European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0060OB00005.24I.0515.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 602,54 EUR (darin enthalten 100,42 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Beklagte ist ein Elektrizitätsunternehmen mit Sitz in W* und die Betreiberin jenes Verteilernetzes, an das die Wohnung der Klägerin angeschlossen ist. Sie kündigte den mit der Klägerin für diese Wohnung abgeschlossenen Stromliefervertrag mit Schreiben vom 22. 7. 2022 zum 30. 9. 2022 auf und bot der Klägerin gleichzeitig den Abschluss eines neuen Stromlieferungsvertrags ab 1. 10. 2022 zu einem höheren Preis an. Dieses Anbot wurde von der Klägerin nicht angenommen.
[2] Im Stadtgebiet W* gibt es zwei Netzbetreiber. Jeder Kunde kann unabhängig vom Netzbetreiber mit jedem Energielieferanten einen Stromliefervertrag schließen. Im Wirtschaftsjahr 2021/22 lieferte die Beklagte etwas mehr als 60 % der in ihrem Netz gelieferten Energie im Stadtgebiet W* selbst, knapp 40 % lieferten zahlreiche andere Energielieferanten. Die Beklagte verfügte in Österreich über einen Marktanteil von ca 0,09 % des Gesamtstromverbrauchs.
[3] Im August 2022 hätte die Klägerin unter mehr als 50 Angeboten diverser Lieferanten – darunter auch der Beklagten – für die Lieferung von elektrischer Energie wählen können, wobei die Angebote der Beklagten zu den günstigeren zählten.
[4] Das Erstgericht wies das auf Feststellung der Unwirksamkeit der Aufkündigung des Stromliefervertrags und dessen aufrechten Weiterbestehens sowie auf Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden „als Folge der Belieferungseinstellung“ gerichtete Klagebegehren ab.
[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Für die mit Schreiben der Beklagten vom 22. 7. 2022 wirksam erfolgte einseitige Kündigung des Stromliefervertrags durch den Energieversorger iSd § 76 Abs 1 ElWOG habe § 80 Abs 2a ElWOG keine Bedeutung. Eine marktbeherrschende Stellung habe die Beklagte nicht gehabt.
[6] Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei. Zur Frage, ob § 80 Abs 2a ElWOG auch dann anzuwenden sei, wenn der Energieanbieter die einseitige Kündigung des bisherigen Energieliefervertrags ausspreche und gleichzeitig ein Angebot zum Abschluss eines Neuvertrags mit höheren Preisen unterbreite, fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung.
Rechtliche Beurteilung
[7] Die Revision der Klägerin ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts – mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
[8] 1. Die von der Beklagten angeführte „offenkundige“ Überbewertung des Streitgegenstands liegt nicht vor: Der Bewertungsanspruch der zweiten Instanz ist grundsätzlich unanfechtbar und auch für den Obersten Gerichtshof bindend (RS0042515), es sei denn das Berufungsgericht hätte zwingende Bewertungsvorschriften verletzt (RS0042385 [T8]) oder den ihm vom Gesetzgeber eingeräumten Ermessensspielraum überschritten (RS0042385 [T22]; RS0042515 [T8]) und eine offenkundige Unter‑ oder Überbewertung vorgenommen (RS0109332 [T1]). Dies ist hier nicht der Fall, weil es – selbst wenn man auf die von der Beklagten ins Treffen geführte Preisdifferenz abstellenwollte – nicht allein auf einen Jahresdifferenzbetrag ankommen kann, handelt es sich doch bei Energielieferungsverträgen um Sukzessivlieferungsverträge mit einem häufig längerfristigen Zeithorizont (RS0025878 [T2]).
[9] 2. Der Oberste Gerichtshof hat die von der Klägerin behaupteten Mängel des Berufungsverfahrens geprüft; sie bestehen nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
[10] 3.1. Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen. Eine solche Rechtsfrage liegt dann nicht vor, wenn die aufgezeigte Frage im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bereits beantwortet wurde (vgl RS0112921 [insb T5]).
[11] 3.2. Der Oberste Gerichtshof hat im April 2024 zu den in der Revision enthaltenen Argumenten (auf Basis nahezu identer Sachverhalte) bereits in den Entscheidungen zu 3 Ob 238/23f, 3 Ob 243/23s, 3 Ob 7/24m, 3 Ob 10/24b, 5 Ob 34/24x und 5 Ob 45/24i ausführlich Stellung genommen. Sämtliche in der Revision als erheblich im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO bezeichneten Rechtsfragen sind damit geklärt und finden – zusammengefasst wie folgt – auch auf den vorliegenden Fall Anwendung:
[12] 3.3. Die Beklagte hat mit ihrem Schreiben vom 22. 7. 2022 keine Änderungen des vertraglich vereinbarten Entgelts bei weiter bestehendem Vertragsverhältnis und keine bloß bedingte, sondern die unbedingte ordentliche Kündigung des damals mit der Klägerin bestandenen Stromliefervertrags vorgenommen. Eine solche ordentliche Vertragskündigung durch den Lieferanten ist nach § 76 Abs 1 ElWOG unter– hier unstrittig erfolgter – Einhaltung der dort genannten Voraussetzungen zulässig. § 80 Abs 2a ElWOG ist hingegen auf eine unbedingte ordentliche Kündigung nicht anzuwenden, und zwar auch dann nicht, wenn damit ein Angebot auf Abschluss eines neuen Vertrags zu geänderten Bedingungen verbunden wird, das ohnedies als solches einer eigenständigen Geltungs- und Inhaltskontrolle unterliegt. Aus § 80 Abs 2a ElWOG können daher nicht die Unwirksamkeit der von der Beklagten ausgesprochenen Kündigung und das unveränderte Fortbestehen des seinerzeitigen Vertragsverhältnisses abgeleitet werden.
[13] Da die Klägerin das Anbot der Beklagten auf Abschluss eines neuen Vertrags mit einem höheren Strompreis nicht angenommen hat und dies auch mit ihrem Klagebegehren nicht anstrebt, kann dahin stehen, ob dieses Anbot den dafür maßgeblichen gesetzlichen Anforderungen oder den von der Klägerin dazu verlangten Informationen entsprochen hat.
[14] Im Bereich des Umstiegs zwischen den Angeboten verschiedener Stromanbieter liegt keine Fremdbestimmtheit der Klägerin vor, weil sie als Verbraucherin ein echtes Wahlrecht unter verschiedenen Anbietern hat. Es besteht nach den Feststellungen auch keine marktbeherrschende Stellung der Beklagten für die Stromlieferung. Insgesamt liegt demnach kein Fall einer Marktbeherrschung vor, der die Kündigung der Beklagten als unwirksam erweisen und diese zur Weiterbelieferung nach den seinerzeitigen Konditionen verpflichten könnte.
[15] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO.
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