Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Der Rekurswerber hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Begründung
Der Betroffene wurde am 12. 6. 1983 bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt. Seine Schadenersatzansprüche gegen den Unfallsgegner und dessen Haftpflichtversicherer macht er im Verfahren 22 Cg 302/95h (früher 22 Cg 703/90) des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien geltend (Gesamtstreitwert zuletzt EUR 927.834,41). Mit Teilanerkenntnisurteil vom 6. 7. 1990 wurde seinem Begehren auf Feststellung der Haftung der Beklagten für alle zukünftigen unfallskausalen Schäden stattgegeben. Für den Leistungsprozess (der zwischen Juni 1992 und Oktober 1995 ruhte) wurde Mag. Thomas M*****, Rechtsanwalt in Wien, zum Sachwalter des Betroffenen bestellt. Mit Schreiben vom 24. 2. 2000 unterbreitete die beklagte Haftpflichtversicherung einen Vergleichsvorschlag, wonach sämtliche gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüche des Betroffenen (der bisher nur S 131.000 erhalten hat) durch Zahlung weiterer S 2,9 Mio zuzüglich rund S 266.000 an Verfahrenskosten, abgegolten werden sollten. Diesem, vom Sachwalter aufgegriffenen, vom Betroffenen selbst aber abgelehnten Vergleichsvorschlag wurde die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung versagt, worauf der Prozess fortgesetzt wurde.
Mit Schreiben vom 20. 11. 2001 machte die beklagte Versicherung dem Betroffenen neuerlich ein Vergleichsangebot, das eine - das Teilanerkenntnisurteil vom 6. 7. 1990 obsolet machende - Globalabfindung in Höhe von S 3 Mio und die Übernahme eines Kostenbeitrags von S 400.000 vorsah.
Über Antrag des Sachwalters, der den Vergleichsvorschlag unter Hinweis darauf annahm, dass größere Teile der Klagsforderung möglicherweise verjährt sein könnten, hat das Erstgericht den Vergleich pflegschaftsgerichtlich genehmigt.
Das vom Betroffenen (persönlich) angerufene Rekursgericht hob diesen Beschluss auf und trug dem Erstgericht auf, nach Verfahrensergänzung neuerlich zu entscheiden. Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes insgesamt EUR 20.000 übersteige und der Rekurs (an den Obersten Gerichtshof) zulässig sei. Zur Begründung seiner Entscheidung führte es aus, durch den Vergleich würde der Betroffene auf eine mögliche Abgeltung von Spät- bzw Folgeschäden verzichten, was nicht in seinem Interesse liegen könne und daher "eingehendster Begründung" bedürfte. Bei der vorzunehmenden Abwägung der Prozesschancen sei vor allem die Vorfrage zu beurteilen, ob tatsächlich Teile der vom Betroffenen klagsweise geltend gemachten Ansprüche verjährt seien. Maßgeblich dafür sei, ob der Betroffene zwischen Juni 1992 und Oktober 1995 noch prozessfähig gewesen sei und ihm seine Untätigkeit in diesem Zeitraum zurechenbar sei oder nicht. Die bisher sowohl im Streit- als auch im Pflegschaftsverfahren eingeholten neurologischen Gutachten ließen diesbezüglich keine konkrete Stellungnahme zu. Um den Eintritt der Prozessunfähigkeit bestimmen und dadurch die Günstigkeit des Vergleichs beurteilen zu können, werde das Erstgericht daher "die Sachverhaltsbasis durch geeignete Aufträge zur Gutachtenserstattung zu verbreitern haben". In seiner neuerlichen Entscheidung werde das Erstgericht darüber hinaus im Detail darzulegen haben, was der Betroffene für welche Zeiträume konkret begehre, was davon seiner Meinung nach unter Umständen im Einzelnen verjährt sein könnte und wie die Beweislage hinsichtlich der nicht verjährten Ansprüche beurteilt werde. All dies werde Aufgabe des Pflegschaftsgerichts sein, da das Prozessgericht niemals die Prozessfähigkeit von Parteien, die der inländischen Pflegschaftsgerichtsbarkeit unterliegen, selbständig prüfen dürfe. Dem Erstgericht würden daher die Erhebungen zur Feststellung des Eintritts der Prozessfähigkeit übertragen. Das Beurteilungsmonopol des Sachwalterschaftsgerichtes hinsichtlich der Prozessfähigkeit eines Behinderten (auch) für die Vergangenheit werde allerdings von der Rechtsprechung nicht uneingeschränkt akzeptiert. So weise der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung zu 8 Ob 2185/96y darauf hin, dass die Beurteilung der Prozessfähigkeit im Sachwalterschaftsverfahren durch das Pflegschaftsgericht einen Verstoß gegen Art 6 MRK bewirke, weil durch eine allfällige Nichtigerklärung des Verfahrens in die Rechte des Prozessgegners eingegriffen würde, diesem aber im Verfahren nach den §§ 236 ff AußStrG keine Parteistellung zukomme. Es sei daher vom Prozessgericht zu prüfen, ob die betroffene Partei die Tragweite des konkreten Rechtsstreits und der von ihr gesetzten Rechtshandlungen erkennen habe können. Da somit eine einheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu diesem Problemkreis nicht vorliege, sei der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zuzulassen gewesen.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist, da eine Stellungnahme des Obersten Gerichtshofs zu den Ausführungen des Rekursgerichts zu der von ihm aufgeworfenen Rechtsfrage aus Gründen der Rechtssicherheit angezeigt erscheint, zulässig, im Ergebnis aber nicht berechtigt.
Entgegen der Meinung des Rekursgerichts ist nach ständiger, keineswegs uneinheitlicher oberstgerichtlicher Rechtsprechung zwischen einem Vorgehen nach § 6a ZPO und der in einem Rechtsstreit sich stellenden Frage zu differenzieren, ob der Behinderte (§ 273 ABGB) in der Vergangenheit prozessunfähig war. Wie der Oberste Gerichtshof seit der vom Rekursgericht zitierten Entscheidung 8 Ob 2185/96y, SZ 71/97 in gesicherter (vgl 1 Ob 6/01s) Judikatur ausgesprochen hat, ergibt sich zwar aus § 6a ZPO, dass die Prüfung der Prozessfähigkeit von Parteien, die der inländischen Pflegschaftsgerichtsbarkeit unterliegen und für die kein Sachwalter bestellt ist, dem Pflegschaftsgericht obliegt, wobei gemäß § 6a Satz 3 ZPO das Prozessgericht an die Entscheidung des Pflegschaftsgerichts gebunden ist. Diese Bindung besteht jedoch nur für die Zukunft, also für die Zeit ab der Wirksamkeit der Bestellung des Sachwalters. Sofern dies für das Verfahren von Bedeutung ist, hat für den vor diesem Zeitpunkt liegenden Zeitraum das Prozessgericht hingegen selbständig zu prüfen, ob eine Partei prozessfähig war (RIS-Justiz RS0110082, zuletzt etwa 3 Ob 183/99d; 1 Ob 6/01s).
Die vom Rekursgericht vertretene Meinung, das Pflegschaftsgericht habe im vorliegenden Fall - für das Streitgericht bindend - über die Prozessfähigkeit des Betroffenen (Klägers) in der Vergangenheit zu entscheiden, ist daher rechtsirrig.
Zutreffend geht das Rekursgericht allerdings davon aus, dass der beabsichtigte Vergleichsabschluss als nicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb des Betroffenen gehörende Angelegenheit (gemäß § 154 Abs 3 ABGB iVm § 282 ABGB) der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung bedarf und im Rahmen dieser Entscheidung die Prozesschancen des Betroffenen abzuwägen sind: Ob im Einzelfall eine vergleichsweise Prozessbeendigung im Interesse des Pflegebefohlenen liegt, ist - ebenso wie bei der Prozessführung - eine Ermessensentscheidung (vgl etwa 4 Ob 200/97h mwN ua). Bei der Prüfung der Genehmigungsfähigkeit eines Prozessvergleichs ist ebenso wie bei der Prüfung der Genehmigungsfähigkeit einer Klage nicht unter Vorwegnahme des Zivilprozesses zu untersuchen, ob der Anspruch besteht, sondern vielmehr unter Einbeziehung aller Eventualitäten lediglich das Prozessrisiko abzuwägen (Schwimann in Schwimann2 I Rz 27 zu § 154 ABGB mwN). Der zur Genehmigung des Vergleichs berufene Richter hat sich daher einen Überblick über den für die Prozessführung bedeutsamen Sachverhalt zu verschaffen, soweit dies mit den Mitteln des Verfahrens außer Streitsachen möglich ist (vgl RIS-Justiz RS0048146). Maßgebend ist, ob in vergleichbaren Fällen ein verantwortungsbewusster gesetzlicher Vertreter eine entsprechende vergleichsweise Einigung der Fortsetzung des Klagswegs vorziehen würde. Zu diesem Zweck müssen die Tatsachengrundlagen und deren Beweisbarkeit möglichst vollständig erhoben und der so gewonnene Sachverhalt einer umfassenden rechtlichen Beurteilung unterzogen werden (vgl RIS-Justiz RS0108029).
Richtig hat das Rekursgericht daher im vorliegenden Fall auch erkannt, dass bei der Entscheidung über die gerichtliche Genehmigung des gegenständlichen Vergleichs insbesondere auch der Umstand, ob bzw inwieweit die Ansprüche des Betroffenen gegen seinen Unfallsgegner bzw dessen Haftpflichtversicherer allenfalls bereits verjährt sind, mit ins Kalkül gezogen werden muss, wobei für die Frage der Verjährung die Prozessfähigkeit des Betroffenen im Zeitraum 1992 bis 1995 bedeutsam sein kann. Die Ansicht des Rekursgerichtes, das Außerstreitgericht habe sich daher auch mit dieser Frage - allerdings, wie ausgeführt, ohne Bindung für das Streitgericht - zu beschäftigen, begegnet daher keinen Bedenken.
Hat aber nun das Rekursgericht dem Erstgericht in diesem Zusammenhang eine entsprechende Verbreiterung der Sachverhaltsbasis aufgetragen, kann sich der Oberste Gerichtshof dem nicht widersetzen: Zweck des Rekurses ist nur die Überprüfung der Rechtsansicht der zweiten Instanz durch den Obersten Gerichtshof; ist die dem Aufhebungsbeschluss zu Grunde liegende Rechtsansicht richtig, kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht überprüfen, ob die Verfahrensergänzung tatsächlich notwendig ist (Kodek in Rechberger2 Rz 5 zu § 519 mwN; RIS-Justiz RS0042179 mit zahlreichen Entscheidungsnachweisen; vgl zuletzt etwa 7 Ob 9/02b; 6 Ob 86/02v; 3 Ob 53/02v).
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden. Die Einwände des Rekurswerbers, der Betroffene befinde sich in einem schlechten psychischen Zustand und seine Beweissituation betreffend seine Prozessunfähigkeit in der Vergangenheit werde zunehmend schwieriger werden, können an dieser Entscheidung - wie erläutert - nichts ändern, doch wird das Erstgericht bei seiner Ermessensentscheidung im aufgezeigten Sinn auch diese Umstände zu beachten haben. Abgesehen von der Erfolglosigkeit seines Rechtsmittels hat der Rekurswerber die von ihm verzeichneten Rekurskosten schon deshalb selbst zu tragen, weil - mit Ausnahme hier nicht relevanter besonderer Regelungen - im Verfahren außer Streitsachen keine Kostenersatzpflicht besteht.
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