European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:008OBA00042.23V.0803.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Arbeitsrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.717,88 EUR (darin 452,98 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der Kläger war von 6. 6. 1995 bis 31. 10. 2012 bei der A* GmbH in der Abteilung Anwendungstechnik beschäftigt. Zu seinen Aufgaben gehörten die Entwicklung von Produkten und Anwendungstechniken, das Erstellen technischer Dokumentationen, die Überwachung von Produktzulassungen, die Durchführung von Präsentationen, die Betreuung von Großprojekten und die Abhaltung von technischen Schulungen. Ab 12. 11. 2012 war der Kläger aufgrund eines mit der Beklagten abgeschlossenen Sonderdienstvertrags als Berufsschullehrer für technisches Zeichnen, Kunststofftechnik, technische Laboratoriumsübungen und angewandte Mathematik tätig. Mit 1. 10. 2016 wurde der Kläger in ein unbefristetes Dienstverhältnis als Vertragslehrer übernommen.
[2] Am 10. 10. 2016 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass ihm auf sein Besoldungsdienstalter als Vordienstzeiten der Zivildienst, die Vortätigkeit bei der A* GmbH im Ausmaß von zehn Jahren sowie die Zeit als Sonderdienstvertragslehrer angerechnet würden. Am 19. 8. 2019 beantragte der Kläger unter anderem die Anrechnung seiner zehn Jahre übersteigenden Tätigkeit bei der A* GmbH samt Bezugsnachzahlung, was mit Schreiben des Bildungsministeriums vom 7. 12. 2021 abgelehnt wurde.
[3] Der Kläger begehrt die Feststellung, dass seine gesamte Vordienstzeit bei der A* GmbH anzurechnen sei, sowie eine sich daraus ergebende Nachzahlung von 40.357,19 EUR sA.
[4] Die beklagte Partei wendete ein, dass die zehn Jahre übersteigende Berufserfahrung des Klägers keine wesentliche Erhöhung des Arbeitserfolgs als Berufsschullehrer zur Folge gehabt habe.
[5] Das Erstgericht wies die Klage ab. Da der Kläger im Zeitpunkt der Überführung in ein unbefristetes Dienstverhältnis bereits mehrere Jahre als Sondervertragslehrer tätig gewesen sei, habe seine nicht angerechnete Vortätigkeit bei der A* GmbH zu keinem höheren Verwendungserfolg geführt.
[6] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Nach § 26 Abs 3 VBG idgF seien nützliche Vordienstzeiten nur im Ausmaß von höchstens zehn Jahren anzurechnen, wobei diese neu eingeführte Höchstgrenze nach § 100 Abs 94 Z 8 VBG auch für Vertragsbedienstete gelte, deren Vordienstzeiten erneut festzustellen sind, wie dies beim Kläger aufgrund seines Antrags vom 19. 8. 2019 der Fall sei. Selbst wenn man von einer unbeschränkten Anrechenbarkeit von Vordienstzeiten nach § 26 Abs 3 VBG idF der 2. Dienstrechts-Novelle 2019 ausgehen und hinsichtlich der Erhöhung des Verwendungserfolgs auf den Beginn seiner Tätigkeit als Sondervertragslehrer abstellen würde, habe der Kläger doch nicht hinreichend dargelegt, aus welchen Gründen seine zehn Jahre übersteigende Berufserfahrung zu einer weiteren Erhöhung des Arbeitserfolgs geführt hätte, sodass eine Anrechnung dieser Zeiten auch deshalb nicht in Betracht komme.
[7] Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Auslegung der Übergangsbestimmung des § 100 Abs 94 Z 8 VBG fehle und der Frage, ob für die Geltendmachung von anzurechnenden Vordienstzeiten der allgemeine Hinweis auf die Dauer der Beschäftigung und die damit gewonnene Erfahrung und Routine hinreiche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.
[8] Dagegen richtet sich die Revision des Klägers, mit der er die Abänderung der Entscheidung im klagsstattgebenden Sinn beantragt.
[9] Die beklagte Partei beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
[10] Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
[11] 1. Bis zur 2. Dienstrechts-Novelle 2019 (BGBl I Nr 2019/58) waren Zeiten einer „einschlägigen“ Berufstätigkeit nach § 26 Abs 3 VBG im Ausmaß von höchstens zehn Jahren als Vordienstzeiten anrechenbar, sodass die Vortätigkeit des Klägers bei der A* GmbH vorerst nur im Ausmaß von zehn Jahren angerechnet werden konnte, wie ihm das am 10. 10. 2016 auch mitgeteilt worden war.
[12] 2. Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 8. 5. 2019, Rechtssache C‑24/17 , Österreichischer Gewerkschaftsbund/Republik Österreich (ECLI:EU:C:2019:373), festgestellt, dass eine zeitliche Beschränkung der Anrechnung von einschlägigen Vordienstzeiten aus der Privatwirtschaft nicht mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art 45 AEUV und Art 7 Abs 1 der Verordnung (EU) Nr 492/2011 vereinbar ist. Der österreichische Gesetzgeber hat dies zum Anlass genommen, § 26 Abs 3 VBG mit der 2. Dienstrechts-Novelle 2019 (BGBl I Nr 2019/58) dahin abzuändern, dass die Höchstgrenze von zehn Jahren bei der Anrechnung entfallen ist, sodass einschlägige Vordienstzeiten auch über diese Grenze hinaus anrechenbar waren (AB 675 BlgNR 26. GP 4). Darüber hinaus wurde Vertragsbediensteten, bei denen Vordienstzeiten wegen der Höchstgrenze von zehn Jahren nicht angerechnet worden waren, mit § 94d Abs 3 VBG die Möglichkeit eingeräumt, die nachträgliche Anrechnung dieser Zeiten zu beantragen, wie dies auch der Kläger am 19. 8. 2019 im Hinblick auf seine zehn Jahre übersteigenden Vordienstzeiten bei der A* GmbH getan hat.
[13] 3. Später hat der Europäische Gerichtshof seine Rechtsprechung mit den Urteilen vom 10. 10. 2019, Rechtssache C‑703/17 , Adelheid Krah/Universität Wien (ECLI:EU:C:2019:850), und 23. 4. 2020, Rechtssache C‑710/18 , WN/Niedersachsen (ECLI:EU:C:2020:299), dahin präzisiert, dass nur die Anrechnung identischer bzw gleichwertiger Vorerfahrungen zur Sicherstellung der Arbeitnehmerfreizügigkeit unionsrechtlich geboten ist, während dies bei schlicht nützlicher Vorerfahrung nicht der Fall ist. Der österreichische Gesetzgeber hat daraufhin die Höchstgrenze der Anrechnung von zehn Jahren mit der Dienstrechts‑Novelle 2020 (BGBl I Nr 153/2020) wiedereingeführt, sodass Zeiten einer „nützlichen Berufstätigkeit“ nach § 26 Abs 3 VBG idgF nur mehr im Ausmaß von höchstens zehn Jahren anrechenbar sind (ErläutRV 461 BlgNR 27. GP 10). Nach § 100 Abs 94 Z 8 VBG trat diese Vorschrift mit 1. 1. 2021 in Kraft und war auf Vertragsbedienstete anzuwenden, deren Dienstverhältnis nach dem 31. 12. 2020 begründet wurde, sodass der Kläger davon nicht betroffen war.
[14] 4. Die Übergangsbestimmung in § 100 Abs 94 Z 8 VBG wurde allerdings mit BGBl I Nr 137/2022 novelliert, sodass § 26 Abs 3 VBG idgF nunmehr mit 1. 1. 2021 in Kraft tritt und auf Vertragsbedienstete anzuwenden ist, die nicht nach § 94a Abs 1 VBG übergeleitet wurden, wie dies auf den Kläger zutrifft, und „deren anrechenbare Vordienstzeiten erstmalig oder erneut festzustellen sind“. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, dass der Gesetzgeber damals davon ausging, dass die „Altfälle“ zwischenzeitlich einer Erledigung zugeführt worden seien, was – wie der gegenständliche Fall zeigt – aber offenbar nicht zutrifft (StenProtNR 27. GP 169. Sitzung 60). Der Kläger macht mit Recht geltend, dass es für seinen Anspruch auf Anrechnung von Vordienstzeiten nicht darauf ankommen kann, ob über seinen bereits am 19. 8. 2019 gestellten Antrag schon entschieden wurde oder nicht.
[15] 5. Der Gesetzgeber kann bei Erlassung eines neuen Gesetzes die Rückwirkung ausdrücklich anordnen, doch muss sich diese aus dem Gesetz selbst ergeben (RIS‑Justiz RS0008694; RS0008713). Hat der Gesetzgeber keine Rückwirkung angeordnet, hat die Neuregelung nach § 5 ABGB auf die vor Inkrafttreten des Gesetzes erworbenen Rechte keinen Einfluss (RS0015520). Da der Gesetzgeber im vorliegenden Fall gerade keine Rückwirkung angeordnet hat, ist die Übergangsbestimmung des § 100 Abs 94 Z 8 VBG dahin auszulegen, dass die geltende Fassung des § 26 Abs 3 VBG nicht auf solche Dienstverhältnisse anzuwenden ist, bei denen die Feststellung der anrechenbaren Vordienstzeiten bereits vor Inkrafttreten der Neufassung am 1. 1. 2021 erfolgen hätte müssen. Entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts hat der Kläger damit Anspruch auf Anrechnung seiner einschlägigen Vordienstzeiten, auch wenn diese das Höchstmaß von zehn Jahren überschreiten.
[16] Damit ist für den Kläger aber nichts gewonnen.
[17] 6. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs können Vordienstzeiten auch nur zum Teil einschlägig sein, wenn der erheblich höhere Arbeitserfolg auch bei einer kürzeren Vorverwendung eingetreten wäre (RS0059620 [T4]). Ob durch eine Berufstätigkeit eine fachliche Erfahrung vermittelt wird, durch die ein erheblich höherer Arbeitserfolg zu erwarten ist, hängt aber stets von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab, deren Beurteilung in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage begründet (RS0059620, RS0082096 [T2, T6]).
[18] 7. Nach Ansicht des Berufungsgerichts waren die zehn Jahre übersteigenden Vordienstzeiten des Klägers bei der A* GmbH auch deshalb nicht anzurechnen, weil der Kläger nicht hinreichend dargelegt habe, dass seine zehn Jahre übersteigende Berufserfahrung zu einer weiteren Erhöhung des Arbeitserfolgs als Berufsschullehrer geführt hätte. Soweit der Kläger auf das Vorbringen in der von ihm erstellten Beilage ./L verweist, ist ihm entgegenzuhalten, dass das Berufungsgericht den Inhalt dieser Beilage ohnehin berücksichtigt hat. Das Berufungsgericht hat dabei seinen Beurteilungsspielraum nicht überschritten (vgl auch RS0042828).
[19] 8. Wird die Entscheidung der zweiten Instanz auf eine das Ergebnis selbständig tragende Hilfsbegründung gestützt, muss auch diese im außerordentlichen Rechtsmittel bekämpft werden (RS0118709). Ist die Hilfsbegründung im Rahmen des Beurteilungsspielraums zutreffend gelöst, so ist die mit der Hauptbegründung verbundene erhebliche Rechtsfrage nicht präjudiziell (vgl im Übrigen Lovrek in Fasching/Konecny 3 § 502 ZPO Rz 119 f). Da der Auslegung der Übergangsbestimmung des § 100 Abs 94 Z 8 VBG im Urteil des Berufungsgerichts hier somit im Ergebnis keine entscheidungswesentliche Bedeutung zukam, war die Revision des Klägers zurückzuweisen.
[20] 9. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die beklagte Partei hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen und damit Anspruch auf Kostenersatz. Eine Pauschalgebühr, wie sie von der beklagten Partei verzeichnet wurde, ist nicht angefallen.
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