OGH 7Ob216/01t

OGH7Ob216/01t26.9.2001

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen Nino G*****, Josef G*****, und Romano G*****, alle derzeit in Pflege und Erziehung des Vaters Josef G*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters, vertreten durch Dr. Gottfried Zandl und Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwälte in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichtes Krems an der Donau als Rekursgericht vom 26. Juli 2001, GZ 2 R 90/01z-77, womit über Rekurs des Vaters der Beschluss des Bezirksgerichtes Eggenburg vom 16. März 2001, GZ 2 P 4/00y-58, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen (jene des Erstgerichts mit Ausnahme ihres unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Punktes 1.) werden aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern des 14-jährigen Nino, des neunjährigen Josef und des fünfjährigen Romano wurde am 4. 1. 2000 einvernehmlich geschieden. In der iSd § 55a Abs 2 EheG geschlossenen schriftlichen Vereinbarung kamen die Eltern ua dahin überein, dass die Obsorge für die drei Kinder dem Vater übertragen werde und diesem in Hinkunft allein zustehe. Eine Regelung des Besuchsrechts der Mutter wurde vorbehalten.

Mit der Begründung, der Vater verweigere ihr den Kontakt zu den Kindern, beantragte die Mutter allerdings bereits am 13. 1. 2000 (eine pflegschaftsbehördliche Genehmigung der einvernehmlichen Obsorgeregelung war noch nicht erfolgt), ihr die Obsorge für die Kinder zu übertragen.

Der Vater sprach sich gegen diesen Antrag aus. Der Vorwurf, er verhindere jeden Kontakt der Mutter mit den Kindern, sei unrichtig. Das Für und Wider des Verbleibens der Kinder bei ihm sei mit der Mutter vor der Scheidung eingehend besprochen worden. Die beiden älteren Kinder hätten übereinstimmend geäußert, nicht zur Mutter und deren (künftigen) zweiten Ehemann ziehen zu wollen.

Mit gerichtlichem Vergleich vom 18. 1. 2000 trafen die Eltern eine Regelung betreffend das Besuchsrecht der Mutter bis zur Entscheidung über die Frage der Obsorge.

In weiterer Folge beantragte die Mutter unter Hinweis darauf, dass die Kinder älter geworden seien, ihr ein gegenüber der vergleichsweisen Regelung vom 18. 1. 2000 erweitertes Besuchsrecht einzuräumen.

Mit Schriftsätzen vom 9. und 16. 1. 2001 beantragte sodann der Vater, der Mutter, die sich inzwischen ein zweites Mal verheiratet hatte, das Besuchsrecht zumindest vorläufig bis zum Jahresende 2001 abzuerkennen. Die Mutter gefährde das Kindeswohl, weil sie den Kindern Grusel- und Horrorfilme vorführe, an Besuchsrechtstagen einfach nicht erscheine und mit den Kindern nichts unternehme.

Das Erstgericht traf mit Beschluss vom 16. 3. 2001 ua folgende Entscheidungen:

Es versagte der Obsorgeregelung vom 4. 1. 2000 die pflegschaftsbehördliche Genehmigung und sprach aus, dass die Obsorge für den älteren Sohn Nino allein dem Vater und die Obsorge für die beiden jüngeren Söhne Josef und Romano allein der Mutter zukomme und dem anderen Elternteil jeweils entzogen werde (Punkt 3. des erstinstanzlichen Beschlusses);

es versagte der am 18. 2. 2000 getroffenen Besuchsrechtsregelung die pflegschaftsbehördliche Genehmigung (Punkt 2. des erstinstanzlichen Beschlusses);

es wies den Antrag des Vaters vom 16. 1. 2001, der Mutter hinsichtlich aller drei Kinder das Besuchsrecht zu entziehen, ab (Punkt 4.)

und es sprach aus, dass über den Antrag der Mutter auf Regelung des Besuchsrechts betreffend den mj. Nino mit gesondertem Beschluss entschieden werden werde (Punkt 5.).

Unter Berufung auf Befund und Gutachten der beigezogenen gerichtlich beeideten Sachverständigen für Psychiatrie und Neurologie und Psychotherapeutische Medizin DDr. Gabriele Wörgötter stellte das Erstgericht fest bzw führte rechtlich aus:

Mit der Ausübung des Besuchsrechtes durch die Mutter habe es wiederholt Schwierigkeiten gegeben. Im Sommer 2000 sei der Vater für mehrere Wochen nach Graz verzogen und habe die Kinder dorthin mitgenommen. Auch hiedurch sei es wiederholt zu Schwierigkeiten bezüglich der persönlichen Kontakte der Mutter mit ihren Kindern gekommen; die Mutter habe für längere Zeit ihr Besuchsrecht nicht ausüben können.

Weder beim Vater noch bei der Mutter ergäben sich Hinweise auf das Vorliegen einer psychiatrischen Erkrankung oder einer gleichwertigen psychischen Störung. Die Mutter erweise sich als affektiv gut schwingungsfähig und im Kontakt offen und mitteilungsbereit. Sie leide unter der Trennung von ihren Kindern. An ihrer Bereitschaft, im Falle einer Obsorgeübertragung an sie den Kindern auch entsprechenden Kontakt zum Vater zu ermöglichen, sei nicht zu zweifeln. Im Gegensatz zur Mutter erweise sich der Vater als emotional weniger schwingungsfähig und sei im Kontakt sehr verhalten. Er stehe Besuchskontakten zwischen der Mutter und den Kindern ablehnend gegenüber und ziehe sich rein formal auf eine "gesetzliche Regelung" zurück.

Die Minderjährigen Nino, Josef und Romano seien jeweils somatisch, intellektuell und sozial alterstypisch gereift. Bezüglich der psychisch-emotionalen Entwicklung ergebe sich bei Nino das Bild eines sehr verunsicherten Jugendlichen, dessen verstärkte Ausrichtung auf den Vater nicht nur im Zusammenhang mit der in diesem Alter stattfindenden Identifikation zu sehen sei; es handle sich vielmehr um eine typische "Überidentifikation", die tatsächlich eine Schutzhaltung gegenüber einer nicht mehr ertragbaren Ambivalenz sei. Diese Überidentifikation, die durch das Verhalten des Vaters noch verstärkt werde, mache es Nino nicht möglich, sich mit der Mutter emotional auseinanderzusetzen. Der innere psychische Konflikt werde nicht gelöst, sondern nur oberflächlich überwunden. Auch Josef stehe in einem typischen Ambivalenzkonflikt; er äußere einerseits, weiter beim Vater leben zu wollen, wobei aus der Art und Weise dieser Äußerungen auf eine Beeinflussung durch den Vater zu schließen sei. Aus dem projektiven Testverfahren und aus der Interaktionsbeobachtung zwischen der Kindesmutter und Josef seien jedoch auch starke emotionale Bindungen an die Mutter fassbar. Romano äußere alterstypisch unbefangen einerseits den Wunsch nach seiner Mutter, andererseits auch den Wunsch, von beiden Elternteilen versorgt zu werden. Aus der Interaktionsbeobachtung zwischen der Mutter und ihm ergebe sich eine starke emotionale Bindung an die Mutter. Die drei Kinder hätten eine gut geschwisterliche Beziehung und emotionale Bindung zueinander.

Grundsätzlich ergäben sich bei beiden Elternteilen aus psychiatrischer Sicht keine Hinweise auf eine Erziehungsinsuffizienz. Bezüglich der psychischen Dynamik der Kindeseltern stehe die streitige Auseinandersetzung um die Zuteilung der Obsorge im Mittelpunkt. Hier werde die Auseinandersetzung und das Scheitern der Ehe zwischen den Eheleuten auf dem Rücken der gemeinsamen Kinder ausgetragen, die so zum Spielball des elterlichen Konflikts würden. Dass die Mutter aus der Ehe ausgebrochen sei, werde vom Vater als eine schwere narzisstische Kränkung empfunden. Er fühle sich daher im Recht, die Kinder an sich zu binden und für sich das Recht auf Obsorge zu fordern. Den Vorwürfen, die die Eltern einander machten, werde vom jeweils anderen Elternteil widersprochen. Bezüglich der zukünftigen Beziehungen der Minderjährigen zu dem nicht obsorgeberechtigten Elternteil habe die Mutter ganz eindeutig die den kindlichen Bedürfnissen einfühlsamere und entsprechendere Einstellung. Es entspreche dem Wohl und den Interessen des mj Nino, wenn die Obsorge für ihn beim Vater verbleibe. Eine Kontaktanbahnung zur Mutter, eventuell unter psychotherapeutischer Begleitung, wäre für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung Ninos dringlich indiziert. Bezüglich der Minderjährigen Josef und Romano liege es im Kindeswohl, dass die Obsorge für sie an die Mutter übertragen werde. Beim mj. Romano sei eine eindeutige Bindungspräferenz an die Kindesmutter festzustellen, der mj. Josef stehe in einem typischen Loyalitätskonflikt zwischen den Eltern, der durch beeinflussendes Verhalten seitens des Vaters verstärkt werde; der Minderjährige sei an beide Elternteile emotional gebunden. Die Mutter erweise sich als affektiv schwingungsfähiger, emotional flexibler, kompromissbereiter und introspektionsfähiger als der Vater. Sie stehe auch künftigen Kontakten zwischen den Kindern und dem Vater deutlich positiver und offener gegenüber, als umgekehrt der Vater. Somit sei die Mutter als besser geeignet einzuschätzen, den Minderjährigen Josef und Romano eine deren Bedürfnissen entsprechende Fürsorge und Erziehung angedeihen zu lassen als der Vater. Die entsprechende Obsorgeaufteilung stelle zwar durch die sich daraus ergebende Trennung der Geschwister, die aneinander hängen, eine Belastung für die Kinder dar. Die Trennung erscheine aber angesichts der sich darbietenden Realitäten unumgänglich; der höheren Erziehungskompetenz der Mutter sei der Vorrang gegenüber der Bindung der Geschwister einzuräumen. Dem Wohl der Kinder sei es (aber) unbedingt förderlich, dass sie in Zukunft regelmäßige geschwisterliche Kontakte untereinander pflegten. Auch regelmäßige Besuchskontakte zwischen den Minderjährigen Josef und Romano und dem Vater seien im Wohl und Interesse der Kinder gelegen, dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass es der Vater unterlasse, die Minderjährigen negativ gegen die Kindesmutter zu beeinflussen und diese herabzuwürdigen. Der nicht im Interesse der Minderjährigen Josef und Romano gelegenen Obsorgeregelung vom 4. 1. 2000 sei daher die pflegschaftsbehördliche Genehmigung ebenso zu versagen, wie der am 18. 1. 2000 getroffenen vorläufigen Besuchsrechtsregelung, die ohnehin, wie sich im Laufe der Zeit herausgestellt habe, praktisch nicht funktioniert habe. Die Entscheidung über den Besuchsrechtsantrag der Mutter in Ansehung des mj. Nino sei vorzubehalten gewesen, weil Nino, der geäußert habe, an einer gerichtlichen Besuchsrechtsregelung nicht interessiert zu sein, noch eingehend zu befragen sein werde.

Das Rekursgericht gab dem Rechtsmittel des Vaters, der sich gegen die Übertragung der Obsorge hinsichtlich der mj. Josef und Romano an die Mutter (und gegen die damit im Zusammenhang stehenden weiteren Entscheidungen) wandte, nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Es stellte nach Zwischenerhebungen ergänzend fest, dass die Mutter mit ihrem nunmehrigen zweiten Ehemann inzwischen von B***** nach A***** verzogen sei. Ihre Wohnung dort umfasse 40 m2, sei neu eingerichtet und sehr ordentlich. Es gebe ein Schlafzimmer und eine geräumige Wohnküche. Sollten Josef und Romano zur Mutter kommen, würde das Schlafzimmer als Kinderzimmer umfunktioniert und die Couch im Wohnzimmer als Bett für die Mutter und ihren Ehemann ausgezogen. Im Nebenhaus wohnten die Eltern der Mutter, die seit 9. 7. 2001 bei der Stadtgemeinde A***** für eine Wohnung vorgemerkt sei. Die in Aussicht genommene Wohnung sei ca 70 m2 groß und bestehe aus Wohn-, Schlaf- und Kinderzimmer. Über die Wohnungszuteilung werde am 23. 8. 2001 entschieden werden. Der Mutter würden gute Chancen eingeräumt, da die Vormieterin ihre Schwägerin sei. Nach dem Bericht der Sozialarbeiterin habe die Mutter, die derzeit ihren Ehemann bei Marktfahrten begleite, falls die Kinder bei ihr seien, die Absicht, daheim zu bleiben, um sie zu betreuen. Rechtlich folgerte das Rekursgericht, der Umstand, dass dem Vater vor Beschlussfassung nicht Gelegenheit geboten wurde, zum Gutachten der Sachverständigen Stellung zu nehmen, begründe weder eine Nichtigkeit, noch einen Verfahrensmangel, da der Vater ohnehin im Rekurs Stellung nehmen habe können. Es stelle auch keine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens dar, dass die väterliche Großmutter und die nunmehrige Lebensgefährtin des Vaters weder von der Sachverständigen noch vom Erstgericht gehört wurden. Als Beweisthema habe der Vater bei seiner Mutter angeführt, dass diese die Hauptlast der Erziehung aller drei Kinder bei aufrechter ehelicher Lebensgemeinschaft der Eltern getragen habe; bei seiner Lebensgefährtin, dass sich diese sehr intensiv um die Kinder, insbesondere auch deren schulischen Fortgang, kümmere. Beide Beweisthemen seien für die Obsorgeentscheidung jedoch irrelevant. Letztlich sei allein das Wohl der Kinder ausschlaggebend; für die Obsorgezuteilung habe auch die Frage, ob sich die Lebensgefährtin des Vaters intensiv um die Kinder kümmere, nur marginale Bedeutung. Die vom Vater reklamierte Erziehungskontinuität sei vor allem bei erstmaliger Obsorgeentscheidung nicht allein ausschlaggebend; der Grundsatz der Kontinuität sei nur einer von mehreren Leitgedanken. Bei einer Kollision verschiedener Leitgedanken komme es immer auf die vorzunehmende Gesamtschau an, wobei die Umstände bei dem einen Elternteil denen beim anderen in ihrer Gesamtheit gegenüberzustellen seien. Das ursprüngliche Einverständnis der Mutter, dass der Vater die Obsorge für alle drei Kinder ausüben solle, erscheine nicht von maßgeblichem Gewicht, weil es "zumindest möglich" sei, dass man sich damals über einen - auch intensiveren - Kontakt der Mutter zu den Kindern weitgehend geeinigt habe; ein gewichtiges Argument für eine Zustimmung zur Obsorgeübertragung an den Vater sei auch die Tatsache, dass die Mutter damals keine Wohnung zur Verfügung gehabt habe. Auf frühere Erklärungen oder Absichten der Eltern für die Obsorgezuteilung komme es aber nicht an; im Vordergrund stehe ausschließlich das Kindeswohl. Aktenkundig sei, dass die am 18. 1. 2000 vergleichsweise vereinbarte Besuchsrechtsregelung nicht eingehalten worden sei. Wer von den Eltern daran Schuld trage, sei für die Obsorgeentscheidung nicht maßgeblich, es wäre denn, dass daraus auf die mangelnde Eignung eines Elternteiles zur Obsorge geschlossen werden müsste. Dies treffe hier jedoch nicht zu. Aus der Vorgangsweise der Mutter, nach der erstinstanzlichen Entscheidung die beiden jüngeren Kinder sofort aus dem Kindergarten und der Schule abzuholen und mit ihnen in Richtung Linz zu fahren, könne keine mangelnde Eignung der Mutter zur Kindererziehung abgeleitet werden. Ausgehend von einer - abgesehen von der Einstellung zum Besuchsrecht - grundsätzlichen Gleichwertigkeit der Eltern als Erzieher der Kinder komme es im vorliegenden Fall im Wesentlichen auf die Explorationsergebnisse der Sachverständigen bezüglich der Minderjährigen Josef und Romano an. Die Sachverständige habe sich bezüglich der beiden jüngeren Kinder unter Berücksichtigung des Kindeswohls für eine Übertragung der Obsorge an die Mutter ausgesprochen. Bei Romano sei eine eindeutige Bindungspräferenz an die Mutter fassbar, die nach den auf dem Sachverständigengutachten basierenden Feststellungen des Erstgerichtes als besser geeignet einzuschätzen sei, den beiden jüngeren Kindern eine deren Bedürfnissen entsprechende Fürsorge und Erziehung angedeihen zu lassen. Auch die vom Rekursgericht festgestellte Wohnungssituation der Mutter biete keinen Anlass, die Obsorge für die beiden jüngeren Kinder nicht der Mutter zu übertragen. Diese habe gute Aussichten, demnächst eine größere Wohnung zu erhalten, abgesehen davon, dass auch die jetzige Wohnung ungeachtet ihrer Größe für die Familie nicht ungeeignet sei. Entscheidend sei die bessere Eignung der Mutter, deren Beziehung zu den jüngeren Kindern auf emotionaler und persönlicher Ebene für das Kindeswohl wichtiger sei als die Wohnungsgröße. Daraus, dass sich der Rekurs des Vaters hinsichtlich der Übertragung der Obsorge für die Minderjährigen Josef und Romano an die Mutter als nicht berechtigt erweise, folge zwingend die Versagung der pflegschaftsbehördlichen Genehmigung der Vereinbarung vom 4. 1. 2000 betreffend die Obsorge für alle drei Kinder. Abgesehen davon, dass die Besuchsrechtsvereinbarung vom 18. 1. 2000 offenbar nicht funktioniere, sei das Besuchsrecht der Mutter zu den Minderjährigen Josef und Romano wegen der bestätigten Obsorgezuteilung für diese beiden Kinder an die Mutter hinfällig. Der Antrag des Vaters, der Mutter das Besuchsrecht in Ansehung des mj. Nino bis Ende des Jahres 2001 zur Gänze zu entziehen, sei im Zusammenhang mit Punkt 5. der erstinstanzlichen Entscheidung zu sehen, das Besuchsrecht der Mutter zum mj. Nino vorzubehalten. Derzeit bestehe hinsichtlich des mj. Nino überhaupt keine Regelung des Besuchsrechts, sodass die Frage der Versagung (Entziehung) bzw Einräumung eines derartigen Besuchsrechts insgesamt erst zu entscheiden sein werde. Die gesonderte Anfechtung des Punktes 4. des erstinstanzlichen Beschlusses habe daher ebenfalls erfolglos bleiben müssen.

Zur Begründung seines Ausspruchs der Unzulässigkeit des ordentlichen Revisionsrekurses führte das Rekursgericht aus, es habe die von der Rechtsprechung zur Obsorgezuteilung entwickelten Grundsätze beachtet, sodass - abgesehen davon, dass es sich um eine typische Einzelfallentscheidung handle - keine Veranlassung bestehe, die Sache an den Obersten Gerichtshof herantragen zu lassen.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters ist entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichtes, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 16 Abs 3 AußStrG), aus den folgenden Erwägungen zulässig und im Sinne des vom Revisionsrekurswerber hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Vorauszuschicken ist, dass das gegenständliche Verfahren entgegen der Ansicht des Revisionsrekurswerbers, deshalb, weil diesem wesentliche Erhebungsergebnisse (insbesondere das Sachverständigengutachten) nicht vor Fällung der Entscheidungen erster und zweiter Instanz zur Stellungnahme übermittelt wurden, nicht iSd § 477 Abs 1 Z 4 ZPO nichtig ist. Wegen der im außerstreitigen Verfahren gegebenen grundsätzlichen Neuerungserlaubnis (§ 10 AußStrG) war das rechtliche Gehör des Vaters durch die Möglichkeit gewahrt, in seinen Rechtsmitteln zu den betreffenden Umständen jeweils Stellung zu nehmen (RIS-Justiz RS0006002, zuletzt etwa 7 Ob 100/00g). Tatsächlich liegen aber gravierende Verfahrensmängel vor.

Sowohl für die Obsorgeentscheidung als zentrale Frage des vorliegenden Verfahrens, als auch für die von dieser Entscheidung abhängigen Besuchsrechtsregelung ist das Kindeswohl von maßgebender Bedeutung. Die von der Rechtsprechung dazu entwickelten Leitgedanken lassen sich wie folgt zusammenfassen: Geschwister sollen grundsätzlich nicht getrennt werden, weiters, dass bei Kleinkindern im Allgemeinen der Betreuung durch die Mutter der Vorzug zu geben ist, ohne dass diese daraus ein Vorrecht ableiten könnte (RIS-Justiz RS0047911) und die Maxime, dass auch bei einer Erstzuteilung nach § 177 Abs 2 ABGB aF (nunmehr § 177a Abs 1 ABGB) - wie hier - die Grundsätze der Kontinuität der Erziehungs- und Lebensverhältnisse nicht zu vernachlässigen sind (RIS-Justiz RS0047903). Bei einer Kollision verschiedener Leitgedanken kommt es immer auf die vorzunehmende Gesamtschau an, wobei die Umstände bei dem einen Elternteil denen beim anderen in ihrer Gesamtheit gegenüberzustellen sind (RIS-Justiz RS0047832); dabei ist ua auch darauf zu achten, welcher Elternteil am ehesten ein intaktes Familienleben bieten kann (3 Ob 269/97y). Ein Wechsel in den Pflegeverhältnissen und Erziehungsverhältnissen soll nur dann vorgenommen werden, wenn besondere Umstände dafür sprechen, dass die durch die Persönlichkeit, den Charakter, die pädagogischen Fähigkeiten und die wirtschaftlichen Verhältnisse des in Erwägung gezogenen neuen Pflegeberechtigten und Erziehungsberechtigten den Pflegebefohlenen eröffneten Möglichkeiten aller Voraussicht nach zu einer beachtlichen Verbesserung ihrer Lage und Zukunftserwartungen führen werden (RIS-Justiz RS0047903). Dieser Grundsatz ist, wie der Oberste Gerichtshof etwa zu 6 Ob 583/83 ausgesprochen hat, auch auf erstmalige Sorgerechtsentscheidungen anwendbar.

Ausgehend von diesen Grundsätzen erscheint das Verfahren zur Zuteilung der Obsorge für die Minderjährigen Josef und Romano ergänzungsbedürftig: Das Rekursgericht hat betont, dass die Eltern grundsätzlich als Erzieher der Kinder ungefähr gleichwertig anzusehen seien und die Obsorgezuteilung betreffend die Minderjährigen Josef und Romano an die Mutter nur deshalb erfolge, weil diese "affektiv schwingungsfähiger" (offenbar gemeint gefühlsbetonter), emotional flexibler, kompromissbereiter und introspektionsfähiger (dh fähiger zur Selbstbeobachtung zum Zwecke psychologischer Selbsterkenntnis) als der Vater sei, insbesondere auch, was dessen künftige Kontakte zu den Kindern anlange. Stellt man diese Vorzüge der Mutter den Nachteilen einer Trennung der Minderjährigen Josef und Romano von ihrem älteren Bruder Nino und dem für Josef und Romano in Kauf zu nehmenden Milieuwechsel, insbesondere den Schul- bzw Kindergartenwechsel, gegenüber, so setzt eine Obsorgezuteilung an die Mutter wohl voraus, dass bei dieser im Wohn- und Wirtschaftsbereich keine wesentlichen Defizite gegenüber dem Vater bestehen. Diesbezüglich fehlt es aber an einer ausreichenden Feststellungsgrundlage. Darüberhinaus hat das Rekursgericht dem Vater keine Möglichkeit gewährt, zu den von ihm selbst getroffenen Beweisergänzungen Stellung zu nehmen. Die vom Vater im Revisionsrekurs vorgebrachte Neuerung, dass weder die Mutter noch ihr nunmehriger Ehemann in der Lage seien, das für Josef und Romano erforderliche wirtschaftliche und persönliche Umfeld zu garantieren ist daher beachtlich. In diesem Zusammenhang hat bereits das Rekursgericht den vom Vater gegen die erstgerichtliche Entscheidung erhobenen Vorwurf der Mangelhaftigkeit nicht ausreichend bearbeitet. Da nicht feststeht, ob und was die Mutter an Einkünften als Begleiterin ihres Mannes bei Marktfahrten verdient, bzw welche Einkünfte sie haben wird, wenn sie sich nur mehr der Betreuung des Josef und des Romano widmen sollte, kommt, da sie offenbar vermögenslos ist, der Frage einer ausreichenden Alimentierung durch ihren nunmehrigen Gatten entscheidende Bedeutung zu. Sollte eine solche nicht garantiert sein, so liegt es nahe, dass die Mutter nicht die Wohnkosten sowie jene der Lebensführung ausreichend aufbringen kann; das Tatsachensubstrat der Vorinstanzen reicht nicht aus, um die Lebensumstände der Eltern jeweils gesamthaft beurteilen und gegeneinander abwägen zu können. Bei den vom Vater im Revisionsrekurs erhobenen Behauptungen, eine Obsorgezuteilung an die Mutter würde vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht eine wesentliche Verschlechterung für die Minderjährigen Josef und Romano mit sich bringen und auch die Wohnverhältnisse bei der Mutter wären für die Kinder unzumutbar, handelt es sich zwar um Neuerungen, die aber zufolge des Vorrangs und der überragenden Bedeutung des Kindeswohls - selbst wenn es sich um nova producta handelt - zulässig sind (vgl etwa 1 Ob 2292/96g, EFSlg

82.863 = EvBl 1997/103 = RZ 1997/57 = ÖA 1997, 191/U 185 mwN).

Im Hinblick auf die bereits betonte Bedeutung eines intakten Familienlebens kann auch die Ansicht des Rekursgerichtes, ein vom Vater behauptetes besonderes Bemühen seiner Lebensgefährtin um die Kinder und insbesondere um deren schulische Belange sei von zu vernachlässigender Bedeutung, nicht geteilt werden. Können doch geeignete Bemühungen des neuen Lebenspartners des Obsorgeberechtigten, diesen bei der Erziehung der Kinder zu unterstützen und insgesamt ein harmonisches Familienleben zu bieten, dem Kindeswohl außerordentlich zuträglich sein. Umgekehrt sind daher auch die Lebensumstände der Mutter und die Einstellung deren zweiten Ehemanns zu den beiden Kindern von wesentlicher Bedeutung. In diesem Zusammenhang erscheint daher der Einwand des Revisionsrekurses, der Ehemann der Mutter komme seinen Alimentationsverpflichtungen gegenüber seinen eigenen drei außerehelichen Kindern nicht nach (den Kindern werde Unterhaltsvorschuss gewährt) nicht unbeachtlich.

Da die strittige Obsorgeentscheidung für den mj. Josef einen Schulwechsel (in ein anderes Bundesland) mit sich brächte, erscheint es weiters auch erforderlich, die schulische Situation des Kindes näher zu untersuchen und festzustellen, da ein Schulwechsel einem guten Schüler doch eher zumutbar scheint als einem Kind, das die vorgegebenen Leistungsziele kaum zu erreichen imstande ist.

Insgesamt erscheint daher eine Verfahrensergänzung im aufgezeigten Sinne unumgänglich. Erst nach entsprechender Verbreiterung der Sachverhaltsgrundlage wird eine mangelfreie, ausreichend sichere Beurteilung möglich sein, bei welchem Elternteil das Wohl der Minderjährigen Josef und Romano besser gewährleistet ist.

Abhängig davon und daher erst im Anschluss an diese Obsorgeentscheidung wird eine Regelung hinsichtlich des mütterlichen und allenfalls auch väterlichen Besuchsrechts zu treffen sein, wobei (nötigenfalls) auch die bisher ungeklärt gebliebenen Fragen, warum die vergleichsweise vereinbarte Besuchsrechtsregelung nicht funktionierte und wer daran die Schuld trägt, zu erörtern und zu klären sein werden.

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