OGH 7Ob195/11v

OGH7Ob195/11v30.11.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** S*****, vertreten durch Mag. Helmut Gruber, Rechtsanwalt in St. Jakob in Haus, gegen die beklagte Partei D***** AG (nunmehr D***** AG *****), *****, vertreten durch Dr. Wolfgang Dartmann und andere Rechtsanwälte in Linz, wegen 18.393,23 EUR (sA), über die Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 31. Mai 2011, GZ 4 R 40/11x, 4 R 41/11v-51, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 23. Dezember 2010, GZ 8 Cg 32/09p-47, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit 1.119,24 EUR (darin enthalten 186,54 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Kläger war am 8. 11. 2004 bei der Beklagten unfallversichert. Er hatte damals bei diversen Versicherungsunternehmen noch fünf weitere Unfallversicherungen abgeschlossen.

Der Kläger begehrt von der Beklagten eine Versicherungsleistung von 18.393,23 EUR wegen Invalidität. Er sei am 8. 11. 2004 in der S***** in S***** beim Schließen eines Gehtores an der Türklinke hängen geblieben und habe sich dabei einen knöchernen Bandausriss am Daumengrundgelenk zugezogen, der eine Bewegungseinschränkung des Gelenks zur Folge habe.

Die Beklagte wendete ein, der behauptete Versicherungsfall liege nicht vor; der Kläger habe unterschiedliche Angaben zum Vorfall gemacht.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Es stellte im Wesentlichen noch fest, der Kläger habe am 8. 11. 2004 einen Unfallchirurgen aufgesucht, der ihn am 12. 11. 2004 am linken Daumen operierte, wobei er einen knöchernen Ausriss des ulnaren (ellenseitigen) Bandapparats beschrieben habe. „Wann, wo und wie der Kläger sich diese Verletzung zugezogen hat, kann nicht festgestellt werden, insbesondere nicht, ob sie beim Schließen des Gehtores entstanden ist.“ Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt dahin, der Kläger habe nicht den Beweis erbracht, dass die Daumenverletzung durch einen Unfall - insbesondere nicht durch den in der Klagserzählung geschilderten Unfall - entstanden sei. Es liege daher kein Versicherungsfall vor.

Das vom Kläger angerufene Berufungsgericht bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung. Es erachtete die Tatsachenrüge des Klägers für nicht berechtigt; das Erstgericht habe zu Recht eine Negativfeststellung zur Ursache der Verletzung getroffen. Im vorliegenden Fall sei es der Beklagten gelungen, berechtigte Zweifel am Vorliegen des in der Klage geschilderten Unfallgeschehens aufkommen zu lassen. Es wäre daher am Kläger gelegen, den Beweis dafür zu erbringen, dass sich ungeachtet dieser berechtigten Zweifel der von ihm behauptete Unfall ereignet habe.

Das Berufungsgericht sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Auf Antrag des Klägers änderte es diesen Ausspruch aber dahin ab, dass es die ordentliche Revision doch für zulässig erklärte. Der Revisionswerber zeige grundsätzlich zutreffend auf, dass die Beklagte keine Prozessbehauptung aufgestellt und das Erstgericht keine Feststellungen dahin getroffen habe, der Kläger habe sich vorsätzlich selbst verletzt. Der Revisionswerber wende ein, es fehle Rechtsprechung zur Frage, ob auch Zweifel am Unfallgeschehen oder Zweifel am konkreten Ablauf eines bestimmten Vorfalls bereits ausreichten, um die von der Rechtsprechung im Sinn des § 181 VersVG geforderten Zweifel an der Unfreiwilligkeit des Unfalls zu begründen. Mit diesem Vorbringen werde aufgezeigt, dass das Berufungsgericht an das Erfordernis, dass der Versicherte das Unfallgeschehen zu beweisen habe, „möglicherweise einen zu strengen Maßstab angelegt“ habe, sodass die Zulassung der Revision gemäß § 508 Abs 5 ZPO geboten erscheine.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen diesem, den Obersten Gerichtshof nach § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden, Ausspruch des Berufungsgerichts ist die vom Kläger erhobene Revision mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Die Deckungspflicht der Beklagten setzt das Vorliegen eines Unfalls voraus. Unfall ist nach den dem Versicherungsvertrag der Streitteile unstrittig zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen ein vom Willen des Versicherten unabhängiges Ereignis, das plötzlich von außen mechanisch oder chemisch auf seinen Körper einwirkt und eine körperliche Schädigung oder den Tod nach sich zieht. Die zur Frage der Beweispflicht für das Vorliegen eines bedingungsgemäßen, deckungspflichtigen Unfalls vom Berufungsgericht angestellten Erwägungen folgen der ständigen oberstgerichtlichen Judikatur, dass der Versicherungsnehmer für das Vorliegen eines - unfreiwilligen - Unfalls beweispflichtig ist (RIS-Justiz RS0080927). Nach ständiger Rechtsprechung reicht allerdings in der Regel zum Nachweis des Versicherungsfalls schon aus, wenn der Versicherungsnehmer Umstände dartut, die die Möglichkeit eines Unfalls naheliegend erscheinen lassen. Sache des Versicherers ist es, Umstände zu behaupten und zu beweisen, die dafür sprechen, dass kein deckungspflichtiger Unfall vorliegt, etwa weil das die körperliche Schädigung herbeiführende Ereignis nicht unabhängig vom Willen des Versicherten gewesen ist. Ist dem Versicherer dies gelungen, so muss der Versicherungsnehmer beweisen, dass er dessen ungeachtet unfreiwillig einen Unfall erlitten hat (RIS-Justiz RS0080921). Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, in Anbetracht der von der Beklagten aufgezeigten Widersprüche in den Unfallschilderungen des Klägers und der übrigen festgestellten Umstände, sei vom Kläger der strenge Beweis des Eintritts des Versicherungsfalls zu verlangen gewesen, steht mit diesen Grundsätzen im Einklang. Ob das Vorliegen eines - unfreiwilligen - Unfalls zu bezweifeln ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Diese Frage ist daher nur dann revisibel, wenn dem Berufungsgericht eine Fehlbeurteilung unterläuft, die aus Gründen der Rechtssicherheit ein Einschreiten des Obersten Gerichtshofs erfordert. Davon kann hier keine Rede sein:

Mit der Entscheidung vom 12. 10. 2011, 7 Ob 187/11t, hat der Oberste Gerichtshof in einem Parallelfall, in dem derselbe Kläger wegen derselben Verletzung eine Versicherungsleistung von einem anderen Versicherer begehrte, die außerordentliche Revision des Klägers gegen die auch dort klagsabweisende Entscheidung der Vorinstanzen mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen. Auch dort haben sich die Vorinstanzen wegen der unterschiedlichen Vorfallschilderungen des Klägers im Zusammenhalt mit den gutachterlichen Ausführungen eines beigezogenen Sachverständigen für Unfallchirurgie sowie wegen der - im Hinblick auf mehrere zuvor vom Kläger erlittene Unfälle und den Abschluss von gleich sechs Unfallversicherungen - vorhandenen Verdachtsmomente nicht in der Lage gesehen, eine positive Feststellung dazu zu treffen, wie es zur Verletzung des Klägers gekommen ist. Die vom Berufungsgericht gebilligte diesbezügliche Negativfeststellung ist vom Obersten Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht zu überprüfen. Ausgehend daher davon, dass Zeit, Ort und Ursache der Verletzung nicht festgestellt werden konnten, hat der Kläger einen der Definition eines deckungspflichtigen Unfalls entsprechenden Vorfall nicht bewiesen; der ihm als Versicherungsnehmer obliegende Beweis der anspruchsbegründenden Voraussetzung des Eintritts des Versicherungsfalls (RIS-Justiz RS0043438; RS0080003; RS0043563) ist ihm, wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben, demnach nicht gelungen. Daran vermag sein Einwand, die Beklagte habe keine ausdrückliche Behauptung aufgestellt, dass er sich selbst verstümmelt habe, nichts zu ändern (7 Ob 187/11t).

Mangels erheblicher Rechtsfragen ist demnach die Zulässigkeitsvoraussetzung des § 502 Abs 1 ZPO nicht gegeben. Die Revision ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO. Die Beklagte hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.

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