OGH 7Ob158/08y

OGH7Ob158/08y27.8.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W*****-Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Ferner Hornung & Partner Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, gegen die beklagte Partei Daniel F*****, vertreten durch Rechtsanwälte Estermann & Partner KG in Mattighofen, wegen 11.000 EUR sA, über die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 18. April 2008, GZ 4 R 66/08s-19, mit dem das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis vom 7. Februar 2008, GZ 2 Cg 128/07i-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit 766,08 EUR (darin enthalten 127,68 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte verschuldete am 22. 12. 2005 als Lenker des PKW seines Vaters in alkoholisiertem Zustand (Atemluftalkoholgehalt 0,28 mg/l) einen Verkehrsunfall: Er geriet beim Durchfahren einer langgezogenen Linkskurve infolge überhöhter Fahrgeschwindigkeit schleudernd auf die Gegenfahrbahn und stieß mit einem entgegenkommenden PKW zusammen, dessen Lenker schwer verletzt wurde. Der Beklagte wurde deshalb wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4 erster Fall StGB strafrechtlich verurteilt, wobei das Gericht bei der Strafbemessung die Tatbegehung unter Alkoholeinfluss als erschwerend wertete.

Der vom Beklagten gelenkte PKW war im Unfallszeitpunkt bei der Klägerin haftpflichtversichert. Dem Versicherungsvertrag lagen die Allgemeinen und Ergänzenden Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung 11/2003 (AEKHB 11/2003) zugrunde, die unter anderem folgende Bestimmungen enthalten:

Artikel 9 - was ist vor bzw nach Eintritt des Versicherungsfalls zu beachten (Obliegenheiten)?

[...]

2. Als Obliegenheiten, die zum Zweck der Verminderung der Gefahr oder der Verhütung einer Erhöhung der Gefahr dem Versicherer gegenüber zu erfüllen sind und deren Verletzung im Zeitpunkt des Versicherungsfalls die Freiheit des Versicherers von der Verpflichtung zur Leistung bewirkt (§ 6 Abs 2 VersVG), werden bestimmt,

[...]

2.2 dass sich der Lenker nicht in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand im Sinne der Straßenverkehrsvorschriften befindet; [...]

Eine Verletzung der Obliegenheit gemäß Pkt. 2.2 liegt nur vor, wenn im Spruch oder in der Begründung einer rechtskräftigen verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Entscheidung festgestellt wird, dass das Fahrzeug in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand gelenkt wurde."

Die Klägerin, die dem geschädigten Unfallsgegner Schadenersatz in Höhe von 12.678,10 EUR leistete, begehrt vom Beklagten 11.000 EUR. Der Beklagte sei in diesem Umfang (nach Art 11 Abs 1 AEKHB) regresspflichtig, weil er die Obliegenheit des Art 9.2.2 AEKHB verletzt habe. Er sei im Unfallszeitpunkt durch Alkohol beeinträchtigt gewesen und es seien noch weitere besondere Umstände hinzugetreten, die eine Inbetriebnahme des Kraftfahrzeugs nicht erlaubt hätten.

Der Beklagte beantragte Klagsabweisung. Er habe sich zum Unfallszeitpunkt nicht in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand im Sinn der Straßenverkehrsvorschriften befunden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte noch fest, dass der Beklagte, der Ende Juli 2003 einen sogenannten L17-Führerschein erworben hatte, zum Unfallszeitpunkt die HTL-B***** besuchte und dort im Internat wohnte. Am 22. (richtig 21.) 12. 2004 nahm er von 8.00 bis etwa 13.30 Uhr am Unterricht teil. Den Nachmittag brachte er in seinem Internatszimmer mit Fernsehen, Internet-Surfen und „zeitweiligem Dösen" zu. Gegen Abend fuhr er mit dem PKW seines Vaters zu einer Weihnachtsfeier in das etwa 22 km entfernte G*****. Er konsumierte von 18.00 bis 2.00 Uhr Früh etwa „drei Halbe Bier" und zwei Cola-Rum und aß Kuchen. Um ca 2.00 Uhr begab er sich (in G*****) zu Bett und schlief - länger als geplant - bis 7.00 Uhr morgens. Er war am Morgen des 22. 12. 2004 nicht übermüdet und brach ohne Einnahme eines Frühstücks und ohne Zeitdruck zur Schule nach B***** auf, wobei er zwei Schulkollegen im Auto mitnahm. Die Fahrstrecke von G***** nach B***** war ihm nicht näher bekannt, er war sie zuvor selten gefahren. Zum Unfallszeitpunkt war es dämmrig und bedeckt, und der Straßenbelag war nass. Gegen 7.20 Uhr kam es zum Verkehrsunfall. Der Beklagte wurde im Zuge der Unfallsaufnahme zu einem Alkotest aufgefordert, der positiv verlief. Es wurden zwei Messungen des Alkoholgehalts der Atemluft durchgeführt, und zwar um 8.12 Uhr und um 8.13 Uhr, wobei Werte von 0,30 mg/l und 0,28 mg/l festgestellt wurden. Es wurde deshalb bei der Bezirkshauptmannschaft B***** Anzeige gegen den Beklagten erstattet. Mit rechtskräftigem Bescheid vom 28. 12. 2004 ordnete die Bezirkshauptmannschaft gemäß § 4 FSG eine Nachschulung des Klägers unter gleichzeitiger Verlängerung der Probezeit um ein weiteres Jahr an. Im Übrigen wurde das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1, 2, 3 VStG iVm § 99 Abs 6 lit c StVO eingestellt.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, bei einem Blutalkoholgehalt von unter 0,8 Promille müssten zur Alkoholisierung noch besondere Umstände hinzutreten, damit sich die Person in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand im Sinn der Straßenverkehrsvorschriften befinde. Zur festgestellten, unter 0,8 Promille liegenden Alkoholisierung seien beim Beklagten keine weiteren Umstände gekommen, die seine Fahruntüchtigkeit bewirkt hätten. Dem Beklagten sei daher kein Verstoß gegen Art 9.2.2 AEKHB als Obliegenheitsverletzung zur Last zu legen.

Das von der Klägerin angerufene Berufungsgericht schloss sich der Rechtsmeinung des Erstgerichts an und bestätigte dessen Entscheidung. Nach § 5 Abs 1 StVO gelte der Zustand einer Person, deren Blutalkoholgehalt 0,8 Promille oder mehr betrage, als „jedenfalls" vom Alkohol beeinträchtigt. Bei einem Blutalkoholgehalt von unter 0,8 Promille müssten hingegen zur Alkoholisierung noch besondere Umstände, wie etwa Übermüdung, Erkrankung, Einnahme von Medikamenten usw, hinzutreten, damit die Person als durch Alkohol beeinträchtigt und damit als „relativ fahruntüchtig" anzusehen sei. Die Behauptungs- und Beweislast für die Alkoholbeeinträchtigung des Lenkers im Sinn der Straßenverkehrsvorschriften liege beim Versicherer. Der Nachweis, dass zur unter 0,8 Promille liegenden Alkoholisierung beim Beklagten weitere Umstände hinzugetreten seien, die seine Fahruntüchtigkeit bewirkt hätten, sei der Klägerin nicht gelungen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision gemäß § 502 Abs 1 ZPO zulässig sei, weil die Berufungsentscheidung als im Widerspruch zur Entscheidung 7 Ob 231/05d stehend angesehen werden könnte.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Klägerin, die unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht und beantragt, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren Folge gegeben werde.

Der Beklagte beantragt in der Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel seiner Prozessgegnerin als unzulässig zurückzuweisen oder ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist, da eine klärende Stellungnahme des Obersten Gerichtshofs angezeigt erscheint, zwar zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

Die Revisionswerberin widerspricht der Rechtsmeinung des Berufungsgerichts, sie als Versicherer hätte eine Alkoholbeeinträchtigung des beklagten Lenkers im Sinn der Straßenverkehrsvorschriften zu beweisen gehabt, wobei ihr dieser Nachweis nicht gelungen sei. Da eine Alkoholisierung des Beklagten, wenn auch „nur" in Höhe von 0,28 mg/l (= 0,56 Promille Blutalkoholgehalt) feststehe, sei entsprechend den Ausführungen des Obersten Gerichtshofs in der Entscheidung 7 Ob 231/05d von einer Obliegenheitsverletzung des Beklagten gemäß Art 9.2.2 AEKHB auszugehen. Dem Beklagten sei der Nachweis, dass er dennoch fahrtüchtig gewesen sei, nicht gelungen, zumal er als L17-Führerscheinbesitzer mit einem 0,1 Promille überschreitenden Alkoholgehalt des Blutes das Fahrzeug gar nicht in Betrieb nehmen hätte dürfen.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass für den Regressanspruch des Versicherers nach der dem § 5 Abs 1 Z 5 KHVG entsprechenden Bestimmung des Art 9.2.2 AEKHB 11/2003 (iVm der dem § 7 Abs 1 KHVG entsprechenden Bestimmung des Art 11.1 AEKHB 11/2003) zwei Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Es muss im Regressprozess einerseits der Nachweis der Alkoholisierung („im Sinne der Straßenverkehrsvorschriften") erbracht werden, andererseits muss eine rechtskräftige Entscheidung einer Verwaltungsbehörde oder eines Gerichts vorliegen, in deren Spruch oder in deren Begründung festgestellt wird, dass das Fahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt worden sei (RIS-Justiz RS0108216). Da § 5 Abs 1 Z 5 KHVG/Art 9.2.2 AEKHB ausdrücklich auf einen durch Alkohol beeinträchtigten Zustand „nach den Straßenverkehrsvorschriften" abstellt, ist - wie der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgeführt hat - zwischen den Fallgruppen der Alkoholbeeinträchtigung bzw Alkoholisierung einerseits nach der Straßenverkehrsordnung (StVO) und andererseits nach dem Führerscheingesetz (FSG) zu unterscheiden (vgl dazu § 5 Abs 1, Abs 1a und § 99 Abs 1b StVO bzw § 14 Abs 8 und § 37a FSG; Pürstl/Somereder, StVO11 §§ 5 bis 5b Anm 7 letzter Absatz und § 99 Anm 2 letzter Absatz; Grundtner/Pürstl, FSG3 § 37a Anm 2). Waren doch versicherungsrechtliche Auswirkungen bei der Schaffung der 0,5 Promille-Grenze im FSG nach dem Willen des Gesetzgebers nicht erwünscht und sollten dadurch vermieden werden, dass gemäß § 5 Abs 1a StVO sonstige zivilrechtliche Rechtswirkungen aufgrund einer Beeinträchtigung durch Alkohol erst bei einem Verstoß gegen § 5 Abs 1 StVO (Alkohol im Blut ab 0,8 Promille oder alkoholbedingte [relative] Fahruntüchtigkeit) oder ab einem dritten Verstoß innerhalb von 12 Monaten gegen die 0,5 Promille-Grenze gemäß § 14 Abs 8 FSG eintreten (7 Ob 298/06h mwN). Wann eine nach § 5 Abs 1 Z 5 KHVG/Art 9.2.2 AEKHB erforderliche Alkoholbeeinträchtigung im Sinn der Straßenverkehrsvorschriften vorliegt, wird zwar in der StVO nicht allgemein definiert (und auch nicht in einer anderen Straßenverkehrsvorschrift, weshalb der Einwand der Revisionswerberin, die StVO werde in den genannten Bestimmungen nicht genannt, sondern lediglich auf „Straßenverkehrsvorschriften" verwiesen, ins Leere geht). § 5 Abs 1 StVO bestimmt jedoch, dass der Zustand einer Person, deren Blutalkoholgehalt 0,8 Promille oder mehr beträgt, als „jedenfalls" vom Alkohol beeinträchtigt gilt. Bei einem Blutalkoholgehalt von unter 0,8 Promille müssen hingegen zur Alkoholisierung noch besondere Umstände hinzutreten, damit die Person als durch Alkohol beeinträchtigt und damit als „relativ fahruntüchtig" anzusehen ist. Dazu gehören, wie schon das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, Übermüdung, Erkrankung, Einnahme von Medikamenten, Beruhigungs- oder Aufputschmittel, Alkoholintoleranz (etwa aufgrund einer Lebererkrankung), Erregungszustände, Unfallschock usw (7 Ob 298/06h; Pürstl/Somereder aaO § 5 StVO Anm 6).

In einhelliger, auch von der Lehre gebilligter Rechtsprechung wird vom Obersten Gerichtshof judiziert, dass die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen des objektiven Tatbestands einer Obliegenheitsverletzung den Versicherer trifft (RIS-Justiz RS0081313). Demnach hat ein Versicherer, der - wie hier die Klägerin - behauptet, zufolge schuldhafter Verletzung der Alkoholklausel (im Rahmen des § 7 Abs 1 KHVG) leistungsfrei zu sein, die Alkoholbeeinträchtigung des Lenkers im Sinn der StVO zu behaupten und zu beweisen (vgl RIS-Justiz RS0073440). Da eine solche Alkoholbeeinträchtigung, wie eben erläutert, entweder eine Alkoholisierung von mindestens 0,8 Promille Blutalkoholgehalt oder bei einer geringeren Alkoholisierung den Nachweis der „relativen Fahruntüchtigkeit" voraussetzt, und hier eine Alkoholisierung des Beklagten von „lediglich" 0,56 Promille feststeht, hat das Berufungsgericht richtig erkannt, dass die Klägerin nachzuweisen gehabt hätte, dass beim Beklagten zur Alkoholisierung noch weitere Umstände hinzutreten, die ihn fahruntüchtig machten. Der der Entscheidung 7 Ob 231/05d - auf die die Revisionswerberin ihre gegenteilige Ansicht, der Beklagte hätte sich „freizubeweisen" gehabt, stützen will - zugrundeliegende Sachverhalt ist, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, mit dem vorliegenden insofern nicht vergleichbar, als dort eine den Schwellenwert von 0,8 Promille fast erreichende Alkoholisierung von 0,78 Promille vorlag und Umstände (Feststellungen zum Unfallsablauf) gegeben waren, die eine Fahruntüchtigkeit des Lenkers nahe legten. Daran ändert nichts, dass der beklagte Lenker dort im Verwaltungsstrafverfahren nur gemäß § 37a iVm § 14 Abs 8 FSG bestraft wurde. Eine Bindung des Zivilgerichts an diese Qualifizierung ist nämlich schon deshalb zu verneinen, weil sonst (was Perner, der in ZVR 2007/96 die Entscheidung kritisiert hat, übersieht) der Passus der Bestimmung des Art 9.2.2, dass auch die Feststellung einer Alkoholbeeinträchtigung nur in der Begründung einer verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Entscheidung ausreicht, inhaltsleer wäre. Dass in der Entscheidung 7 Ob 231/05d keine abweichende Beweislastregelung vertreten werden sollte, ist auch schon daraus zu ersehen, dass darin ausdrücklich auf die Beweispflicht des Versicherers betreffend eine Alkoholbeeinträchtigung des Lenkers hingewiesen wurde.

Die einzelfallabhängige Ermessensentscheidung der Vorinstanzen, dass nach den festgestellten Umständen des vorliegenden Falles keine relative Fahruntüchtigkeit des Beklagten anzunehmen sei, kann gebilligt werden. Auch wenn ein L17-Führerscheinbesitzer, wie der Beklagte, während der Probezeit nach § 19 Abs 9 iVm § 4 Abs 7 FSG ein Kraftfahrzeug nur lenken darf, wenn der Alkoholgehalt seines Blutes nicht mehr als 0,1 Promille oder der Alkoholgehalt der Atemluft nicht mehr als 0,05 mg/l beträgt, müssen zusätzlich zu einer unter 0,8 Promille liegenden Alkoholisierung eines Lenkers mit Probeführerschein weitere Umstände vorliegen, nach denen im Zusammenhalt mit der Alkoholisierung eine relative Fahruntüchtigkeit anzunehmen ist. Da das Vorliegen solcher Umstände von den Vorinstanzen hier ohne Rechtsirrtum verneint wurde, muss die Revision erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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