European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:008OBA00082.21Y.0830.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil lautet:
„Es wird festgestellt, dass zwischen der Klägerin und der beklagten Partei spätestens ab dem 1. 10. 2018 ein aufrechter Dienstvertrag besteht.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 13.403,04 EUR (darin 2.233,84 EUR USt) bestimmten Verfahrenskosten zu ersetzen.“
Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei 5.595,12 EUR (darin 932,52 EUR USt) an Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Klägerin war seit 1. 9. 2011 bei einem Arbeitskräfteüberlassungsunternehmen (in der Folge: Überlasser) beschäftigt und wurde von diesem an eine AG (in der Folge: Beschäftiger) mit den Aufgaben einer Projektanalystin und Assistentin des Vorstands überlassen.
[2] Der Beschäftiger war der Hauptkunde des Überlassers, der an dieses Unternehmen laufend bis zu 40 Arbeitnehmer überließ. Andere Kunden gab es nur in verhältnismäßig geringfügigem Umfang. Zu mehr als 50 % handelte es sich um Arbeitnehmer, die bereits vom Beschäftiger rekrutiert worden waren. Die übrigen wurden vom Überlasser nach Jobprofilen rekrutiert, die ihm vom Beschäftiger bekanntgegeben wurden. Mit allen Dienstnehmern schloss der Überlasser auftragsgemäß Dienstverträge mit Exklusivitätsklausel ab, nach der sie ausschließlich an das Beschäftigerunternehmen überlassen werden durften. Der Inhalt der Dienstverträge, das Gehalt und bestimmte wörtlich vorgegebene Klauseln wurden vom Beschäftiger vorgegeben. Mit den meisten dieser Dienstverträge wurde die Anwendung des für den Betrieb des Beschäftigers geltenden Kollektivvertrags vereinbart. Vor Vertragsabschluss legte der Überlasser jeden dieser von ihm ausgefertigten Dienstverträge dem Beschäftiger zur Genehmigung vor. Der Überlasser führte für die Dienstnehmer die Anmeldung zur Sozialversicherung, die Personaladministration, die Lohnverrechnung, die Lohnauszahlung und die Bearbeitung arbeitsrechtlicher Fragen durch. Er bekam vom Beschäftiger abgezeichnete Stundenlisten als Grundlagen für die Lohnverrechnung. Urlaubsvereinbarungen wurden unmittelbar mit dem Beschäftiger getroffen, Prämien und außertourliche Gehaltserhöhungen wurden von diesem vorgegeben.
[3] Dieser Vorgangsweise lag ein schriftlicher Überlassungsvertrag zwischen Überlasser und Beschäftiger zugrunde. Pro Jahr wurden ca fünf bis zehn überlassene Dienstnehmer in das Stammpersonal des Beschäftigers übernommen, andererseits wurden laufend neue Mitarbeiter zur Überlassung an den Beschäftiger gesucht und eingestellt.
[4] Der Überlasser führte die Geschäfte mit eigenen Mitteln und eigenem Personal durch, das aus dem Geschäftsführer, seiner Gattin, zwei Disponentinnen und einer teilzeitbeschäftigten Lohnverrechnerin bestand. Für die Verwaltung wurde eine eigens für den Überlasser entwickelte Software verwendet.
[5] Am 31. 12. 2015 kündigte der Beschäftiger den Vertrag mit dem Überlasser, dessen wirtschaftliche Grundlage damit weitgehend zerstört wurde. Der Jahresumsatz des Überlassers sank von im Jahr 2014 erzielten 3.800.000 EUR auf 240.000 EUR. Wegen der Exklusivitätsklausel war es ihm nicht möglich, die überlassenen Mitarbeiter anderweitig einzusetzen. Ihre Dienstverträge mit dem Beschäftiger wurden daher zum Jahresende 2015 einvernehmlich beendet, mit Ausnahme von 4 oder 5 Mitarbeiterinnen, darunter der Klägerin, die in Karenz waren.
[6] Die bis Ende 2015 an den Beschäftiger überlassenen Mitarbeiter wurden sonst im Wesentlichen nahtlos weiter beschäftigt. Einzelne wurden von der Beklagten eingestellt und wiederum an den Beschäftiger überlassen. Es konnte nicht festgestellt werden, wie viele ehemals überlassene Arbeitskräfte in das Stammpersonal des Beschäftigers wechselten und wie viele ihm in der Folge von der Beklagten weiter überlassen wurden.
[7] Ein Wechsel von anderem Personal fand zwischen Überlasser und Beklagter nicht statt. Es wurden der Beklagten vom Überlasser auch weder Unterlagen noch die von ihm verwendete Software übergeben. Die mit der Abwicklung der Überlassung beim früheren Überlasser beschäftigten Arbeitnehmer schieden im Wesentlichen dort aus, wurden aber nicht von der Beklagten übernommen. Der Überlasser hat ab 2016 den Schwerpunkt seiner Geschäftstätigkeit auf Steuer- und Unternehmensberatung verlagert und betreibt die Arbeitskräfteüberlassung nur mehr daneben in geringem Umfang.
[8] Der Klägerin wurde anlässlich der Beendigung ihres Karenzurlaubs am 30. 9. 2018 vom Überlasser mitgeteilt, dass sie wegen der Kündigung des Überlassungsvertrags nicht mehr weiterbeschäftigt werde.
[9] Sie begehrt die Feststellung, dass zwischen ihr und der Beklagten spätestens ab 1. 10. 2018 infolge Betriebsübergangs ein aufrechtes Dienstverhältnis bestehe.
[10] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Mangels Übergangs einer wirtschaftlichen Einheit vom Überlasser zur Beklagten liege kein Betriebsübergang vor. Der Umstand, dass Dienstverhältnisse von Leiharbeitnehmern beendet und mit der Beklagten neu begründet wurden, genüge dafür nicht.
[11] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Bei Arbeitskräfteüberlassungsunternehmen sei nach der Rechtsprechung für die Frage der Abgrenzung von Betriebsübergängen entscheidend, ob die übertragenen Betriebsmittel als solche ausreichen, um die die wirtschaftliche Tätigkeit des Unternehmens kennzeichnenden Leistungen ohne Inanspruchnahme anderer wichtiger Betriebsmittel und anderer Unternehmensteile weiter erbringen zu können. Dazu sei der Wechsel eines Teils des Verwaltungspersonals und eines Teils der Leiharbeitnehmer im Sinne einer „organisierten Gesamtheit“ erforderlich, weiters dass die vom Übergang betroffenen Mittel als solche ausreichen, um die kennzeichnenden Leistungen weiter erbringen zu können. Diese Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt.
[12] Die nach § 508a ZPO zugelassene, auf den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der Klägerin strebt die Klagsstattgebung an, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Beklagte beantragt in der freigestellten Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[13] Die Revision ist zulässig, weil die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts durch das Berufungsgericht im Sinne der Grundsätze der Rechtsprechung zum Betriebsübergang einer Klarstellung bedarf. Die Revision ist dementsprechend auch berechtigt.
[14] 1. Nach § 3 Abs 1 AVRAG tritt dann, wenn ein Unternehmen, Betrieb oder Betriebsteil auf einen anderen Inhaber übergeht, dieser als Arbeitgeber mit allen Rechten und Pflichten in die im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse ein.
[15] Für einen Übergang im Sinne der mit dieser Bestimmung umgesetzten Richtlinie 77/187/EWG (aktuell 2001/23/EG ) ist die Wahrung der Identität der Einheit entscheidend (RIS‑Justiz RS0110832 [T11]). Die „wirtschaftliche Einheit“ ist dabei nicht mit dem betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriff ident, sondern orientiert sich an der organisatorischen Zusammenfassung von Betriebsmitteln zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit (9 ObA 17/18t mwN). Für die Rechtsfolgen des Betriebsübergangs nach § 3 AVRAG kommt es nicht auf das Vorliegen eines Rechtsgeschäfts zwischen früherem und neuem Inhaber an, sondern es ist der faktische Übertragungsvorgang entscheidend (RS0110832 [T20]; RS0102972 [T2]).
[16] Ob ein Betriebsübergang vorliegt, ist im Einzelfall aufgrund der den Vorgang kennzeichnenden tatsächlichen Umstände zu beurteilen (RS0082749 [T23]). Dabei ist im Sinn eines beweglichen Systems eine Gesamtbewertung der einzelnen Umstände vorzunehmen, zumal der Betriebsübergang in einem sehr weiten Sinn zu verstehen ist. Derartige Umstände sind beispielsweise die Übernahme der materiellen und immateriellen Betriebsmittel und des Großteils der Belegschaft, die allfällige Ähnlichkeit der vor und nach der Übernahme verrichteten Tätigkeit, der Übergang der Kundschaft und die Fortführung der wirtschaftlichen Einheit (RS0082749 [T3]; 9 ObA 81/19f).
[17] Dass keine Kundendaten übertragen wurden, schadet grundsätzlich nicht, wenn andere Indizien für einen Übergang vorliegen. Wird etwa bei einem Vertriebsunternehmen der Kundenstock und ein Großteil der freien Mitarbeiter übernommen, sodass es zu einem nahtlosen Übergang der Akquisitionstätigkeit kommt, liegt ein Betriebsübergang vor (RS0101977 [T1]; 8 ObA 143/98g, DRdA 2000/54, 506 [Reissner]; vgl auch 9 ObA 17/18t [Reinigungsunternehmen]; Gahleitner in ZellKomm³ § 3 AVRAG Rz 14).
[18] Entscheidend ist regelmäßig die Art des Unternehmens, weil sich daraus auch die Bedeutung der verschiedenen Betriebsmittel und der Arbeitskraft ergibt (9 ObA 17/18t mzwN). Aus der Rechtsprechung kann auch nicht abgeleitet werden, dass es in jedem Fall notwendig ist, dass auch zumindest ein wesentlicher Teil des Verwaltungspersonals wechselt (9 ObA 49/14t). Diese Notwendigkeit ist als Grundsatz auch aus der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 8 ObA 64/07f nicht abzuleiten. Ausgangspunkt war ein typisches Leiharbeitsunternehmen, bei dem kaum Arbeitnehmer im „eigenen“ Betrieb im Sinne einer organisatorischen Einheit beschäftigt sondern am Markt angeboten und in Beschäftigungsbetrieben für deren Zweck in deren Organisation eingesetzt werden. Wesentlich war danach,dass ein Teil des Verwaltungspersonals und ein Teil der Leiharbeitnehmer zu einem anderen Leiharbeitsunternehmen wechselt, um dort die gleichen Tätigkeiten im Dienst der Kunden auszuüben. Die Prüfung war, ob die von dem Übergang betroffenen Mittel als solche ausreichen, um die für die typischen Überlasser‑Tätigkeit kennzeichnenden Leistungen ohne Inanspruchnahme anderer wichtiger Betriebsmittel und ohne Inanspruchnahme anderer Unternehmensteile weiter erbringen zu können.
[19] Daraus ergibt sich noch nicht der Umkehrschluss, dass für andere Arten von Unternehmen – Anbieter von Payrolling – ohne Übergang von wenigstens einer Person aus dem Verwaltungsbereich kein Betriebsübergang vorliegen kann.
[20] Nach der Rechtsprechung des EuGH müssen bei der Prüfung, ob eine Einheit übergegangen ist, sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen berücksichtigt werden. Dazu gehören namentlich die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebs, der etwaige Übergang der materiellen Betriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güter, der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft durch den neuen Inhaber, der etwaige Übergang der Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit. Diese Umstände sind jedoch nur Teilaspekte der vorzunehmenden Gesamtbewertung und dürfen deshalb nicht isoliert betrachtet werden (RS C-13/95 , Süzen,ECLI:EU:C:1997:141,Rn 14; vgl auch C-29/91 , Redmond Stichting, ECLI:EU:C:1992:220,Rn 24; C-392/92 , Christel Schmidt, ECLI:EU:C:1994:134Rn 17; C-340/01 , Abler ua, ECLI:EU:C:2003:629, Rn 33). Den verschiedenen Kriterien kommt notwendigerweise je nach der ausgeübten Tätigkeit und nach den Produktions- oder Betriebsmethoden, die in dem betreffenden Unternehmen, Betrieb oder Betriebsteil angewendet werden, unterschiedliches Gewicht zu (vgl C‑298/18 Grafe und Pohle/Südbrandenburger ECLI:EU:C:2020:121, Rn 22 insbes 25; C‑160/14 Ferreira da Silva e Brito ua, ECLI:EU:C:2015:565, Rn 25).
[21] Eine solche Einheit muss nicht unbedingt bedeutsame materielle oder immaterielle Betriebsmittel umfassen. In bestimmten Wirtschaftszweigen liegen diese Betriebsmittel nämlich oft nur in ihrer einfachsten Form vor, und es kommt dort im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft an. Daher kann eine organisierte Gesamtheit von Arbeitnehmern, denen eigens und auf Dauer eine gemeinsame Aufgabe zugewiesen ist, eine wirtschaftliche Einheit darstellen, ohne dass weitere Betriebsmittel vorhanden sind (Rs C-127/96 , sh Hernández Vidal ua., ECLI:EU:C:1998:594, Rn 27; C‑458/05 , Jouini ua, ECLI:EU:C:2007:512, Rn 32). Auch in Konstellationen, in denen Personal und Betriebsmittel zur Erfüllung des arbeitstechnischen Zwecks einer wirtschaftlichen Einheit erforderlich sind, kann daher ein Betriebsübergang vorliegen, wenn nur Personal freiwillig übernommen wird und wenn den Betriebsmitteln etwa insgesamt nur untergeordnete Bedeutung für die wirtschaftliche Einheit zukommt.
[22] Wenn der neue Unternehmer nicht nur die betreffende Tätigkeit weiterführt, sondern – hier neben dem Kunden – auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil der Belegschaft übernimmt, die sein Vorgänger gezielt für diese Tätigkeit eingesetzt hatte, dann erwirbt er eine organisierte Gesamtheit von Faktoren, die ihm die Fortsetzung der Tätigkeiten oder bestimmter Tätigkeiten des übertragenden Unternehmens auf Dauer erlaubt (C‑298/18 Grafe und Pohle/Südbrandenburger ECLI:EU:C:2020:121, Rn 39; C‑463/09 CLECE, ECLI:EU:C:2011:24, Rn 36 mwN). Es spielt insoweit auch keine Rolle, ob die Übernahme eines wesentlichen Teils des Personals im Rahmen einer zwischen Veräußerer und Erwerber vereinbarten vertraglichen Übertragung erfolgt oder ob sie auf einer einseitigen Entscheidung des früheren Inhabers, die Arbeitsverträge des übergegangenen Personals zu kündigen, gefolgt von einer einseitigen Entscheidung des neuen Inhabers, im Wesentlichen dasselbe Personal zur Erfüllung derselben Aufgaben einzustellen, beruht (C‑463/09 CLECE, ECLI:EU:C:2011:24, Rn 37 f).
[23] Dies gilt nach der Rechtsprechung des EuGH auch bei Leiharbeitsunternehmen. Kennzeichnend für solche Unternehmen ist im Allgemeinen – wie sich auch aus der Vorlageentscheidung ergibt – das Fehlen einer eigenen Betriebsorganisation, nach der in einem solchen Unternehmen verschiedene entsprechend der Organisation des Veräußerers abtrennbare wirtschaftliche Einheiten bestimmt werden können. Bei typischen Leiharbeitsunternehmen ist eine Prüfung vorzunehmen, bei der deren Besonderheiten Rechnung getragen wird, anstatt zu untersuchen, ob ihrer Organisation nach eine wirtschaftliche Einheit vorliegt. In diesem Zusammenhang ist für die Beurteilung des Vorliegens einer wirtschaftlichen Einheit im Sinne der RL 2001/23 zu prüfen, ob die vom Veräußerer übertragenen Betriebsmittel bei ihm eine einsatzbereite Gesamtheit darstellten, die als solche dazu ausreichte, die für die wirtschaftliche Tätigkeit des Unternehmens charakteristischen Dienstleistungen ohne Inanspruchnahme anderer wichtiger Betriebsmittel oder anderer Unternehmensteile erbringen zu können (C‑458/05 , Jouini ua, ECLI:EU:C:2007:512, Rn 32 ff).
[24] 2. Die für den Anlassfall charakteristische und die damalige wirtschaftliche Grundlage des Überlasserunternehmens bildende Tätigkeit bestand im Bereitstellen von Dienstnehmern für einen einzigen Großkunden, die von diesem gezielt für dessen Bedarf ausgewählt und teilweise von ihm sogar selbst rekrutiert wurden. Die „Überlasserin“ übernahm dabei die formale Arbeitgeberstellung einschließlich der administrativen Personalverwaltung, alle übrigen Arbeitnehmerfunktionen nahm der Beschäftiger wahr. Die Dienstvertragsbedingungen wurden bis hin zur Vereinbarung des für seinen Betrieb geltenden Kollektivvertrags von ihm vorgegeben („Payrolling“).Dementsprechend durften diese Dienstnehmer auch exklusiv nur diesem Beschäftiger überlassen werden.
[25] Diese charakteristische Leistung des Überlassungsunternehmens erforderte praktisch keine materiellen Betriebsmittel. Ihr Büroaufwand einschließlich EDV-Software beschränkte sich auf die auch sonst in jedem Unternehmen erforderliche Personalverwaltung.
[26] Hingegen wies die nicht unerhebliche Anzahl von bis zu 40 für ein einziges Unternehmen verwaltete Arbeitnehmer die wesentlichen Merkmale der organisierten wirtschaftlichen Einheit auf.
[27] Es handelte sich hier nicht um beliebig durch andere fachlich Geeignete austauschbare Arbeitskräfte, sondern um Personen, die für den besonderen Bedarf des Kunden ausgewählt und teilweise (Klägerin) jahrelang bei ihm beschäftigt waren. Ihre Übernahme war wegen dieser besonderen Bindung an den Beschäftiger für die Tätigkeit eines jeden Nachfolgers des Überlassers praktisch notwendig.
[28] Hätte die Beklagte die beim Beschäftiger eingesetzten aktiven Dienstnehmer des früheren Überlassers nicht wieder eingestellt (abgesehen von der nicht festgestellten Anzahl, die in die Stammbelegschaft übernommen wurden), hätte der Beschäftiger entweder plötzlich auf eine große Zahl von ausgewählten ständigen Mitarbeitern verzichten, oder von der Anwendung seines bevorzugten Personalleasingmodells (Payrolling) hinsichtlich aller dieser Mitarbeiter abgehen müssen. Erst durch die Weiterbeschäftigung dieser Dienstnehmer, wenn auch nach formeller Neueinstellung oder beim Beschäftiger, war die Beklagte in der Lage, dem Kunden eine nahtlose Fortführung der bisher vom Überlasser erbrachten Leistungen zu gewährleisten.
[29] In dieser besonderen Konstellation liegen daher die dargestellten Kriterien eines Betriebsübergangs vor. Daran ändert das Fehlen eines Übergangs materieller Betriebsmittel und Personalverwaltungsressourcen, die in jedem anderen Personalverleihunternehmen bereits vorhanden und für die Erbringung der hier charakteristischen Leistung ohne entscheidender Bedeutung sind, nichts. Eine Übergabe von Personalakten oder Vertragsbedingungen an die Beklagte war schon deshalb bei der Gesamtabwägung ohne ausschlaggebende Bedeutung, weil die Beschäftigungsbedingungen hier einseitig vom Kunden vorgegeben waren und er sie auch wieder an die Beklagte überbinden konnte. Dass der Beklagte nicht alle Arbeitnehmer übernahm, steht der Annahme eines Betriebsübergangs nicht entgegen, zumal die tatsächlichen Übernahmen auf der unstrittigen Absicht beruhten, insoweit die bisherige Geschäftstätigkeit fortzuführen (vgl 9 ObA 193/98t mwN; 9 ObA 17/18t).
[30] Die organisatorische Einheit (vgl RS0082749) ist hier in der in ihrem Arbeitsvertrag mit dem früheren Überlasser beim Beschäftigen zusammengefasster und ausschließlich bei diesem einsetzbarer (Exklusivitätsklausel) Gruppen von Arbeitnehmern zu sehen, die insoweit die maßgeblichen Faktoren des mit „Payrolling“ befassten Betriebsteils des früheren Überlassers darstellten. Es lag also nicht nur ein Auftragsübergang sondern auch ein Übergang der hier beim Payrolling entscheidenden Arbeitskräfte dieses Betriebsteils vor.
[31] 3. Davon ausgehend erweist sich die in der Revisionsbeantwortung enthaltene Rüge sekundärer Feststellungs- und Verfahrensmängel als unbegründet. Soweit die rechtliche Beurteilung nicht ohnedies von den darin reklamierten Tatsachen ausgegangen ist, wie dem Nichtübergang des Verwaltungsapparats, kommt es darauf für das Ergebnis nicht an. Die Behauptung, dass von der Beklagten nicht alle Dienstnehmer des Überlassers übernommen wurden, steht in keinem Widerspruch zu der Feststellung, wonach daraus einige Arbeitnehmer zum Beschäftiger gewechselt sind. Dass auch neue Arbeitnehmer eingestellt wurden, entspricht den bisherigen Abläufen in diesem Geschäftsmodell. Dass das genaue Verhältnis der vom früheren Überlasser zur Beklagten (neuer Überlasser) übernommenen Arbeitnehmer zu jenen, die gleich direkt zum Beschäftiger wechselten, nicht festgestellt werden konnte, geht nicht zu Lasten der Klägerin, der der Nachweis gelungen ist, dass im Wesentlichen sämtliche früher überlassene Arbeitnehmer nahtlos weiter beschäftigt wurden. Ausgehend davon wäre es schon im Ansatz die Sache der beweisnäheren (RS0039895 [T2] = RS0039939 [T35]; 8 Ob 14/18v [Pkt 4.4]) Beklagten gewesen konkret darzustellen, dass die entscheidende Anzahl der Arbeitnehmer auf die Beschäftiger überging. Auch hat ja die Beklagte die typische Dienstleistung (Payrolling) übernommen. Einer weiteren Erörterung dieser Frage bedarf es aber schon deshalb nicht, weil die Beklagte gar nicht releviert, dass insoweit ein Betriebsübergang zur Beschäftigerin stattgefunden hätte. Der Oberste Gerichtshof hat auch bereits klargestellt, dass grundsätzlich auch beim Payrolling die Bezeichnung zu Vertragspartner entscheidend ist (8 ObA 51/17k) und zwar auch beim Betriebsübergang (9 ObA 19/18z). Insoweit bedarf eine effektive Umsetzung der Betriebsübergangsrichtlinie (vgl zum „Arbeitsverhältnis“ EuGH C‑242/09 Albon Caterin, ECLI:EU:C:2010:317) auch einer Beachtung der Besonderheiten der hier vorliegenden atypischen Arbeitskräfteüberlassung (Payrolling).
[32] Soweit der Rechtsprechung des EuGH Ansatzpunkte für gespaltene Arbeitsverhältnisse zu entnehmen sind (C‑344/18 ISS Facility Services NV, ECLI:EU:C:2020:239), ist einerseits nicht ersichtlich, ob diese Ausführungen des EuGH nicht überhaupt nur zur unionsrechtlichen Zulässigkeit einer nationalen Betriebsübergangsregelung in diesem Sinne (vgl Rz 20) zu verstehen sind. Andererseits ist im Zusammenhalt mit den sonstigen Regelungen und Problemstellungen (Koordination der Arbeitszeiten oder der Urlaube zwischen zwei Arbeitsverhältnissen, zusätzliche Arbeitswege uva) jedenfalls davon auszugehen, dass der in der Rechtsprechung bisher angenommene Übergang auf einen neuen Betriebsinhaber (9 ObA 94/07z mwN) regelmäßig jedenfalls als die günstigere Rechtsfolge anzusehen ist (vgl Art 8 der RL 2001/23/EG ) und die Aufspaltung zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen führen würde (C-344/18 Rz 35). Anders als zu C‑344/18 liegt hier auch ein von den betroffenen Arbeitgebern im Umfang gestaltbarer Betriebsübergang vor.
[33] 4. Den Feststellungen des Erstgerichts ist nicht zu entnehmen, ob das Dienstverhältnis der Klägerin nach deren Karenz von der Überlasserin bis zum Schluss der Verhandlung erster Instanz aufgelöst wurde oder es bei der vorgebrachten Ankündigung geblieben ist. Einer Klärung dieser Frage bedarf es aber nicht, weil der Betriebsübergang ex lege zum Übergang der im maßgeblichen Zeitpunkt aufrechten Dienstverhältnisse auf den Übernehmer führt, der nach § 3 Abs 1 AVRAG mit sämtlichen Rechten und Pflichten in die bestehenden Arbeitsverträge eintritt (Gahleitner in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 3 AVRAG Rz 41).
[34] Zum Zeitpunkt der Beendigung des Überlassungsvertrags mit dem Dienstgeber der Klägerin bzw des Beginns der Überlassungstätigkeit der Beklagten war das Dienstverhältnis der karenzierten Klägerin unstrittig jedenfalls aufrecht und ist damit auf die Beklagte übergegangen. Diese hat sich ihrerseits nicht auf eine Beendigung (zB durch Eventualkündigung) dieses Dienstverhältnisses berufen.
[35] 5. Der Revision der Klägerin war daher Folge zu geben.
[36] Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO. Hinsichtlich der neu gefassten Kostenentscheidung erster Instanz war auf die berechtigte Einwendung der beklagten Partei Bedacht zu nehmen, dass die Replik der Klägerin vom 7. 8. 2020 nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich war.
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