OGH 8ObA60/11y

OGH8ObA60/11y30.8.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter MR Dr. Richard Warnung und Dr. Gerda Höhrhan-Weiguni als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A***** D*****, vertreten durch Dr. Stephan Rainer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei V***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Ewald Jenewein, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 15.448,71 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 26. Mai 2011, GZ 15 Ra 41/11h-26, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 17. Februar 2011, GZ 44 Cga 96/09t-22, in Ansehung der Kündigungsentschädigung samt Urlaubsersatz abgeändert wurde (Revisionsinteresse 9.126,09 EUR brutto sA), in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Teilurteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass es lautet:

„Das Klagebegehren des Inhalts, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen den 9.126,09 EUR brutto entsprechenden Nettobetrag an Kündigungsentschädigung (Gehalt/Sonderzahlungen/ Urlaubsersatz) samt 8,38 % Zinsen seit 1. 7. 2009 zu zahlen, wird abgewiesen.“

Die Entscheidung über die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens sowie des Berufungsverfahrens wird (in Ansehung des Teilurteils) der Endentscheidung vorbehalten.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.978,43 EUR (darin enthalten 124,07 EUR USt und 1.234 EUR Pauschalgebühren) bestimmten Kosten der Revision binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war ab 2. 7. 1990 bei einem Unternehmen beschäftigt, das in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts geführt wurde. Im Jahr 2002 sollte die Rechtsform geändert und eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung gegründet werden. Den Mitarbeitern wurde mitgeteilt, dass ihre Dienstverhältnisse zur Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit 31. 12. 2002 einvernehmlich aufgelöst und sie ab 1. 1. 2003 von der GmbH zu gleichen Bedingungen neu beschäftigt würden. Die beendigungsabhängigen Ansprüche, insbesondere die Abfertigung, sollten ausgezahlt werden. In der Folge unterfertigte (auch) der Kläger die entsprechende schriftliche Vereinbarung vom 24. 9. 2002. Der Themenbereich „Betriebsübergang“ wurde nicht besprochen. Ab 1. 1. 2003 wurde (unter anderem) der Kläger von der beklagten GmbH zu den gleichen Bedingungen wie vorher neu beschäftigt. Ab diesem Zeitpunkt wurden von der Beklagten zu seinen Gunsten Beiträge an eine Mitarbeitervorsorgekasse gezahlt. Nachdem vom Kläger eine Teilauslastung abgelehnt worden war, wurde er von der Beklagten am 27. 3. 2009 zum 30. 6. 2009 gekündigt. Am 30. 3. 2009 schlossen die Streitteile eine Vereinbarung mit folgendem Inhalt:

Vereinbarung über die Dienstzeit in der Kündigungsfrist:

Die am 27. 3. 2009 überreichte Kündigung bleibt weiterhin aufrecht. Zwischen [dem Kläger] als Dienstnehmer und [der Beklagten] als Dienstgeber wird folgende einvernehmliche Vereinbarung getroffen.

Die Kündigungsfrist endet am 30. 6. 2009. Es wird eine Dienstfreistellung bei vollen Bezügen vom 16. 5. 2009 bis zum Ende der Kündigungsfrist vereinbart. Der letzte Arbeitstag ist somit der 15. 5. 2009.

Im Gegenzug verzichtet [der Kläger] auf eine Anfechtung der Kündigung.“

Der Kläger begehrte Kündigungsentschädigung einschließlich Urlaubsersatz sowie restliche Abfertigung. Da der Dienstgeberwechsel im Jahr 2002/2003 als Betriebsübergang zu qualifizieren sei, liege eine insgesamt 18-jährige Dienstzeit vor. Davon ausgehend habe die Kündigungsfrist tatsächlich vier Monate betragen. An Abfertigung gebührten ihm sechs Monatsentgelte. Den Abfertigungsbetrag, den er im Jahr 2002 erhalten habe, lasse er sich anrechnen.

Die Beklagte entgegnete, dass die Vordienstzeiten nicht anzurechnen seien, weil das Dienstverhältnis zur Gesellschaft bürgerlichen Rechts einvernehmlich aufgelöst worden sei. Diese Vereinbarung sei ohne Störung des Abschlusswillens des Klägers zustande gekommen. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass der Kläger eine allfällige Ungültigkeit der Auflösungsvereinbarung vom 24. 9. 2002 verspätet geltend gemacht und seine Aufgriffsobliegenheit verletzt habe. Auch am 30. 3. 2009 sei die Unwirksamkeit der Auflösung des ersten Dienstverhältnisses kein Thema gewesen. Davon abgesehen komme der Vereinbarung vom 30. 3. 2009 Bereinigungswirkung zu, weshalb sämtliche Ansprüche erledigt worden seien.

Das Erstgericht wies (im zweiten Rechtsgang) das Klagebegehren neuerlich zur Gänze ab. Die Vereinbarung vom 30. 3. 2009 stelle einen Generalvergleich dar, mit dem sämtliche Ansprüche des Klägers endgültig erledigt worden seien. Die Streitbereinigung sei auch im Interesse des Klägers gelegen gewesen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und sprach ihm - in Form eines Teilurteils - die Kündigungsentschädigung samt Urlaubsersatz zu; die ordentliche Revision erklärte es für zulässig. In Ansehung der Abfertigungsdifferenz sowie im Kostenpunkt hob es das angefochtene Urteil auf und ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu. Schon nach dem eindeutigen Wortlaut der Vereinbarung vom 30. 3. 2009 komme ein Generalvergleich nicht in Betracht, zumal der Kläger nur auf eine Anfechtung der Kündigung verzichtet habe. Ein Verzicht auf „alle allenfalls noch offenen finanziellen Ansprüche“ sei für die Annahme eines Bindungswillens auch zu unbestimmt formuliert. Schließlich müsse bei einem Vergleich, der unverzichtbare Ansprüche erfasse, die Einbuße bestimmter Rechte durch entsprechende Vorteile aufgewogen werden. Von einer derartigen Ausgewogenheit sei ebenfalls nicht auszugehen. Die Vereinbarung über die einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses im Jahr 2002 stelle eine unzulässige Umgehung der Wirkungen des Betriebsübergangs dar. Eine Verletzung der Aufgriffsobliegenheit sei dem Kläger nicht anzulasten, weil eine derartige Verpflichtung im Zusammenhang mit Betriebsübergängen nur anerkannt werde, wenn der neue Betriebsinhaber die Weiterbeschäftigung des Dienstnehmers ablehne. Eine solche Konstellation liege hier nicht vor. Der geltend gemachte Anspruch des Klägers auf Kündigungsentschädigung einschließlich Urlaubsersatz sei daher berechtigt. Das Gleiche gelte für die Abfertigungsdifferenz. Über die Höhe dieses Anspruchs könne aber noch nicht entschieden werden, weil auf den Auszahlungsbetrag aus der Mitarbeitervorsorgekasse (Beiträge abzüglich Verwaltungskosten) nicht Bedacht genommen worden sei.

Gegen das Teilurteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie die Abweisung des Klagebegehrens anstrebt.

Mit seiner Revisionsbeantwortung beantragt der Kläger, die Revision zurückzuweisen, in eventu, dieser den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil sich die Auslegung der Vereinbarung vom 30. 3. 2009 durch das Berufungsgericht als korrekturbedürftig erweist. Sie ist dementsprechend auch berechtigt.

1. Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass die Beklagte nur das Teilurteil mit Revision, nicht aber den Aufhebungsbeschluss mit (ebenfalls zugelassenem) Rekurs an den Obersten Gerichtshof bekämpft. Bei Endurteil und Aufhebungsbeschluss handelt es sich um unterschiedliche Entscheidungen, die entsprechend den beiden Zulässigkeitsaussprüchen mit unterschiedlichen Rechtsmitteln zu bekämpfen sind.

2.1 Die Auslegung eines Vergleichs nach dem objektiven Sinn der Erklärung unter Berücksichtigung der für den Vergleichsabschluss maßgebenden Umstände und ebenso die Beurteilung der Reichweite der Bereinigungswirkung kann nur anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls erfolgen (RIS-Justiz RS0044358 [T5]; RS0042776; RS0112292). So wie die Beurteilung, ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, stellt dementsprechend auch die Auslegung eines Vergleichs im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage dar (RIS-Justiz RS0113785; vgl auch RIS-Justiz RS0042776; RS0112106). Anderes gilt jedoch, wenn - wie hier - eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts vorliegt.

2.2 Auch in der arbeitsrechtlichen Judikatur des Obersten Gerichtshofs ist anerkannt, dass sich die Bereinigungswirkung eines anlässlich der Auflösung eines Dauerschuldverhältnisses geschlossenen Vergleichs im Zweifel auf alle aus diesem Rechtsverhältnis entspringenden oder damit zusammenhängenden gegenseitigen Forderungen erstreckt. Sie tritt selbst dann ein, wenn in den Vergleich keine Generalklausel aufgenommen wurde. Die Bereinigungswirkung umfasst auch solche Ansprüche, an die die Parteien im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses zwar nicht gedacht haben, an die sie aber denken konnten. Macht eine Partei nach Abschluss eines Vergleichs ein Recht geltend, so muss sie im Bestreitungsfall die Voraussetzungen für das Nichteintreten der Bereinigungswirkung des Vergleichs behaupten und unter Beweis stellen (RIS-Justiz RS0032589; RS0032453; 9 ObA 34/05y; 8 ObA 78/06p; 9 ObA 33/10h). Die Bereinigungswirkung bezieht sich somit auf solche Ansprüche, die typischerweise mit dem bereinigten Arbeitsverhältnis im Zusammenhang stehen und ihre Wurzel darin finden. Entscheidend ist, dass es sich um zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses naheliegende Ansprüche handelt (8 ObA 21/11p).

2.3 Das Berufungsgericht ist insoweit im Recht, als nach dem Wortlaut der fraglichen Vereinbarung davon die Rede ist, dass der Kläger im Gegenzug zur Dienstfreistellung unter Fortzahlung der Bezüge auf eine Anfechtung der Kündigung verzichtet. Ebenfalls richtig ist, dass in der Vereinbarung beendigungsabhängige Ansprüche nicht erwähnt werden. Allerdings wird darin die Kündigungsfrist thematisiert und auch ausdrücklich deren Ende festgelegt. Die Dauer der Kündigungsfrist wurde aber unstrittig von der Problematik des Betriebsübergangs bestimmt. Aus Anlass der ausdrücklichen einvernehmlichen Regelung der Kündigungsfrist hätte der fachlich beratene Kläger auch an die rechtlichen Konsequenzen aus dem Betriebsübergang im Jahr 2002/2003 denken können und diese jedenfalls thematisieren müssen. Dass die Vereinbarung keine Generalbereinigungsklausel enthält, steht der Bereinigungswirkung nicht entgegen.

Schon die Auslegung der schriftlichen Vereinbarung vom 30. 3. 2009 führt somit zum Ergebnis, dass entsprechend der Beurteilung des Erstgerichts dem Inhalt nach ein Generalvergleich vorliegt, dessen Bereinigungswirkung auch die sich aus einer (allfälligen) Nichtigkeit der einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses mit Vereinbarung vom 24. 9. 2002 ergebenden Mehransprüche erfasst. Auf einen von diesem Auslegungsergebnis abweichenden übereinstimmenden Parteiwillen beruft sich der Kläger nicht. Die vom Erstgericht getroffenen - und vom Kläger in seiner Berufung bekämpften - Feststellungen zu den Erklärungen und zum Wissensstand des Klägers betreffend den Betriebsübergang anlässlich des Abschlusses der Vereinbarung vom 30. 3. 2009 wirken sich nicht mehr zu seinen Lasten aus. Auf sie kommt es nicht an, weshalb sie nicht relevant sind.

2.4 Richtig ist an sich, dass es beim aus Anlass der Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschlossenen Vergleich um die Prüfung geht, ob die Einbuße bestimmter Rechtsstellungen durch Vorteile an anderer Stelle, vor allem auch durch die Klärung einer bisher ungeklärten Sach- und Rechtslage oder ungewisser Rechte, wiederum aufgewogen wird (RIS-Justiz RS0028337; RS0029958). Der Beklagten ist also darin zuzustimmen, dass gerade auch nicht materielle Vorteile, wie die Klärung einer zweifelhaften Rechtslage (hier zu den Konsequenzen aus dem Betriebsübergang im Jahr 2002/2003) zur Vermeidung eines Rechtsstreits, zu berücksichtigen sind und für eine Bereinigungswirkung sprechen (vgl 8 ObA 36/10t). Hinzu kommt die sechswöchige Dienstfreistellung des Klägers bei vollen Bezügen, sodass er während der restlichen Kündigungsfrist nicht mehr im Betrieb der Beklagten weiterarbeiten musste.

3. Im Zusammenhang mit dem vom Erstgericht als solchen qualifizierten „Generalvergleich“ zeigt die Beklagte somit eine erhebliche Rechtsfrage auf. Die Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof führt zu einer Abweisung des dem Teilurteil des Berufungsgerichts zugrunde liegenden Klagebegehrens.

In Anbetracht der Bereinigung der dem Kläger aus dem Arbeitsverhältnis zur Beklagten zustehenden Ansprüche einschließlich jener, die aus der (nicht mehr strittigen) Umgehung der Eintrittsautomatik des § 3 Abs 1 AVRAG im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang im Jahr 2002/2003 resultieren, muss auf die - in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs weitestgehend geklärte - Frage der „Aufgriffsobliegenheit“ (zur Geltendmachung der Unwirksamkeit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses; vgl dazu schon 8 ObA 211/96 und 9 ObA 160/99s; Glosse von Gahleitner zu 8 ObA 211/96 in DRdA 1996/52) nicht mehr eingegangen werden.

4. Insgesamt hält die Beurteilung des Berufungsgerichts zur Bedeutung und zu den Konsequenzen der Vereinbarung vom 30. 3. 2009 der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof nicht stand. In Stattgebung der Revision war das angefochtene Urteil daher im Sinn einer Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts zu dem vom angefochtenen Teilurteil erfassten Begehren auf Kündigungsentschädigung einschließlich Urlaubsersatz abzuändern.

Im Hinblick auf das erstinstanzliche Verfahren und das Berufungsverfahren, die auch das noch nicht erledigte Abfertigungsbegehren betrafen, waren die Kosten gemäß § 52 ZPO iVm § 392 Abs 1 ZPO und § 2 ASGG der Endentscheidung vorzubehalten. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO iVm § 2 ASGG. Die Beklagte hat den ERV-Zuschlag überhöht verzeichnet, weil es sich bei der Revision um keinen verfahrenseinleitenden Schriftsatz iSd § 23a RATG handelt.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte