OGH 7Ob130/11k

OGH7Ob130/11k31.8.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. G***** T*****, als Masseverwalterin im Konkurs des Ru***** W*****, gegen die beklagte Partei Ro***** W*****, vertreten durch Jura Rechtsanwälte Denkmayr & Partner OG in Ried im Innkreis, wegen Räumung, über die „außerordentliche Revision“ der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom 27. April 2011, GZ 23 R 61/11a-38, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Akten werden dem Erstgericht zurückgestellt.

Text

Begründung

Die klagende Masseverwalterin begehrt von der beklagten Tochter des Gemeinschuldners die Räumung einer Wohneinheit dessen Hauses wegen titelloser Benützung.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil im klagsstattgebenden Sinn ab und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber auch 30.000 EUR übersteige und die Revision nicht zulässig sei.

Dagegen erhob die Beklagte „außerordentliche“ Revision, welche vom Erstgericht unmittelbar dem Obersten Gerichtshof vorgelegt wurde.

Die Aktenvorlage ist verfehlt.

Rechtliche Beurteilung

§ 502 Abs 3 ZPO idF des Budgetbegleitgesetzes BGBl I 2009/52 normiert, dass die Revision - außer im Fall des § 508 Abs 3 ZPO - jedenfalls unzulässig ist, wenn der Entscheidungsgegenstand an Geld oder Geldeswert zwar 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigt und das Berufungsgericht die ordentliche Revision nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO - wie hier - für nicht zulässig erklärt hat. Unter diesen Voraussetzungen kann jedoch eine Partei nach § 508 Abs 1 und 2 ZPO binnen vier Wochen nach der Zustellung des Berufungsurteils den beim Erstgericht (§ 508 Abs 2 Satz 1 ZPO) einzubringenden Antrag an das Berufungsgericht stellen, seinen Ausspruch dahin abzuändern, dass die ordentliche Revision doch für zulässig erklärt werde; ein solcher Antrag, der mit der ordentlichen Revision zu verbinden ist, muss die Gründe dafür anführen, warum entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 502 Abs 1 ZPO die ordentliche Revision für zulässig erachtet wird.

Diese Bestimmungen gelten gemäß § 502 Abs 5 Z 2 ZPO unter anderem nicht „für die unter § 49 Abs 2 Z 5 JN fallenden Streitigkeiten, wenn dabei über eine Kündigung, über eine Räumung oder über das Bestehen oder Nichtbestehen des Vertrags entschieden wird“. § 49 Abs 2 Z 5 JN erfasst „alle Streitigkeiten aus Bestandverträgen über die im § 560 ZPO bezeichneten Sachen und mit ihnen in Bestand genommene bewegliche Sachen sowie aus genossenschaftlichen Nutzungsverträgen (§ 1 Abs 1 MRG) und aus dem im § 1103 ABGB bezeichneten Vertrag über solche Sachen einschließlich der Streitigkeiten über die Eingehung, das Bestehen und die Auflösung solcher Verträge, die Nachwirkungen hieraus und wegen Zurückhaltung der vom Vermieter oder Pächter eingebrachten oder der sonstigen von dem Verpächter zur Sicherstellung des Pachtzinses haftenden Fahrnisse, schließlich Streitigkeiten zwischen wem immer über verbotene Ablösen (§ 27 MRG)“.

Vom klaren Wortlaut erfasst werden daher nur Streitigkeiten aus Bestandverträgen, genossenschaftlichen Nutzungsverträgen und Teilpachtverträgen, wobei nach herrschender Auffassung die (Zuständigkeits-)Bestimmung des § 49 Abs 2 Z 5 JN - und damit gleichermaßen die darauf ausdrücklich bezugnehmende Ausnahme vom Revisionsausschluss nach § 502 Abs 5 ZPO) - nicht ausdehnend ausgelegt werden darf (RIS-Justiz RS0043261; 3 Ob 36/10f mwN); sie sind daher nur auf reine Bestand-, Nutzungs- oder Teilpachtverträge, nicht aber auf gemischte oder mietähnliche Verhältnisse (RIS-Justiz RS0043261 [T10]) und auch nicht auf ein Benutzungsverhältnis aus einer persönlichen Dienstbarkeit des Wohnungsrechts oder eine jederzeit widerrufliche Benützungsvereinbarung (hier: unter Familienangehörigen) anzuwenden (3 Ob 36/10f mwN).

Räumungsklagen sind daher nur dann als Bestandstreitigkeiten im Sinn des § 49 Abs 2 Z 5 JN anzusehen, wenn sie aus der Beendigung eines Bestand-, Nutzungs- oder Teilpachtverhältnisses resultieren (RIS-Justiz RS0122891; 4 Ob 75/10y), nicht hingegen, wenn sie sich auf die Benützung ohne Rechtsgrund beziehen (RIS-Justiz RS0043261 [T9]; RS0046865; 3 Ob 36/10f).

Für die Frage, ob der im § 502 Abs 5 Z 2 ZPO angeführte Ausnahmefall einer streitwertunabhängigen Revisionszulässigkeit vorliegt, ist grundsätzlich von den Behauptungen des Klägers auszugehen (RIS-Justiz RS0043003, RS0046236). Der in der Rechtsprechung als Ausnahme von diesem Prinzip erwähnte Fall, dass ein Rückgriff auf die Einwendungen des Beklagten zulässig sei, wenn dadurch ein auslegungsbedürftiges Vorbringen des Klägers verdeutlicht werden könne (RIS-Justiz RS0043003; 2 Ob 213/10b mwN), liegt hier im Hinblick auf das eindeutige Klagevorbringen nicht vor; sodass es nicht darauf ankommt, ob die Beklagte das Vorliegen eines Bestandverhältnisses behauptete (3 Ob 36/10f).

Der vorliegende Rechtsstreit dient nicht der Durchsetzung eines Räumungsbegehrens unter Berufung auf die Beendigung eines Schuldverhältnisses nach § 49 Abs 2 Z 5 JN, sondern vielmehr der Beendigung einer behaupteten rechtsgrundlosen Benützung einer Wohneinheit auf der Liegenschaft des Gemeinschuldners. Die Klägerin behauptete auch nicht die Rechtsunwirksamkeit von Bestandverträgen über das vom Räumungsbegehren erfasste Objekt (vgl 7 Ob 212/08i mwN). Demgemäß hat das Berufungsgericht zutreffend eine Bewertung des Entscheidungsgegenstands nach § 500 Abs 2 Z 1 ZPO vorgenommen (zu allem 3 Ob 36/10f; vgl auch 4 Ob 75/10y).

Im Hinblick auf die dargestellte Rechtslage war der Rechtsmittelschriftsatz nicht dem Obersten Gerichtshof vorzulegen. Dieser darf über das Rechtsmittel nur und erst dann entscheiden, wenn das Gericht zweiter Instanz gemäß § 508 Abs 3 ZPO ausgesprochen hat, dass ein ordentliches Rechtsmittel doch zulässig sei (RIS-Justiz RS0109501; RS0109623). Dies gilt auch dann, wenn der Revisionswerber - wie hier - in dem Schriftsatz nicht im Sinn des § 508 Abs 1 ZPO den Antrag auf Abänderung des Ausspruchs des Berufungsgerichts gestellt hat, weil dieser Mangel nach § 84 Abs 3 ZPO verbesserungsfähig ist (RIS-Justiz RS0109623; zu allem: 7 Ob 70/11m).

Da - solange der Zulassungsausspruch durch das Berufungsgericht nicht abgeändert wird - dem Obersten Gerichtshof also die funktionelle Zuständigkeit fehlt, wird das Rechtsmittel der Beklagten vom Erstgericht dem Berufungsgericht vorzulegen sein. Ob der Schriftsatz den Erfordernissen des § 508 Abs 1 ZPO entspricht oder ob er einer Verbesserung bedarf, bleibt der Beurteilung der Vorinstanzen vorbehalten (1 Ob 75/11b mwN).

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