Spruch:
1. Der Antrag auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird zurückgewiesen.
2. Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Die Ehe der Eltern des jetzt 17-jährigen unterhaltsberechtigten Sohnes wurde 1994 vor einem ukrainischen Gericht geschieden. Mutter und Kind leben seit 1992 in Österreich. Der Mutter wurde mit Beschluss des Pflegschaftsgerichtes vom 11. 12. 1997 die Obsorge übertragen. Der Vater hat sich wiederverehelicht. Er lebt mit seiner zweiten Gattin und der aus dieser Ehe stammenden, am 20. 12. 1995 geborenen Tochter in Deutschland.
Der durch seine Mutter vertretene Sohn beantragte, den Vater rückwirkend zu Unterhaltsleistungen zu verpflichten, und zwar für die Zeit vom 1. 10. 2001 bis 31. 12. 2001 zu 190 EUR monatlich, für die Zeit vom 1. 1. 2002 bis 31. 3. 2002 zu 215 EUR monatlich und ab 1. 4. 2002 zu 241 EUR monatlich.
Die Vorinstanzen gaben dem Unterhaltsantrag unter Anwendung österreichischen Rechts statt. Sie gingen dabei von einem monatlichen Nettoeinkommen des Vaters von 1.186,82 EUR im Jahr 2001, von 1.340,96 EUR im Jahr 2002 und von 1.337,76 EUR im Jahr 2003 aus. Das Rekursgericht billigte die Unterhaltsbemessung nach der sogenannten Prozentsatzmethode. Von den dem Kind sonst zustehenden 20 % der Bemessungsgrundlage seien wegen der Unterhaltspflicht für die Ehegattin des Vaters 3 Prozentpunkte abzuziehen und wegen der Unterhaltspflicht für die Tochter 1 Prozentpunkt. Nach Zurücklegung des 15. Lebensjahrs des Sohnes sei von einem Unterhaltsbemessungssatz von 22 % auszugehen, sodass sich nach Abzug von 4 Prozentpunkten für die konkurrierenden Sorgepflichten ein Bemessungssatz von 18 % ergebe.
Die Vorinstanzen gingen ferner davon aus, dass die Lebenshaltungskosten in Deutschland nicht höher als in Österreich seien. Das in Deutschland Unterhaltspflichtigen eingeräumte Existenzminimum sei bei der Unterhaltsentscheidung nach österreichischem Recht nicht zu berücksichtigen. Der Grundsatz der Gleichbehandlung bei Vorliegen konkurrierender Unterhaltsberechtigter sei nicht "international verwirklicht" und gelte immer nur innerhalb desselben Rechtskreises. In Österreich sei eine rückwirkende Unterhaltsfestsetzung zulässig und keine Mahnung erforderlich. Durch die Unterhaltsfestsetzung werde der Mindestlebensbedarf des Vaters nicht unterschritten. Die Gesamtbelastung liege zwischen 54 und 56 % des Einkommens. Bei diesen Prozentsätzen verblieben ihm allerdings nur monatliche Beträge, die sowohl nach deutschem Recht unter dem "Selbstbehalt" (Existenzminimum) lägen als auch nach österreichischem Recht knapp unter dem Unterhaltsexistenzminimum.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil die Unterhaltsentscheidung eine Ungleichbehandlung der Unterhaltsberechtigten in Deutschland einerseits und derjenigen in Österreich sowie eine Schlechterstellung des Vaters im Verhältnis zum deutschen Recht bewirke. Ihm werde die Erfüllung seiner Unterhaltspflichten gegenüber den in Deutschland lebenden Unterhaltsberechtigten erschwert, zumal nach deutschem Recht keine rückwirkende Unterhaltsfestsetzung ohne vorherige Fälligstellung möglich sei.
Mit seinem Revisionsrekurs beantragt der durch einen deutschen Rechtsanwalt vertretene Vater die Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofes gemäß Art 234 EGV, weil mit der Unterhaltsentscheidung der auch im Gemeinschaftsrecht geltende Gleichheitssatz dadurch verletzt werde, dass der in Österreich lebende Sohn seinen vollen Unterhaltsanspruch geltend machen könne, wodurch sich das Einkommen des Unterhaltspflichtigen so vermindere, dass sich die Unterhaltsansprüche der in Deutschland lebenden Ehegattin und der Tochter nach deutschem Recht auf 178 EUR bzw 39 EUR reduzierten. Dem Revisionsrekurs kann im Zusammenhang mit dem erstinstanzlichen Vorbringen des Vaters der Antrag auf Abänderung entnommen werden, dass er die Festsetzung seiner Unterhaltsverpflichtung für das Jahr 2001 mit 116 EUR, im Jahr 2002 mit 138 EUR und ab dem Jahr 2003 mit 137 EUR jeweils monatlich anstrebt (ON 13).
Der Antrag auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) ist unzulässig.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.
I. Parteien haben kein Antragsrecht auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem EuGH, sie können die Verfahrenseinleitung nur anregen (RIS-Justiz RS0058452). Der formell gestellte Antrag ist daher zurückzuweisen, er ist aber als Anregung sachlich gemeinsam mit dem Revisionsrekurs zu behandeln:
II. 1. Der Revisionsrekurswerber bekämpft nicht die Richtigkeit der angefochtenen Unterhaltsentscheidung nach österreichischem Sachrecht. Gemäß Art 1 des Übereinkommens vom 24. 10. 1956 BGBl 1961/293 über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht (Haager Unterhaltsstatutübereinkommen) bestimmt das Recht des gewöhnlichen Aufenthaltsortes des Kindes, ob und in welchem Ausmaß und von wem das Kind Unterhaltsleistungen verlangen kann (RIS-Justiz RS0103491; RS0048513; SZ 69/77; 6 Ob 233/00h; RS0106532; Schwimann, Internationales Privatrecht2 126 f).
2. Die Unterhaltsbemessung hat die Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten und die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten angemessen zu berücksichtigen. Bei durchschnittlichen Lebensverhältnissen - wie sie hier durchaus noch gegeben sind - kann die Unterhaltsfestsetzung im Interesse der Gleichbehandlung gleichgelagerter Fälle nach der sogenannten Prozentsatzmethode erfolgen (4 Ob 512/92 uva). Der Unterhalt von Kindern bestimmt sich nach den in der Rechtsprechung entwickelten und vom Schrifttum gebilligten Berechnungsformeln für den Altersbereich von 6 bis 10 Jahren mit rund 18 % und für den Altersbereich von 10 bis 15 Jahren mit rund 20 % des Nettoeinkommens. Konkurrierende Unterhaltspflichten führen zu Abzügen von 1 % für jedes Kind unter und von 2 % für jedes Kind über 10 Jahren sowie von 0 bis 3 % für einen Ehegatten, je nach dessen Eigenverdienst (RS0053242; RS0047485). Mit diesen Abzügen soll dem Gleichbehandlungsgrundsatz Rechnung getragen werden.
III. Der vom Revisionsrekurswerber angestrebten Befassung des EuGH kann schon deshalb nicht nähergetreten werden, weil in der Gemeinschaft kein einheitliches (koordiniertes) europäisches Unterhaltsrecht existiert. Mangels entsprechender Normen des Gemeinschaftsrechts, die der EuGH auszulegen hätte, kann ein Vorabentscheidungsverfahren nicht eingeleitet werden. Der allgemeine Hinweis auf den Gleichheitssatz kann nicht mit Aussicht auf eine Anfragebeantwortung durch den EuGH ins Treffen geführt werden. Wenn die europäischen Rechtssetzungsorgane das Unterhaltsrecht in der Kompetenz der nationalen Gesetzgeber beließen, bewirken Widersprüche der einzelnen Rechtsordnungen zueinander zwar eine Verschiedenbehandlung der in verschiedenen Staaten aufhältigen Unterhaltsberechtigten und Unterhaltsverpflichteten, diese beruht aber nicht auf einer Verletzung des Gemeinschaftsrechts, dessen Auslegung dem EuGH vorbehalten wäre, sondern auf der den einzelnen Staaten verbliebenen Gesetzesautonomie. Die Verletzung des Gleichheitssatzes kann daher in den vom Gemeinschaftsrecht nicht geregelten Bereichen nicht zum Anlass eines Vorabentscheidungsverfahrens genommen werden, wie dies etwa auch für die in den einzelnen Staaten der Gemeinschaft geltenden unterschiedlichen Steuersätze gilt. Wohl wurde der EuGH schon mehrfach mit Fragen im Zusammenhang mit der Gewährung bzw Verweigerung von Unterhaltsvorschüssen nach österreichischem Recht befasst. Dort ging es aber um die Auslegung von Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 geänderten und aktualisierten Fassung, ob nämlich Unterhaltsvorschüsse als Familienleistungen im Sinne der zitierten Verordnung (Wanderarbeitnehmerverordnung) zu qualifizieren seien und eine Verweigerung der Vorschüsse als Verletzung des in der Verordnung angeführten Gleichbehandlungsgrundsatzes zu werten sei (7 Ob 40/02m; RS0112831; RS0111677). Im vorliegenden Fall geht es aber um die der Gewährung von Unterhaltsvorschüssen naturgemäß vorgelagerte Frage der Unterhaltsfestsetzung eines minderjährigen Kindes, für die - wie ausgeführt - kein auslegungsbedürftiges Gemeinschaftsrecht, sondern nur das nationale Unterhaltsrecht des Aufenthaltsstaates die Grundlage bildet. Die Argumentation des Revisionsrekurswerbers läuft im Ergebnis darauf hinaus, dass er die Unterhaltssache entgegen dem Haager Unterhaltsstatutsabkommen nach deutschem Recht behandelt wissen will. Die behauptete Verletzung des Gleichheitssatzes hat jedoch ihren Grund ausschließlich in den unterschiedlichen nationalen Unterhaltsnormen bzw Bestimmungen über das Existenzminimum. Für die Unterhaltsfestsetzung ist jedoch - wie ausgeführt - ausschließlich das Sachrecht des Staates, in dem das unterhaltsberechtigte Kind seinen Aufenthalt hat, maßgeblich.
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