OGH 7Ob69/08k

OGH7Ob69/08k2.7.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** Versicherung AG *****, vertreten durch Prof. Dr. Strigl, Dr. Horak, Mag. Stolz Rechtsanwälte-Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei T***** GmbH, *****, vertreten durch Walch & Zehetbauer Rechtsanwälte OEG in Wien, wegen 19.339,39 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 15.747,38 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 19. November 2007, GZ 4 R 165/07z-23, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 11. Juli 2007, GZ 41 Cg 1/07s-18, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 982,76 EUR (darin enthalten 163,79 EUR an USt und 5,07 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Beklagte war von der Versicherungsnehmerin der Klägerin mit dem Transport von Mobiltelefonen, Fotokameras und elektronischen Geräten beauftragt.

Beim ersten Schadensfall wurden die Waren in eine Filiale der Versicherungsnehmerin in W*****, M***** Straße, Ecke S*****gasse, geliefert. Der Eingang des Geschäftslokals befindet sich auf der M***** Straße, die Ladezone in der S*****gasse. Der Lkw-Lenker brachte die für die Filiale bestimmte Palette mit Waren zum Eingang und ließ während dieser Zeit den Lkw unbeaufsichtigt und mit auf Straßenniveau herabgefahrener Ladebordwand in der Ladezone stehen. Der Fahrer wartete wie üblich auf Retourware. Als er zurückkam, war die für eine andere Filiale bestimmte Palette aufgerissen. Es fehlten Waren im Wert von 3.807,15 EUR.

Beim zweiten Schadensfall sollte die Beklagte in eine Filiale der Versicherungsnehmerin der Klägerin in L***** liefern. Der Lkw-Lenker der Beklagten stellte den beladenen Planen-Lkw an einem Freitag auf einer Nebenfahrbahn bei einer aufgelassenen Tankstelle am Ortsrand von G***** über das Wochenende ab. Danach sollten die Waren ausgeliefert werden. Dieser Platz wird von vielen Fernfahrern über das Wochenende als Abstellplatz benützt. In der Nähe befindet sich ein Getränke-Großhandel. Im Abstand von 50 bis 100 m stehen Einfamilienhäuser. Die Ladefläche des Lkw war mit einer Plane geschlossen. Die Plane kann man beschädigungsfrei von außen ohne einen Schlüssel öffnen. Als der Lkw-Fahrer am Sonntag zum Lkw kam, stellte sich heraus, dass aus dem Laderaum Waren im Wert von 11.940,23 EUR gestohlen worden waren.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und bejahte das haftungsbegründende grob fahrlässige Verhalten der Beklagten bei der Auslieferung der Waren.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil die Beurteilung der Sorgfaltsverletzung nicht nur für den Einzelfall von Bedeutung sei.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Ausspruch des Berufungsgerichts ist die ordentliche Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig. Die Zurückweisung der Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

Der Frachtführer wird von der Haftung für den Verlust des Frachtguts nur befreit, wenn dieser auf einem unabwendbaren Ereignis beruht, es also dem Frachtführer auch durch Anwendung äußerster, nach den Umständen des Falles möglicher und vernünftigerweise zumutbarer Sorgfalt nicht möglich war, den Schadenseintritt zu verhindern (RIS-Justiz RS0073763). Höhere Gewalt liegt nicht vor, wenn ein Ereignis nicht außergewöhnlich ist (RIS-Justiz RS0073830). Der Diebstahl von Waren von Lieferfahrzeugen, die in einer Großstadt oder am Ortsrand auf einer Nebenfahrbahn über das Wochenende - wie hier - abgestellt sind, ist keinesfalls ungewöhnlich oder unabwendbar.

Nach ständiger Rechtsprechung steht im Sinn von Art 29 CMR grobe Fahrlässigkeit dem Vorsatz gleich (7 Ob 184/01m; RIS-Justiz RS0073961; RS0062591; RS0031861). Die Wertung, ob ein Verhalten grob fahrlässig ist, erfolgt aufgrund der Umstände des Einzelfalls (7 Ob 184/01m, 7 Ob 145/98v, 7 Ob 376/97p; RIS-Justiz RS0087606). Eine erhebliche Rechtsfrage könnte daher nur dann vorliegen, wenn dem Berufungsgericht eine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, was hier jedoch nicht der Fall ist. Die Wertung des Berufungsgerichts, dass der Beklagten in Gesamtbeurteilung und Würdigung aller konkreten Umstände insgesamt grobe Fahrlässigkeit - nämlich eine ungewöhnliche, auffallende Vernachlässigung von Sorgfalt, wodurch vorhersehbarer Schaden entsteht (7 Ob 184/01m; RIS-Justiz RS0085373; RS0030644) - zur Last fällt, hält sich im Rahmen der Judikatur. Die Rechtsansicht, dass ein gewissenhafter Fahrer in den vorliegenden Fällen bei Anwendung in vernünftiger Weise auch zumutbarer Sorgfalt die leicht zu entfernenden Waren mit relativ hohem Wert nicht ungesichert dem Zugriff von Dieben ausgesetzt hätte, ist nicht zu beanstanden. Die Beklagte hätte die beschriebenen Verhaltensweisen ihrer Lkw-Fahrer nicht nur nicht dulden, sondern von vornherein nicht genehmigen dürfen.

Zur Hauptleistungspflicht des Frachtführers gehört die Obhutspflicht, die ihm gebietet, alle handelsüblichen, nach den Umständen des Falles zumutbaren Maßnahmen zum Schutz des Guts zu treffen. Dazu gehört es auch, das geeignete Transportmittel bereit zu stellen (9 Ob 133/04f).

Generell gültige und zugleich - wie in der Revision gefordert - entsprechend konkrete Aussagen darüber, welche Maßnahmen ein Frachtführer gegen Diebstähle bei der An- und Ablieferung von Gütern zu treffen hat, können im Hinblick auf die einzelfallbezogen zu beurteilende Sorgfaltspflicht des Frachtführers nicht gemacht werden. Bei der Beurteilung, ob das dem Frachtführer anzulastende Verschulden am Verlust der Fracht durch Diebstahl grob fahrlässig ist, kommt es auf verschiedenste Faktoren an, wie zum Beispiel die örtliche Situation, sonstige örtliche und zeitliche Gegebenheiten, die Relation Wert/Gewicht der Waren, die Höhe des (unter anderem von dieser Relation abhängigen) Diebstahlrisikos, die konkreten Handlungen, die zum Diebstahl und Verbringen der Waren nötig sind. Je eher mit einem Diebstahl grundsätzlich zu rechnen ist, je unauffälliger die Entfernung der Fracht vom Lkw möglich ist, je weniger Vorbereitungszeit nötig ist, um den Diebstahl umzusetzen, je leichter die Waren entfernt und verwertet werden können, desto höher ist die Anforderung an den Frachtführer, die Fracht vor Diebstahl zu sichern, um seiner Hauptleistungspflicht, nämlich der Obhutspflicht, nachzukommen.

Zum ersten Schadensfall ist zu bedenken, dass der Lkw zwar in einer belebten Straße W*****, jedoch „um die Ecke", abgestellt war und weder vom Fahrer noch von einer von ihm beauftragten Person beaufsichtigt wurde. Gerade in einer belebten Straße ist das unbeaufsichtigte Stehenlassen des Fahrzeugs mit heruntergelassener Ladebordwand „einladend" und naturgemäß und leicht erkennbar besonders gefahrengeneigt, kann sich doch sogar jede zufällig vorbeigehende Person ohne langes Planen unbemerkt und einfach Zutritt zu den leicht zu entfernenden, kleinen und leichten, aber relativ wertvollen elektronischen Geräten verschaffen. Die belebte Großstadt bietet in diesem Fall schon wegen der Unauffälligkeit der notwendigen Diebstahlshandlungen keinen Schutz vor dem Zutritt Unbefugter.

Beim zweiten Schadensfall war die Fracht nur durch eine leicht entfernbare Plane abgedeckt und auf einer Nebenfahrbahn - für potentielle Diebe leicht vorhersehbar - über das Wochenende unbeaufsichtigt abgestellt. Die bekanntermaßen besonders begehrten elektronischen Geräte wurden über zwei Tage und Nächte ohne jeden Schutz gegen ihre Wegnahme zurückgelassen.

Der Beklagten war die Art der zu transportierenden Waren bekannt, sodass ihr auch subjektiv bekannt sein hätte müssen, dass das Diebstahlrisiko hinsichtlich dieser Waren grundsätzlich hoch ist. Ihr hätte auch die Notwendigkeit von Sicherungsmaßnahmen bekannt sein müssen. Sowohl ihrerseits als auch seitens ihrer Lkw-Fahrer sind jedoch jegliche Sicherungsmaßnahmen unterblieben. In der Ansicht der Vorinstanzen, die Beklagte habe unter den besonderen Gegebenheiten der beiden Diebstahlsfälle grobe Fahrlässigkeit zu vertreten, ist daher eine zu korrigierende Fehlbeurteilung nicht zu erkennen. Auf welche Art und Weise die Beklagte ihre Hauptleistungspflicht erfüllt, ist nicht Sache der Klägerin. Sie war nicht verpflichtet, der Beklagten dazu Weisungen zu erteilen.

Es werden keine erheblichen Rechtsfragen geltend gemacht.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

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