OGH 7Ob120/19a

OGH7Ob120/19a18.9.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** K*****, vertreten durch die Lederer Hoff & Apfelbacher Rechtsanwälte GmbH in Wien und ihres Nebenintervenienten M***** P*****, vertreten durch Mag. Markus Freilinger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Z*****-Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, wegen 92.387,98 EUR sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Teilzwischenurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. April 2019, GZ 15 R 169/18k‑90, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 13. September 2018, GZ 41 Cg 73/14i‑80, teils abgeändert und teils aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00120.19A.0918.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.349,18 EUR (darin 391,53 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Klägerin und ihr Ehemann waren Mit- und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft und Versicherte in einem Feuerversicherungsvertrag. Diesem lagen unter anderem die Allgemeinen Bedingungen der Beklagten für die Sachversicherung ( ABS 2002 ) zugrunde, die auszugsweise wie folgt lauten:

Artikel 10

Schuldhafte Herbeiführung des Schadenfalles; Obliegenheitsverletzung nach Schadeneintritt

1. Wenn der Versicherungsnehmer oder eine der in leitender Stellung für die Betriebsführung verantwortlichen Personen den Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeiführt, ist der Versicherer dem Versicherungsnehmer gegenüber von jeder Verpflichtung zur Leistung aus diesem Schadenfall frei.

Der Ehemann der Klägerin verübte Suizid, indem er im Kellerstüberl des Hauses einen Brand entzündete.

Im Verlassenschaftsverfahren gaben die Klägerin zu einem Drittel und die drei Kinder aus einer Vorehe des Verstorbenen je zu zwei Neuntel des Nachlasses die bedingte Erbantrittserklärung aus dem Rechtsgrund des Gesetzes ab. Die Erben schlossen in der Folge ein Erbteilungsübereinkommen mit dem auszugsweisen Inhalt:

I. Die [Klägerin] übernimmt den gesamten Nachlass laut vorstehenden Inventar [...], insbesondere somit die erbl. 146/280-Anteile an der Liegenschaft [...], in ihr Alleineigentum. [...]

IV. Sämtliche Erblasserschulden und Erbfallschulden laut vorstehenden Inventar werden im Innenverhältnis von der [Klägerin] unter Schad- und Klagloshaltung der erbl. Kinder [...] getragen.

[…]

V. Festgehalten wird, dass durch Abschluss dieses Erbteilungsübereinkommens sämtliche wechselseitigen erb- und pflichtteilsrechtlichen Ansprüche im Zusammenhang mit gegenständlichem Verlassenschaftsverfahren abgegolten sind, wobei dies insbesondere den Ausgang des Verfahrens über die Feststellung eines allfälligen Anspruches gegen die erbl. Versicherung(en) aus der Beschädigung des erbl. Hauses vorangehenden Brandgeschehens betrifft.

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ab.

Rechtliche Beurteilung

1.  Der behauptete Mangel des Berufungsverfahrens, das Berufungsgericht sei ohne Beweiswiederholung vom festgestellten Sachverhalt abgewichen, liegt nicht vor. Selbst wenn das Berufungsgericht aus den erstgerichtlichen Feststellungen andere tatsächliche (und nicht andere rechtliche) Schlüsse zieht als das Erstgericht, ist eine Beweiswiederholung oder Beweisergänzung in der Berufungsverhandlung nicht erforderlich (RS0118191; vgl RS0043165). Die Auslegung der Urteilsfeststellungen im Einzelfall ist regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0118891 [T5]).

Die Revisionswerberin bezieht sich auf eine Überlegung des Erstgerichts zu einem Verzicht, die es im Rahmen seiner Beweiswürdigung angestellt hat, und zeigt damit nicht auf, warum die Schlussfolgerungen des Berufungsgerichts aus dem festgestellten Inhalt des Erbteilungsübereinkommens in vom Obersten Gerichtshof aufzugreifender Weise fehlerhaft sein sollten.

2.  Die Revision führt ins Treffen, das Erbteilungsübereinkommen sei als Vorausverzicht nach § 67 Abs 1 Satz 3 VersVG anzusehen.

2.1.  Ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, ist nur dann eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (

RS0042936, RS0044358). Ob nach den Umständen des Einzelfalls ein Verzicht anzunehmen ist oder nicht, begründet im Regelfall ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage (

RS0107199).

Bei der Beurteilung der Frage, ob ein stillschweigender Verzicht auf ein Recht vorliegt, ist besondere Vorsicht geboten. Um nach den Grundsätzen des redlichen Verkehrs einen Rechtsverzicht als gegeben annehmen zu können, muss eine in dieser Hinsicht völlig eindeutige Sachlage bestehen, die nicht anders denn als ein solcher Verzicht verstanden werden kann (vgl RS0014190 [T1, T5]). Die bloße Unterlassung der sofortigen Geltendmachung entstandener Ansprüche lässt einen solchen Schluss nicht zu (RS0014190 [T11]). Zudem sind Erklärungen, mit welchen ein Verzicht auf zustehende Rechte ausgesprochen wird, einschränkend auszulegen (RS0014190 [T24]).

Ein Verlassenschaftsinventar vermag in Ansehung der Passiven keine Vollständigkeitsgewähr zu bieten (RS0007800 [T1]). Die Inventarisierung wird nur für die Zwecke des Nachlassverfahrens vorgenommen, und die Entscheidung des Abhandlungsgerichts hat Wirkungen auch nur für dieses Verfahren, nicht aber darüber hinaus (RS0006465 [T2, T6, T7, T18]). Die Inventarisierung bietet insbesondere keine Gewähr dafür, dass Vermögen und Verbindlichkeiten des Erblassers vollständig erfasst sind; ihm kommt im streitigen Verfahren daher keine bindende Wirkung zu (RS0006465 [T9]).

2.3.  Das Berufungsgericht hat das Erbteilungsübereinkommen dahin ausgelegt, dass es sich ausdrücklich nur auf die Erblasserschulden und Erbfallsschulden laut Inventar bezieht und Schadenersatzforderungen gerade nicht Gegenstand dieser im Innenverhältnis und im Zusammenhang mit dem Verlassenschaftsverfahren getroffenen Erledigung der wechselseitigen erb- und pflichtteilsrechtlichen Ansprüche sind. Weiters ergebe sich aus dem Protokoll der Verlassenschaftsabhandlung, dass die Klägerin ihren Schaden bei der Beklagten geltend machen werde. Dies sei dahin zu verstehen, dass die Parteien damit die – im Erbteilungsübereinkommen an mehreren Stellen ausdrücklich erwähnte – gerichtliche Weiterverfolgung des Schadenersatzanspruchs der Klägerin vorausgesetzt haben. Dass vor diesem Hintergrund mit der für die Abwicklung des Verlassenschaftsverfahrens getroffenen Vereinbarung kein über die Abwicklung des Verlassenschaftsverfahrens hinaus wirksames „Aufgeben eines Schadenersatzanspruches“ iSd § 67 Abs 1 dritter Satz VersVG vorliegt, wodurch die Stellung des Versicherers in Ansehung der Drittforderung irreparabel verschlechtert oder ihm die Einziehung zumindest erschwert worden wäre (

vgl RS0032698), bewegt sich im Rahmen der dargelegten Grundsätze der Rechtsprechung.

2.4.  Mangels Verzichts ist auf die zu § 67 VersVG von der Beklagten aufgeworfenen Rechtsfragen nicht näher einzugehen.

3.  Die Wiederherstellungsklausel bei der Neuwertversicherung begründet keine verhüllte Obliegenheit, sondern eine Risikobegrenzung (RS0081840, RS0081460). Im Versicherungsfall entsteht zunächst nur ein Anspruch auf den Zeitwert, der Restanspruch auf den Neuwert hängt von der Wiederherstellung oder deren (fristgerechter) Sicherstellung ab (RS0120710). Der Erlassung eines Zwischenurteils steht daher die von der Revision ins Treffen geführte Rechtsprechung, wonach zumindest ein – wenn auch noch so kleiner – Teilbetrag des geltend gemachten Leistungsanspruchs fällig sein muss (

RS0040855), nicht entgegen, ist doch nur noch zu klären, ob der Zeitwert oder der Neuwert zu entschädigen ist.

4.  Die Revision ist daher insgesamt nicht zulässig.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 Abs 1 ZPO; die Klägerin hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen, sie diente daher der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung. Der in zweiter Instanz ausgesprochene Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO erfasst nur die vom Prozesserfolg in der Hauptsache abhängigen Kosten und steht der Kostenentscheidung im hier vorliegenden Zwischenstreit über die Zulässigkeit der Revision nicht entgegen (vgl RS0129365 [insb T2]).

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