OGH 6Ob674/94

OGH6Ob674/946.4.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Redl, Dr.Kellner, Dr.Schiemer und Dr.Prückner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anneliese G*****, und Karl G*****, beide ***** beide vertreten durch Dr.Barbara Cecil Prasthofer, Rechtsanwältin in Graz, wider die beklagte Partei Manuela D*****, vertreten durch Dr.Reinhard Tögl, Dr.Nicoletta Wabitsch, Rechtsanwälte in Graz, wegen Räumung, infolge Rekurses der klagenden Parteien gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Graz als Berufungsgerichtes vom 12.Oktober 1994, AZ 3 R 173/94(ON 12), womit das Urteil des Bezirksgerichtes für ZRS Graz vom 26.Mai 1994, GZ 8 C 123/94-7, sowie das Verfahren als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei unter Abstandnahme vom angenommenen Nichtigkeitsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Kläger sind Eigentümer des Hauses G*****. Die am 12.8.1991 verstorbene Großmutter der Beklagten, Irma Sch*****, war Mieterin der in diesem Haus im ersten Stock links vom Stiegenaufgang gelegenen Wohnung. Nach dem Tode der Mieterin kündigten die Kläger der Verlassenschaft nach Irma Sch***** das Mietverhältnis gemäß § 30 Abs 2 Z 5 MRG auf. In dem darüber zu 8 C 639/91 des Bezirksgerichtes für ZRS Graz geführten Verfahren trat die nunmehrige Beklagte als Nebenintervenientin auf seiten der beklagten Verlassenschaft mit der Behauptung bei, eintrittsberechtigt zu sein.

Mit Urteil vom 10.2.1993 (3 R 292/92) erkannte das Berufungsgericht die Aufkündigung für rechtswirksam und verpflichtete die inzwischen eingeantwortete Erbin, die Mutter der Beklagten, zur Räumung. Es verneinte ein Eintrittsrecht der Beklagten, weil diese zum Zeitpunkt des Todes ihrer Großmutter anderweitig ausreichend wohnversorgt gewesen sei. Dieses Urteil erwuchs durch die bestätigende Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 1.7.1993, 6 Ob 529/93, in Rechtskraft.

Mit der vorliegenden Klage vom 10.3.1994 begehren die Kläger von der Beklagten die Räumung der Wohnung mit der Begründung, die Beklagte habe trotz des rechtskräftigen Urteiles im Vorprozeß die Wohnung nicht geräumt und benütze diese zumindest seit der Rechtskraft der Aufkündigung gegen die ehemalige Mieterin titellos.

Die Beklagte wandte ein, die Aufkündigung sei durch die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes im Vorprozeß rechtswirksam, die Kläger seien seither in der Lage, jederzeit Räumungsexekution zu beantragen, eine neuerliche Räumungsklage sei unberechtigt.

Das Erstgericht, das noch die Feststellung traf, die Beklagte habe die Wohnung bis zum Schluß der mündlichen Streitverhandlung nicht geräumt, gab dem Klagebegehren statt. Rechtlich sei davon auszugehen, daß das Recht des (Haus-)Eigentümers, jeden Dritten von einer Benützung auszuschließen, weder durch einen Mietvertrag noch durch eine andere obligatorische Vereinbarung beschränkt sein dürfe. Solange ein solches Rechtsverhältnis aufrecht sei, könne der Vermieter daher nicht unmittelbar gegen Personen mit Räumungsklage vorgehen, die ihr Benützungsrecht aus dem Recht des Vertragspartners des Mieters abzuleiten in der Lage seien. Die Beklagte leite ihr Recht zur Benützung der Wohnung offensichtlich von ihrer Mutter ab, da diese jedoch rechtskräftig gekündigt sei, sei die Beklagte als titellose Benützerin der Wohnung anzusehen und die Räumungsklage gegen sie zulässig. Gemäß § 568 ZPO sei zwar eine gegen den Bestandnehmer erwirkte Aufkündigung auch gegen alle Personen, die Rechte an dem zu räumenden Bestandgegenstand lediglich vom Verpflichteten ableiteten, wirksam. Die Kläger seien aber berechtigt zu wählen, ob sie im Wege der Räumungsexekution gegen die Beklagte als tatsächliche Benützerin der Wohnung oder mit Räumungsklage wegen titelloser Benützung vorgehen wollten.

Das Berufungsgericht hob aus Anlaß der Berufung der Beklagten das Ersturteil sowie das ihm vorangegangene Verfahren als nichtig auf und wies die Klage zurück.

Gemäß § 568 ZPO seien alle gegen den Bestandnehmer erwirkten Aufkündigungen über einen im § 560 ZPO bezeichneten Gegenstand auch gegen den Afterbestandnehmer wirksam und vollstreckbar, soweit nicht ein zwischen diesem und dem Bestandgeber bestehendes Rechtsverhältnis entgegenstehe. Diese erweiterte Vollstreckbarkeit werde von der Rechtsprechung und Lehre auf alle Personen ausgedehnt, die ihr Recht auf Benützung des Bestandgegenstandes allein vom räumungsverpflichteten Bestandnehmer aufgrund welcher Rechtsbeziehungen zu diesem auch immer, ableiteten.

Der Beklagten seien nie selbständige Rechte aufgrund eines zwischen ihr und den Klägern bestehenden (direkten) Rechtsverhältnisses zugestanden. Das im Vorprozeß behauptete Eintrittsrecht habe sich als nicht bestehend herausgestellt. Wenn die Beklagte daher weiter in der Wohnung verblieben sei, könne sie ihr Benützungsrecht nur vom Bestandnehmer (zuletzt ihre Mutter als Erbin nach der verstorbenen Mieterin Irma Sch*****) ableiten. Die Beklagte gehöre daher zu den Personen, gegen die der Räumungstitel gemäß § 568 ZPO wirksam sei. Da die Kläger über einen Exekutionstitel verfügten, stehe einer neuerlichen Räumungsklage die Unzulässigkeit des Rechtsweges entgegen. Auch bei einem Eingriff des Streitrichters in den Bereich des Exekutionsverfahrens liege der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 6 ZPO vor.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Kläger ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig und berechtigt.

§ 349 EO ordnet an, daß die Delogierung (aufgrund eines Räumungstitels) durch Entfernung von beweglichen Sachen und Personen aus dem Bestandobjekt zu erfolgen hat. § 568 ZPO legt in diesem Zusammenhang fest, welche Personen im Rahmen der Räumungsexekution zu entfernen sind. In dieser Gesetzesbestimmung wird zwar ausdrücklich nur der Unterbestandnehmer genannt, es entspricht jedoch der ständigen Judikatur des Obersten Gerichtshofes und der herrschenden Lehre, daß nach dieser Vorschrift im Rahmen der Räumungsexekution alle jene Personen umfaßt werden, die Benützungsrechte an dem zu räumenden Bestandobjekt lediglich vom Bestandnehmer ableiten und nur solche Personen nicht unter die gesetzliche Bestimmung des § 568 ZPO fallen, die selbständige Benützungsrechte aufgrund eines zwischen ihnen und der betreibenden Partei (Hauptbestandgeber) bestehenden direkten Rechtsverhältnisses haben. Aber auch solchen Personen steht nur die Möglichkeit offen, dem Räumungsvollzug mit einer Widerspruchsklage nach § 37 EO zu begegnen (EvBl 1971/318; SZ 53/148 u. a.; Rechberger in Rechberger ZPO Rz 1 zu § 568).

§ 568 ZPO normiert zwar eine erweiterte Vollstreckbarkeit des Räumungstitels, eine Rechtskrafterstreckung zu Lasten des Unterbestandnehmers oder jener Personen, die ihre Benützungsrechte lediglich vom Bestandnehmer ableiten, wird damit aber nicht festgelegt. Die in § 568 ZPO verwendete Formulierung, daß gegen den Bestandnehmer erwirkte Aufkündigungen auch gegen den Afterbestandnehmer "wirksam" sind, wird in der neueren Lehre und Rechtsprechung als bloßer Hinweis auf materiellrechtliche bzw tatsächliche Auswirkungen der Beendigung des Hauptbestandverhältnisses auf die Rechtsstellung des Unterbestandnehmers, der ja nicht Partei des Titelprozesses war, gewertet (Rechberger aaO Rz 3 zu § 568 mwN).

§ 156 Abs 2 EO, den das Berufungsgericht zur Stützung seiner Ansicht über die Unzulässigkeit des streitigen Rechtsweges herangezogen hat und der die Übergabe der zwangsversteigerten Liegenschaft an den Ersteher als Akt des Exekutionsvollzuges regelt, woraus die Rechtsprechung (SZ 49/126 mwN) die Unzulässigkeit des streitigen Rechtsweges für ein Begehren des Erstehers auf Räumung gegen den Verpflichteten und alle, die ihre Benützungsrechte von diesem ableiten, folgert, knüpft anders als § 568 ZPO nicht an das Vorliegen eines Räumungstitels gegen den Räumungsgegner an.

Da der gegen den Bestandnehmer erwirkte Räumungstitel nach dieser Bestimmung zur Exekutionsführung auch gegen jene Personen, die ihre Rechte nur vom Bestandnehmer ableiten, berechtigt, stellt sich bei einer - zulässigen - Räumungsklage gegen jene Personen nur die materiellrechtliche Frage des Rechtsschutzbedürfnisses und der daraus abzuleitenden Kostenfolgen. Dabei wäre auch zu berücksichtigen, daß der Räumungstitel gemäß § 575 Abs 2 ZPO außer Kraft tritt, wenn nicht binnen sechs Monaten nach dem Eintritt der darin bestimmten Zeit die Räumung beantragt wird, wobei eine zwar beantragte Exekution, deren Vollzug, wie im vorliegenden Fall, über Veranlassung des betreibenden Gläubigers in einer dem Schutzzweck des § 575 Abs 2 ZPO zuwiderlaufenden Weise blockiert wird, am Außerkrafttreten des Räumungstitels nichts zu ändern vermöchte.

Das Berufungsgericht wird daher über die Berufung der beklagten Partei meritorisch zu entscheiden haben.

Der Ausspruch über den Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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