Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 549,34 EUR (davon 91,56 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin ist Ärztin für Allgemeinmedizin und betreibt in Wien eine Ordination, in der unter anderem rechtlich zulässige und fachgerechte Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden. Die Beklagten gehören einer katholischen Laienbewegung an. Diese entfaltet eine organisierte Tätigkeit von Mitarbeitern vor Ordinationen und Kliniken, von welchen bekannt ist, dass dort (rechtlich zulässige) Schwangerschaftsunterbrechungen durchgeführt werden. Diese Tätigkeit besteht darin, dass Personen auf dem Gehsteig vor dem Eingang des Hauses, in welchem sich die Ordination befindet, Aufstellung nehmen und jene Personen, die das Haus betreten und von denen sie gefühlsmäßig annehmen, dass diese einen Schwangerschaftsabbruch durchführen wollen, ansprechen und "ihnen ins Gewissen reden". Dabei führen sie den Personen vor Augen, dass sie eine Tötung vornehmen und übergeben ihnen Imitationen eines Fötus sowie mehrsprachige Folder. In diesen heißt es auszugsweise:
"Mama, denkst du daran, eine Abtreibung zu haben? Wir wissen, du bist wahrscheinlich verzweifelt und verwirrt. Um das Leben deines Babys zu retten, brauchst du nur aufstehen und die Klinik verlassen. Bitte unternimm jetzt nichts, was deinem Kind weh tut, denn du wirst es später bereuen. Bitte behalte dein Baby.
.....
Mögliche körperliche Komplikationen der Abtreibung: Durchlöcherung von Gebärmutter oder Muttermund. Unkontrollierbare Blutungen. Zurückgebliebene Reste von Plazenta oder Körperteilen des Babys. Infektionen, Entzündungen. Fehlgeburten und Unfruchtbarkeit in der Zukunft. Schwere Störungen des Zyklus."
Die Folder enthalten Abbildungen eines Fötus in den ersten drei Monaten, in den folgenden drei Monaten und in den letzten drei Monaten. Unter diesen Abbildungen findet sich der Zusatz "Abtreibung tötet dieses Baby".
Die beiden Beklagten übten die dargestellte Tätigkeit, die sie selbst als Apostolat empfinden, aus religiöser Überzeugung im Jahr 2000 mehrmals vor dem Haus aus, in dem sich die Ordination der Klägerin befindet. Im Zuge dieser Ausübung äußerten sich die Beklagten gegenüber Personen, die das Haus betreten wollten, dahin, dass "darin Morde begangen werden" und apostrophierten die Klägerin während einer verbalen Auseinandersetzung auch als Mörderin. Andere Äußerungen der Beklagten über die Klägerin sind nicht feststellbar. Im Juli und September 2000 kam es auf Grund der geschilderten Vorgangsweisen vor dem Haus der Klägerin zu physischen Angriffen der Klägerin gegenüber den Beklagten und anderen Personen, die an den Aktionen teilnahmen.
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin - gestützt auf § 1330 ABGB - neben der Zahlung von 7.267,28 EUR samt Anhang als Ersatz des entgangenen Verdiensts die Unterlassung der Verbreitung der Behauptung, die Klägerin würde in ihrer Ordination täglich Morde begehen bzw Patienten nicht fachgerecht beraten und behandeln, oder bedeutungsgleicher Behauptungen. Damit verband sie ein Widerrufsbegehren. Die Beklagten hätten die unwahren Tatsachenbehauptungen, die Klägerin begehe in ihrer Praxis täglich Morde und berate bzw behandle Patienten nicht fachgerecht, aufgestellt und verbreitet. Die Behauptungen seien geeignet, die Klägerin in ihrem Erwerb und Fortkommen zu beeinträchtigen. Durch die Behauptungen werde die Klägerin auch in ihrer Ehre verletzt. Die Äußerungen beeinträchtigten das Ansehen und die Vertrauenswürdigkeit der Klägerin als Ärztin schwer.
Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klageklagebegehrens. Das öffentliche Eintreten gegen Abtreibungen sei nicht rechtswidrig. Es geschehe in Ausübung des Rechts der freien Meinungsäußerung. Das Erstgericht verbot mit Teilurteil den Beklagten die Verbreitung der Behauptung, die Klägerin würde in ihrer Ordination Morde begehen, oder bedeutungsgleicher Behauptungen, während es das Mehrbegehren, die Beklagten hätten die Verbreitung der Behauptung, die Klägerin würde Patienten nicht fachgerecht beraten und behandeln, und das Widerrufsbegehren abwies. Rechtlich beurteilte es seine - eingangs wiedergegebenen - Feststellungen dahin, die Beklagten hätten der Klägerin nach dem Gesamteindruck ihrer Äußerung, "in der Ordination der Klägerin geschehen Morde", nicht eine gerichtlich strafbare Handlung vorgeworfen, sondern sie einer sittlich und moralisch besonders verwerflichen Haltung zeihen wollen. Dies sei ein Werturteil, das die Grenzen zulässiger Kritik massiv überschreite. Insoweit sei das Unterlassungsbegehren berechtigt. Das Mehrbegehren sei abzuweisen gewesen, weil die Klägerin selbst ausgesagt habe, dass die Beklagten Vorwürfe des Inhalts, sie führe keine fachgerechten Behandlungen durch, nicht erhoben hätten. Ein Widerrufsbegehren stehe bei einem Werturteil nicht zu.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht, wohl aber jener der Beklagten Folge und wies auch das Unterlassungsbegehren, dem das Erstgericht stattgegeben hat, ab. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichts als Ergebnis einer unbedenklichen Beweiswürdigung. Rechtlich führte es zur Berufung der Klägerin aus, die in den verteilten Foldern geschilderten möglichen Folgen einer Abtreibung seien zwar Tatsachenbehauptungen, doch nehme der Text nicht Bezug auf die Klägerin persönlich. Nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Adressaten vermittle der Text des Folders, dass eine Abtreibung schwerwiegende negative körperliche und auch psychische Folgen für die Abtreibende haben könne, aber nicht erkennbar den Vorwurf, die Klägerin sei eine in fachlicher Hinsicht schlechte Ärztin oder übe ihre Tätigkeit nicht lege artis aus. Insofern stelle das Verteilen der Folder keine Verbreitung einer kreditschädigenden Äußerung dar, sodass es auch bei der Abweisung des Widerrufsbegehrens zu verbleiben habe. Die Rechtsrüge der Beklagten sei jedoch berechtigt, weil die verbotene, in die Ehre der Klägerin eingreifende, auf einem im Wesentlichen richtigen Tatsachenkern beruhende Äußerung der Beklagten nicht rechtswidrig sei. Schon geraume Zeit sei die gesellschaftliche und politische Diskussion vom Prinzip der Medienwirksamkeit und einem damit verbundenen Trend zum Aktionismus geprägt. Auseinandersetzungen über gesellschaftspolitisch umstrittene Themen würden unter Benutzung plakativ überhöhter Schlagworte geführt, um über das aktuelle Tagesgeschehen hinaus hinreichend Aufmerksamkeit für den eigenen Standpunkt zu erringen. In diesem Sinn sei auch das Wort "Mord" zum Bestandteil des gesellschaftlichen Diskussionswortschatzes geworden, welches in verschiedenen Zusammenhängen fast inflationär gebraucht werde, um einen hohen Grad an Ablehnung einer Gesinnung oder eines Vorgehens auszudrücken, wobei es aber völlig losgelöst vom Vorwurf eines Verbrechens oder einer strafbaren Handlung verwendet und verstanden werde. So seien die Begriffe "Baummord" und "Tiermord" im Bereich der Diskussion über Umweltanliegen oder die Anliegen von Tierschützern bereits gängiges Vokabular und damit in der Tagespresse oder auf Plakaten von Bürgerinitiativen ohne weiteres präsent (vgl auch den Satz "Soldaten sind Mörder"). Es sei im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass die Formulierung vor dem Hintergrund der politisch, ideologisch und religiös gefärbten gesellschaftlichen Auseinandersetzung über die Fristenlösung verstanden werde, wobei die Adressaten den verwendeten Ausdruck in seiner Überspitztheit zu deuten und auf den Kern zu reduzieren wüssten. In der beanstandeten Formulierung sei ein Wertungsexzess nicht gelegen, weil ein im Wesentlichen richtiges, wenn auch ideologisch ausgerichteter Bewertung unterzogenes Tatsachensubstrat zugrunde liege. Die Äußerung sei durch das Recht der freien Meinungsäußerung gedeckt. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Streitgegenstandes 20.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Die Frage, ob bestimmte, in einem Gesamtzusammenhang stehende Äußerungen eine Ehrverletzung darstellten, sei eine Entscheidung im Einzelfall. Das gelte auch für die Beurteilung, in welche Richtung die Interessenabwägung ausfalle.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen erhobene außerordentliche Revision der Klägerin ist zwar zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu einem vergleichbaren Sachverhalt in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage fehlt, aber nicht berechtigt.
Sinn und Bedeutungsgehalt einer beanstandeten Äußerung wie auch die Frage, ob Tatsachen verbreitet werden oder eine wertende Meinungsäußerung vorliegt, richten sich nach dem Gesamtzusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck der Äußerung für den unbefangenen Durchschnittsadressaten der Äußerung (SZ 71/96 mwN; 6 Ob 77/02w uva). Die Äußerung ist so auszulegen, wie sie vom angesprochenen Verkehrskreis bei ungezwungener Auslegung verstanden wird, wobei die Ermittlung des Bedeutungsinhalts im Allgemeinen eine Rechtsfrage ist, die von den näheren Umständen des Einzelfalls, insbesondere aber von der konkreten Formulierung in ihrem Zusammenhang, abhängt (SZ 71/96 mwN; 6 Ob 77/02w). Dabei ist es für die Einordnung einer Äußerung als Tatsachenbehauptung wesentlich, ob sich ihr Bedeutungsinhalt nach dem Verständnis der Adressaten (auf den subjektiven Willen des Äußernden kommt es nicht an) auf einen Tatsachenkern zurückführen lässt, der einem Beweis zugänglich ist (SZ 68/97; SZ 72/118; 6 Ob 77/02w ua).
Zu Recht hat das Berufungsgericht die zu verbietende Äußerung, die Klägerin berate und behandle Patienten nicht fachgerecht, als Tatsachenbehauptung qualifiziert und die Abweisung des diesbezüglichen Unterlassungsbegehrens mit zutreffender Begründung bestätigt. Es genügt auf diese hinzuweisen (§ 510 Abs 3 ZPO), zumal die Revision diese Ausführungen des Berufungsgerichts gar nicht bekämpft.
Die Apostrophierung der Klägerin als „Mörderin" ist so nicht Gegenstand des Unterlassungsbegehrens. Die Klägerin hat auch nicht behauptet, von den Beklagten mit diesem Ausdruck bezeichnet worden zu sein. Die vom Erstgericht getroffene Feststellung, die Beklagten hätten die Klägerin im Zuge einer verbalen Auseinandersetzung als „Mörderin" apostrophiert, ist daher überschießend. Überschießende Feststellungen dürfen nach herrschender Rechtsprechung des Obersten Gerichtshof nur dann bei der rechtlichen Beurteilung berücksichtigt werden, wenn sie sich im Rahmen des geltend gemachten Klagsgrundes oder der erhobenen Einwendungen halten (6 Ob 277/00d; 4 Ob 61/03d; RIS-Justiz RS0040318; 6 Ob 72/00g; RIS-Justiz RS0037972). Werden der Entscheidung (unzulässige) überschießende Feststellungen zu Grunde gelegt, so wird damit die Sache rechtlich unrichtig beurteilt, sodass eine Rüge nicht notwendig ist (4 Ob 2338/96v). Es kann hier dahinstehen, ob sich diese festgestellte Äußerung im Rahmen des Klagsgrundes hält oder nicht, war sie doch in dieser Form nicht Gegenstand des Urteilsbegehrens, sodass sie schon deshalb einer rechtlichen Beurteilung nicht zu unterziehen ist. Zutreffend haben daher schon die Vorinstanzen diese Äußerung nicht ihrer rechtlichen Beurteilung zu Grunde gelegt.
Zutreffend ist das Berufungsgericht entgegen der Ansicht der Revisionswerberin auch davon ausgegangen, dass die Äußerung der Beklagten, im Haus, in dem sich die Ordination der Klägerin befindet, werden "Morde begangen", im gegebenen Zusammenhang eine wertende Meinungsäußerung ist, die noch dem Schutzbereich des Art 10 EMRK unterfällt.
Nach den für die Adressaten wahrnehmbaren Begleitumständen der beanstandeten Äußerung (Inhalt der verteilten Folder und Verteilung von Nachbildungen eines Fötus) wurde der Ausdruck „Mord" nicht in einem fachlich-technischen Sinn (§ 75 StGB) gebraucht, sondern sind ersichtlich die in der Ordination vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüche gemeint. Die Aussage enthält nicht den Vorwurf einer schwer kriminellen Haltung oder Gesinnung gegenüber der Klägerin, vielmehr brachten die Beklagten mit der Äußerung ihr persönliches (Unwert-)Urteil über die, wenn auch nicht strafbaren, in der Ordination vorgenommenen Schwangerschafsabbrüche zum Ausdruck. Ersichtlich steht der Vorwurf in der Sache in unmittelbarem und untrennbarem Zusammenhang mit dem tatsächlichen Anliegen der Beklagten, nämlich der Kritik der und Auseinandersetzung mit der herrschenden Abtreibungspraxis auf Grund der geltenden Gesetze. Auch Werturteile dürfen aber nicht schrankenlos öffentlich geäußert werden. Dem jedermann verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht auf freie Meinungsäußerung (Art 10 EMRK; Art 13 StGG) kommt in der Interessenabwägung gegenüber der ehrenbeleidigenden Rufschädigung nur solange ein höherer Stellenwert zu, als die Grenzen zulässiger Kritik nicht überschritten werden und kein massiver Wertungsexzess vorliegt (SZ 71/96; MR 1998, 331; JBl 2000, 664). Für die Interessenabwägung ist auch die Gewichtigkeit des Themas, zu dem die zu beurteilende Kritik geäußert wurde, von Bedeutung (SZ 71/96).
Im Sinne der von innerstaatlichen Gerichten zu beachtenden ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) bildet die Meinungsäußerungsfreiheit eine der wichtigsten Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft und eine der grundlegenden Bedingungen für ihren Fortschritt und die Selbstverwirklichung jedes Menschen. Unter den Einschränkungen des Absatzes 2 des Art 10 EMRK, die eng ausgelegt werden müssen, ist sie nicht nur auf „Nachrichten" oder „Meinungen", die positiv aufgenommen oder als nicht verletzend oder als indifferent angesehen werden, anwendbar, sondern auch auf solche, die verletzen, schockieren oder beunruhigen (EGMR vom 26. 2. 2002 - Dichand ua gegen Österreich, MR 2002, 84 = ÖJZ 2002, 464 = ecolex 2002, 393 mwN). Immer wieder betont der EGMR, dass es nur geringen Raum gemäß Art 10 Abs 2 EMRK für Beschränkungen der politischen Rede oder für Debatten über Fragen des öffentlichen Interesses gibt. Art 10 EMRK schützt nicht nur den Inhalt der mitgeteilten Meinungen und Informationen, sondern auch die Form, in der sie mitgeteilt werden (MR 2002, 84).
Angesichts der heutigen Reizüberflutung aller Art sind auch starke Formulierungen hinzunehmen, ist es doch Sinn jeder zur Meinungsbildung beitragenden öffentlichen Äußerung, Aufmerksamkeit zu erregen. Auch wenn die Abtreibungstätigkeit in der Ordination der Klägerin der geltenden Rechtslage entspricht, die der Verfassungsgerichtshof von Verfassungs wegen nicht beanstandet hat (VfSlg 7400/1974), so werden die Beklagten nicht an einer Meinungsäußerung gehindert, die - wenn auch mit einem drastischen Wort - die herrschende, auf Grund der geltenden Gesetze geübte Praxis der Schwangerschaftsabbrüche kritisiert und für einen weitergehenden Schutz werdenden menschlichen Lebens streitet. Bleibt dieser Schutz in erster Linie dem Gesetzgeber überlassen, dann ist ein Beitrag im geistigen Meinungskampf zur Willensbildung in dieser die Öffentlichkeit besonders berührenden Frage wegen der grundlegenden Bedeutung der Meinungsfreiheit für die Demokratie grundsätzlich auch dann hinzunehmen, wenn die geäußerte Meinung extrem erscheint (vgl auch BGH 30. 5. 2000, VI ZR 276/99, veröff. NJW 2000, 3421). Deshalb hat das Berufungsgericht mit Recht die beanstandete Äußerung als überspitzte Formulierung im geistigen Meinungsstreit als zulässig erachtet. Ein Wertungsexzess liegt nicht vor. Auch wenn die Äußerung geeignet ist, das Ansehen der Klägerin zu beeinträchtigen, so ist ihr Interesse am absolut geschützten Gut der Ehre im vorliegenden Fall noch nicht so erheblich tangiert, dass die Meinungsfreiheit der Beklagten gegenüber diesem Interesse zurücktreten müsste. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50 Abs 1, 41 ZPO.
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