European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E127961
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte und widerklagende Partei ist schuldig, den klagenden und widerbeklagten Parteien die mit 1.119,44 EUR (darin enthalten 186,57 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Die Klägerinnen und Widerbeklagten (idF: Klägerinnen) sind Eigentümer des Grundstücks 115/11, welches östlich an das dem Beklagten und Widerkläger (idF: Kläger) gehörende Grundstück 130/2 angrenzt. Zwischen den Parteien besteht Streit, ob der Beklagte am Grundstück der Klägerinnen eine Wegeservitut zwecks einfacherer Bewirtschaftung seines Grundstücks, auf dem in den letzten Jahrzehnten vor allem Ribisel angebaut worden sind, hat.
Das Erstgericht stellte im zweiten Rechtsgang fest, dass der Großvater und Rechtsvorgänger der Klägerinnen, als er Ende der 1970er- oder Anfang der 1980er Jahre den streitgegenständlichen Wiesenweg über sein Grundstück anlegte, um dieses besser bewirtschaften zu können, zum Großvater und Rechtsvorgänger des Beklagten sagte: „Sepp, da kannst du immer fahren.“ Es konnte nicht festgestellt werden, dass bis zum Ableben des Großvaters des Beklagten im Jahr 1989 der Beklagte oder andere Mitglieder seiner Familie mit dem Traktor auf dem Weg fuhren.
Das Erstgericht gabhiervon ausgehend der Unterlassungsklage der Klägerinnen statt und wies die auf Beseitigung von bestimmten der Benutzung des Weges entgegenstehenden, ab dem Jahr 2017 errichteten Hindernissen (nämlich eines Erdhaufens und eines Zaunes), auf Feststellung der Dienstbarkeit und auf Einwilligung in deren grundbücherliche Einverleibung sowie auf Unterlassung von Störungshandlungen gerichtete Widerklage des Beklagten ab. Frühestens 1989 habe eine Ersitzung der behaupteten Dienstbarkeit beginnen können, weshalb bei Einbringung der Unterlassungsklage der Klägerinnen im Jahr 2017 die 30‑jährige Ersitzungsfrist noch nicht abgelaufen gewesen sei.
Das Berufungsgericht bestätigte mit der angefochtenen Entscheidung dieses Urteil. Die hervorgekommene Personalservitut sei ersitzungsfeindlich. Diesbezüglich gelte nämlich der Grundsatz, dass alle Rechte an Sachen, an denen dem Berechtigten die Gewahrsame rechtsgeschäftlich überlassen wurde, nicht ersessen werden könnten, weil es an der erforderlichen Redlichkeit des Besitzes fehle, sofern dem Nutzer – wie dies in der Regel der Fall sei – der Umstand der bloß obligatorischen Gebrauchsüberlassung bekannt sei bzw bei ausreichender Sorgfalt bekannt sein müsse (RIS‑Justiz RS0034095). Zufolge dem Urteilssachverhalt sei davon auszugehen, dass die Befugniseinräumung nur für den Großvater des Beklagten persönlich gegolten habe und dass dies von Anfang an klargestellt gewesen sei.
Die ordentliche Revision wurde zugelassen, „weil den zu RIS‑Justiz RS0034095 veröffentlichten Entscheidungen nicht zweifelsfrei entnommen werden kann, ob der betreffende Rechtssatz auch bei der rechtsgeschäftlichen Einräumung einer Personalservitut (§ 479 [gemeint] ABGB) in Bezug auf die Ersitzung einer Realservitut zu gelten“ hat.
Der Beklagte beantragt mit seiner Revision, die Klage abzuweisen und der Widerklage stattzugeben.
Die Klägerinnen beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist, ungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Zulassungsausspruchs des Berufungsgerichts in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen iSv § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
I.1. Sachen, an denen dem Berechtigten die Gewahrsame rechtsgeschäftlich (auch jederzeit widerruflich: 6 Ob 18/18t [Pkt 5]) überlassen wurde, können grundsätzlich nicht ersessen werden (RIS‑Justiz RS0034095), auch wenn derjenige, der die Ersitzung anstrebt, zwischendurch einen eigenen Besitzwillen gefasst hat (RS0034095 [T11]). Dies gilt insbesondere auch für Dienstbarkeiten (RS0034095 [T9]).
1.2. Der – sinngemäß auch für Dienstbarkeiten geltende – Grundsatz, dass rechtsgeschäftlich in die Gewahrsame des Berechtigten überlassene Sachen grundsätzlich nicht ersessen werden können, ergibt sich zum einen daraus, dass es in einem solchen Fall zumindest in der Regel an der auch für eine lange Ersitzung nach § 1477 ABGB notwendigen (RS0010185; Meissel in KBB5 § 1477 Rz 1) Redlichkeit fehlt (vgl RS0034095 [T4, T5, T6, T8, T10]). Der Umstand der bloß obligatorischen Gebrauchsüberlassung ist dem Nutzer im Normalfall nämlich bekannt und wenn nicht, muss er ihm für gewöhnlich bekannt sein (vgl RS0034095 [T14]).
1.3. Der Grundsatz ergibt sich zum anderen daraus, dass nach § 319 ABGB der Inhaber einer Sache nicht berechtigt ist, den Grund seiner Gewahrsame eigenmächtig zu „verwechseln“ (Gusenleitner-Helm in Fenyves/Kerschner/ Vonkilch, Klang3 §§ 1461 f ABGB Rz 17). So wurde in 1 Ob 208/58 = RZ 1958, 122 festgehalten, dass bei einer sich aus einem Pachtvertrag ergebenden Befugnis, über die Grundstücke des Vertragspartners zu fahren, der Pächter „die bloße Innehabung der Pachtgrundstücke mit Einschluss des Fahrrechtes nicht in einen der Ersitzung einer Servitut dienenden Besitz unwandeln [darf]“. Auch ist zu beachten, dass nach der Rechtsprechung eine vertragliche Gebrauchsüberlassung sogar dazu führt, dass der bereits begonnene Fristenlauf einer Ersitzung unterbrochen wird, wenn dem Ersitzenden die Sache vertraglich zum Gebrauch überlassen wird (RS0034095 [T7]). Grund dafür ist, dass der Ersitzungsgegner den Ersitzungsbesitz vor dem Zeitablauf jederzeit unterbinden kann (andernfalls es zum Rechtserwerb keiner Ersitzung bedürfte), wogegen dem Vertragspartner bei vertraglich gedeckter Rechtsausübung eine solche Möglichkeit verwehrt ist und er die Ersitzung, wollte man der Ansicht folgen, dass die Ersitzungszeit ungeachtet der vertraglichen Gebrauchsüberlassung weiterliefe, unter Umständen gar nicht verhindern könnte (6 Ob 604/86).
1.4. Aus der dargelegten Rechtsprechung folgt zwingend, dass der Grundsatz, dass Sachen, an denen dem Berechtigten die Gewahrsame rechtsgeschäftlich überlassen wurde, nicht ersessen werden können, auch bei der rechtsgeschäftlichen Einräumung einer Personalservitut (§ 479 ABGB) in Bezug auf die Ersitzung einer Realservitut gilt. Der vom Berufungsgericht für die Zulassung der Revision geäußerte Zweifel besteht daher nicht.
II.1. Nach dem im zweiten Rechtsgang festgestellten Sachverhalt sagte der Großvater und Rechtsvorgänger der Klägerinnen zum Großvater und Rechtsvorgänger des Beklagten: „Sepp, da kannst du immer fahren.“ Selbst wenn dieser Aussage die Frage vorangegangen sein sollte, ob der Großvater des Beklagten und seine Ehegattin mit dem Traktor zur Ernte der Ribisel über den Wiesenweg auf dem Grundstück 115/11 zum Grundstück 130/2 zufahren dürften, würde sich nichts daran ändern, dass der Großvater der Klägerinnen seine Erlaubnis dem Wortlaut nach nur dem Großvater des Beklagten gab. Dies ist auch naheliegend, weil die beiden Großväter nach den Feststellungen Schulfreunde waren. Es steht zudem nicht fest, dass bis zum Ableben des Großvaters des Beklagten ein anderes Mitglied seiner Familie den Weg mit dem Traktor befuhr. Die Annahme einer auf den Großvater des Beklagten beschränkten Personalservitut ist jedenfalls vertretbar.
II.2. Wenn der Beklagte darauf hinweist, dass um die Erlaubnis zum Fahren mit dem Traktor „zur Ernte der Ribisel“ angefragt worden sei, so spricht dies entgegen der Revision nicht für eine Grunddienstbarkeit. Auch eine persönliche Wegedienstbarkeit kann auf bestimmte Benützungsgründe – hier zum Zweck der Ribiselernte – sachlich beschränkt sein. Ob ein Rechtsgeschäft im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, stellt im Übrigen nur dann eine erhebliche Rechtsfrage dar, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (RS0042936); dies ist hier nicht der Fall.
III. Der Beklagte vertritt letztlich die Ansicht, dass selbst unter Annahme der Vereinbarung bloß einer Personalservitut die Ersitzung einer Realservitut bereits in den 1980er Jahren begonnen habe, weil sein Großvater davon ausgehen habe können, den Wiesenweg in Ausübung einer ihm zustehenden Realservitut zu benützen. Richtig ist, dass in jüngeren Entscheidungen der Rechtssatz, dass rechtsgeschäftlich überlassene Sachen nicht ersessen werden können, insoweit präzisiert wurde, als es an der für die Ersitzung erforderlichen Redlichkeit regelmäßig nur dann fehlt, wenn dem Nutzer der Umstand der bloß obligatorischen Gebrauchsüberlassung bekannt ist oder bei ausreichender Sorgfalt bekannt sein muss (RS0034095 [T14]). Dies ändert – wie bereits in 1 Ob 49/18i = ecolex 2018/341 (Th. Rabl) festgehalten – aber nichts daran, dass bei Inanspruchnahme eines Rechts an einer fremden Sache für den Ersitzungsgegner erkennbar sein muss, dass das ausgeübte Recht über die ohnehin eingeräumte Gebrauchsüberlassung hinausgeht und daher eine Ersitzung auch ausgeschlossen ist, wenn sich das ausgeübte Gebrauchsrecht innerhalb der Grenzen dessen bewegt, was dem Einzelnen ohnehin bereits gestattet ist oder jedermann zusteht. Es ist nicht ersichtlich, dass der Großvater des Beklagten den Weg über jenes Ausmaß hinaus (und zudem redlich) benützt hat, welches ihm bereits aufgrund seiner Personalservitut gestattet war. Die Frage der Redlichkeit des Großvaters des Beklagten ist damit im Übrigen nicht entscheidungsrelevant.
IV. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerinnen haben auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Ihre Revisionsbeantwortung diente daher der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung (RS0035962).
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