European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0070OB00099.16H.0615.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung
Rechtliche Beurteilung
1. Seit der Neufassung des § 480 ZPO durch das Budgetbegleitgesetz 2009, BGBl I 2009/52, ist ein Antrag auf Abhaltung einer Berufungsverhandlung nicht mehr vorgeschrieben. Die Entscheidung, ob eine Berufungsverhandlung im Einzelfall erforderlich ist, steht seither generell im Ermessen des Berufungsgerichts (RIS‑Justiz RS0127242). Eine Verpflichtung zur Beweiswiederholung oder Ergänzung besteht nicht (RIS‑Justiz RS0126298 [T5]). Besondere Erwägungen zum Unterbleiben der Berufungsverhandlung hatte das Berufungsgericht schon deshalb nicht anzuführen, weil es die Stichhaltigkeit der Beweiswürdigung des Erstgerichts lediglich anhand der Begründung des Erstgerichts überprüfte, sodass sich bereits aus dem Berufungsurteil insgesamt ergibt, dass zur abschließenden Sacherledigung weder die Durchführung einer Beweiswiederholung noch einer Beweisergänzung erforderlich war (vgl 7 Ob 205/14v).
2. Die Entscheidung des Berufungsgerichts über eine Beweisrüge ist mangelfrei, wenn es sich mit dieser – insbesondere wie hier über mehrere Seiten –überhaupt befasst, die Beweiswürdigung des Erstgerichts überprüft, nachvollziehbare Überlegungen über die Beweiswürdigung anstellt und in seinem Urteil festhält (RIS‑Justiz RS0043150). Das Berufungsgericht ist dabei auch nicht verpflichtet, auf die einzelnen Zeugenaussagen einzugehen, wenn es gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichts keine Bedenken hegt. Es muss sich auch nicht mit jedem einzelnen Beweisergebnis und jedem Argument des Berufungswerbers auseinandersetzen (RIS‑Justiz RS0043371 [T18]).
3. Eine Aktenwidrigkeit ist nur gegeben, wenn Feststellungen auf aktenwidriger Grundlage getroffen wurden, das heißt, wenn der Inhalt einer Urkunde, eines Protokolls oder eines sonstigen Aktenstücks unrichtig wiedergegeben und infolge dessen ein fehlerhaftes Sachverhaltsbild der rechtlichen Beurteilung unterzogen wurde (RIS‑Justiz RS0043347 [T1]). Als aktenwidrig rügt die Klägerin das Ergebnis der Auslegung der Vereinbarung zwischen den Parteien durch die Vorinstanzen, dabei handelt es sich aber um eine Rechtsfrage (vgl RIS‑Justiz RS0043369).
4. Gegen die Qualifizierung der Vereinbarung der Streitteile als Schiedsgutachterabrede wendet sich die Klägerin nicht. Eine solche kann auf die Feststellung von Tatsachen, Tatbestandselementen oder aber auch auf die Ergänzung des Parteiwillens gerichtet sein (RIS‑Justiz RS0045365).
5. Die maßgebliche Bestimmung der Vereinbarung zwischen den Streitteilen lautet: „Die Erfordernisse der vorzunehmenden Arbeiten zur Herstellung des rechtlich notwendigen Brandschutzes entsprechend den ursprünglichen Planvorgaben durch den Architekten werden nach Prüfung vor Ort durch den Sachverständigen [...] unter Heranziehung des IBS *****, staatlich akkreditierte Prüf‑ und Überwachungsstelle in L***** entsprechend den Vorgaben der MA 37/MA 39 oder der sonstigen einschlägigen Magistratsabteilungen der Gemeinde Wien verbindlich festgelegt und entsprechend dieser Festlegung durch F***** (= die Beklagte) durchgeführt“.
5.1 Nach § 914 ABGB ist vom Wortlaut ausgehend die Parteiabsicht unter Berücksichtigung der redlichen Verkehrsübung unter Heranziehung des Parteiverhaltens gemessen am Empfängerhorizont zu erforschen (RIS‑Justiz RS0044358).
Das Auslegungsergebnis des Berufungsgerichts, nach dem Text der Vereinbarung beziehe sich die Wortfolge „Hinzuziehung des IBS, der Magistratsabteilungen“ nicht auf die „Prüfung vor Ort“, sondern auf die verbindliche Festlegung der Erfordernisse, sodass die zusätzliche Begehung durch das IBS/die Magistratsabteilungen nicht vereinbart sein sollte, ist vor allem vor dem Hintergrund, dass der Schiedsgutachter selbst Sachverständiger im Brandwesen ist, jedenfalls vertretbar.
Die Frage nach der Vertretbarkeit einer anderen, den Interessen der Revisionswerberin entsprechenderen Vertragsauslegung stellt mangels Vorliegens einer aufzugreifenden Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht keine erhebliche Rechtsfrage dar (RIS‑Justiz RS0112106 [T2], RS0042936 [T3], RS0042776 [T2]).
6. Ein Schiedsgutachten ist dann nicht bindend, wenn es offenbar der Billigkeit widerstreitet. Als offenbar unbillig ist eine Bestimmung dann anzusehen, wenn sie den Maßstab von Treu und Glauben in grober Weise verletzt und ihre Unrichtigkeit sich dem Blick eines sachkundigen und unbefangenen Beurteilers sofort aufdrängen muss (RIS‑Justiz RS0081234, RS0016769 [T2, T7). Nicht jede objektive, sondern nur eine qualifizierte Unrichtigkeit beraubt das Schiedsgutachten seiner bindenden Wirkung. Ein unrichtiges Schiedsgutachten mag von anfechtbaren Unterlagen ausgegangen sein, falsche Methoden angewandt haben oder auch Rechenfehler enthalten, es ist damit noch nicht offenkundig unbillig, sondern das Ergebnis des Gutachtens muss augenscheinlich unrichtig sein. Die Leichtigkeit und rasche Erkennbarkeit des dem Schiedsgutachten innewohnenden Fehlers darf jedoch nicht überbetont werden. Der augenscheinlichen Unrichtigkeit steht bei komplizierten Sachverhalten nicht entgegen, dass ein sachkundiger Beurteiler eine eingehende, zeitintensive Prüfung vorzunehmen hat. Maßgeblich ist, ob ein Sachkundiger, der sich mit den erforderlichen Grundlagen vertraut gemacht hat, ohne Zögern offenbare Unrichtigkeiten erkennt (RIS‑Justiz RS0106360).
6.1 Das Berufungsgericht verneinte die von der Klägerin monierte Unvollständigkeit, wonach sich die Bestätigung des Schiedsgutachters nur auf die Erfüllung der in der Vereinbarung angeführten Unterpunkte 1.1 bis 1.19, nicht aber auf die Erfüllung der davor angeführten Generalklausel des Pkt 1 zu Art und Qualität der Leistungen beziehe.
Der Sachverständige teilte die ordnungsgemäße Erfüllung der Leistungen der Beklagten zur im Betreff genannten Vereinbarung „[…] Pkt. 1 – Unterpunkte 1.1 bis 1.19“ mit. Weiters stellte er vor seinen konkreten Ausführungen zu den Unterpunkten 1.1 bis 1.19 unter der Überschrift „1. Umfang und Art der Mängelsanierung“ fest, dass die entsprechenden Nachweise hinsichtlich der verwendeten Teile erbracht wurden und letztlich bestätigte er ausdrücklich, dass die Leistungen im Sinne der Vereinbarung abnahmefähig seien.
Die Schlussfolgerung des Berufungsgerichts, die Bestätigung (das Schiedsgutachten) beziehe sich auf den gesamten Punkt 1. und nicht nur auf die Unterpunkte 1.1 bis 1.19 der Vereinbarung, findet damit Deckung im Inhalt der genannten Bestätigung und ist nicht zu beanstanden.
6.2 Auch wenn man der Klägerin dahin folgte, dass die offenbare Unrichtigkeit des Gutachtens – zumindest zum Teil – eine Rechtsfrage darstellt, ist für sie nichts gewonnen. Das Berufungsgericht beurteilte die objektive Erkennbarkeit der Unrichtigkeit vor dem Hintergrund bestehender oberstgerichtlicher Rechtsprechung (10 Ob 81/08x, 6 Ob 85/10h) als Tatfrage, die vom Erstgericht mittels Feststellung der fehlenden Erkennbarkeit für einen Sachkundigen gelöst wurde.
7. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)