OGH 8ObS3/16y

OGH8ObS3/16y29.3.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhold Hohengartner und Robert Hauser als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Parteien 1) C***** W*****, und 2) Ing. C***** B*****, beide vertreten durch die Hofbauer & Nokaj Rechtsanwalts GmbH in Ybbs, gegen die beklagte Partei IEF‑Service GmbH, *****, wegen Insolvenzentgelt (20.062 EUR bzw 32.335 EUR), über die außerordentliche Revision der erstklagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. Dezember 2015, GZ 7 Rs 88/15k‑30, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:008OBS00003.16Y.0329.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

 

Begründung:

1.  Die Erstklägerin führt in der außerordentlichen Revision aus, das Handeln des Dienstgebers sei darauf gerichtet gewesen, das Unternehmen der Schuldnerin zu sanieren und fortzuführen. Zum Schutz der Forderungen der Dienstnehmer bestehe das Institut des Insolvenz‑Entgelt‑Fonds. Die Senkung der Lohnkosten sei eine der ersten jeder Sanierung immanenten Maßnahmen, weil diese Kosten den Großteil der Unternehmerausgaben darstellten. Die Entscheidung, ob entweder eine Änderungskündigung oder eine Auflösung des Dienstverhältnisses mit dem Angebot des Abschlusses eines neuen Dienstverhältnisses erfolge, treffe der Dienstgeber. Bedingter Vorsatz in Bezug auf den Schutz der Ansprüche durch den Insolvenz‑Entgelt‑Fonds könne dem Dienstnehmer nicht zum Nachteil gereichen.

Rechtliche Beurteilung

Mit diesen Ausführungen gesteht die Erstklägerin neuerlich zu, dass die Sanierung des Unternehmens durch Überwälzung der beendigungsabhängigen Ansprüche auf den Insolvenz‑Entgelt‑Fonds erfolgen sollte. Dementsprechend hat sie schon im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht, dass sie der einvernehmlichen Auflösung des bisherigen Dienstverhältnisses samt Neubeschäftigung zur Vermeidung langfristiger hoher Belastungen für den Dienstgeber zugestimmt habe. Auch die Feststellungen des Erstgerichts sind in dieser Hinsicht eindeutig. Danach waren beiden Klägern (spätestens Anfang November 2012) die finanziellen Schwierigkeiten des Unternehmens und die drohende Insolvenz bekannt. Die Geschäftsleitung sah im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit den Klägern in der Auslagerung der Beendigungsansprüche eine Möglichkeit zur Kostenreduktion als Teil des Sanierungskonzepts. Von der Geschäftsleitung war beabsichtigt, sich der Ansprüche zu entledigen und diese auf den Insolvenz‑Entgelt‑Fonds zu überwälzen. Die Kläger hielten es ernstlich für möglich und fanden sich damit ab, dass die fällig werdenden Beendigungsansprüche auf den Insolvenz‑Entgelt‑Fonds überwälzt werden.

2.  In der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist dazu anerkannt, dass unter bestimmten Voraussetzungen eine die Beitragsaufbringung beeinträchtigende atypische Vertragsgestaltung die Geltendmachung von Insolvenz‑Entgelt sittenwidrig machen kann (RIS‑Justiz RS0111281). Ein Sittenwidrigkeitsurteil ist zudem dann gerechtfertigt, wenn eine atypische Verhandlungsposition vorlag und die Vertragsgestaltung vom Dienstnehmer bewusst zu seinem eigenen Vorteil beeinflusst wurde. Wirken in einer solchen Situation Dienstgeber und Dienstnehmer zusammen, so ist im Rahmen eines Fremdvergleichs (der auf das Verhalten eines typischen maßgerechten Dienstnehmers abstellt) von zumindest bedingtem Vorsatz der Überwälzung des Finanzrisikos auf den Insolvenz‑Entgelt‑Fonds und der Schädigung des Fonds auszugehen (8 ObS 204/00h). In der Entscheidung 8 ObS 2/11v hat der Oberste Gerichtshof diese Grundsätze wie folgt weiterentwickelt: Wird durch die ungewöhnliche (atypische) Vertragsgestaltung zu einem Arbeitsverhältnis zu Lasten des Insolvenz‑Entgelt‑Fonds eine Ausbeutungssituation geschaffen und diese Situation vom Dienstnehmer in einer einem Fremdvergleich nicht standhaltenden Weise bewusst in Kauf genommen, so ist der Dienstnehmer verpflichtet, geeignete und zumutbare Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Bei Unterbleiben solcher Maßnahmen ist die Überwälzung des Finanzierungsrisikos auf den Insolvenz‑Entgelt‑Fonds grundsätzlich als rechtsmissbräuchlich zu beurteilen.

3.  Im Anlassfall ist an einer atypischen Vertragskonstruktion (durch Auflösung des bisherigen Dienstverhältnisses und gleichzeitige Neubegründung) und der Schaffung einer Ausbeutungssituation zu Lasten des Insolvenz‑Entgelt‑Fonds (Überwälzung der Beendigungsan-sprüche als Sanierungsmaßnahme) nicht zu zweifeln. Unter diesen Voraussetzungen ist das Sittenwidrigkeitsurteil grundsätzlich dann gerechtfertigt, wenn die Ausbeutungssituation vom zumindest bedingten Vorsatz getragen war und es der Dienstnehmer zudem unterlassen hat, geeignete zumutbare Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Am bedingten Vorsatz der Kläger ist nach den Feststellungen nicht zu zweifeln. Die Auslagerung der (fällig werdenden) Beendigungsansprüche erfolgte im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit der Geschäftsleitung, wobei die Überwälzung der Finanzierung auf den Insolvenz‑Entgelt‑Fonds vom Vorsatz beider Kläger getragen war.

Damit verbleibt die Frage nach geeigneten und zumutbaren Gegenmaßnahmen; die Erstklägerin bezeichnet dies als „rechtmäßiges Alternativverhalten“. Von einem typischen Arbeitnehmer wäre in der konkreten Situation etwa zu verlangen gewesen, dass er mit dem Dienstgeber über eine Änderungskündigung (ohne Liquidierung der Beendigungsansprüche) verhandelt. Darauf, dass für sie eine besondere Drucksituation durch den Dienstgeber bestand und sie auf das Dienstverhältnis bei der Schuldnerin angewiesen waren, haben sich die Kläger im erstinstanzlichen Verfahren nicht berufen. Die gewählte Konstruktion war sichtlich von der persönlichen Nahebeziehung der Erstklägerin zum Geschäftsführer und Alleingesellschafter der Schuldnerin als dessen Ehegattin bestimmt.

4.  Die Vorinstanzen sind von den dargestellten Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Ihre Beurteilung, dass im Anlassfall eine sittenwidrige Überwälzung des Finanzierungsrisikos auf den Insolvenz‑Entgelt‑Fonds vorliege, erweist sich als nicht korrekturbedürftig. Da das Verhalten (auch) der Erstklägerin einem Fremdvergleich nicht standhält, ist die Geltendmachung von Insolvenz‑Entgelt als sittenwidrig zu qualifizieren.

Insgesamt ist es der Erstklägerin nicht gelungen, mit ihren Ausführungen eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.

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