OGH 7Ob73/06w

OGH7Ob73/06w26.4.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Edeltraud G*****, vertreten durch Dr. Johann Lutz, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei d***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Norman Dick und Dr. Michael Dyck, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen EUR 11.836,60 sA und Feststellung (Gesamtstreitwert EUR 14.335,60; Revisionsinteresse EUR 12.087,61), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 15. Dezember 2005, GZ 2 R 242/05p-27, womit das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 22. August 2005, GZ 18 Cg 91/04p-22, infolge Berufung der beklagten Partei bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit EUR 749,70 (darin enthalten EUR 124,95 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Klägerin rutschte am 9. 10. 2003 um ca 18.15 Uhr in einem Geschäftslokal der Beklagten in I***** ca 12 m vom Eingang entfernt aus und zog sich eine Schulterverletzung zu. Sie begehrte von der Beklagten die Hälfte ihres - der Höhe nach nicht mehr strittigen - Unfallschadens mit der wesentlichen Behauptung ersetzt, die Beklagte habe gegen vertragliche Schutz- und Sorgfaltspflichten verstoßen, weil sie trotz Kenntnis, dass der Bodenbelag ihres Geschäftes bei Nässe äußerst rutschig sei, keine Maßnahmen getroffen habe, um die Gefahrenquelle zu beseitigen. Die Klägerin erhob auch ein Feststellungsbegehren dahin, dass ihr die Beklagte für die Hälfte ihrer noch nicht bekannten zukünftigen unfallskausalen Schäden zu haften habe.

Das Erstgericht erkannte die Beklagte schuldig, der Klägerin EUR 9.587,61 sA zu bezahlen und gab dem Feststellungsbegehren statt. Die Abweisung des Leistungsmehrbegehrens von EUR 2.249,44 sA ist unbekämpft in Rechtskraft erwachsen.

Das Berufungsgericht bestätigte den klagsstattgebenden Teil der erstinstanzlichen Entscheidung. Der Wert des Entscheidungsgegenstandes übersteige insgesamt nicht EUR 20.000,--. Weiters sprach das Berufungsgericht zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es änderte diesen Ausspruch auf Antrag (Zulassungsvorstellung) der Beklagten gemäß § 508 Abs 1 ZPO aber dahin ab, dass es die Revision doch für zulässig erklärte. Da der in ihrer Filiale aufgebrachte Bodenbelag nicht nur von der Beklagten österreichweit eingesetzt werde, sondern ähnliche Böden mit ähnlichen Eigenschaften auch in zahlreichen öffentlichen Gebäuden wie Bahnhöfen, Flughäfen und „vielen anderen Filialunternehmen" zum Einsatz kämen, gehe die Bedeutung der Entscheidung doch über den Einzelfall hinaus.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen diesem gemäß § 508a Abs 1 ZPO den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch liegt eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung nicht vor. Gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO kann sich die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) auf die Ausführung folgender Zurückweisungsgründe beschränken:

Zu grundsätzlichen Fragen der Verkehrssicherungspflichten und der Schutz- und Sorgfaltspflichten als vertraglichen Nebenpflichten liegt eine umfangreiche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vor (vgl die Nachweise bei Reischauer in Rummel ABGB2 § 1294 Rz 4, 5 und § 1297 Rz 5 sowie § 1298 Rz 14; RIS-Justiz RS0013999; RS0017049 und RS0023355, jeweils mit zahlreichen Entscheidungsnachweisen). Die Verkehrssicherungspflicht darf nicht überspannt werden (RIS-Justiz RS0023487), soll sie keine in Wahrheit vom Verschulden unabhängige Haftung des Sicherungspflichtigen zur Folge haben (RIS-Justiz RS0023950). Sie findet ihre Grenze in der Zumutbarkeit möglicher Maßnahmen der Gefahrenabwehr (Harrer in Schwimann, ABGB2 VII § 1295 Rz 44 und 55 mwN; SZ 53/49; SZ 60/256; ZVR 1989/28; ZVR 1993/62; RIS-Justiz RS0023397). Umfang und Intensität von Verkehrssicherungspflichten richten sich vor allem danach, in welchem Maß die Verkehrsteilnehmer selbst vorhandene Gefahren erkennen und ihnen begegnen können (ZVR 1997/128; EvBl 2001/67; RIS-Justiz RS0023726). Der konkrete Inhalt einer Verkehrssicherungspflicht kann immer nur von Fall zu Fall bestimmt werden (RIS-Justiz RS0029874; RS0110202); entscheidend ist vor allem, welche Maßnahmen zur Vermeidung einer Gefahr möglich und zumutbar sind (7 Ob 51/00a, ZVR 2000/94; 6 Ob 333/00i; 7 Ob 156/00v; 7 Ob 118/04k; 7 Ob 245/05p ua). Ob eine Situation geschaffen wurde, die eine Schädigung wahrscheinlich macht, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (7 Ob 151/98a; 7 Ob 156/01v; 7 Ob 118/04k; 7 Ob 245/05p ua; vgl RIS-Justiz RS0111380). Eine Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO muss aber über die besonderen Verhältnisse des Einzelfalles hinaus Bedeutung haben. Dies ist bei bloßen Ermessensentscheidungen im Allgemeinen nicht der Fall (7 Ob 156/01v; 7 Ob 118/04k; 7 Ob 245/05p uva). Soweit sich das Berufungsgericht im Rahmen der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes bewegt, die Rechtslage nicht verkennt und nur auf Grund der besonderen Umstände des Einzelfalles seine Entscheidung trifft, ohne von einer in ständiger Rechtsprechung anerkannten Ermessensübung extrem abzuweichen, liegt eine erhebliche Rechtsfrage nicht vor (Kodek in Rechberger2 Rz 3 zu § 502 ZPO mwN; 7 Ob 118/04k; 7 Ob 245/05p).

Ein solches Abweichen des Berufungsgerichtes von der anerkannten Ermessensübung ist im vorliegenden Fall unter Zugrundelegung der eben dargestellten Grundsätze nicht zu erkennen. Feststeht, dass es am Unfallstag stark regnete und bei Nässe bereits mehrmals zuvor sowohl Kunden als auch Mitarbeiter der Beklagten im Geschäftslokal ausgerutscht waren. Zuletzt war eine Kundin noch am Unfallstag im selben Gang wie die Klägerin ausgeglitten. Kunden hatten zu Mitarbeitern der Beklagten bereits geäußert, dass „der Boden bei Nässe gefährlich" sei. Die Klägerin war Stammkundin im betreffenden Geschäftslokal und wollte damals von ihr bereits bestellte Waren abholen. Sie trug Halbschuhe mit profilierter Gummisohle und flachem Absatz. Ein im Eingangsbereich des Geschäftslokales aufgestelltes Warnschild „Achtung Rutschgefahr" war ihr nicht aufgefallen. Am Unfallstag war nur eine Mitarbeiterin der Beklagten für den Verkauf zuständig, musste aber auch noch zusätzlich Artikel in Regale schlichten oder bei Bedarf die Kasse bedienen. Sie allein war auch für allfällige Wischarbeiten zuständig, obwohl ca alle fünf Minuten ein neuer Kunde ins Geschäft kam.

Unter diesen festgestellten Umständen kann darin, dass das Berufungsgericht eine Verletzung der durch die Beklagte zu beobachtenden Schutz- und Sorgfaltspflichten annahm, eine vom Obersten Gerichtshof wahrzunehmende Fehlbeurteilung nicht erblickt werden, auch wenn ins Kalkül zu ziehen ist, dass die Klägerin ihrer eigenen Aussage nach auf dem Weg bis zur Sturzstelle auf den Boden nicht besonders geachtet hat. Ist doch einer gewissen Sorglosigkeit der Klägerin in eigenen Angelegenheiten durch die Annahme eines Mitverschuldens von 50 % ohnehin Rechnung getragen. Dem Einwand, der Boden sei behördlich genehmigt gewesen, ist entgegenzuhalten, dass nach ständiger Rechtsprechung die Verkehrssicherungspflicht durch allenfalls bestehende Sondervorschriften immer nur ergänzt, aber nicht ersetzt werden kann; das Vorliegen entsprechender behördlicher Genehmigungen kann daher den zur Sicherung des Verkehrs Verpflichteten nicht entschuldigen, wenn er auf Grund eigener Kenntnis vom Bestand einer Gefahrenquelle weiß oder sie kennen muss und er mögliche oder zumutbare Maßnahmen zu deren Beseitigung unterlässt (RIS-Justiz RS0023419 mit zahlreichen Entscheidungsnachweisen). Der - im Übrigen in der Revsion behauptete - von den Vorinstanzen gar nicht ausdrücklich festgestellte - Umstand, dass „ähnliche" Böden auch in anderen öffentlichen Gebäuden in Österreich verwendet werden, vermag daran nichts zu ändern, weil ein ähnlicher Boden nicht zwangsläufig die gleiche Rutschfestigkeit haben muss und es ja stets nicht auf die Tauglichkeit des Bodenbelages allein ankommt, sondern für die Ermessensentscheidung, ob Schutz- und Sorgfaltspflichten verletzt wurden, alle Umstände des jeweils vorliegenden (Einzel-)Falls in die Beurteilung einzubeziehen sind.

Da demnach ein tauglicher Grund, das Rechtsmittel der beklagten Partei zuzulassen, nicht vorliegt, war spruchgemäß zu entscheiden. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO. Die Klägerin hat in erster Linie die Zurückweisung der Revision beantragt. Sie hat in der Revisionsbeantwortung dazu zwar nicht ausdrücklich, aber erkennbar auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels ihrer Prozessgegnerin hingewiesen und hat daher Anspruch auf Ersatz der zur Rechtsverteidigung notwendigen Kosten ihrer Rechtsmittelgegenschrift. Die Bemessungsgrundlage beträgt allerdings nicht, wie die Revisionsgegnerin meint, EUR 14.336,60, sondern EUR 12.087,61.

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