OGH 7Ob158/11b

OGH7Ob158/11b4.7.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Dr. Schwarzenbacher und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. Mag. H***** W*****, vertreten durch Mag. Ulrich Salburg, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei R*****-AG, *****, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 18. Mai 2011, GZ 1 R 191/10z‑13, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 29. April 2010, GZ 10 C 1312/09b‑9, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 445,82 EUR (darin enthalten 74,30 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO kann sich die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.

Das Berufungsgericht sprach mit folgender Begründung aus, dass ‑ obwohl es sich im „Konsens“ mit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung sehe ‑ die ordentliche Revision zulässig sei:

Die Auslegung des Art 2 Z 1 ARB 2003 im Zusammenhang mit dem Erwerb von Wertpapieren auf Grund allenfalls mangelhafter oder unrichtiger Prospektangaben sei schon wegen der großen Anzahl solcher an die Gerichte herangetragener Fälle von erheblicher Bedeutung; außerdem könnte allenfalls ein „Spannungsverhältnis“ zur Rechtsansicht in der Entscheidung 7 Ob 132/08z vorliegen, weil die Vergleichbarkeit der Sachverhalte nach den dortigen Entscheidungsgründen nicht sicher zu beantworten sei.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene, von der beklagten Rechtsschutzversicherung beantwortete Revision des Klägers ist im Hinblick auf die mittlerweile veröffentlichte Entscheidung 7 Ob 242/11f nicht zulässig.

Für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO vorliegen, ist der Zeitpunkt der Entscheidung über die Revision maßgeblich (7 Ob 113/11k mwN; 7 Ob 224/11h; 7 Ob 245/11x). Der Oberste Gerichtshof hat die auch hier maßgebende Rechtsfrage im Verfahren 7 Ob 242/11f (in einem vergleichbaren Fall, der auch die Auslegung des Art 2 Z 1 [und Z 3] ARB 2003 im Zusammenhang mit dem Erwerb von Wertpapieren auf Grund unrichtiger Bewerbung als solide Form der Veranlagung betraf) mittlerweile bereits beantwortet. Die vorliegende Revision zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf, weil den Rechtsmittelausführungen jene Überlegungen entgegenstehen, die der Oberste Gerichtshof in der zitierten Entscheidung festgehalten hat. Die hier wie dort maßgebenden Bestimmungen der ARB 2003 lauten wie folgt:

Artikel 2

Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?

1. Bei der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gemäß Art 17.2.1.1., Art 18.2.1., Art 21.2.1. und Art 25.2.3. gilt als Versicherungsfall das dem Anspruch zugrundeliegende Schadenereignis. Als Zeitpunkt des Versicherungsfalls gilt der Eintritt dieses Schadenereignisses.

[…]

3. In den übrigen Fällen gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften; der Versicherungsfall gilt in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem eine der genannten Personen begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. Bei mehreren Verstößen ist der erste, adäquat ursächliche Verstoß maßgeblich, wobei Verstöße, die länger als ein Jahr vor Versicherungsbeginn zurückliegen, für die Feststellung des Versicherungsfalls außer Betracht bleiben. […].

Auch der dortige Kläger begehrte, seinen Rechtsschutzversicherer schuldig zu erkennen, ihm auf Grund des Rechtsschutzversicherungsvertrags für gegen eine [Bank-]AG anhängig gemachtes Gerichtsverfahren und die aus bestimmten Aktienankäufen erlittenen und gegenüber der Bank geltend zu machenden Nachteile Kostendeckung zu gewähren. Im Revisionsverfahren strittig war ebenfalls nur noch die Frage der Vorvertraglichkeit (ob die vom Kläger geltend gemachten Versicherungsfälle vor oder nach Beginn des Versicherungsschutzes eingetreten waren). Der Kläger brachte dazu vor, die [Bank-]AG und die hinter dieser stehende [Finanz-]Gruppe habe den Kauf der Aktien als solide Form der Veranlagung beworben. Tatsächlich sei der Kurs der Aktien durch massiven Ankauf der eigenen Aktien künstlich hochgehalten worden. Erst im Jahr 2008 sei dem Kläger bekannt geworden, dass die massiven Kursverluste der Aktien auf Verstöße (auch) der [Bank-]AG gegen das Bankwesengesetz zurückzuführen gewesen seien. Zur Vermeidung von Verjährungsfolgen habe er am 12. 5. 2009 Klage gegen die [Bank-]AG auf Rückabwicklung des Rechtsgeschäfts vom 19. 5. 2006 und Zahlung Zug um Zug gegen Rückstellung der an diesem Tag gekauften Aktien eingebracht. Die Ansprüche würden auf die Verletzung vertraglicher Verpflichtungen, subsidiär auch auf allgemeinen Schadenersatz gestützt.

Zu 7 Ob 242/11f wurde für diese Fallgestaltung insbesondere Folgendes erwogen:

Obwohl der Kläger weiterhin auch Art 2.1. ARB 2003 erwähnt, tritt er der zutreffenden Ansicht der Vorinstanzen nicht mehr entgegen, dass die Ansprüche, die er gegenüber der [Bank-]AG erhebt, unter den „Vertraglichen Rechtsschutz“ fallen und dass daher für den Eintritt des Versicherungsfalls Art 2.3. ARB maßgeblich ist. Nach dieser Bestimmung (gleichlautende Klauseln finden sich auch in den ARB 1988, 1994, 2005 und 2007) liegt der Versicherungsfall in der Rechtsschutzversicherung vor, wenn einer der Beteiligten begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. Es bedarf daher eines gesetzwidrigen oder vertragswidrigen Verhaltens eines Beteiligten, das als solches nicht sofort oder nicht ohne weiteres nach außen zu dringen braucht. Ein Verstoß ist ein tatsächlich objektiv feststellbarer Vorgang, der immer dann, wenn er wirklich vorliegt oder ernsthaft behauptet wird, den Keim eines Rechtskonflikts in sich trägt, der zur Aufwendung von Rechtskosten führen kann. Damit beginnt sich die vom Rechtsschutzversicherer übernommene Gefahr konkret zu verwirklichen. Es kommt nicht darauf an, ob der Handelnde sich des Verstoßes bewusst oder infolge von Fahrlässigkeit oder auch unverschuldet nicht bewusst war, es soll sich um einen möglichst eindeutig bestimmbaren Vorgang handeln, der in seiner konfliktauslösenden Bedeutung für alle Beteiligten, wenn auch erst nachträglich, erkennbar ist. Es kommt weder auf den Zeitpunkt an, zu dem die Beteiligten von dem Verstoß Kenntnis erlangten, noch darauf, wann auf Grund des Verstoßes Ansprüche geltend gemacht oder abgewehrt werden (RIS-Justiz RS0114001).

Bei mehreren (gleichartigen) Verstößen ist auf den ersten abzustellen (RIS-Justiz RS0114209). Ist kein einheitliches Verstoßverhalten des Schädigers erkennbar, handelt es sich bei einzelnen schädigenden Verhalten jeweils um einen rechtlich selbständigen neuen Verstoß. Die Beweislast für den Eintritt des Versicherungsfalls im versicherten Zeitraum in einem solchen Fall trifft den Versicherungsnehmer (RIS-Justiz RS0111811). War nach der Sachlage schon beim ersten Verstoß mit weiteren gleichartigen Verstößen zu rechnen, liegen in der Regel nicht mehrere selbständige Verstöße, sondern es liegt ein einheitlicher Verstoß im Rechtssinn vor. Dies kann sowohl bei vorsätzlichen Verstößen der Fall sein, bei denen der Wille des Handelnden von vornherein den Gesamterfolg umfasst und auf dessen „stoßweise Verwirklichung“ durch mehrere gleichartige Einzelhandlungen gerichtet ist, wie auch bei Fällen gleichartiger fahrlässiger Verstöße, die unter wiederholter Außerachtlassung derselben Pflichtenlage begangen werden (RIS-Justiz RS0111811).

Vorvertraglichkeit würde unter Berücksichtigung der 3-monatigen Wartefrist des Art 22.4. ARB 2003, auf die sich die Beklagte ausdrücklich berufen hat, im vorliegenden Fall jedenfalls voraussetzen, dass ein Fehlverhalten, auf das sich die Ansprüche des Klägers gegen die [Bank-]AG gründen ließen, vor dem 26. 1. 2007 begonnen hat.“

Nichts anderes kann für den hier zu beurteilenden Fall gelten, der ebenfalls dadurch gekennzeichnet ist, dass der Kläger Rechtsschutzdeckung aus einem am 6. 5. 2005 abgeschlossenen Versicherungsvertrag im Verfahren gegen die Bank hinsichtlich seiner „Investition“ in Anteile am bzw Aktien des P***** Fund vom 26. 2. 2004 begehrt und sich dabei darauf beruft, die Verfehlungen der Bank und der P***** Fund Ltd seien erst Ende 2008 „erkennbar“ gewesen, als der „M***** Skandal“ aufgeflogen sei. Dabei gesteht die Revision ausdrücklich zu, dass dann, „wenn man den Schaden des getäuschten Anlegers, wie die überwiegende Rechtsprechung und Lehre im Zeitpunkt der Disposition (des Abschlusses des Vertrags) annimmt (…), im vorliegenden Fall bereits vor Abschluss des Rechtsschutzversicherungsvertrags ein Schaden eingetreten ist“, meint aber, dass damit nicht „notwendigerweise“ auch ein Schadensereignis im Sinn des Art 2.1. ARB 2003 eingetreten sei. Auf ein solches kommt es aber auch im vorliegenden Fall gar nicht an, soweit die Ansprüche, die der Revisionswerber gegenüber der Bank erhebt, unter den „Vertraglichen Rechtsschutz“ fallen und daher auch hier für den Eintritt des Versicherungsfalls Art 2.3. ARB maßgeblich ist (vgl 7 Ob 242/11f).

Die ‑ mit der Rechtsprechung in Einklang stehende ‑ Beurteilung des Erstgerichts, dass die Bank auf Grund der „Verstoßtheorie“ bereits mit dem Anbot bzw dem Verkauf der „falschen“ Wertpapiere an den Revisionswerber gegen Pflichten verstoßen hat, gibt die Revision zwar wieder, hält aber die Argumentation aufrecht, es habe erst später einen „erkennbaren Schaden“ gegeben. Die Vorvertraglichkeit hinsichtlich vertraglicher Ansprüche des Revisionswerbers gegen die Bank wird also gar nicht (mehr) in Zweifel gezogen.

Da bereits eine einzige ausführlich begründete Entscheidung für das Vorliegen gesicherter Rechtsprechung ausreicht (RIS-Justiz RS0103384 [T5]; 7 Ob 224/11h; 7 Ob 245/11x), ist die vom Kläger entsprechend dem Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts aufgeworfene Frage nicht (mehr) erheblich im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO.

Soweit der Kläger weiterhin (auch) Schadenersatzansprüche gegen die Bank (und die Fonds‑Gesellschaft) erheben will, ist von seinen eigenen Angaben in der dem Ersturteil als integrierender Bestandteil angeschlossenen Klage auszugehen. Danach wurden die Kundengelder der Anleger ‑ entgegen der unrichtigen Angaben im Prospekt ‑ (offenbar umgehend) „vollständig“ dem Pyramidenspiel von M***** „zur Verfügung gestellt“, wobei die einzige Tätigkeit des von der Bank gegründeten P***** Fund (der selbst gar keine „Fondstätigkeiten“ durchführte) darin bestand, das gesamte Geld, welches von Anlegern wie dem Kläger angeblich dem Fonds zugeführt wurde, abzüglich Spesen in das Pyramidenspiel von Herrn M***** zu investieren.

Dass das „Schadensereignis“ im Sinn des Art 2.1. ARB 2003 im vorliegenden Einzelfall nach dem eigenen Vorbringen des Klägers im dortigen Prozess jedenfalls bereits mit dem Zeitpunkt der Investition selbst eingetreten ist, sodass auch insoweit Vorvertraglichkeit vorliegt, ist daher nicht zu bezweifeln. Da eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auch insoweit nicht beantwortet werden muss, ist die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO. Die Beklagte hat in der Revisionsbeantwortung ‑ im Ergebnis zutreffend ‑ auf die Unzulässigkeit der Revision des Klägers infolge Klarstellung durch die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hingewiesen. Der Einheitssatz für die Revisionsbeantwortung beträgt allerdings nur 60 % (§ 23 Abs 3 RATG).

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