European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:008OBA00044.22M.0830.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Klägerin war bei der Beklagten als Amtsärztin beschäftigt. Am 17. 1. 2021 hielt die Klägerin in Oberwart bei einer Demonstration gegen die Corona‑Schutzimpfung und die Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie vor rund 250 Teilnehmern eine Rede, bei der sie folgende Behauptungen aufstellte:
„Es ist jetzt die Zeit aufzustehen. Es ist jetzt die Zeit Nein zu sagen. Und es ist jetzt die Zeit aus dieser elenden Pharmadiktatur auszutreten. (…) Wenn wir jetzt aufstehen – diese Pandemie ist beendet, wenn wir sie beenden. Jetzt. (…) Man hat uns glauben gemacht, dass wir statt eines gesunden Immunsystems nur mehr die Pharmaindustrie brauchen. (…) Man hat aus der Mimik der Menschen mumifizierte Gestalten gemacht. (…) Ich bin seit 23 Jahren Ärztin und ich mache hier nicht mit. (…) Niemand, niemand sagt uns, wie wir zu behandeln und zu therapieren sind. Ende der Pharma- und Ende der ganzen Lügenkonstrukte auf dieser Welt. (…) Seit elf Monaten erzählt man uns, dass wir alle einsperren müssen, zum Schutze der Alten, und man sei unsolidarisch, wenn man dies nicht machen würde. Und jetzt, meine Lieben, wie könnt ihr euch erklären, dass jetzt unsere Alten in den Heimen mit experimentellen Impfstoffen erledigt werden? (…) Wie viel Lüge wollt ihr uns noch aufbürden? Und das seit elf Monaten Gehirnwäsche. (…) Wir müssen aufstehen, wir müssen die Gehirnwäsche erkennen und dürfen uns nicht mehr von den Medien belügen lassen. (…) Unter dem Deckmantel der Gesundheit versucht man uns krank zu machen und mit Funkstrahlung zu versorgen, die seinesgleichen sucht. Wir machen nicht mit, wir glauben an euch nicht mehr.“
[2] Diese Rede wurde am 18. 1. 2021 im Internet auf der Plattform YouTube veröffentlicht. Kurz darauf erschien in der Burgenländischen Volkszeitung der erste Artikel über die Rede der Klägerin als Amtsärztin. In der Folge berichteten mehrere Medien vom Auftritt einer Amtsärztin bei der Anti‑Corona-Demonstration. Die Klägerin wurde am 21. 1. 2021 dienstfrei gestellt. Am 16. 2. 2021 löste die Beklagte das Dienstverhältnis aus wichtigem Grund vorzeitig auf.
[3] Die Vorinstanzen haben das Klagebegehren, mit dem die Klägerin die Feststellung der Unwirksamkeit der Entlassung, in eventu die Unwirksamkeitserklärung der Entlassung anstrebt, abgewiesen.
Rechtliche Beurteilung
[4] Die außerordentliche Revision der Klägerin ist mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
[5] 1. Ein wichtiger Grund, der den Dienstgeber zur vorzeitigen Auflösung des Dienstverhältnisses (Entlassung) berechtigt, liegt nach § 81 Abs 1 Z 2 Bgld LVBG vor, wenn der Vertragsbedienstete sich einer besonders schweren Verletzung der Dienstpflichten oder einer Handlung oder einer Unterlassung schuldig macht, die ihn des Vertrauens des Dienstgebers unwürdig erscheinen lässt. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fällt unter den Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit jede Handlung oder Unterlassung eines Arbeitnehmers, die ihn mit Rücksicht auf ihre Beschaffenheit und auf ihre Rückwirkung auf das Arbeitsverhältnis des dienstlichen Vertrauens seines Arbeitgebers unwürdig erscheinen lässt, weil dieser befürchten muss, dass der Arbeitnehmer seine Pflichten nicht mehr getreulich erfüllen werde, sodass die dienstlichen Interessen des Arbeitgebers gefährdet sind (RIS‑Justiz RS0029547; RS0060407).
[6] 2. Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, dass sie ihre Rede als Privatperson gehalten habe, ohne auf ihre berufsrechtliche Stellung als Amtsärztin hinzuweisen. Nach § 11 Abs 1 Bgld LVBG iVm § 45 Bgld LBDG sind Vertragsbedienstete nämlich verpflichtet, in ihrem gesamten Verhalten darauf Bedacht zu nehmen, dass das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung ihrer dienstlichen Aufgaben erhalten bleibt. Dementsprechend hat der Oberste Gerichtshof schon mehrfach darauf hingewiesen, dass der Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit sich auch aus einem außerdienstlichen Verhalten des Dienstnehmers ergeben kann (RS0029333; RS0029343).
[7] 3. Die Klägerin meint, dass sie in ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK verletzt sei, weil sie im Rahmen der politischen Debatte die Maßnahmen der Regierung im Zusammenhang mit der COVID‑19‑Pandemie kritisiert habe und ihre Behauptungen der Wahrheit entsprechen würden. Das Recht der freien Meinungsäußerung und auch der politischen Kritik ist nicht schrankenlos (RS0075554). Ob die von der Klägerin erhobenen Anschuldigungen vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sind oder die Grenzen zulässiger Kritik überschritten haben, muss aber nicht beantwortet werden.
[8] 4. Im vorliegenden Fall ergibt sich die Vertrauensunwürdigkeit der Klägerin schon daraus, dass sie in ihrer Rede angekündigt hat, sich den Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung der Pandemie zu widersetzen, obwohl sie als Amtsärztin nach § 41 Abs 1 ÄrzteG verpflichtet war, behördliche Aufgaben zu vollziehen. Angesichts ihrer öffentlichen Äußerungen „Ich bin seit 23 Jahren Ärztin und ich mache hier nicht mit“ und „Niemand, niemand sagt uns, wie wir zu behandeln und zu therapieren sind.“ war jedenfalls zu befürchten, dass die Klägerin ihren dienstlichen Pflichten im Zusammenhang mit der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie nicht nachkommen würde. Die Beurteilung der Vorinstanzen, wonach die dienstlichen Interessen der Beklagten eklatant gefährdet waren, ist deshalb nicht korrekturbedürftig.
[9] 5. Im Übrigen hängt die Frage, ob ein bestimmtes Verhalten geeignet ist, das Vertrauen des Dienstgebers soweit zu erschüttern, dass ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar ist, stets von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0029733; RS0103201; RS0108229). Die außerordentliche Revision der Klägerin war daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.
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