/Dellinger, Vor § 12 UGB Rz 22; Engelhart, Keine Insolvenzfähigkeit der Zweigniederlassung, ZIK 2016, 162 [163]; Adensamer in Napokoj/Foglar-Deinhardstein/Pelinka § 254 AktG Rz 32; Pilgersdorfer in Artmann 3 § 12 UGB Rz 27; Duursma/Duursma‑Kepplinger/Roth, Gesellschaftsrecht Rn 2130; Kodek in KLS2 § 1 IO Rz 18; OLG Wien 28 R 127/16a ZIK 2016/250; aA Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 §§ 107, 112–114 Rz 20). Dass das Insolvenzgericht im Konkurseröffnungsbeschluss über das Vermögen der B* Limited die österreichische Zweigniederlassung anführte, bedeutet nicht, dass sich das Insolvenzverfahren nur gegen die Zweigniederlassung richten würde, zumal ein Rechtsträger auch unter der Firma seiner Zweigniederlassung belangt werden kann (RS0035046; RS0049340; Weigand in Torggler 3 § 12 UGB Rz 13; Ratka in Straube/Ratka/Rauter 4 § 12 UGB Rz 52).

[10] 4. Nach Art 3 Abs 1 EUInsVO sind österreichische Gerichte für die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens zuständig, wenn der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen im Inland hat. Ist dies nicht der Fall, hat der Schuldner aber eine Niederlassung im Inland, sind österreichische Gerichte nach Art 3 Abs 2 EUInsVO nur zur Eröffnung eines so genannten Partikularinsolvenzverfahrens befugt, dessen Wirkungen sich auf das im Inland befindliche Vermögen des Schuldners beschränken (vgl auch RS0121443). Da es sich in beiden Fällen um Verfahren nach der Insolvenzordnung handelt, die im Inland eröffnet werden, könnte auch die Eröffnung eines Partikularverfahrens nach § 1 IESG einen Anspruch auf Insolvenz‑Entgelt für die im Inland tätigen Arbeitnehmer begründen. Im vorliegenden Fall ergibt sich aber aus dem vom Kläger vorgelegten Auszug aus der Insolvenzdatei, dass das Insolvenzgericht ohnehin rechtskräftig ein Hauptverfahren eröffnet hatte, welches sich sowohl auf das inländische als auch auf das ausländische Vermögen der B* Limited erstreckt.

[11] 5. Der Anspruch auf Insolvenz-Entgelt knüpft an die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens an, sodass es nicht darauf ankommt, ob eine Gesellschaft tatsächlich zahlungsunfähig oder überschuldet ist (Gahleitner in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 1 IESG Rz 26). Angesichts des über das Vermögen des Arbeitgebers im Inland eröffneten Insolvenzverfahrens hat der Kläger nach § 1 IESG Anspruch auf Insolvenz‑Entgelt, weshalb der Revision der Beklagten nicht Folge zu geben war.

[12] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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