European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00030.24Y.0306.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Unterhaltsrecht inkl. UVG
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
I. Der Akt wird in Ansehung der minderjährigen C* F* dem Erstgericht zurückgestellt.
II. Der außerordentliche Revisionsrekurs wird in Ansehung der minderjährigen H* F*, V* F* und O* F* mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Minderjährigen H*, V*, O* und C* sind die Kinder von Dr. E* und Dr. A* F*. Beim Bezirksgericht Mödling ist das Ehescheidungsverfahren sowie ein Obsorge- und Kontaktrechtsverfahren anhängig.
[2] DieMinderjährigen begehren von ihrem Vater rückständigen und laufenden Unterhalt. H* habe Anspruch auf 1.250 EUR, V* und O* auf je 1.025 EUR und C* auf 800 EUR an monatlichem Unterhalt. Der Vater bringe ein monatliches Einkommen von zumindest 30.000 EUR ins Verdienen und sei zu Unterhaltszahlungen in Höhe der Luxusgrenze verpflichtet.
[3] Dieser Antrag wurde dem Vater mit der Aufforderung zur Äußerung gemäß § 17 AußStrG und dem Hinweis auf die Rechtsfolgen einer Nichtäußerung am 3. August 2023 zugestellt.
[4] Eine Äußerung des Vaters langte nicht ein.
[5] Das Erstgericht verpflichtete den Vater antragsgemäß zu den begehrten Unterhaltszahlungen und verwies zur Begründung insbesondere auf § 17 AußStrG. Der Beschluss wurde dem Vater am 28. August 2023 zugestellt.
[6] Mit dem am 11. September 2023 beim Erstgericht eingebrachten Antrag begehrt der Vater die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Äußerung gemäß § 17 AußStrG und äußerte sich zugleich zum Unterhaltsantrag der Kinder.
[7] Das Erstgericht wies den Antrag ab, das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung.
Rechtliche Beurteilung
[8] Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters.
I. Rückstellung
[9] 1. Der Entscheidungsgegenstand im Verfahren über den materiellen Anspruch und im Wiedereinsetzungsverfahren ist zwingend identisch und die Anfechtbarkeit in beiden Verfahren nach den gleichen Grundsätzen zu beurteilen (vgl RS0126302).
[10] 2. Der Anspruch des Kindes auf Unterhalt ist rein vermögensrechtlicher Natur im Sinn des § 62 Abs 4 und 5 AußStrG (RS0007110 [T32]). Unterhaltsansprüche sind gemäß § 58 Abs 1 JN immer mit dem Dreifachen der Jahresleistung zu bewerten (RS0046544), und zwar auch dann, wenn neben dem laufenden und zukünftigen Unterhalt auch bereits fällig gewordene Unterhaltsansprüche für die Vergangenheit Entscheidungsgegenstand sind (RS0114353). Zusätzlich begehrte, bereits fällig gewordene Beträge sind daher nicht gesondert zu bewerten (RS0103147 [T1, T6]; RS0114353). Der Wert des Entscheidungsgegenstands des Unterhaltsanspruchs ist für jedes Kind einzeln zu berechnen; eine Zusammenrechnung der Begehren mehrerer Unterhaltsberechtigter hat nicht stattzufinden (RS0017257 [T3, T4]; RS0112656 [T1]).
[11] 3. Nach § 62 Abs 3 AußStrG ist der Revisionsrekurs – außer im Fall des § 63 Abs 3 AußStrG –jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand an Geld oder Geldeswert insgesamt 30.000 EUR nicht übersteigt und das Rekursgericht nach § 59 Abs 1 Z 2 AußStrG den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig erklärt hat. Unter diesen Voraussetzungen kann eine Partei gemäß § 63 Abs 1 und 2 AußStrG einen – binnen 14 Tagen nach der Zustellung der Entscheidung des Rekursgerichts – beim Erstgericht einzubringenden Antrag an das Rekursgericht stellen, den Ausspruch dahin abzuändern, dass der ordentliche Revisionsrekurs doch für zulässig erklärt werde (Zulassungsvorstellung). Die Zulassungsvorstellung ist mit der Ausführung des ordentlichen Revisionsrekurses zu verbinden.
[12] 4. Im vorliegenden Fall hat das Rekursgericht den Revisionsrekurs nicht zugelassen. Der Entscheidungsgegenstand des Rekursverfahrens übersteigt nur betreffend die minderjährigen H*, V* und O* 30.000 EUR. Da die maßgebliche Wertgrenze bezüglich der minderjährigen C* nicht überschritten wird, kommt dem Obersten Gerichtshof im derzeitigen Verfahrensstadium diesbezüglich keine Entscheidungskompetenz zu. Das Erstgericht wird zu beurteilen haben, ob es die Eingabe des Vaters als eine (mit einem ordentlichen Revisionsrekurs verbundene) Zulassungsvorstellung an das Rekursgericht (§ 63 AußStrG) oder aber als verbesserungsbedürftig ansieht (RS0109505).
[13] 5. Der Akt ist daher bezüglich der minderjährigen C* dem Erstgericht zurückzustellen.
II. Revisionsrekurs
[14] 1. Die Anfechtung der Bestätigung der Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrags (§ 21 AußStrG) ist im Außerstreitverfahren nicht jedenfalls ausgeschlossen, sondern zulässig, wenn die Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG vorliegen (RS0121841).
[15] 2. Gemäß § 21 AußStrG sind im Verfahren außer Streitsachen die Bestimmungen der Zivilprozessordnung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sinngemäß anzuwenden.
[16] 3. Wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung verhindert wurde, und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozesshandlung zur Folge hatte, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt (vgl § 146 Abs 1 ZPO).
[17] 4.1. Die Äußerungsfrist des § 17 AußStrG ist eine verfahrensrechtliche und damit restituierbare Frist (9 Ob 36/06v; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2 § 21 Rz 22).
[18] 4.2. Unvorhersehbarkeit orientiert sich an einem subjektiven Maßstab. Unvorhergesehen ist daher ein Ereignis, wenn sein Eintritt auch bei zumutbarer Aufmerksamkeit und Voraussicht für die Partei bzw ihren Vertreter nicht zu erwarten ist (RS0036738; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny³ § 146 ZPO Rz 6; Lutschounig in Schneider/Verweijen, AußStrG § 21 Rz 9).
[19] 4.3. Leichte Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Fehler auch einem sorgfältigen Menschen gelegentlich unterläuft, als grob fahrlässig ist hingegen ein Verhalten dann zu bewerten, wenn dieses auf auffallende Sorglosigkeit des Wiedereinsetzungswerbers zurückzuführen ist, der Fehler also einem ordentlichen Menschen in dieser Form regelmäßig nicht passiert. Stets ist aber im Einzelfall unter Bedachtnahme auf die persönlichen Verhältnisse zu entscheiden, ob das sorgfaltswidrige Verhalten erheblich von dem eines maßgerechten Durchschnittsmenschen abweicht (3 Ob 175/03m; 3 Ob 60/13i; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2 § 21 Rz 34). Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben; er darf somit die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in diesem Sinn außer Acht gelassen haben (RS0036800).
[20] 4.4. Die Beurteilung, ob die Wiedereinsetzung wegen Vorliegens eines nicht bloß mindergradigen Versehens einer Partei oder ihres Vertreters versagt bleibt, ist regelmäßig von den besonderen Umständen des Einzelfalls abhängig; ihr kommt daher keine grundsätzliche Bedeutung zu (RS0116535). Dass eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einem vergleichbaren Sachverhalt fehlt, bedeutet keineswegs, dass die Entscheidung von der Lösung einer im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG erheblichen Rechtsfrage abhängt. Besonderheiten der Fallgestaltung schließen eine richtungsweisende, die Rechtsentwicklung vorantreibende und für zukünftige Entscheidungen nutzbringende Judikatur des Obersten Gerichtshofs sogar eher aus (vgl RS0102181; 5 Ob 46/14x). Hängt die Entscheidung von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, ist deren rechtliche Würdigung vom Obersten Gerichtshof nicht zu überprüfen. Nur bei einer auffallenden Fehlbeurteilung hätte er einzugreifen (RS0021095 [T3]).
[21] 5. Im vorliegenden Fall war der Vater im Zeitpunkt der Zustellung des Unterhaltsantrags der Kinder samt Aufforderung zur Äußerung gemäß § 17 AußStrG im Ehescheidungs- sowie Obsorge- und Kontaktrechtsverfahren durch einen Rechtsanwalt vertreten. Er bringt vor, er habe daher darauf vertraut, dass der Unterhaltsantrag der Kinder auch seinem Rechtsvertreter zugestellt worden sei und sich dieser bei ihm fristgerecht melden werde. Er bestreitet nicht, den Inhalt der gerichtlichen Aufforderung im Zusammenhang mit dem Unterhaltsantrag undderen Bedeutung erkannt zu haben. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass der Vater auf eine derart wichtige gerichtliche Aufforderung mit finanziellen Folgen in relevantem Ausmaß in einem neu eingeleitetenVerfahren gar nicht reagiert und ohne irgendeine Rückfrage (blind) darauf vertraut habe, dass der Antrag auch seiner Rechtsvertretung zugestelltworden sei, nicht mehr einen bloß minderen Grad des Versehens darstelle, ist nicht korrekturbedürftig, zumal der Vater selbst vorbringt, er habe Schriftstücke bislang immer von seiner Rechtsvertretung, nicht aber (auch) vom Gericht zugestellt bekommen. Wenn der Vater meint, er sei von der Richtigkeit des eigenen Handelns ausgegangen und habe daher keinen Anlass gesehen, bei seiner Rechtsvertretung nachzufragen bzw weitere Schritte zu setzen, so liegt genau darin der von den Vorinstanzen angenommen nicht bloß leichte Sorgfaltsverstoß, hätte doch eine vernünftige und durchschnittlich gewissenhafte Person angesichts der Bedeutung des Schreibens und des Umstands, dass dieses direkt vom Gericht zugestellt wurde, zumindest bei Gericht oder seinem Rechtsvertreter nachgefragt.
[22] 6. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 71 Abs 3 Satz 3 AußStrG).
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