Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 556,99 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 92,83 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war vom 20. 11. 2007 bis 31. 12. 2008 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, und - infolge eines Betriebsübergangs - vom 1. 1. 2009 bis 8. 1. 2010 bei der Beklagten als Abwäscher beschäftigt. Er arbeitete vom 20. 11. 2007 bis 31. 7. 2009 von 19:00 Uhr bis 7:00 Uhr und ab 1. 8. 2009 von 17:00 Uhr bis 3:00 Uhr früh, und zwar immer an drei aufeinander folgenden Tagen. Anschließend hatte er drei Tage frei. Die Beklagte betreibt einen Casinobetrieb mit eigenem Gastronomiebereich, der durchgehend zwischen 00:00 Uhr und 24:00 Uhr geöffnet ist.
Auf das Arbeitsverhältnis der Streitteile ist der Kollektivvertrag für Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe anzuwenden, dessen Punkt 9, der im Wesentlichen nahezu unverändert seit 1. 9. 1974 in Kraft steht, wie folgt lautet:
„9. Nachtarbeitszuschlag
Auf einen Nachtarbeitszuschlag haben Anspruch:
a) in Beherbergungsbetrieben: Dienstnehmer, die laut Arbeitszeiteinteilung in der Nacht beschäftigt sind.
b) in Gastronomiebetrieben: Dienstnehmer in Nachtbetrieben.
Der Nachtarbeitszuschlag gilt in beiden Kategorien für Dienstnehmer, die überwiegend in der Zeit zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr beschäftigt sind. Die Höhe dieses Zuschlags wird in den Lohnabkommen festgelegt. Der Nachtarbeitszuschlag darf nicht den Umsatzprozenten entnommen werden.“
Mit seiner Klage begehrt der Kläger gestützt auf Pkt 9 des Kollektivvertrags die Zahlung eines Nachtarbeitszuschlags in Höhe von 19 EUR pro gearbeiteter Nacht zwischen November 2007 und April 2009 und 20 EUR pro gearbeiteter Nacht ab 1. 5. 2009. Das ursprüngliche Klagebegehren von 5.689 EUR brutto schränkte der Kläger unter genauer - und von der Beklagten nicht substantiiert bestrittener - Angabe der Zahl jener Tage, an denen er von 19:00 Uhr bis 7:00 Uhr gearbeitet hatte, auf 5.670 EUR brutto ein.
Die Beklagte hielt dem Klagebegehren im Wesentlichen entgegen, dass der organisatorische und wirtschaftliche Schwerpunkt ihres Betriebs am Tag liege, weshalb sie keinen Nachtbetrieb iSd Kollektivvertrags führe.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren in Höhe von (offenbar irrtümlich) 5.689 EUR samt Zinsen statt. Es führte aus, dass der Kollektivvertrag zwischen Beherbergungsbetrieben (Pkt 9a) und Gastronomiebetrieben (Pkt 9b) unterscheide. Eine eigene Definition des Nachtbetriebs enthalte der Kollektivvertrag nicht. Es sei jedoch sinnvoll, den Nachtarbeitszuschlag jenen Dienstnehmern zuzuerkennen, die tatsächlich in der Nacht beschäftigt seien. Bei Gastronomiebetrieben gingen die Kollektivvertragsparteien offenbar davon aus, dass diese grundsätzlich nicht 24 Stunden geöffnet wären. Der von der Beklagten geführte Betrieb sei ein Sonderfall: Einerseits sei er kein Beherbergungsbetrieb, andererseits sei er, was offenbar auf den Casinobetrieb zurückzuführen sei, rund um die Uhr geöffnet. Damit liege dieselbe Interessenlage wie bei Beherbergungsbetrieben vor, die ebenfalls rund um die Uhr geöffnet seien, sodass dem Kläger, der unzweifelhaft überwiegend zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr beschäftigt gewesen sei, der begehrte Zuschlag zuzuerkennen sei.
Das Berufungsgericht änderte über Berufung der Beklagten dieses Urteil unter ausdrücklicher Beachtung des tatsächlich nach Einschränkung noch aufrechten Klagebegehrens im klageabweisenden Sinn ab. Kollektivverträge seien wie Gesetze nach ihrem objektiven Inhalt auszulegen. Ausgangspunkt sei daher der Wortsinn des Kollektivvertrags im Zusammenhang mit seinen übrigen Regelungen. Die Auslegung eines Kollektivvertrags habe nach der sich aus ihm ergebenden Absicht der Kollektivvertragsparteien zu erfolgen, wobei zu unterstellen sei, dass diese eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung schaffen wollten. Es sei nicht Aufgabe der Rechtsprechung, allenfalls als unbefriedigend empfundene Kollektivvertragsbestimmungen in einem als befriedigend empfundenen Sinn zu interpretieren. Auch gelte allgemein, dass Rechtsvorschriften nicht ohne ersichtlichen Grund so ausgelegt werden dürfen, dass sie sich als überflüssig oder inhaltsleer erweisen.
Das Bundeseinigungsamt habe in einem - nicht bindenden - Gutachten gemäß § 158 Abs 1 Z 2 ArbVG dargelegt, dass ein Gastronomiebetrieb dann als Nachtbetrieb iSd Pkt 9 lit b des Kollektivvertrags zu gelten habe, wenn die Öffnungszeiten dieses Betriebs überwiegend in die Zeit zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr (Nachtzeit) fielen. Die seit 1. 9. 1974 im Wesentlichen unverändert geltende Regelung sei 1974 so ausgelegt worden, dass unter den Begriff des Nachtbetriebs entsprechend den Regelungen der damaligen Gewerbeordnung nur die Bar verstanden worden sei. Diese Auslegung finde sich seit mehr als zehn Jahren in den kommentierten Ausgaben des Kollektivvertrags, eine Änderung sei - ungeachtet der im Vergleich zur Gewerbeordnung 1973 wesentlich geänderten Öffnungszeiten für Gastronomiebetriebe - auch im Zuge von Neuabschlüssen des Kollektivvertrags nicht erfolgt. Ein Nachtbetrieb übe seine Tätigkeit schwerpunktmäßig sowohl organisatorisch als auch wirtschaftlich in der Nachtzeit aus, andernfalls hätte die Beifügung des Wortes „Nacht“ im zusammengesetzten Hauptwort keinen Sinn. Betriebe, deren Tätigkeit schwerpunktmäßig in den „Tagesbereich“ falle, könnten daher nicht als Nachtbetriebe bezeichnet werden. Pkt 9 des Kollektivvertrags unterscheide Beherbergungs- von Gastronomiebetrieben, in beiden Fällen müsse die Tätigkeit des Arbeitnehmers überwiegend in der Zeit zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr ausgeübt werden. Bei Gastronomiebetrieben komme jedoch als zusätzliche Anspruchsvoraussetzung dazu, dass es sich dabei um einen Nachtbetrieb handeln müsse. In Abgrenzung zu Betrieben, die auch in der Nacht tätig seien, müsse ein Nachtbetrieb schwerpunktmäßig in der Nacht tätig sein, weil sonst dieses zusätzliche Tatbestandselement keinen Sinn ergebe. Gastronomiebetriebe, die während des Tages und der Nacht geöffnet hätten, fielen daher aus der Bestimmung des Pkt 9 lit b des Kollektivvertrags heraus. Das Heranziehen von Öffnungszeiten für die Definition eines Nachtbetriebs im Gastronomiebereich sei naheliegend und entspreche der Annahme, dass die Kollektivvertragsparteien eine praktisch durchführbare Regelung anstrebten. Dagegen sei nicht auf die Frage abzustellen, zu welcher Tages- oder Nachtzeit der maßgebliche Umsatz erwirtschaftet werde. Dies sei von der Berechnung her kompliziert und könne im zeitlichen Verlauf zu schwankenden Ergebnissen führen. Schließlich sei naheliegend, für den Begriff der Nachtzeit auf die Zeit zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr abzustellen, weil dies dem weiteren Inhalt der kollektivvertraglichen Regelung über den überwiegenden Einsatz eines Arbeitnehmers in der Nachtzeit ebenso entspreche wie dem in der gewerberechtlichen Praxis verwendeten Gebrauch des Begriffs der Nachtzeit. Stellte man hingegen allein auf die konkrete Beschäftigungszeit eines Arbeitnehmers in einem Gastronomiebetrieb ab, erwiese sich das weitere Tatbestandsmerkmal des Vorliegens eines Nachtbetriebs als überflüssig oder inhaltslos.
Das Berufungsgericht schloss sich diesen Überlegungen an und folgerte daraus, dass es sich beim Betrieb des Beklagten um keinen „Nachtbetrieb“ im Sinne des Kollektivvertrags handle und das Klagebegehren daher nicht berechtigt sei.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil der Auslegung einer Kollektivvertragsbestimmung eine über den Einzelfall hinausgehende erhebliche Bedeutung zukomme.
Gegen dieses Urteil richtet sich die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers.
Die Revision ist zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Ausgehend von der von ihm richtig wiedergegebenen Rechtsprechung zur Auslegung von Kollektivverträgen hat das Berufungsgericht mit ausführlicher rechtlicher Begründung zutreffend ausgeführt, dass es sich beim Betrieb der Beklagten nicht um einen „Nachtbetrieb“ im Sinne des Pkt 9 lit b des Kollektivvertrags handelt. Auf seine Ausführungen kann daher gemäß § 510 Abs 3 ZPO verwiesen werden.
Ergänzend ist dem Revisionswerber entgegenzuhalten:
2. Dass der Kollektivvertrag den Begriff des „Nachtbetriebs“ nicht definiert, ändert nichts daran, dass die Auslegung dieses Begriffs in Pkt 9 lit b des Kollektivvertrags nicht ohne gewichtigen Grund derart erfolgen darf, dass sich dieser Begriff als überflüssig oder inhaltslos erweist (RIS-Justiz RS0008773). Würde man aber jeden Betrieb wie jenen der Beklagten, der auch in der Nacht bzw sogar rund um die Uhr geöffnet hält, als „Nachtbetrieb“ im Sinne dieser Bestimmung ansehen und lediglich auf die konkrete Arbeitszeit eines Arbeitnehmers in der Nacht zur Beurteilung seines Anspruchs auf Nachtarbeitszuschlag abstellen, hätte dies zur Folge, dass das Kriterium des Vorliegens eines „Nachtbetriebs“ und überdies die Unterscheidung zwischen Beherbergungs- und Gastronomiebetrieben überflüssig wäre. Darüber hinaus ergibt sich schon aus Pkt 9 lit a des Kollektivvertrags, dass die Kollektivvertragsparteien schon 1974 durchaus an die Möglichkeit eines rund um die Uhr geöffneten Betriebs gedacht haben. § 198 Abs 1 GewO 1973 sah auch für Gastronomiebetriebe die Möglichkeit vor, erforderlichenfalls von der Festlegung einer Sperrzeit abzusehen (nunmehr § 113 Abs 1 GewO 1994, so zB auf Autobahnraststätten, Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO § 113 Rz 4). Schon daraus ergibt sich, dass die Kollektivvertragsparteien mit dem Begriff des „Nachtbetriebs“ iSd Pkt 9 lit b des Kollektivvertrags nicht einen durchgehend geöffneten Gastronomiebetrieb verstanden haben.
3.1 Der Revisionswerber hält der vom Berufungsgericht vorgenommenen Auslegung vor allem entgegen, dass sie zu einem gleichheitswidrigen Ergebnis führe. So gebühre einem Nachtkellner in einer - durchgehend geöffneten - Autobahnraststätte kein Nachtarbeitszuschlag, während ein solcher in einem - lediglich zwischen 20:00 Uhr und 6:00 Uhr geöffneten - Bordell diesen erhalte. Den Kollektivvertragsparteien steht es jedoch frei, das Entstehen eines Anspruchs, der nicht schon auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, an bestimmte Bedingungen zu knüpfen (RIS-Justiz RS0048332). Sie sind dabei an die über § 879 ABGB mittelbar auf die Gestaltungsbefugnisse der Kollektivvertragsparteien im Rahmen des normativen Teils des Kollektivvertrags einwirkenden Grundrechte gebunden (vgl RIS-Justiz RS0038552 mzwN; 8 ObA 19/06m mwN). Der vom Revisionswerber angesprochene Gleichheitsgrundsatz verbietet sachlich nicht begründbare Regelungen, also willkürliche Differenzierungen, lässt aber unterschiedliche Regelungen dort zu, wo sie durch entsprechende Unterschiede im Tatsächlichen sachlich gerechtfertigt sind (RIS-Justiz RS0053889). Dabei ist auch auf die allgemeinen Rahmenbedingungen bei Prüfung nach dem Gleichheitsgrundsatz zu verweisen, wonach den Kollektivvertragsparteien ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum sowohl hinsichtlich der angestrebten Ziele als auch der zur Zielerreichung eingesetzten Mittel zusteht (8 ObA 19/06m mwH).
3.2 Nun liegt es auf der Hand, dass ein überwiegend (nur) in den Nachtstunden geöffneter Gastronomiebetrieb (wie etwa eine „Nachtbar“) unter ganz anderen organisatorischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen geführt wird, als ein rund um die Uhr geöffneter Gastronomiebetrieb. So muss beispielsweise ein durchgehend geöffneter Gastronomiebetrieb ganz andere arbeitsorganisatorische Maßnahmen treffen als ein bloß in den Nachtstunden geöffneter Gastronomiebetrieb, um etwa eine Verletzung arbeitszeitrechtlicher oder urlaubsrechtlicher Bestimmungen zu vermeiden (insbesondere durch Aufnahme einer ausreichenden Anzahl an Arbeitnehmern). Schon vor diesem Hintergrund bedeutet es keine willkürliche Ungleichbehandlung, wenn die Kollektivvertragsparteien mit Pkt 9 lit b des Kollektivvertrags offensichtlich das Regelungsziel verfolgen, jene Arbeitgeber, die einen Gastronomiebetrieb als Nachtbetrieb führen zur Zahlung eines Nachtarbeitszuschlags zu verpflichten, nicht aber jene, die einen Gastronomiebetrieb bloß auch in den Nachtstunden geöffnet halten.
4. Entgegen den Ausführungen in der Revision ist daher nicht von einer Regelungslücke in Pkt 9 des Kollektivvertrags auszugehen, die im Weg der Analogie zu schließen wäre. Auf die Frage, ob der Betrieb der Beklagten im konkreten Fall als Mischbetrieb anzusehen sei, kommt es hier darüber hinaus auch deshalb nicht an, weil die Anwendbarkeit des Kollektivvertrags für Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe vom Kläger gar nicht bestritten wird.
5. Die Revision erweist sich daher als nicht berechtigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.
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