European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:008OBA00060.22I.0927.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 833,88 EUR (darin 138,98 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Klägerin ist als Apothekerin beim beklagten Land teilzeitbeschäftigt und dabei als eine Herstellungsleiterin gemäß § 8 Arzneimittelbetriebsordnung 2009 (AMBO, BGBl II 2008/324) in einer (Krankenhaus-)Anstaltsapotheke tätig. Auf ihr Dienstverhältnis ist der Kollektivvertrag für pharmazeutische Fachkräfte in öffentlichen Apotheken und Anstaltsapotheken Österreichs (im Folgenden: KV) anzuwenden, der folgende, hier wesentliche Bestimmungen enthält:„XII. BESONDERE BESTIMMUNGEN FÜR APOTHEKENLEITER
(1) Wird ein vertretungsberechtigter Apotheker zur Leitung eines Apothekenbetriebes bestellt, so gebührt ihm monatlich eine besondere Vergütung (Leiterzulage), deren Höhe vor Übernahme der Leitung zwischen dem Dienstgeber und dem vertretungsberechtigten Apotheker zu vereinbaren ist und deren Mindesthöhe durch die Kollektivvertragspartner zu vereinbaren und mittels Rundschreiben zu verlautbaren ist. Die Leiterzulage ist Entgelt im Sinne des Angestelltengesetzes. Sie stellt eine Abgeltung der erhöhten und besonderen Verantwortung des Apothekenleiters dar. Der verantwortliche Leiter einer öffentlichen Apotheke kann nur im Volldienst beschäftigt werden.
[…]
(7) Bei Dienstleistungen, die kürzere Zeiträume als volle Monate betragen, gebühren die entsprechenden Zulagen aliquot.
[…]
XVI. BESONDERE BESTIMMUNGEN FÜR APOTHEKER IN KRANKENANSTALTEN
(1) Für pharmazeutische Fachkräfte, die über die Pharmazeutische Gehaltskasse für Österreich besoldet werden und in Anstaltsapotheken tätig sind, gelten die nachfolgenden Bestimmungen.
[…]
(4) Apothekenleitern, die im Teildienst gemeldet sind, steht in jedem Falle die volle Leiterzulage zu.
(5) Angestellte in Krankenhausapothekenbetrieben mit Bewilligung nach § 63 Arzneimittelgesetz, die die Funktion eines Qualitätsmanagementbeauftragen (§ 5 Abs. 3 Arzneimittelbetriebsordnung, AMBO), einer sachkundigen Person (§ 7 AMBO) eines Herstellungsleiters (§ 8 AMBO), eines Kontrolllaborleiters (§ 9 AMBO) oder einer fachkundigen Person (§ 10 AMBO) wahrnehmen, haben Anspruch auf eine Funktionszulage in der Höhe der Leiterzulage gemäß Art. XII Abs. 1. Werden von einer Person mehrere der genannten Funktionen ausgeübt, steht die Funktionszulage nur einmal zu.
[…]“
[2] Das beklagte Land brachte im streitgegenständlichen Zeitraum (Jahre 2019 bis 2021) die der Klägerin aufgrund ihrer Funktion einer Herstellungsleiterin nach Art XVI Abs 5 KV (iVm § 8 AMBO) zustehende Zulage nicht in der vollen Höhe, sondern nur aliquot ihrem Beschäftigungsausmaß zur Auszahlung.
[3] Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage den – der Höhe nach vor dem Obersten Gerichtshof nicht mehr strittigen – Differenzbetrag zur vollen Höhe (8.591,87 EUR brutto sA). Der KV sehe in Hinsicht auf die in Rede stehende Zulage keine Aliquotierung vor. Hilfsweise beruft sich die Klägerin auf das Diskriminierungsverbot nach § 19d Abs 6 AZG.
[4] Das beklagte Land beantragte die Abweisung der Klage. Es vertritt zusammengefasst den Rechtsstandpunkt, aus Art XVI Abs 4 KV ergebe sich im Umkehrschluss, dass der Klägerin, die gerade nicht Apotheken-, sondern nur Herstellungsleiterin sei, die Zulage nach Art XVI Abs 5 KV nur in dem ihrer Teilzeitbeschäftigung entsprechenden Ausmaß zustehe. Hierfür sprächen zudem Art XII Abs 7 KV und § 15 Abs 3 Gehaltskassengesetz 2002.
[5] Die Vorinstanzen verurteilten das beklagte Land zur Zahlung des Differenzbetrages samt Zinsen. Sie beurteilten übereinstimmend (§ 500a ZPO) den Sachverhalt rechtlich dahin, dass der KV keine Grundlage für eine Aliquotierung der Zulage nach Art XVI Abs 5 KV biete. Wenn eine solche vorzunehmen sei, sei dies im KV jeweils ausdrücklich statuiert worden; hier gebe eskeine solche Bestimmung. Eine Aliquotierung ergebe sich mangels Anwendbarkeit auch nicht aus der ins Treffen geführten Bestimmung des Gehaltskassengesetzes. Weil der Klägerin nach dem KV die Zulage in voller Höhe zustehe, sei auf § 19d Abs 6 AZG nicht mehr einzugehen.
[6] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, da der Frage, ob den in Art XVI Abs 5 KV genannten Angestellten die Funktionszulage auch bei Teilzeitbeschäftigung in ungekürztem Ausmaß zustehe, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zukomme.
[7] Gegen das Berufungsurteil richtet sich die aus dem Grund des § 503 Z 4 ZPO erhobene ordentliche Revision des beklagten Landes mit einem auf Klageabweisung gerichteten Abänderungsantrag.
[8] Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung die Zurückweisung der Revision, hilfsweise dieser den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
[9] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.
[10] Der normative Teil eines Kollektivvertrags ist nach ständiger Rechtsprechung gemäß §§ 6 und 7 ABGB auszulegen (vgl RIS-Justiz RS0008807; RS0010088).
[11] Nach dem Wortlaut des Art XVI Abs 5 des hier anzuwendenden Kollektivvertrags haben „Angestellte, […] die die Funktion […] eines Herstellungsleiters (§ 8 AMBO) […] wahrnehmen, […] Anspruch auf eine Funktionszulage in der Höhe der Leiterzulage gemäß Art XII Abs 1“. Art XII Abs 1 KV sieht für die Leiterzulage vor, dass „deren Höhe vor Übernahme der Leitung zwischen dem Dienstgeber und dem vertretungsberechtigten Apotheker zu vereinbaren ist und deren Mindesthöhe durch die Kollektivvertragspartner zu vereinbaren und mittels Rundschreiben zu verlautbaren ist“, dass sie „Entgelt im Sinne des Angestelltengesetzes“ ist und dass sie „eine Abgeltung der erhöhten und besonderen Verantwortung des Apothekenleiters dar[stellt]“.
[12] Dass die nach Art XVI Abs 5 (iVm Art XII Abs 1) KV für die Übernahme der besonderen Verantwortung gebührende Funktionszulage bei Teilzeitbeschäftigung nur aliquot zum Beschäftigungsausmaß zustehe, ist dem Wortlaut des Kollektivvertrags nicht zu entnehmen. Ein solches Verständnis erforderte eine Einschränkung des Wortlauts, der ohne Unterschied nach dem Beschäftigungsausmaß bereits an die Wahrnehmung der Funktion eines Herstellungsleiters (§ 8 AMBO) den Anspruch auf eine Funktionszulage in der (vollen) Höhe des Art XII Abs 1 KV knüpft.
[13] Die Einschränkung des Wortlauts einer generellen Norm ist nur nach den Regeln der teleologischen Reduktion statthaft. Diese verschafft der ratio legis gegen einen überschießend weiten Wortlaut Durchsetzung. Die (verdeckte) Lücke besteht im Fehlen einer nach der ratio notwendigen Ausnahme. Vorausgesetzt ist stets der Nachweis, dass eine umschreibbare Fallgruppe von den Grundwertungen oder Zwecken des Gesetzes (hier: Kollektivvertrags) entgegen seinem Wortlaut gar nicht getroffen wird und dass sie sich von den „eigentlich gemeinten“ Fallgruppen so weit unterscheidet, dass die Gleichbehandlung sachlich ungerechtfertigt und willkürlich wäre (RS0008979 [T3]).
[14] Die Voraussetzungen für eine teleologische Reduktion liegen hier nicht vor.
[15] a) In der Revision wird die Ansicht vertreten, die Position eines Herstellungsleiters (§ 8 AMBO) sei der eines Apothekenleiters nicht einmal im Ansatz im Hinblick auf eine „Leitungsfunktion“ vergleichbar. Damit weicht das beklagte Land aber von dem diese Fragen regelnden Kollektivvertrag ab, aus dem sich ergibt, dass beide Funktionen zum Anspruch auf eine Zulage in der selben Höhe führen (Art XVI Abs 5 iVm Art XII Abs 1 KV). Es darf den Kollektivvertragsparteien grundsätzlich unterstellt werden, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollten (RS0008828 [T1]). Damit ist aber von der Gleichwertigkeit beider Funktionen auszugehen.
[16] b) Art XVI Abs 5 KV knüpft hinsichtlich der Höhe an die „Leiterzulage gemäß Art XII Abs 1 [KV]“ an. Nach Satz 3 der verwiesenen Bestimmung stellt die Leiterzulage eine Abgeltung der erhöhten und besonderen Verantwortung des Apothekenleiters dar. Grund für ihre Auszahlung ist damit die Übernahme der mit der Funktion einhergehenden Verantwortung an sich (vgl zur Anknüpfung an eine formale Funktion des Arbeitnehmers 8 ObA 74/18t und 8 ObA 58/21v [Rz 15] mwN), nicht deren Ausübung in einem bestimmten (Beschäftigungs-)Ausmaß. Hätten die Kollektivvertragsparteien bei den Funktionszulagen nach Art XVI Abs 5 KV ein anderes Verständnis gehabt, hätten sie nur auf Art XII Abs 1 Satz 1 KV verweisen dürfen; der Verweis erfasst aber den gesamten Abs 1. Damit bezweckt auch die Herstellungsleiterzulage die Abgeltung der mit der Funktion einhergehenden Verantwortung an sich.
[17] c) Das beklagte Land möchte aus Art XVI Abs 4 KV ableiten, dass nur die Funktion des Apothekenleiters auch bei Teilzeitbeschäftigung zur vollen Zulage führt. Diesem Verständnis steht aber die Formulierung entgegen, dass den im Teildienst gemeldeten (also teilzeitbeschäftigten) Apothekenleitern „in jedem Falle die volle Leiterzulage“ zusteht. Weil die Formulierung auf eine bloße Klarstellung hinweist, liegt keine geeignete Grundlage für den vom beklagten Land angestrebten Umkehrschluss vor (vgl 8 ObA 175/00v).
[18] d) Ebensowenig kann aus Art XII Abs 7 KV die vom beklagten Land angestrebte Aliquotierung abgeleitet werden. Die Bestimmung ordnet eine Aliquotierung nur an, wenn die Dienstleistung für weniger als einem vollen Monat erbracht wird (zB das Dienstverhältnis bereits vor Monatsende endet). Teilzeitbeschäftigte erbringen ihre Dienstleistung sehr wohl in der vollen zeitlichen Länge, nur nicht im vollen (Beschäftigungs‑)Ausmaß. Allein auf ersteres, nicht letzteres stellt Art XII Abs 7 KV ab.
[19] e) Gegen den Standpunkt des beklagten Landes spricht auch der zutreffend vom Berufungsgericht hervorgehobene Umstand, dass sich im Kollektivvertrag an verschiedenen Stellen und zu verschiedenen Ansprüchen eine Reihe von Aliquotierungsregelungen findet (auf die Aufzählung dieser Bestimmungen im Berufungsurteil kann verwiesen werden), eine solche bei der vorliegenden Zulage jedoch nicht vorliegt.
[20] f) Letztlich ist für den Standpunkt des beklagten Landes auch nichts aus der Bestimmung des § 15 Abs 3 Gehaltskassengesetz 2002 (BGBl I 2001/154 idgF) zu gewinnen, wonach nicht vollbeschäftigte Dienstnehmer „die ihrem Dienstausmaß entsprechenden Teile der Bezüge zu erhalten [haben]“. Die Bestimmung gilt für die von der Gehaltskasse auszuzahlenden Bezüge, nämlich „Gehalt, Entlohnung, Familienzulagen, Sonderzahlungen“ (§ 13 Abs 1 Gehaltskassengesetz 2002). Hier liegt demgegenüber ein kollektivvertraglich vereinbarter Bezugsanteil iSd § 18 Abs 1 Gehaltskassengesetz vor, welcher nach der soeben genannten Bestimmung vom Dienstgeber selbst zu entrichten ist und nur diesem gegenüber geltend gemacht werden kann. § 15 Abs 3 Gehaltskassengesetz gilt für derartige Bezugsanteile nach der eindeutigen Gesetzessystematik nicht.
[21] Der Oberste Gerichtshof teilt aus den genannten Gründen die Beurteilung der Vorinstanzen, dass der Klägerin bereits aufgrund der Auslegung des Kollektivvertrags nach den allgemeinen Regeln gemäß §§ 6 und 7 ABGB die Zulage nach Art XVI Abs 5 KV ungeachtet ihrer Teilzeitbeschäftigung in voller Höhe zusteht. Der Revision war daher der Erfolg zu versagen.
[22] Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)