OGH 8Ob121/23m

OGH8Ob121/23m26.6.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat MMag. Matzka als Vorsitzenden sowie die Senatspräsidentin Dr. Tarmann‑Prentner und die Hofräte Dr. Stefula, Dr. Thunhart und Mag. Dr. Sengstschmid als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Mag. E* N*, 2. E* H*, 3. KR B* H*, alle vertreten durch Mag. Christian Grasl, Rechtsanwalt in Wien, gegen diebeklagte Partei L* Aktiengesellschaft, *, vertreten durch Singer & Kessler Rechtsanwälte OG in Wien, wegen (Revisionsinteresse) 8.698,92 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wienals Berufungsgericht vom 21. September 2023, GZ 39 R 102/23y‑30, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0080OB00121.23M.0626.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] 1. Im vorliegenden Verfahren begehren die Kläger als Bestandgeber von der beklagten Geschäftsraummieterin die Zahlung offenen Mietzinses sowie Räumung. Das Erstgericht entschied mit Teilurteil über das Zahlungsbegehren. Das Berufungsgericht gab der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung der Beklagten teilweise Folge und erklärte die ordentliche Revision mangels entscheidungswesentlicher erheblicher Rechtsfragen für nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[2] Die außerordentliche Revision der Beklagten ist ungeachtet des vom Rechtsmittelverfahren umfassten Streitwerts von unter 30.000 EUR zwar nicht jedenfalls unzulässig, weil im gleichen Verfahren auch noch über das Räumungsbegehren zu erkennen sein wird (RS0115742; RS0042922 [T7]). Die außerordentliche Revision ist aber mangels Erfüllung der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

[3] 2. Nach der ständigen Rechtsprechung sind Umsatzeinbußen eines Geschäftsraummieters (hier: Schuhgeschäft), die sich auf behördliche Betretungsverbote zurückführen, die anlässlich der COVID‑19‑Pandemie verfügt wurden, konkrete Folgen einer objektiven Einschränkung des vertraglich bedungenen Gebrauchs des Bestandobjekts und im Rahmen einer Mietzinsminderung zu berücksichtigen (RS0021054 [T15]).

[4] 3. Die Bestandsache muss eine Verwendung zulassen, wie sie gewöhnlich nach dem Vertragszweck erforderlich ist und nach der Verkehrssitte erfolgt. Mangels anderer Vereinbarungen ist eine mittlere (durchschnittliche) Brauchbarkeit geschuldet (RS0021054; RS0020926). Die in §§ 1104, 1105 und 1107 ABGB angesprochene Unbrauchbarkeit entspricht der (teilweisen) Unbrauchbarkeit iSd § 1096 ABGB. Maßgeblich für die Frage, ob (teilweise) Unbenützbarkeit des Bestandgegenstands vorliegt, ist daher stets der Vertragszweck (8 Ob 131/21d mwN).

[5] Ist der bedungene Gebrauch des Bestandobjekts durch Kundenverkehr gekennzeichnet, so kann ein Betretungsverbot aus Anlass der COVID‑19‑Pandemie zur gänzlichen Unbrauchbarkeit des Bestandobjekts iSd § 1104 ABGB führen (RS0021044 [T7]).

[6] Ist die vertragsgemäße Nutzung hingegen nur eingeschränkt, so kommt es gemäß § 1105 Satz 1 ABGB bei Mietverträgen zu einer Zinsminderung im Umfang der Gebrauchsbeeinträchtigung nach der relativen Berechnungsmethode. Mangels entsprechender Vergleichsmöglichkeiten kann diese auch in Anwendung des § 273 ZPO erfolgen (5 Ob 192/21b Rz 20 und 24 mwN; vgl auch Lovrek in Rummel/Lukas, ABGB4 § 1096 Rz 111; Riss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 1096 Rz 31 und § 1105 Rz 1). In welchem Umfang eine Minderung des Bestandzinses wegen Gebrauchsbeeinträchtigung stattzufinden hat, hängt aber stets von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl RS0020926 [T3]; RS0021054 [T5]).

[7] 4. Nach dem für den Obersten Gerichtshof bindenden Sachverhalt konnte es nicht festgestellt werden, dass der Beklagten während der verordneten „Lockdowns“ nicht möglich gewesen wäre, in den gemieteten Räumen ein erweitertes „Click-and-collect“-Service anzubieten und dass ein solches Angebot ausschließlich Verluste für die Beklagte eingebracht hätte. Ebenso war die teilweise Verwendung des Mietgegenstands als Lager und Mitarbeiterbüro möglich. Es wurden während der Lockdownzeiten auch teilweise administrative Arbeiten, insbesondere das Entnehmen und Auffüllen von Saisonware zur Vorbereitung der Eröffnung in den gemieteten Räumen verrichtet.

[8] Auf dieser sachlichen Grundlage kann in der Rechtsansicht des Berufungsgerichts, das von einem Restnutzen des Bestandgegenstands während der streitgegenständlichen Lockdownzeiten von 10 % und dementsprechend einer Mietzinsminderung von 90 % ausgegangen ist, keine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung erblickt werden.

[9] Die Argumentation der Beklagten, dass der Austausch von Lagerware eines Schuhgeschäfts regelmäßig auch bei ungestörtem Geschäftsbetrieb stattzufinden habe, spricht nicht gegen, sondern gerade für die Begründung des Berufungsgerichts, das die Haltung und laufende Betreuung eines Lagers als zwar untergeordneten, aber doch nicht völlig nebensächlichen regulären Gebrauch der Geschäftsräume qualifiziert hat.

[10] Davon ausgehend kommt es aber auf die Bedeutung der weiteren Tätigkeiten, etwa des für kurze Zeit durchgeführten „Unity‑Projekt“, nicht mehr an. Es entspricht im Übrigen der Rechtsprechung, dass eine unternehmerische Entscheidung für ein neues Geschäftsmodell während eines „Lockdowns“ in das Risiko des Unternehmers fällt, und dies auch dann, wenn es sich als nicht wirtschaftlich erweist, nicht rückwirkend die Unbrauchbarkeit des Geschäftslokals begründen kann (1 Ob 181/22g Rz 31).

[11] 5. Einer weiteren Begründung bedarf die Entscheidung über die außerordentliche Revision nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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