European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0060OB00135.18Y.0831.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung:
Der beklagte Rechtsanwalt vertrat in mehreren Gerichtsverfahren (gegen die Klägerin) und in Verwaltungsverfahren (betreffend Bauangelegenheiten der Klägerin) deren Liegenschaftsnachbarn. In diesen legte er „Vermessungsurkunden“ eines Ingenieurkonsulenten für Vermessungswesen vor, obwohl er (nach den Behauptungen der Klägerin) gewusst habe, dass es sich dabei in Wahrheit bloß um rechtlich unverbindliche Dokumente gehandelt habe; dadurch seien die Gerichte und Behörden getäuscht und die Verfahren zu Ungunsten der Klägerin beeinflusst worden.
Rechtliche Beurteilung
1. Nach § 4 Abs 3 Ziviltechnikergesetz 1993 (ZTG) sind Ziviltechniker mit öffentlichem Glauben versehene Personen gemäß § 292 ZPO; die von ihnen im Rahmen ihrer Befugnis ausgestellten öffentlichen Urkunden werden von den Verwaltungsbehörden in derselben Weise angesehen, als wenn diese Urkunden von Behörden ausgefertigt wären. Nach § 1 Abs 1 Z 1 LiegTeilG sind Ziviltechniker zur Erstellung von Plänen befugt, mit denen die Teilung eines Grundstücks durchgeführt werden kann. Dementsprechend kann mit einer von einem Ziviltechniker im Rahmen seiner Befugnisse ausgestellten Urkunde (zB einem Gutachten) ein Beweis geführt werden, für den das Gesetz das Vorliegen einer öffentlichen Urkunde verlangt (vgl 5 Ob 59/85).
Die Urkundsfunktion der Ziviltechniker beschränkt sich allerdings auf die Erstellung von Beweisurkunden über Tatsachen, sodass sie nur in dieser Hinsicht als Personen öffentlichen Glaubens tätig sind und nur solche Urkunden als öffentliche Urkunden gelten (Funk/Marx, Ziviltechnikerurkunden im Verwaltungsverfahren – Zur Auslegung des § 4 Abs 3 ZTG, ÖJZ 2002, 532; vgl auch Krejci/Pany/Schwarzer, Ziviltechnikerrecht² [1997] §§ 1–4 ZTG Rz 72). Die Urkunden sind damit auf Wissens- oder Beweisurkunden (zB in Form von Lageplänen) beschränkt, während Planungen oder technische Gutachten als Ganzes die Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde nicht beanspruchen können, sondern wie alle anderen Gutachten und sonstigen Unterlagen zu behandeln sind; abgesehen von der – streng begrenzten – Urkundsfunktion bezüglich Beweisurkunden haben Akte von Ziviltechnikern daher keinen rechtlichen „Mehrwert“ gegenüber Gutachten anderer Sachverständiger (Funk/Marx aaO).
2.1. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen verfasste der Ingenieurkonsulent zunächst am 30. 4. 2010 einen „technischen Bericht, gutachterliche Stellungnahme“ (Beilage ./VV), dem eine „Vermessungsurkunde [als] Grundlage zur Grenzverhandlung“ (Beilage ./II) angeschlossen war. Diese Dokumente legte der Beklagte mit ihrer ursprünglichen Bezeichnung Gerichten und Verwaltungsbehörden vor, wobei sich den Feststellungen nicht entnehmen lässt, dass Gerichte und Behörden sie tatsächlich als öffentliche Urkunden mit der damit verbundenen Beweiskraft behandelt hätten. Vielmehr behandelte sie die Bauoberbehörde als Stellungnahme und nicht als Vermessungsgutachten; auch das Bezirksgericht Meidling legte seiner Entscheidung keine Vermessungsurkunde des Ingenieurkonsulenten zu Grunde.
Damit entstand aber der Klägerin kein Schaden aus einer allenfalls (so wie sie behauptet) unrichtigen Bezeichnung eines bloß unverbindlichen Dokuments als rechtlich verbindliche Vermessungsurkunde; die Urkunden wurden von den Gerichten und Behörden nicht als solche angesehen und behandelt.
2.2. Darüber hinaus erstellte der Ingenieurkonsulent nach den Feststellungen der Vorinstanzen am 7. 3. 2011 einen Planentwurf, auf der Frontseite bezeichnet als „Vermessungsurkunde“ (Beilage ./B), der als Grundlage für weitere Besprechungen diente, wobei der Rechtsvorgängerin der Klägerin und der Klägerin selbst bekannt war, dass es sich dabei um keine Vermessungsurkunde handelte. Auch die Baupolizei hielt in der Folge fest, dass der Grenzverlauf ungeklärt sei. Nach einer Besprechung am 7. 3. 2011 erstellte der Ingenieurkonsulent die Beilage ./A, die der Beilage ./B entspricht, in der jedoch zusätzlich die vom Ingenieurkonsulenten rekonstruierte Grundgrenze dargestellt wurde; auch diesbezüglich war der Rechtsvorgängerin der Klägerin und der Klägerin bekannt, dass es sich dabei um keine Vermessungsurkunde handelte, sondern um eine zeichnerische Darstellung aufgrund des Gesprächs vom 7. 3. 2011. Diese Urkunde legte der Beklagte schließlich in einem Grenzfeststellungsverfahren vor dem Bezirksgericht Meidling vor, das jedoch den Standpunkt der Liegenschaftsnachbarn der Klägerin nicht teilte und die im Plan eingezeichnete Grundgrenze nur als die von den Liegenschaftsnachbarn begehrte Grenze bezeichnete.
2.3. Da weder die Gerichte noch die Verwaltungsbehörden ihre Entscheidungen auf die Vermessungsurkunden des Ingenieurkonsulenten stützten (vgl die zusammenfassende Feststellung des Erstgerichts US 65), fehlt es insoweit jedenfalls an einer Kausalität des Verhaltens des Beklagten für den von den Klägern (angeblich) erlittenen Schaden.
3. Nach § 9 Abs 1 RAO ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die übernommenen Vertretungen dem Gesetz gemäß zu führen und die Rechte seiner Partei gegen jedermann mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten. Er ist befugt, alles, was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für dienlich erachtet, unumwunden vorzubringen, ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel in jeder Weise zu gebrauchen, welche seinem Auftrag, seinem Gewissen und den Gesetzen nicht widerstreiten. Ein Rechtsanwalt ist daher im Rahmen seiner berufsmäßigen Parteienvertretung verpflichtet, alles zu unternehmen, was den Interessen seines Klienten dienlich ist (RIS-Justiz RS0055917). Es ist sein Vorrecht, dem auch entsprechende Verpflichtungen gegenüberstehen, unter Benützung aller Angriffs- und Verteidigungsmittel, und zwar in jeder Weise, für seine Partei einzutreten. Das bedeutet, dass die Grenze, die der Rechtsanwalt in seiner Tätigkeit nicht überschreiten darf, sehr hoch liegt. Sie ist definiert durch den dem Rechtsanwalt erteilten Auftrag, durch sein Gewissen und den zu vermeidenden Widerstreit mit dem Gesetz (RIS-Justiz RS0120386).
3.1. Nicht zulässig ist es, dass ein Rechtsanwalt wissentlich unrichtige Behauptungen aufstellt, um sich oder seinem Klienten Vorteile zu verschaffen (RIS-Justiz RS0036733). Die in § 178 ZPO angeordnete Wahrheitspflicht gilt nicht nur für den Klienten, sondern auch für dessen Rechtsvertreter (RIS-Justiz RS0036733 [T4]); die Interessenswahrung des Rechtsanwalts für seinen Klienten kann daher niemals so weit gehen, dass der Rechtsanwalt Mittel anwendet, die mit Gesetz, Anstand und Sitte nicht mehr vereinbar sind (RIS-Justiz RS0055892).
3.2. Die Klägerin stützt nun zwar ihre Schadenersatzansprüche (auch) auf die Behauptung, dass es dem Beklagten für die von ihm vertretenen Liegenschaftsnachbarn gelungen sei, durch Vorlage der „Vermessungsurkunden“ des Ingenieurkonsulenten Gerichtsverfahren zu verzögern und Bauverfahren zu unterbrechen. Allerdings haben die Vorinstanzen mehrfach festgestellt, dass der Beklagte in den Verfahren Gutachten des Ingenieurkonsulenten nicht als Vermessungsurkunden bezeichnet und auch keine als Vermessungsurkunde bezeichneten Urkunden vorlegte; selbst wenn man jedoch davon ausgeht, dass die Beilagen ./A und ./B tatsächlich als „Vermessungsurkunde“ bezeichnet sind, so steht doch fest, dass sowohl der Rechtsvorgängerin der Klägerin als auch dieser selbst bekannt war, dass es sich tatsächlich um keine Vermessungsurkunden (im Sinn einer öffentlichen Urkunde) handelte. Damit hat der Beklagte aber als Vertreter der Liegenschaftsnachbarn keine unrichtigen Behauptungen aufgestellt; die Vorlage von die Interessen seiner Mandanten befördernden Unterlagen entsprach vielmehr seinen Verpflichtungen nach § 9 RAO.
3.3. Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass es (all) diesen Beilagen ohnehin an der von § 16 Abs 1 Satz 1 ZTG geforderten eigenhändigen Unterfertigung durch den Ingenieurkonsulenten fehlt, was ihnen schon von vorneherein die Qualität einer öffentlichen Urkunde raubt (vgl Krejci/Pany/Schwarzer, Ziviltechnikerrecht² §§ 1–4 ZTG Rz 76). Dass Gerichte und/oder Verwaltungsbehörden diese Unterlagen (möglicherweise) zum Anlass für eine bestimmte Verfahrensgestaltung nahmen, kann daher dem Beklagten schadenersatzrechtlich nicht zugerechnet werden. Auch in diesem Zusammenhang muss nämlich der zur Rechtsanwaltshaftung entwickelte Grundsatz zum Tragen kommen, wonach bei Beurteilung des hypothetischen Verfahrensausgangs des Vorprozesses das Regressgericht, das mit dem gegen den Rechtsanwalt wegen behaupteter Unterlassungen erhobenen Schadenersatzanspruch befasst ist, darauf abzustellen hat, wie das Gericht des Vorprozesses nach seiner Auffassung den Vorprozess – oder auch nur eine Teilfrage desselben – richtigerweise hätte entscheiden müssen (RIS-Justiz RS0115755).
4. Die Abweisung des Klagebegehrens durch die Vorinstanzen ist somit durchaus vertretbar.
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