OGH 6Ob150/16a

OGH6Ob150/16a30.8.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Dr. Nowotny und Dr. Hargassner als weitere Richter in der Firmenbuchsache der im Firmenbuch des Landesgerichts Ried im Innkreis zu FN ***** eingetragenen M***** Gesellschaft mbH mit dem Sitz in A***** über den Revisionsrekurs der Gesellschaft und deren (früherer) Geschäftsführer 1. F***** B*****, 2. Dipl.‑Ing. U***** B*****, Deutschland, alle vertreten durch Weh Rechtsanwalt GmbH in Bregenz, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 14. Juni 2016, GZ 6 R 117/16t, 6 R 120/16h, 6 R 121/16f, 6 R 122/16b, 6 R 123/16z, 6 R 124/16x-75, mit dem die Beschlüsse des Landesgerichts Ried im Innkreis vom 18. Mai 2016, GZ 16 Fr 2473/00i‑72, 16 Fr 413/03g‑34, 16 Fr 414/03h‑32, 16 Fr 437/02h‑44, 16 Fr 1600/04k‑33, 16 Fr 2887/99t‑14, bestätigt wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Begründung

Die Vorinstanzen wiesen übereinstimmend „Erlassanträge“ der Gesellschaft und deren (früherer) Geschäftsführer hinsichtlich in den Jahren 1999 bis 2003 verhängter Zwangsstrafen nach § 283 UGB ab. § 285 Abs 3 UGB idF Rechnungslegungs-Änderungsgesetz 2014, auf welchen sich die Anträge ausdrücklich stützten, sei gemäß § 906 Abs 37 UGB lediglich auf Verstöße gegen die in §§ 283 Abs 1, 284 UGB genannten Pflichten anzuwenden, die nach dem 19. 7. 2015 gesetzt werden oder fortdauern, nicht aber auf jene davor. Im Übrigen lägen auch die materiellen Voraussetzungen eines Nachlasses nicht vor.

Im Hinblick auf Fehlen von Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den mit dem Rechnungslegungs-Änderungsgesetz 2014 neu geschaffenen §§ 285, 906 Abs 37 UGB betreffend den Nachlass von Zwangsstrafen erklärte das Rekursgericht den Revisionsrekurs für zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig; er ist jedoch nicht berechtigt.

1. Nach § 285 Abs 3 UGB idF Rechnungslegungs-Änderungsgesetz 2014 kann zwar das Firmenbuchgericht auf Antrag des Adressaten einer Zwangsstrafe bis zu deren vollständiger Entrichtung eine Zwangsstrafe ganz oder teilweise nachlassen, wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen. Diese Bestimmung ist nach § 906 Abs 37 Satz 1 UGB aber (nur) auf Verstöße gegen die in §§ 283 Abs 1, 284 UGB genannten Pflichten anzuwenden, die nach dem 19. 7. 2015 gesetzt werden oder fortdauern. Wie das Rekursgericht zutreffend ausgeführt hat, liegt diese (zeitliche) Voraussetzung hier nicht vor. Ob daran § 906 Abs 37 Satz 2 UGB, wonach Anträge auf Stundung und Nachlass ab dem 20. 7. 2015 bei allen Zwangsstrafen gestellt werden können, etwas ändert (dies offensichtlich verneinend Zib in Zib/Dellinger, UGB [2015] § 285 Rz 1; vgl allerdings ErläutRV 367 BlgNR XXV. GP 22: „Anträge auf Stundung und Nachlass sind ab 20. 7. 2015 nach den neuen Regeln [§ 285 Abs 2 und 3] zu beurteilen.“), kann dahingestellt bleiben:

Nach § 285 Abs 3 Z 3 UGB kann das Firmenbuchgericht eine Zwangsstrafe unter anderem nur dann nachlassen, wenn dem Antragsteller oder seinen vertretungsbefugten Organen nur ein geringes Verschulden an dem Verstoß zur Last zu legen ist. In den ErläutRV (aaO 20) wird dazu ausdrücklich klargestellt, dass ein geringes Verschulden „bei beharrlicher und lang andauernder Verweigerung der Offenlegung nicht [in Betracht kommt]“; diese Auffassung wird von der Literatur geteilt (Zib aaO Rz 16; Dokalik in Torggler, UGB² [2015] § 285 Rz 17). Da das Rekursgericht zutreffend darauf hingewiesen hat, dass der Oberste Gerichtshof bereits in einer Entscheidung aus dem Jahr 2004 (6 Ob 90/04k) den Antragstellern „die beharrliche Weigerung, die klare Rechtslage im Sinne der ständigen oberstgerichtlichen Rechtsprechung zur Kenntnis zu nehmen“, vorwarf, und diese beharrliche Weigerung mit jedenfalls 14 Zwangsstrafbeschlüssen geahndet wurde, läge die Voraussetzung des geringen Verschuldens (§ 285 Abs 3 Z 3 UGB) bei den Antragstellern jedenfalls nicht vor. Deren Argument im ordentlichen Revisionsrekurs, sie habe überhaupt kein Verschulden getroffen, „weil sie im Vertrauen auf die geltende Rechtslage und die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs“ gehandelt hätten, bestätigt lediglich die bereits 2004 konstatierte Beharrlichkeit.

2. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nimmt der Umstand, dass im Verfahren erster Instanz ein Rechtspfleger gemäß §§ 16, 22 RPflG entschieden hat, dem Zwangsstrafenverfahren nicht die Qualität eines Tribunals im Sinne des Art 2 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK (6 Ob 261/06k; 6 Ob 293/06s; 6 Ob 41/08k; 6 Ob 64/08t; 6 Ob 152/12i). Ebenso entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass bei Verhängung einer Zwangsstrafe im Firmenbuchverfahren eine mündliche Verhandlung keineswegs zwingend, sondern nur dann vorzunehmen ist, wenn sie das Gericht für erforderlich hält (RIS‑Justiz RS0120357 [T2]). Entgegen der vom Revisionsrekurs vertretenen Auffassung gilt dies auch für ein Verfahren über einen Nachlassantrag gemäß § 285 Abs 3 UGB.

3. Die Antragsteller haben gleichzeitig mit ihrem ordentlichen Revisionsrekurs einen Antrag an den Verfassungsgerichtshof „gemäß §§ 62a ff VfGG“ gerichtet, §§ 906 Abs 37, 285 Abs 3 Z 1 und 3 UGB als verfassungswidrig aufzuheben. Nach § 62a Abs 6 VfGG dürfen zwar in dem beim Rechtsmittelgericht anhängigen Verfahren bis zur Verkündung bzw Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs nur solche Handlungen vorgenommen oder Anordnungen und Entscheidungen getroffen werden, die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs nicht beeinflusst werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten. Allerdings kann ein Antrag nach § 62a VfGG nur von einer Person gestellt werden, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache rechtzeitig ein zulässiges Rechtsmittel erhebt und wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet (VfGH G 378/2015; so auch Grabenwarter/Musger, Praxisfragen der Gesetzesbeschwerde im Zivilverfahren, ÖJZ 2015/75; Stefula, Der Parteiantrag auf Normenkontrolle an den VfGH in Zivilverfahren, Zak 2015/7; vgl auch 3 Ob 130/15m iFamZ 2015/156 [Pesendorfer], wonach der Antrag nur die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes durch das Erstgericht zum Gegenstand haben kann). Da die Antragsteller ihren Antrag an den Verfassungsgerichtshof jedoch gleichzeitig mit einem Rechtsmittel gegen eine Entscheidung eines ordentlichen Gerichts zweiter Instanz gestellt haben, liegt ein Anwendungsfall des § 62a VfGG hier gar nicht vor (vgl auch Stefula aaO [Die Einbringung eines Parteiantrags erst aus Anlass eines Rechtsmittels gegen eine zweitinstanzliche Entscheidung ist nicht vorgesehen. Stützt das Rechtsmittelgericht seine Entscheidung auf eine vermeintlich gesetz- oder verfassungswidrige Norm, kann dem mit einem Parteiantrag daher nicht abgeholfen werden]). Auch wenn somit grundsätzlich das Rechtsmittelgericht mit dem Verfahren innezuhalten hat, sobald es Kenntnis hat, dass beim Verfassungsgerichtshof ein Parteiantrag nach § 62a VfGG eingebracht wurde (Stefula aaO), trifft dies hier mangels eines solchen Parteiantrags nicht zu.

4. Dem Revisionsrekurs war somit ein Erfolg zu versagen.

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