European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0070OB00094.21F.0929.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.096,56 EUR (darin 182,76 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Klägerin ist bei der Beklagten unfallversichert. Die dem Vertrag zugrundeliegenden Bedingungen für die Unfallversicherung (UVB 2012) lauten auszugsweise wie folgt:
„ Artikel B.1 Unfallinvalidität
1. Ergibt sich innerhalb eines Jahres vom Unfalltag an gerechnet, dass als Folge des Unfalles eine dauernde Unfallinvalidität zurückbleibt, wird aus der hierfür versicherten Summe der dem Grade der Unfallinvalidität entsprechende Betrag gezahlt. […].
2. Für die Bemessung des Unfallinvaliditätsgrades gilt – unter Ausschluss jeder anderen Art des Nachweises eines höheren oder geringeren Invaliditätsgrades – folgende Bestimmung:
bei völligem Verlust oder völliger Funktionsunfähigkeit
eines Armes 80 %
[…]
Bei teilweisem Verlust oder teilweiser Funktionsunfähigkeit der vorgenannten Körperteile oder Organe werden die vorstehend genannten Prozentsätze anteilig angewendet. Bei Funktionseinschränkungen von Armen und Beinen ist der Prozentsatz für die gesamte Extremität anteilig anzuwenden.
[…]
3. Für andere Körperteile und Sinnesorgane bemisst sich der Unfallinvaliditätsgrad danach, inwieweit die normale körperliche oder geistige Funktionsfähigkeit insgesamt beeinträchtigt ist. Dabei sind ausschließlich medizinische Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Waren betroffene Körperteile oder Sinnesorgane oder deren Funktionen bereits vor dem Unfall dauernd beeinträchtigt, wird der Unfallinvaliditätsgrad um die Vorinvalidität gemindert.
Artikel C.2 Sachliche Begrenzung des Versicherungsschutzes
1. Eine Versicherungsleistung wird nur für die durch den eingetretenen Unfall hervorgerufenen Folgen (körperliche Schädigung oder Tod) erbracht.
2. Bei der Bemessung des Unfallinvaliditätsgrades wird ein Abzug in Höhe einer Vorinvalidität nur vorgenommen, wenn durch den Unfall eine körperliche oder geistige Funktion betroffen ist, die schon vorher beeinträchtigt war. [...]
3. Haben schon vor dem Unfall bestandene Krankheiten oder Gebrechen bei der durch ein Unfallereignis hervorgerufenen Gesundheitsschädigung oder deren Folgen mitgewirkt oder die Unfallfolgen beeinflusst, wird
3.1 im Falle einer Invalidität der Prozentsatz des Invaliditätsgrades,
[…]
3.3 bei sonstigen versicherten Leistungsarten die Versicherungsleistung
entsprechend dem Anteil der Krankheit oder des Gebrechens verringert, sofern der Anteil der bestandenen Krankheiten oder Gebrechen mindestens 25 % beträgt. Dies gilt insbesondere für Verletzungen, die durch krankhaft abnützungsbedingte Einflüsse verursacht oder oder mitverursacht worden sind.“
[2] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil sich der Oberste Gerichtshof mit Art B.1.2 und B.1.3 UVB 2012 sowie der Frage, ob die Schulter bei der Anwendung der Gliedertaxe dem Arm zuzurechnen sei, noch nicht beschäftigt habe. Weder das Berufungsgericht noch die Klägerin in ihrer Revision zeigen jedoch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO auf, sodass die Revision entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig ist. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):
Rechtliche Beurteilung
[3] 1. Die Invaliditätsentschädigung in der Unfallversicherung wird je nach dem Grad der zurückgebliebenen Dauerfolgen nach einem abstrakten und generellen Maßstab, der „Gliedertaxe“, bemessen (vgl 7 Ob 210/16g; RS0118777); die individuellen Verhältnisse des Versicherungsnehmers werden dabei nicht berücksichtigt (vgl RS0128840). Bei allen in der Gliedertaxe für einzelne Teilbereiche angeführten Invaliditätsgraden ist jeweils mitberücksichtigt, wie sich ein unfallbedingter Verlust oder die unfallbedingte Gebrauchseinschränkung eines rumpfferneren Körperglieds auf den verbleibenden Gliederrest auswirkt (7 Ob 82/13d; RS0120515).
[4] Bei der Feststellung zum Invaliditätsgrad (Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Funktionsfähigkeit nach medizinischen Gesichtspunkten), handelt es sich um eine Tatfrage (RS0118909).
[5] 2.1. Die Klägerin stürzte beim Schifahren, wodurch sie nach den Feststellungen einen Haarriss im Bereich des großen Rollhöckers „an der rechten Schulter‟, somit eines Knochens des rechten (Ober‑)Armes erlitt; diese unfallkausale Verletzung führte dazu, dass der Bewegungsumfang des rechten Armes dauerhaft nicht mehr im vollen Ausmaß gegeben ist.
[6] 2.2. Diese unfallkausale Invalidität besteht nach den Feststellungen im Ausmaß von zwei Zehnteln des (gemäß Art B.1.2 UVB 2012 80 % betragenden) Armwertes, wobei jedoch zu dieser Invalidität des rechten Armes nicht unfallkausale, über einen alterstypischen Abnützungszustand weit hinausgehende degenerative Vorschäden zu ihrerseits 80 % beitrugen.
[7] 3. Die Vorinstanzen gingen von einer Minderung des Armwerts aus, was nicht zu beanstanden ist:
[8] 3.1. Warum ein Widerspruch zur Bedingungslage vorliegen oder trotz Verletzung eines Arms (Oberarmknochens) und dessen dadurch bewirkter Funktionseinschränkung nicht die Gliedertaxe iSd Art B.1.2 UVB 2012 (sondern Art B.1.3 UVB 2012 für nicht in der Gliedertaxe angeführte Körperteile) anzuwenden sein sollte, erschließt sich nicht. Dass der Unfall zu Einschränkungen der Funktion des Schultergelenks geführt hätte, geht nicht vom festgestellten Sachverhalt aus (der sich insofern auch vom in der Revision angesprochenen, vom Bundesgerichtshof zu IV ZR 104/13 entschiedenen Fall unterscheidet). Das Argument der Revision, es sei zu Unrecht die Mitwirkung einer Vorerkrankung (Zusammenhangstrennung der langen Bizepssehne) berücksichtigt worden, die nicht die Schulter, sondern den Arm beträfen, ist in diesem Lichte nicht nachvollziehbar. Der in diesem Zusammenhang geltend gemachte sekundäre Feststellungsmangel liegt nicht vor, zumal eine Mitwirkung aller Vorerkrankungen an der nur 20 % unfallkausalen Funktionsbeeinträchtigung des Arms feststeht. Auch die vom Berufungsgericht als erheblich angesehenen Rechtsfragen (zur „Zurechnung‟ der Schulter zum Arm) stellen sich daher nicht.
[9] 3.2. Der Hinweis der Revision auf Art C.2.2 UVB 2012 zeigt auch sonst keine erhebliche Rechtsfrage auf, weil diese Bestimmung nach ihrem klaren Wortlaut auf eine schon vor dem Unfall bestehende Funktionsbeeinträchtigung und nicht auf den Sitz der Vorschädigung abstellt; hier haben die Vorinstanzen jedoch Art C.2.3.1 UVB 2012 angewandt, wonach sich der Prozentsatz des Invaliditätsgrads entsprechend dem Anteil der Krankheit oder des Gebrechens verringert, wenn – wie hier festgestellt – schon vor dem Unfall bestandene Krankheiten oder Gebrechen bei der durch ein Unfallereignis hervorgerufenen Gesundheitsschädigung oder deren Folgen mitgewirkt oder die Unfallfolgen beeinflusst haben.
[10] 3.3. Die Revision der Klägerin ist daher mangels erheblicher Rechtsfragen zurückzuweisen.
[11] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Der – der Berechnung erkennbar richtig zugrundegelegte – Ansatz nach TP 3C beträgt 607,80 EUR.
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