European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0060OB00241.12B.0508.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung
Das Berufungsgericht hat sowohl die Klage der Frau als auch die Widerklage des Mannes, die beide auf Scheidung der Ehe der Parteien gemäß § 49 EheG aus dem Alleinverschulden jeweils des anderen Ehegatten gerichtet waren, abgewiesen. Der Mann habe keine Eheverfehlungen zu verantworten; Eheverfehlungen der Frau vor 2004 habe der Mann verziehen, solche nach 2004 habe die Frau nicht schuldhaft begangen.
Der Mann rügt in seiner außerordentlichen Revision ausschließlich, das Berufungsgericht habe im ersten Verfahrensgang das erstinstanzliche Urteil, mit dem die Ehe aus dem Alleinverschulden der Frau geschieden worden war, zu Unrecht aufgehoben und dem Erstgericht die Prüfung des Geisteszustands der Frau aufgetragen, obwohl sich diese im ersten Verfahrensgang auf eingeschränkte Verschuldensfähigkeit iSd § 50 EheG gar nicht berufen gehabt habe. Da das Berufungsgericht einen Rekurs an den Obersten Gerichtshof damals nicht zugelassen habe, könne der Mann diesen Umstand nunmehr geltend machen, obwohl die Frau zwischenzeitig im zweiten Verfahrensgang mangelndes Verschulden geltend gemacht und die Vorinstanzen ein solches auch festgestellt hätten.
Rechtliche Beurteilung
1. Die den Aufhebungsbeschluss im ersten Verfahrensgang tragende Rechtsansicht des Berufungsgerichts ist nunmehr vor dem Obersten Gerichtshof bekämpfbar, weil das Berufungsgericht damals einen Rekurs iSd § 519 Abs 1 Z 2 ZPO nicht zuließ ( Zechner in Fasching/Konecny , ZPO² [2005] § 511 Rz 15 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung).
2. Nach nunmehriger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bildet die Berücksichtigung eines neuen, den geltend gemachten Anspruch begründenden Rechtsgrundes oder einer neuen Einwendung durch das Berufungsgericht einen Verstoß gegen § 482 Abs 1 ZPO. Anders als im Fall der Ergänzung des Verfahrens durch Aufnahme neuer Beweismittel oder durch die Feststellung neu behaupteter Tatsachen im Zug einer Beweisergänzung wird durch die Bejahung eines neu geltend gemachten Anspruchs oder einer neuen Einwendung die gründliche, das heißt die richtige Beurteilung der „Streitsache“ iSd § 503 Z 2 ZPO gehindert. „Streitsache“ ist der durch das Vorbringen der Parteien in erster Instanz abgegrenzte Streitgegenstand; maßgebend für den Entscheidungsspielraum des Gerichts ist der vom Kläger beziehungsweise dem Beklagten vorgetragene Sachverhalt, das für den geltend gemachten Anspruch angegebene Tatsachensubstrat beziehungsweise die Einwendung. Die Verletzung des Neuerungsverbots durch das Berufungsgericht kann demnach vom Obersten Gerichtshof aufgegriffen werden, wenn sie zu einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Streitsache geführt hat, indem neue Ansprüche oder Einreden berücksichtigt wurden (statt vieler 5 Ob 43/06v; vgl RIS-Justiz RS0056498). Dies gilt auch für die Berücksichtigung „überschießender Feststellungen“ durch das Berufungsgericht ( Zechner aaO § 503 Rz 9).
Damit hat der Mann im nunmehrigen Revisionsverfahren berechtigt die Frage aufgeworfen, ob das Berufungsgericht im ersten Verfahrensgang tatsächlich ohne entsprechendes Vorbringen der Frau und damit zu Unrecht deren mangelnde Verschuldensfähigkeit berücksichtigte. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hat nämlich allgemein derjenige, der eine Scheidungsklage nach § 49 EheG einbringt, nur das Vorliegen schwerer Eheverfehlungen zu beweisen, nicht aber auch den Gesundheitszustand seines Gegners, aus dem dessen volle Verantwortlichkeit für die Eheverfehlungen abgeleitet wird; vielmehr ist es Sache des Gegners (hier also der Frau), einen Gesundheitszustand zu beweisen, der den nachgewiesenen Eheverfehlungen die Qualifikation eines Scheidungsgrundes nach § 49 EheG nimmt (RIS-Justiz RS0056498).
3. Die Beurteilung, ob das Berufungsgericht unter unzulässiger Berücksichtigung von Neuerungen beziehungsweise „überschießender Feststellungen“ entschieden hat, ist allerdings regelmäßig eine solche des Einzelfalls (vgl 4 Ob 142/12d). Angesichts des Umstands, dass die Frau bereits von Anfang des Verfahrens an von einem Sachwalter nach § 268 ABGB vertreten wurde, sie schon im ersten Verfahrensgang im Rahmen ihres Vorbringens „psychische Probleme“ thematisierte sowie ein dem Pflegschaftsverfahren entnommenes Sachverständigengut-achten Gegenstand der Erörterungen der Erstrichterin mit den Parteien war, in welchem von einer „Diagnose der wahnhaften Störung“ betreffend die Frau die Rede ist, und schließlich das Erstgericht im ersten Verfahrensgang ausdrücklich eine wahnhafte Störung sowie fehlende Krankheitseinsicht der Frau feststellte, liegt keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung (§ 502 Abs 1 ZPO) des Berufungsgerichts vor, wenn dieses im ersten Verfahrensgang das erstinstanzliche Verfahren für ergänzungsbedürftig in Richtung Verschuldensfähigkeit der Frau hielt.
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