OGH 5Ob43/06v

OGH5Ob43/06v27.6.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Floßmann als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hurch, Dr. Veith, Dr. Höllwerth und Dr. Grohmann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dagmar S*****, vertreten durch Dr. Josef Wegrostek, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Stadt Wien, vertreten durch Dr. Peter Rudeck, Dr. Gerhard Schlager, Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 5.608,35 sA und Feststellung (EUR 1.000), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 19. Oktober 2005, GZ 35 R 660/05a-41, womit das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 27. Juli 2005, GZ 37 C 296/04m-37, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 499,39 bestimmmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin EUR 83,23 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 30. 5. 2003 war die Klägerin als Beifahrerin eines Kombinationskraftwagens in 1220 Wien, W*****straße unterwegs. Im Bereich der Hausnummer 128 der W*****straße befindet sich eine Parkbucht, in der das Fahrzeug eingeparkt wurde. Neben und teilweise unter dem Fahrzeug im Bereich des Beifahrersitzes bestand zu diesem Zeitpunkt ein trichterförmiges Loch im Oberflächenbereich. Der Bereich der Parkbucht ist mit Großsteinpflastern belegt. Das Loch befand sich neben dem Gehsteig in einem Abstand von einer Pflastersteinreihe, sohin in einem Abstand von ca 20 cm zum Gehsteigrand. Am tiefsten Punkt des trichterförmigen Lochs fehlten drei Pflastersteine. In der in Blickrichtung Gehsteig rechts befindlichen Seite des Lochs war dieses ca 10 cm tief. An der breitesten Stelle war das Loch etwa 40 cm breit. Bei genauem Hinsehen wäre das Loch neben dem Fahrzeug für Fußgänger wahrnehmbar gewesen. Es konnte nicht festgestellt werden, wann und unter welchen Umständen diese Vertiefung im Straßenpflaster entstanden ist. Als die Klägerin beim Zurückkommen zum Fahrzeug beim Beifahrersitz in dieses einsteigen wollte, stieg sie mit dem linken Fuß neben dem Gehsteig und in das Loch hinein, wobei sie sich noch Auto abfing. Dadurch erlitt sie einen unverschobenen Bruch der Basis des 5. Mittelfußknochens. In der Folge litt sie - zusammengerafft auf jeweils einen 24-Stunden-Tag - einen Tag an starken Schmerzen, sechs Tage an mittelstarken Schmerzen und 21 Tage an leichten Schmerzen. Spät- und Dauerfolgen aus diesem Vorfall sind auszuschließen. Zum damaligen Zeitpunkt arbeitete die Klägerin in einer Sondereinheit der Polizei, nämlich im Bundesverfassungsdienst für Terrorbekämpfung. Unfallskausal bedingt befand sie sich sechs Wochen im Krankenstand. Für die Rufbereitschaft im Mai 2003 erhielt die Klägerin einen Betrag von netto EUR 147,90 ausbezahlt, für die im Mai 2003 geleisteten Überstunden einen Betrag von netto EUR 637,70. Bedingt durch die vorfallskausalen Verletzungen musste die Klägerin Unterarmstützkrücken verwenden, die sie anmieten musste. Weiters musste sie eine Fußbandage kaufen. Die Kosten für diese beiden Heilmittel stehen der Höhe nach mit EUR 13, EUR 13,16 und EUR 10,99 außer Streit.

Das Straßenstück, auf dem sich die Verletzung der Klägerin ereignete, wird von der Mitarbeiterin der Beklagten Carina S***** regelmäßig zu Fuß kontrolliert. Dabei wird sowohl die Fahrbahn als auch die Gehsteige und die Parkflächen auf Löcher, Gehsteigfugen, Setzungen und Risse besichtigt. Vor dem gegenständlichen Vorfall war Frau S***** am 10. 4. 2003 und am 9. 5. 2003 im Unfallbereich auf Kontrollgang unterwegs, wobei nicht feststellbar ist, dass das beschriebene Loch zum Zeitpunkt dieser Kontrollgänge bereits vorhanden gewesen wäre. Nach dem Unfallszeitpunkt absolvierte Frau S***** einen Kontrollgang am 2. 6. 2003, wobei sie die Vertiefung im Bereich der Haus Nr 128 der W*****straße nicht bemerkte. Am 25. 6. 2003 wurde die Beklagte von der Klägerin über Unfall und Unfallsörtlichkeit in Kenntnis gesetzt. Erst dadurch wurde die sie auf die bestehende Vertiefung aufmerksaund behob diese. Die Klägerin begehrt für die aus dem festgestellten Unfall erlittenen Schmerzen aus dem Titel des Schadenersatzes einen Betrag von EUR 4.000. Weiters seien ihr im Zeitraum Juni und Juli Überstunden bzw Rufbereitschaftsentgelte entgangen. Dafür begehrt sie einen Betrag von EUR 1.571,20. Weiters macht sie an Leihgebühr für Krücken EUR 13 und EUR 13,16 geltend sowie für eine medizinisch indizierte Fußbandage EUR 10,99.

Zusammengefasst beträgt das Zahlungsbegehren der Klägerin EUR 5.608,35 sA. Weiters begehrt die Klägerin die Feststellung der Haftung der Beklagten für zu befürchtende Spätfolgen aus dem gegenständlichen Unfall.

Als anspruchsbegründend bringt sie vor, dass die Vertiefung im Bereich der Parkzone schon längere Zeit bestanden habe müsse, zumindest aber ein halbes Jahr lang. Das Loch habe sich nicht unter geparkten Fahrzeugen befunden. Für ein geschultes Organ der Beklagten wäre bei Besichtigungen das Loch leicht sichtbar gewesen. Die Beklagte sei verpflichtet, das aus der für die Benützung der Kurzparkzonen eingenommene Geld für die ordnungsgemäße Erhaltung der Parkstreifen zu verwenden. Sie habe entweder über einen längeren Zeitraum hiedurch die Mangelhaftigkeit der Straße hingenommen oder aber ihre Kontrollen derart mangelhaft durchgeführt, dass das Loch schlicht übersehen worden sei. Erst über Information der Klägerin sei eine Behebung des Lochs eingeleitet worden. Im gegenständlichen Bereich bestehe eine Kurzparkzone. Üblicherweise herrsche dort nur eine geringe Parkdichte.

Die Beklagte sei Halterin der W*****straße, die eine Hauptstraße B der Stadt Wien sei. Es treffe sie daher als Halter die Haftung für Schäden nach § 1319a ABGB. Die geschilderten Umstände stellten ein grobes Verschulden der Beklagten dar.

Im Übrigen stützte die Klägerin ihre Ansprüche auf alle anderen in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und beantragte dessen Abweisung. Der gegenständliche Straßenabschnitt werde in periodischen Abständen von fünf bis sechs Wochen kontrolliert. Würden Mängel wahrgenommen, so werde umgehend deren Behebung veranlasst. Bei der letzten Begehung vor dem Vorfall am 9. 5. 2003 habe sich der Straßenabschnitt in einem ordnungsgemäßen, verkehrssicheren Zustand befunden. Die Vertiefung sei erst nach der letzten Kontrolle entstanden. Fahrbahnschäden wie die gegenständliche träten plötzlich und ohne vorherige Anzeichen auf. Sollte die Vertiefung bereits vorher bestanden haben, so wäre sie infolge Verparkung bei visueller Kontrolle nicht erkennbar gewesen. Eine Kontrolle der Fahrbahnbeschaffenheit unter geparkten Fahrzeugen sei weder möglich noch zumutbar. Ebenso sei das Loch beim Rundgang am 2. 6. 2003 verparkt gewesen und deshalb nicht erkennbar gewesen. Die Beklagte sei ihren Pflichten als Straßenerhalter in ausreichendem Maß nachgekommen. Darüber hinausgehende Maßnahmen würden die Zumutbarkeit überschreiten. Es treffe daher weder die Beklagte noch ihre Leute ein wie immer geartetes - schon gar kein grobes - Verschulden gemäß § 1319a ABGB.

Weiters wendete die Beklagte ein überwiegendes Mitverschulden der Klägerin von 80 % ein, da diese es offensichtlich unterlassen habe, vor die eigenen Füße zu schauen.

Die Klägerin bestritt jegliches Mitverschulden. Beim Einstiegvorgang in ein Kfz sei es nicht üblich, dass ein Fahrzeuglenker und Straßenbenützer Ausschau halte, ob nicht zwischen Gehsteig und der Fahrbahn ein Loch vorhanden sei. Ein durchschnittlicher Straßenbenützer könne darauf vertrauen, dass die Straße im ordnungsgemäßen Zustand sei. Mit versunkenen Pflastersteinen und Löchern auf der Straße habe sie nicht rechnen müssen. Ausgehend von den oben wiedergegebenen Feststellungen wies das Erstgericht das Klagebegehren ab.

Der Klägerin sei zwar der Beweis dafür gelungen, dass ihre Verletzung durch die Einsenkung der Pflasteroberfläche, sohin einen mangelhaften Zustand der Straße eingetreten sei, wofür die Beklagte einzustehen habe. Der Nachweis, dass die Beklagte einen extrem objektiven Sorgfaltsverstoß zu vertreten habe, sei der Klägerin aber nicht gelungen, weil nicht festgestellt werden konnte, wann und unter welchen Umständen die Einsenkung entstanden sei. Für die Annahme grober Fahrlässigkeit spreche nämlich in der Regel der Umstand, dass einer sich aus einem Wegezustand ergebenden Gefahr durch längere Zeit nicht begegnet werde (SZ 60/189; ZVR 1990/120).

Einer dagegen von der Klägerin erhobenen Berufung gab das Gericht zweiter Instanz nicht Folge.

Unbekämpft blieb im Berufungsverfahren, dass die Beklagte keine Haftung nach § 1319a ABGB treffe, weil kein grobes Verschulden erwiesen war.

Die Klägerin stützte im Berufungsverfahren ihren Anspruch auf § 1298 ABGB, wonach die Beklagte auch für leichte Fahrlässigkeit hafte und sie die Beweislast für fehlendes Verschulden treffe. Das Fahrzeug sei im Unfallszeitpunkt in einer Kurzparkzone abgestellt gewesen. Die Benutzung von Kurzparkzonen im Gemeindegebiet der Beklagten sei ausschließlich entgeltlich. Das Kfz von Peter H***** sei aufgrund eines privatrechtlichen Nutzungsvertrags mit der Beklagten auf dem Kurzparkplatz abgestellt gewesen. Daher treffe die Beklagte auch der Klägerin gegenüber die vertragliche Schutz- und Sorgfaltspflicht, weil sich ein solcher Benützungsvertrag als Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter darstelle. Schon bei Vertragsabschluss sei vorhersehbar gewesen, dass die Klägerin als Beifahrerin in Kontakt mit der vertraglichen Hauptleistung stehen werde. Deshalb sei die Beklagte auch ihr gegenüber rechtlich zur Fürsorge verpflichtet. Das Berufungsgericht hielt es für erwiesen, dass sich die Unfallstelle im Bereich einer Kurzparkzone befand, doch sei für die Klägerin damit nichts gewonnen. Sie habe nämlich nicht einmal vorgebracht, dass die für die Benützung einer Kurzparkzone erforderlichen Gebühren tatsächlich entrichtet worden seien. Dafür wäre die Klägerin behauptungs- und beweispflichtig gewesen. Darüber hinaus scheide aber eine vertragliche Haftung der Beklagten aus folgenden Gründen aus: Gemäß § 1 Abs 1 des Wiener Parkometergesetzes 1974 idF LGBl 28/2000 könne der Gemeinderat für das Abstellen von mehrspurigen Fahrzeugen in Kurzparkzonen (§ 25 StVO 1960) die Entrichtung einer Abgabe vorschreiben. Nach § 5 leg cit sei der Nettoertrag der Parkometerabgabe für Maßnahmen zu verwenden, die der Erleichterung des innerstädtischen Verkehrs dienten. Darunter seien vor allem Maßnahmen zu verstehen, die den Bau von Garagen förderten, die der Verbesserung von Einrichtungen der städtischen Verkehrsbetriebe dienten oder solche, die zu einer Funktionsaufteilung zwischen Individual- und Massenverkehr führten. Daraus ergebe sich aber, dass der Nettoertrag der Abgabe für das Abstellen von Fahrzeugen in Kurzparkzonen nicht zur Verhinderung und Beseitigung von Mängeln in Kurzparkzonen zu verwenden sei. Es handle sich bei der zu leistenden Abgabe auch nicht um eine Gegenleistung aufgrund eines Vertrages, sondern um eine öffentlich-rechtliche Abgabe, die überdies gemäß den in § 5 Wiener Parkometergesetz entnehmbaren Zwecken gemäß zu verwenden sei.

Eine vertragliche Haftung der Beklagten sei daher zu verneinen. Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil zur Frage, ob durch die Entrichtung einer Parkometerabgabe nach dem Wiener Parkometergesetz eine vertragliche Beziehung zur Beklagten entstehe, keine höchstgerichtliche Judikatur vorliege und die Bedeutung dieser Frage über den Einzelfall hinausgehe. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung des angefochtenen Urteils im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, der Revision der Klägerin nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil dem Berufungsgericht ein Eingehen auf den Rechtsgrund der Vertragshaftung der Beklagten infolge des herrschenden Neuerungsverbots verwehrt war und der dadurch bewirkte erhebliche Begründungsmangel durch den Obersten Gerichtshof zu beseitigen ist.

Die Revision ist allerdings nicht berechtigt.

Die Revisionswerberin macht im Wesentlichen geltend, dass nach höchstgerichtlicher Rechtsprechung das Haftungsprivileg des § 1319a ABGB, also die Begrenzung der Haftung des Wegehalters auf Fälle des groben Verschuldens, die Unentgeltlichkeit der Benützung und die Interessenneutralität der Verkehrseröffnung voraussetze. Die Entgeltlichkeit der Benützung stelle hingegen ein haftungsrelevantes Element dar, das zur Vertragshaftung des Wegehalters und damit zu seiner Haftung infolge jeglichen Verschuldens führe (ZVR 1997/91; ZVR 2001/53). Unbeschadet ihrer Bezeichnung als Abgabe im Wiener Parkometergesetz stelle diese ein privatrechtliches Entgelt für die Benützung von Kurzparkzonen dar, wodurch ein Benützungsvertrag zwischen dem Fahrzeughalter und der Beklagten begründet werde. Der Beklagten flössen auch tatsächlich durch die Parkometerabgabe zusätzliche finanzielle Mittel zu, die sie zur Erleichterung des innerstädtischen Verkehrs, also auch für Maßnahmen zu verwenden habe, die die gefahrlose Benützung in Kurzparkzonen ermögliche. Da das Vorbringen der Klägerin, das Fahrzeug sei in einer Kurzparkzone abgestellt gewesen, unbestritten geblieben sei, habe die Beklagte auch die Rechtmäßigkeit der Benützung der Kurzparkzone zugestanden. Dass infolge Nichtentrichtung der Abgabe eine Verwaltungsübertretung begangen worden wäre, habe die Beklagte nicht behauptet.

Dem hielt die Beklagte in ihrer Revisionsbeantwortung im Wesentlichen entgegen, dass durch die Entrichtung einer öffentlich-rechtlichen Abgabe kein Vertragsverhältnis begründet werde (ZVR 1999/59). Mit der gesetzlichen Regelung der Entrichtung von Abgaben in Kurzparkzonen entstehe eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung, die Beklagte werde dabei in Vollziehung der Gesetze, sohin hoheitlich tätig. Die Straßenerhaltung hingegen stelle eine Maßnahme der Privatwirtschaftsverwaltung dar. Insofern sei es nicht richtig, dass zwischen dem Empfänger der Parkometerabgabe und dem Straßenerhalter Identität bestehe. Auch sei der Nettoertrag der Parkometerabgabe gemäß § 5 Wiener Parkometergesetz 1974 nicht für Maßnahmen der Straßenerhaltung zu verwenden.

Insofern entscheide sich der hier zu beurteilende Fall von dem der Entscheidung 2 Ob 33/01v zugrunde liegenden, wo ausgesprochen wurde, dass die für die Benutzung von Bundesautobahnen und Bundesschnellstraßen zu entrichtende zeitabhängige Maut (Vignettenmaut) gemäß § 7 BStFG 1996 ein privatrechtliches Entgelt und keine Abgabe darstelle.

Im Weiteren rügte die Revisionswerberin, dass das Berufungsgericht sich zu Unrecht mit einer vertraglichen Haftung der Beklagten auseinandergesetzt habe, weil im erstinstanzlichen Verfahren das Begehren ausschließlich auf § 1319a ABGB gegründet worden sei. Es sei auch im erstinstanzlichen Verfahren kein Vorbringen dahin erstattet worden, dass für die Benützung der Kurzparkzone tatsächlich eine Parkometerabgabe entrichtet worden wäre.

Dazu hat der erkennende Senat erwogen:

Tatsächlich hat die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren ihr Schadenersatzbegehren nicht darauf gestützt, dass das Fahrzeug im Unfallszeitpunkt in einer nur gegen Entrichtung einer Abgabe zu benützenden Kurzparkzone abgestellt gewesen wäre. Das Tatsachenvorbringen zum erhobenen Schadenersatzbegehren richtete sich ausschließlich auf die Haftungsvoraussetzungen des § 1319a ABGB; geltend gemacht wurde ausschließlich eine Deliktshafthaftung der Beklagten als Wegehalter nach § 1319a ABGB. Dem wurde nur die Leerformel angefügt, das Begehren werde auf jeden erdenklichen Rechtsgrund gestützt.

In der mündlichen Streitverhandlung vom 21. 4. 2004 (ON 7) wurde der Schriftsatz ON 6 vorgetragen. Darin führte die Klägerin aus: "Es wird festgehalten, dass die Stadt Wien erhebliche Einnahmen erzielt aus Kurzparkzonen. Am Unfallort hat zwar keine Kurzparkzone bestanden, es ist jedoch daraus ableitbar, dass das aus den Kurzparkzonen vereinnahmte Geld dazu verwendet werden sollte, dass auch die Parkstreifen in einem ordnungsgemäßen Zustand erhalten werden". In der mündlichen Streitverhandlung vom 15. 6. 2004 (ON 9) brachte die Klägerin vor, dass im gegenständlichen Bereich doch eine Kurzparkzone bestanden habe und es (daher) in diesem Bereich üblicherweise eine geringe Parkdichte gäbe. Die beklagte Partei bestritt dies, die Tatsache, dass eine Kurzparkzone dort bestanden habe, sei vielmehr ein Indiz dafür, dass eine dichtere Parksituation gegeben sei. Mit diesem im Detail wiedergegebenen Vorbringen wird deutlich, dass die Klägerin ihr Schadenersatzbegehren nicht auf einen zwischen ihr bzw ihrem Begleiter und der Beklagten infolge Entgeltlichkeit der Fahrzeugabstellung zustande gekommenen Vertrag gestützt hat. Ein solches Vorbringen wurde erstmals in der Berufung erstattet. Die Beklagte hat in ihrer Berufungsbeantwortung darauf hingewiesen, dass ein Vorbringen zur Vertragshaftung erstmals in der Berufung erstattet worden sei.

Das Berufungsgericht hat sich dennoch mit den von der Klägerin neu vorgetragenen Tatsachen und dem daraus abgeleiteten neuen Rechtsgrund befasst, den Klagsanspruch jedoch im Ergebnis verneint. Das führte zu einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Streitsache.

Ausgehend von der von Fucik (in: Das Neuerungsverbot im Zivilgerichtsverfahrensrecht, ÖJZ 1992, 428) vertretenen Ansicht, dass das Berufungsgericht nur im Rahmen der geltend gemachten Ansprüche und Einreden und der vorgebrachten Tatsachen in der rechtlichen Qualifikation des Sachverhalts völlig frei sei, wurde in höchstgerichtlicher Rechtsprechung zunächst als fraglich bezeichnet, ob eine unzulässige Neuerung nach § 482 Abs 1 ZPO, auf die nicht von Amts wegen Bedacht zu nehmen ist, als ein im Revisionsverfahren unbekämpfbarer Abänderungsgrund herangezogen werden darf (1 Ob 30/98p; 3 Ob 224/97f = ÖBA 1999, 563). Damit wurde die bisherige Rechtsprechung, die zwar die Verletzung des von Amts wegen wahrzunehmenden Neuerungsverbots im Rechtsmittel gegen einen Aufhebungsbeschluss als Rechtsmittelgrund bejahte, die Verletzung des Verfahrensrechts durch Missachtung des Neuerungsverbots jedoch als Revisionsgrund nicht gelten ließ (vgl die ausführliche Darstellung in 1 Ob 30/98p), mit dem Argument in Frage gestellt, dass zwischen den einzelnen Neuerungstatbeständen des § 482 Abs 1 und 2 ZPO zu unterscheiden sei.

In jüngster Rechtsprechung vertritt der Oberste Gerichtshof die Ansicht, dass die Berücksichtigung eines neuen, den geltend gemachten Anspruch begründenden Rechtsgrundes oder einer neuen Einwendung durch das Berufungsgericht einen Verstoß gegen § 482 Abs 1 ZPO bildet. Anders als im Fall der Ergänzung des Verfahrens durch Aufnahme neuer Beweismittel oder durch die Feststellung neu behaupteter Tatsachen im Zug einer Beweisergänzung werde durch die Bejahung eines neu geltend gemachten Anspruchs die gründliche, das heißt die richtige Beurteilung der „Streitsache" im Sinn des § 503 Z 2 ZPO gehindert. „Streitsache" sei der durch das Vorbringen der Parteien in erster Instanz abgegrenzte Streitgegenstand. Maßgebend für den Entscheidungsspielraum des Gerichts sei der vom Kläger vorgetragene Sachverhalt, das für den geltend gemachten Anspruch angegebene Tatsachensubstrat (4 Ob 79/99t = SZ 72/78 unter Verweis auf 9 ObA 326/98a). Die Verletzung des Neuerungsverbots durch das Berufungsgericht kann demnach vom OGH aufgegriffen werden, wenn sie zu einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Streitsache geführt hat, indem neue Ansprüche oder Einreden berücksichtigt wurden (vgl 8 Ob 26/03m).

Dem schließt sich auch der erkennende Senat an. Hat sich wie hier die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren ausdrücklich auf eine Wegehalterhaftung nach § 1319a ABGB und grobes Verschulden der beklagten Gemeinde gestützt, die zugestandene Behauptung, dass das Fahrzeug in einer Kurzparkzone abgestellt gewesen sei, jedoch ausschließlich als Begründung für die Zumutbarkeit der dem Straßenhalter obliegenden Überprüfung des ordnungsgemäßen Zustandes der Straße herangezogen - in der Kurzparkzone habe nur geringe Verkehrsdichte geherrscht, weshalb das Loch erkennbar gewesen wäre -, bestand der Entscheidungsspielraum für das Berufungsgericht ausschließlich im Bereich dieser deliktischen Schadenshaftung. Die weiteren Ausführungen erfolgten - selbst wenn der Anspruch aus vertraglicher Haftung vom Berufungsgericht im Ergebnis abgelehnt wurde - in Verletzung des von Amts wegen wahrzunehmenden Neuerungsverbots.

Damit verbietet sich auch für den erkennenden Senat, der ansonsten selbst das Neuerungsverbot verletzen würde, ein Eingehen auf den Schadenersatzanspruch der Klägerin, der nunmehr auf Vertragshaftung der Beklagten gestützt wird.

Dass die maßgeblichen erstinstanzlichen Feststellungen den rechtlichen Schluss eines vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Handelns oder Unterlassens der Beklagten nicht zulassen, wurde im Berufungsverfahren nicht mehr in Frage gestellt.

Im Ergebnis zu Recht hat daher das Berufungsgericht die Abweisung des Klagebegehrens bestätigt.

Der dagegen erhobenen Revision war der Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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