European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00129.21W.0202.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben.
Hingegen wird der Revision der beklagten Parteien Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens hat das Erstgericht zu entscheiden.
Entscheidungsgründe:
[1] Der Erstbeklagte entwickelte im Jahr 2019 die App „*“, eine Plattform für die Bewertung von Schulen und Lehrern (künftig: die App). Am 15. 11. 2019 stellte er sie zum Download im Internet bereit, sperrte den Zugang aber wenige Tage später wieder.
[2] Im Dezember 2019 wurde die Zweitbeklagte gegründet. Der Erstbeklagte ist deren Geschäftsführer und einer von mehreren Gesellschaftern. Bei der Gründung der Zweitbeklagten brachte er sein nicht protokolliertes Einzelunternehmen „*-App“ in die Zweitbeklagte ein.
[3] Nach der Veröffentlichung der App leitete die Datenschutzbehörde von Amts wegen ein Prüfungsverfahren ein, das am 3. 2. 2020 ohne Erlassung eines Bescheids eingestellt wurde. Daraufhin stellte die Zweitbeklagte die App noch im selben Monat erneut zum Download bereit.
[4] Der Kläger ist als Lehrer an der HTL * angestellt. In der App ist er als Lehrer dieser Schule mit seinem Vornamen, seinem Familiennamen und seinen Graden „Ing. Dipl. Päd.“ ausgewiesen, und es wird Nutzern ermöglicht, eine Bewertung seiner Tätigkeit als Lehrer vorzunehmen.
[5] Der Kläger begehrt, den Beklagten die Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten in der App oder in ähnlichen Applikationen im Internet, insbesondere dadurch, dass Daten zu seiner Person dort aufgenommen und mit einer Möglichkeit zur Bewertung des Klägers als Lehrer der HTL * verknüpft würden, sowie ähnliche derartige Handlungen zu untersagen. Weiters begehrt er, die Zweitbeklagte zur Löschung seiner gespeicherten personenbezogenen Daten, nämlich seines Vor‑ und Familiennamens samt Ingenieur-Titel, sowie deren Verknüpfung mit einer Möglichkeit zur Bewertung des Klägers als Lehrer der HTL * zu verpflichten.
[6] Er werde durch die Datenverarbeitung in seinem Recht auf Datenschutz und seinen Persönlichkeitsrechten auf Achtung des Privat‑ und Familienlebens, auf Namensanonymität, auf Schutz der Ehre und des beruflichen Fortkommens verletzt. Die Datenverarbeitung sei unzulässig, weil er weder eine Zustimmung erteilt habe noch die übrigen Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung gemäß Art 6 Abs 1 DSGVO erfüllt seien.
[7] Die in der App vorgesehene Authentifizierung mittels der Mobilfunknummer sei nicht geeignet, einen Missbrauch durch die Anmeldung von nicht bewertungslegitimierten Personen hintan zu halten. In Fällen organisierter, unsachlicher Schlechtbewertung bestehe die Gefahr einer Prangerwirkung als schlechter Lehrer. Bei einer geringen Gesamtzahl von Bewertungen schlügen einzelne negative Bewertungen besonders stark durch. Es fehlten eine Feedback-Möglichkeit des Bewerteten und ein leicht zugänglicher Beschwerdemechanismus.
[8] Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung würden die Interessen der betroffenen Lehrer überwiegen. Zu Lasten der Beklagten seien die unzureichende Authentifizierung und die mangelnde Eignung der App zur Erreichung der angegebenen Zwecke Transparenz, Qualitätssteigerung und Verbesserung der Entwicklungschancen von Schülern zu beachten. Die Daten hätten nur eine geringe Aussagekraft. Bei Bewertungsinhalten, die Tatsachen beträfen – wie der Pünktlichkeit –, überwiege das Interesse des Betroffenen gegenüber unrichtigen Angaben. Andere Bewertungskriterien – etwa „fair/unfair“ – seien nicht aussagekräftig. Es bestehe kein legitimes Informationsinteresse der Öffentlichkeit an einer identifizierbaren Bewertung, weil Schüler sich ihre Lehrer nicht aussuchen könnten. Für die Verbesserung der Unterrichtsqualität reiche die Offenlegung der Bewertungen gegenüber den Lehrern und ihren Vorgesetzten. Dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit wäre durch eine nicht-identifizierende Bewertung des Unterrichts, etwa auf Fach- oder Schulebene, oder eine pseudonymisierte Bewertung (bspw „Physiklehrerin A“) Genüge getan, weil für die Schulwahl die Identifizierung der einzelnen Lehrenden nicht erforderlich sei. Bei unselbständig Beschäftigen wie Lehrern bestehe ein öffentliches Interesse zudem nur an einer Bewertung der Dienstgeber, nicht auch der Dienstnehmer. Die App befriedige ein Unterhaltungsinteresse und diene kommerziellen Zwecken. Dem stehe ein überwiegendes, schutzwürdiges Interesse des Klägers gegenüber, nicht ohne seine Einwilligung mit seiner Tätigkeit als Lehrer in eine Internet-Öffentlichkeit gezerrt und einer anonymen Beurteilung ausgesetzt zu werden.
[9] Die Wiederholungsgefahr sei auch beim Erstbeklagten weiter vorhanden. Die Zweitbeklagte als datenschutzrechtlich Verantwortliche sei aufgrund der rechtswidrigen Datenverarbeitung zur Löschung verpflichtet.
[10] Die Beklagtenwenden ein, die Datenschutzbehörde habe die App in einem amtswegigen Prüfungsverfahren als zulässig erachtet. Das Gericht sei hinsichtlich der „grundsätzlichen“ Rechtmäßigkeit der App an diese Beurteilung gebunden, weil die Behörde über eine maßgebliche Vorfrage abgesprochen habe. Die Plattform diene dem Interesse der Öffentlichkeit, insbesondere von Schülern, Eltern und Schulen, an der Transparenz und Qualitätssicherung im Bildungsbereich.
[11] Die Datenverarbeitung sei wegen eines überwiegenden berechtigten Interesses gemäß Art 6 Abs 1 lit f DSGVO zulässig. Die App diene der Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Information. Die Verarbeitung von Lehrerdaten sei dazu erforderlich. Die Grundrechte und Grundfreiheiten der Lehrer würden nicht überwiegen. Es bestehe kein Eingriff in das Privat‑ und Familienleben. Eine Missbrauchsmöglichkeit durch unsachliche Bewertungen sei allen Bewertungsplattformen immanent. Hier werde dieser Gefahr aber durch eine Reihe von Maßnahmen – die Verifizierung der Telefonnummer, keine Möglichkeit zur Abgabe offener Kommentare zwecks Vermeidung von Verunglimpfungen, die Möglichkeit zur Bewertung nur einer einzigen Schule, das Erfordernis einer Mindestzahl von Bewertungen, keine Aufnahme von Volks‑ und Sonderschulen, die Implementierung eines „Änderungen Anfordern“-Buttons sowie die regelmäßige Aktualisierung der Datensätze – entgegen gewirkt. Ob die Zweitbeklagte ein kommerzielles Interesse verfolge, sei irrelevant. Die Interessenabwägung schlage daher zugunsten der Beklagten aus.
[12] Im Übrigen habe der Erstbeklagte sein Unternehmen in die Zweitbeklagte eingebracht, sodass bei ihm keine Wiederholungsgefahr mehr bestehe.
[13] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und stellte über die vorangestellten Feststellungen hinaus folgenden weiteren Sachverhalt fest:
[14] Zur Bewertung von Lehrern in der App ist es zunächst erforderlich, die App über einen Online-Store auf das Smartphone herunterzuladen und eine Verifizierung durch Eingabe der Telefonnummer vorzunehmen. In Folge erhält der Nutzer eine Nachricht auf sein Mobiltelefon, auf die er von der eingegebenen Nummer aus antworten muss. Sofern der Nutzer dem nachkommt und Nummer sowie Gerät übereinstimmen, ist die Verifizierung abgeschlossen. Für eine Telefonnummer ist jeweils nur eine Verifizierung möglich.
[15] Anschließend muss der Nutzer eine Schule auswählen. Es können nur die ausgewählte Schule und deren Lehrer bewertet werden. Ein Wechsel der Schule in der App ist zwar möglich, jedoch mit einer Löschung aller Bewertungen der alten Schule verbunden. Eine Überprüfung, ob ein Nutzer tatsächlich die ausgewählte Schule besucht oder von den bewerteten Lehrern unterrichtet wird, erfolgt nicht.
[16] Zur Bewertung wählt der Nutzer einen Lehrer aus einer Liste der an der ausgewählten Schule tätigen Lehrer aus, in der Namen und akademische Titel der Lehrer angezeigt werden. Die Bewertung selbst erfolgt anhand einzelner, vorgegebener Kriterien, zu denen der Nutzer jeweils eine Teilbewertung von einem bis fünf Sternen abgeben kann. Diese Teilbewertungen kann er dann durch Auswahl von für die Bewertung ausschlaggebenden Unterkriterien näher begründen.
[17] Folgende Kriterien werden abgefragt:
Unterricht mit den Unterkriterien Erklärungen, Unterlagen, Abwechslung oder Andere;
Fairness mit den Unterkriterien Benotung, Frühwarnung, Verbesserungsmöglichkeiten oder Andere;
Respekt mit den Unterkriterien Höflichkeit, Gespräche auf Augenhöhe, Einfühlungsvermögen oder Andere;
Motivationsfähigkeit mit den Unterkriterien Lob, Ermutigung, Förderung oder Andere;
Geduld mit den Unterkriterien Wiederholungen, Unterrichtstempo, Zeit für Fragen und Andere;
Vorbereitung mit den Unterkriterien Unterlagen, Wissen, Aktualität des Unterrichts und Andere;
Durchsetzungsfähigkeit mit den Unterkriterien Klassendisziplin, Ruhe, Aufmerksamkeit und Andere;
Pünktlichkeit mit den Unterkriterien Unterrichtsbeginn, Unterrichtsende, Häufigkeit oder Andere.
[18] Aus den Teilbewertungen wird anschließend eine Gesamtbewertung berechnet. Freitextbewertungen sind nicht möglich.
[19] Die Bewertung erfolgt nach einem Sternesystem (ein bis fünf Sterne, wobei ein Stern für „nicht genügend“ und fünf Sterne für „sehr gut“ steht bzw stehen). Die Bewertung erfolgt ohne Anzeige eines Benutzernamens und ohne Anzeige der Telefonnummer (aus Sicht der Öffentlichkeit daher anonym), allerdings besteht aufgrund der Verifizierung anhand der Telefonnummer die Möglichkeit für die Zweitbeklagte, allfällige Missbrauchsfälle zu identifizieren.
[20] Bewertungen können von den Benutzern im Nachhinein abgeändert werden.
[21] Bewertungen werden erst nach einer Anzahl von fünf Bewertungen öffentlich angezeigt. Sofern die ursprünglich abgegebene Bewertung durch den Nutzer gelöscht wird und durch diese Löschung die Mindestanzahl an Bewertungen nicht mehr erreicht ist, wird die Bewertung nicht mehr öffentlich angezeigt, bis diese Mindestanzahl wieder erreicht wird. Angezeigt wird lediglich die durchschnittliche Bewertung eines Lehrers.
[22] Zum Ansehen von Bewertungen muss ebenfalls die App benutzt werden, allerdings ist dazu keine Registrierung nötig. Die Bewertungen können nur über den Eintrag der Schule aufgerufen werden. Eine Suche nach einzelnen Lehrern mit deren Namen ist nicht möglich.
[23] Über den Button „Änderung anfordern“ in der App können Lehrer eine Änderung bzw Überprüfung ihrer Daten sowie eine Überprüfung ihrer Gesamtbewertung auf Missbrauch verlangen. Die Datensätze werden unabhängig davon alle sechs Monate auf ihre Aktualität geprüft.
[24] Die Datenschutzerklärung der Zweitbeklagten und die Nutzungsbedingungen für die App sind in der App und auf ihrer Website abrufbar. Die Nutzungsbedingungen in der Fassung vom 18. 3. 2020 enthalten unter anderem folgende Bestimmungen:
„3. Bewertungen
[…] Die Abgabe von Bew ertungen ist nur für Schüler der jeweiligen ausgewählten Schule zulässig. Bitte beachte, dass immer nur die Bewertung derjenigen Schule und ihrer Lehrer möglich ist, die Du im Zeitpunkt Deiner Bewertung tatsächlich besuchst. Die Bewertung eines Lehrers ist ausschließlich dann erlaubt, wenn Du selbst persönliche Erfahrungen mit dem Lehrer gemacht hast. [...]
Die Bewertung über die App durch Eltern oder Lehrer selbst ist nicht gestattet, da der Zweck der App die Bewertung von Schulen/Lehrern durch ihre Schüler ist. Bewertungen von Eltern oder Lehrern können daher unsererseits gelöscht und die betroffenen Accounts gesperrt bzw. gelöscht werden. […]
5. Verhalten und Pflichten des Nutzers
[…] Als Bewerter verpflichtest Du Dich, die Angaben nach bestem Gewissen auf Basis eigener Erfahrungen mit der Schule/dem Lehrer zu machen […].
6. Missbräuchliche Nutzung
Falls Deine Bewertungen nicht der Wahrheit entsprechen oder du bei der Nutzung der App gegen diese Bedingungen verstößt, behalten wir uns ausdrücklich das Recht vor, konkrete Bewertungen zu entfernen und im Wiederholungsfall Deinen Account auf bestimmte/unbestimmte Zeit zu sperren oder gar zu löschen. Eine missbräuchliche Nutzung liegt z.B. dann vor, wenn eine Bewertung von einem Nicht-Schüler abgegeben wird oder sämtliche Bewertungen pauschal einheitlich ohne Differenzierung zB mit nur einem Stern in allen Kategorien abgegeben werden. […].“
[25] Allfällige künftige Werbeeinschaltungen sollen nach den derzeitigen Absichten nur für Branchen erfolgen, die schulspezifischen Bedarf abdecken.
[26] Aus den vom Kläger vorgelegten, von der Beklagten ihrem Inhalt nach nicht bestrittenen und daher vom Obersten Gerichtshof verwertbaren (RS0121557 [T3]) Screenshots ./G ist hinsichtlich der Anzeige der Bewertungen Folgendes ersichtlich: Zu jedem bewerteten Lehrer wird eine Bewertung in Form eines Werts zwischen einem und fünf Sternen in der Kategorie „Gesamtbewertung“ angegeben. Dazu ist angeführt, wie viele Bewertungen insgesamt abgegeben wurden. Weiters werden Bewertungen mit jeweils einem Wert zwischen einem und fünf Sternen in jeder der festgestellten Bewertungskategorien (Unterricht, Fairness, Respekt, Motivationsfähigkeit, Geduld, Vorbereitung, Durchsetzungsfähigkeit, Pünktlichkeit) angezeigt.
[27] Rechtlich erörterte das Erstgericht, es bestehe keine Bindung an die Entscheidung der Datenschutzbehörde. Der Unterlassungsanspruch gegen den Erstbeklagten sei aber schon deshalb abzuweisen, weil durch die Einbringung seines Einzelunternehmens in die Zweitbeklagte die Wiederholungsgefahr weggefallen sei.
[28] Die Datenverarbeitung durch die Zweitbeklagte sei rechtmäßig. Bei den abgegebenen Bewertungen handle es sich um personenbezogene Daten. Es seien keine unrichtigen Daten verarbeitet worden, weil die Meinungen der Nutzer dokumentiert und auf aktuellem Stand gehalten worden seien. Die Interessenabwägung gemäß Art 6 Abs 1 lit f DSGVO schlage zugunsten der Zweitbeklagten aus. Die App diene der Ausübung der freien Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, sohin einem berechtigten Interesse. Die Verarbeitung und die Öffentlichkeit, der die Daten preisgegeben würden, seien auf das notwendige Maß beschränkt. Eine weitere Einschränkung durch den Verzicht auf die Nennung konkreter Lehrer oder Pseudonymisierung und Beschränkung auf eine Gesamtbewertung der Schule würde der Zielsetzung der Bewertung der Unterrichtsqualität nicht gerecht. Hinsichtlich der Grundrechte und Grundfreiheiten des Klägers sei zu berücksichtigen, dass es sich um Daten zu seinem Berufsleben handle, die einem geringeren Schutz unterlägen als Daten zu seinem Privatleben. Es bestehe ein über die Beklagten hinausgehendes Informationsinteresse. Das bei allen Bewertungsplattformen bestehende Missbrauchsrisiko mache die App nicht schlechthin unzulässig, es seien vielmehr die Maßnahmen zur Hintanhaltung eines Missbrauchs in die Interessenabwägung einzubeziehen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung umfasse auch anonyme Äußerungen. Bei der konkreten Bewertung des Klägers sei kein offensichtlicher Missbrauch zu erkennen. Die Bewertungskategorien seien geeignet; die fehlende Möglichkeit einer Freitextbewertung vermindere zwar die Aussagekraft, diene aber umgekehrt dem Schutz vor Missbrauch und der besseren Vergleichbarkeit. Das Recht auf freie Meinungsäußerung sei nicht auf objektivierbare, allgemein gültige Werturteile beschränkt; es umfasse auch Tatsachenbehauptungen, etwa in der Bewertungskategorie „Pünktlichkeit“. Das Fehlen einer Reaktionsmöglichkeit der Lehrer schade nicht. Die Datenverarbeitung sei gemäß Art 6 Abs 1 lit f DSGVO rechtmäßig, eine Löschung scheide nach Art 17 Abs 3 lit a DSGVO aus. Auch hinsichtlich des behaupteten Eingriffs in die Privatsphäre des Klägers schlage die Interessenabwägung zugunsten der Beklagten aus.
[29] Das Berufungsgericht verpflichtete die Beklagten zur Unterlassung der Datenverarbeitung, sofern nicht sichergestellt sei, dass der Kläger nur von Personen, die er unterrichtet habe, bewertet werde. Das darüber hinausgehende Mehrbegehren auf Unterlassung ohne den einschränkenden Zusatz wies es ab. Darüber hinaus gab es dem Löschungsbegehren gegen die Zweitbeklagte statt. Es ließ die Revision zu, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Lehrer unter Nennung ihres Namens online bewertet werden dürften, vorliege.
[30] Rechtlich erörterte das Berufungsgericht, Schülern müsse die Möglichkeit offen stehen, sich mit ihren Lehrern kritisch auseinanderzusetzen, ihre Meinung zu verschiedenen Aspekten des Unterrichts konstruktiv zu äußern und ihre Einschätzungen in Medien zu publizieren. Derartige Bewertungen entsprächen zwar nicht wissenschaftlichen Standards, dennoch könnten solche Meinungsäußerungen dem betroffenen Lehrer ein Feedback bieten, eine Diskussion über Verbesserungspotenziale in Gang setzen und Missstände aufdecken. Der dadurch erzielbare Beitrag zur Meinungsbildung und Qualitätssicherung wiege schwerer als ein Interesse des Lehrers an uneingeschränkter Geheimhaltung.
[31] Diese legitimen Ziele könnten durch die App aber nicht erreicht werden, weil nicht überprüft werde, ob ein Nutzer, der eine Bewertung abgibt, vom bewerteten Lehrer tatsächlich unterrichtet worden sei. Ein schutzwürdiges Interesse an Bewertungen durch Personen, die nicht Schüler des betreffenden Pädagogen gewesen seien, bestehe nicht. Es bestehe die Gefahr, dass Schüler, die sich ungerecht behandelt fühlten, schulfremde Dritte dazu bewegten, sich als Nutzer zu registrieren und negative Bewertungen abzugeben, um den nicht genehmen Lehrer in ein schlechtes Bild zu rücken. Auch Dritte, die mit dem Lehrer private Konflikte austrügen, könnten ein uneingeschränkt zugängliches Bewertungsportal für Anschwärzungen durch Negativ-Bewertungen nutzen. Da die App keine Handhabe gegen eine unsachliche Stimmungsmache durch Außenstehende biete, bestehe nach Art 6 Abs 1 lit f DSGVO und im Lichte des § 16 ABGB kein berechtigtes Interesse am Betrieb in ihrer derzeitigen Ausgestaltung. Die Wiederholungsgefahr auf Seiten des Erstbeklagten sei weiter gegeben. Die Entscheidung der Datenschutzbehörde entfalte keine Bindungswirkung für den vorliegenden Zivilprozess. Das Unterlassungsbegehren sei daher nur mit der angeordneten Einschränkung berechtigt. Das Löschungsbegehren sei gemäß Art 17 Abs 1 lit d DSGVO berechtigt, weil die Datenverarbeitung auf einer unzulässig ausgestalteten App basiere.
Rechtliche Beurteilung
[32] DieRevisionen aller Parteiensind aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt, jene der Beklagten jedoch berechtigt.
Zur Bindung an Bescheide der Datenschutzbehörde
[33] 1.1. Die – von den Beklagten behauptete – Bindung der angerufenen Zivilgerichte an eine Entscheidung der Aufsichtsbehörde ist nach nationalem Recht zu beurteilen (Leupold/Schrems in Knyrim, DatKomm [53. Lfg] Art 79 DSGVO Rz 31/2; Schwamberger, Parallelität und Bindungswirkung von Zivil‑ und Verwaltungsverfahren nach der DSGVO, Jahrbuch Datenschutzrecht 2019, 259 [283]).
[34] 1.2. Nach der Rechtsprechung sind Gerichte an rechtskräftige Bescheide der Verwaltungsbehörden gebunden (RS0036981). Bindungswirkung entfaltet allerdings nur der Spruch rechtsgestaltender Bescheide, nicht aber die auf einen bestimmten Sachverhalt gestützte Beurteilung der Rechtsfrage und ihre Begründung (RS0036981 [T8, T9, T14]). Dritte, die am Verwaltungsverfahren nicht beteiligt waren, können nur durch die Gestaltungs- und Tatbestandswirkung eines Bescheids gebunden sein (RS0036981 [T18, T40]; RS0036880 [T20]). Darüber hinaus sind die Zivilgerichte an die Entscheidungen der Verwaltungsbehörden gebunden, wenn diese über eine im Zivilverfahren zu prüfende Vorfrage als Hauptfrage entschieden haben (8 Ob 103/20k; RS0036880 [T10]).
[35] 1.3. Die Entscheidung der Datenschutzbehörde vom 3. 2. 2020, mit der das amtswegige Prüfungsverfahren eingestellt wurde, ist kein rechtsgestaltender Bescheid. Sie entfaltet auch keine Tatbestandswirkung, weil die Erlassung der Entscheidung nicht in einer im vorliegenden Verfahren anzuwendenden Rechtsvorschrift als Tatbestand für eine Rechtsfolge eingesetzt ist (vgl RS0114910). Die von der Datenschutzbehörde vorgenommene amtswegige Prüfung behandelt auch keine für die Beurteilung des vorliegenden Zivilprozesses präjudizielle Vorfrage, weil die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung im vorliegenden Verfahren anhand der Abwägung der vom Kläger konkret geltend gemachten Persönlichkeitsrechte vorzunehmen ist. Ob der Einstellung des amtswegigen Prüfungsverfahrens überhaupt Bescheidqualität zukommt, muss daher nicht erörtert werden.
[36] 1.4. Dass der Kläger selbst bei der Datenschutzbehörde eine Beschwerde erhoben hätte, über die die Datenschutzbehörde entschieden hätte, wurde nicht vorgebracht. Das beim Europäischen Gerichtshof zu C‑132/21 (BE gegen Nemzeti Adatvédelmi és Információszabadság Hatóság) anhängige Vorabentscheidungsersuchen, mit dem die Frage geklärt werden soll, ob der Aufsichtsbehörde die vorrangige Zuständigkeit für die Feststellung eines Verstoßes gegen die DSGVO zukomme, ist daher für den vorliegenden Fall nicht maßgeblich.
[37] 1.5. Mangels Bindung an die vorgelegten Entscheidungen der Datenschutzbehörde haben die Vorinstanzen zu Recht eine eigenständige Prüfung der beanstandeten Datenverarbeitungen vorgenommen.
Zum „Medienprivileg“
[38] 2.1. Erstmals im Revisionsverfahren macht die Beklagte geltend, die beanstandete Datenverarbeitung falle unter das sogenannte Medienprivileg des Art 85 DSGVO, sodass die Kapitel II (darunter fällt Art 6 DSGVO) bis VII und IX der DSGVO nicht zur Anwendung kämen. Der auf Art 85 DSGVO beruhenden Regelung des § 9 DSG liege ein unionsrechtswidriges, zu enges Verständnis von Journalismus zugrunde.
[39] 2.2. Art 85 DSGVO bezweckt die Herstellung von Übereinstimmung bzw den Ausgleich unter Grundrechten und Grundfreiheiten. Das Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, einschließlich der Verarbeitung zu (ua) journalistischen Zwecken, soll im Einklang mit dem Schutz personenbezogener Daten stehen (Öhlböck in Knyrim, DatKomm [18. Lfg] Art 85 DSGVO Rz 1).
[40] 2.3. Nach Art 85 Abs 1 DSGVO bringen die Mitgliedstaaten durch Rechtsvorschriften das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten gemäß der DSGVO mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, einschließlich der Verarbeitung zu (ua) journalistischen Zwecken, in Einklang. Art 85 Abs 1 DSGVO stellt – schon seinem Wortlaut nach – keine Ausnahme von der Anwendbarkeit der DSGVO dar, sondern enthält einen programmatischen Auftrag an die Mitgliedstaaten (Öhlböck in Knyrim, DatKomm [18. Lfg] Art 85 DSGVO Rz 9).
[41] 2.4. Art 85 Abs 2 DSGVO ist eine Öffnungsklausel, die es den Mitgliedstaaten ermöglicht, Abweichungen oder Ausnahmen von den Kapiteln II bis VII und IX der DSGVO vorzusehen (Öhlböck in Knyrim, DatKomm [18. Lfg] Art 85 DSGVO Rz 19). § 9 DSG stellt die „Umsetzung“ der Öffnungsklausel des Art 85 dar (Öhlböck in Knyrim, DatKomm [18. Lfg] Art 85 DSGVO Rz 10).
[42] 2.5. § 9 Abs 1 DSG (idF BGBl I 2018/24) nimmt die Verarbeitung personenbezogener Daten durch Medieninhaber, Herausgeber, Medienmitarbeiter und Arbeitnehmer eines Medienunternehmens oder Mediendienstes zu journalistischen Zwecken des Medienunternehmens oder Mediendienstes von der Anwendung der Kapitel II bis VII und IX DSGVO aus. Das Verständnis der „journalistischen Zwecke“ hat sich am Unionsrecht zu orientieren. Die Beklagten stehen auf dem Standpunkt, bei unionsrechtskonformer Auslegung handle es sich beim Betrieb der App um eine journalistische Tätigkeit, sodass Art 6 DSGVO nicht anzuwenden sei (dazu sogleich). Der Vollständigkeit halber ist in diesem Zusammenhang allerdings klarzustellen, dass im vorliegenden Fall die Anwendung des Medienprivilegs nicht automatisch die Zulässigkeit der beanstandeten Datenverarbeitungen nach sich zöge. § 9 Abs 1 DSG soll nämlich nur die Verarbeitung von personenbezogenen Daten zu journalistischen Zwecken aus datenschutzrechtlichem Blickwinkel vereinfachen, nicht aber eine Interessenabwägung mit anderen berechtigten Interessen der betroffenen Person abschneiden (6 Ob 152/19zMikaela S.ÖBl 2020, 133 [Guggenbichler] jusIT 2019, 231 [Thiele]).
[43] 2.6. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zur Vorgängerbestimmung des Art 9 DS‑RL (Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. 10. 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr) ist der Begriff „Journalismus“ weit auszulegen. Journalistische Tätigkeiten sind demnach Tätigkeiten, die zum Zweck haben, Informationen, Meinungen oder Ideen, mit welchem Übertragungsmittel auch immer, in der Öffentlichkeit zu verbreiten (C‑345/17 , Sergejs Buivids, ECLI:EU:C:2019:122 Rz 51, 53; C‑73/07 , Satakunnan Markkinapörssi und Satamedia, ECLI:EU:C:2008:727 Rz 56, 61). Die Befreiungen und Ausnahmen von Bestimmungen der DSGVO gelten nach der Rechtsprechung des EuGH daher nicht nur für Medienunternehmen, sondern für jeden, der journalistisch tätig ist (C‑73/07 , Satakunnan Markkinapörssi und Satamedia, ECLI:EU:C:2008:727, Rz 58). Die Ausnahmen und Einschränkungen müssen sich in Bezug auf den Datenschutz auf das absolut Notwendige beschränken, um die Freiheit der Meinungsäußerung mit der ebenfalls grundrechtlich geschützten Privatsphäre in Einklang zu bringen (C‑73/07 , Satakunnan Markkinapörssi und Satamedia, ECLI:EU:C:2008:727 Rz 56).
[44] 2.7. Nicht jegliche im Internet veröffentlichte Information, die sich auf personenbezogene Daten bezieht, ist aber unter den Begriff der „journalistischen Tätigkeiten“ zu subsumieren (C‑345/17 , Sergejs Buivids, ECLI:EU:C:2019:122, Rz 58). So qualifizierte der EuGH etwa die vom Betreiber einer Suchmaschine ausgeführte Datenverarbeitung nicht als Verarbeitung zu journalistischen Zwecken (C‑131/12 , Google Spain ECLI:EU:C:2014:317 Rz 85). Konkret zur Qualifikation des Betriebs einer Bewertungsplattform hat der EuGH allerdings noch nicht Stellung genommen.
[45] 2.8. Der deutsche Bundesgerichtshof hat hingegen bereits mehrfach den Betrieb von Bewertungsplattformen nicht als Datenverarbeitung zu journalistischen Zwecken beurteilt (jüngst VI ZR 488/19, Ärztebewertung IV, Rz 12 ff zu Art 85 Abs 2 DSGVO; ebenso zur Vorgängerbestimmung VI ZR 196/08, www.spickmich.de , Rz 21 f; VI ZR 358/13, Ärztebewertung II).
[46] 2.9. In der Literatur wird für das Vorliegen einer Datenverarbeitung zu journalistischen Zwecken – im Anschluss an die Entscheidung des BGH VI ZR 196/08 (www.spickmich.de , Rz 21 f) – ein Mindestmaß an journalistischer Bearbeitung und meinungsbildender Wirkung für die Allgemeinheit gefordert (Öhlböck in Knyrim, DatKomm [18. Lfg] Art 85 DSGVO Rz 16; Buchner/Tinnefeld in Kühling/Buchner, DS‑GVO/BDSG³ [2020] Art 85 DSGVO Rz 17a, 24 f; Jahnel, DSGVO [2021] Art 85 Rz 15; Specht/Bienenmann in Sydow, Europäische Datenschutz-Grundverordnung² [2018] Art 85 Rz 13). Das bloße Bereitstellen eines Bewertungsportals wird nicht als ausreichend angesehen (Jahnel, DSGVO [2021] Art 85 Rz 15; implizit Buchner/Tinnefeld in Kühling/Buchner, DS‑GVO/BDSG³ [2020] Art 85 DSGVO Rz 25; ohne eigene Stellungnahme etwa Öhlböck in Knyrim, DatKomm [18. Lfg] Art 85 DSGVO Rz 16; Pauly in Paal/Pauly, Datenschutz-Grundverordnung³ [2021] Art 85 Rz 8).
[47] 2.10. Die von den Beklagten in ihrer Revision zitierte Entscheidung der Datenschutzbehörde DSB‑D123.077/0003-DSB/2018 behandelt kein Bewertungsportal.
[48] 2.11. Unter Abwägung der in der Rechtsprechung des EuGH zum sogenannten Medienprivileg hervorgehobenen, bei der Auslegung des Art 85 Abs 2 DSGVO miteinander in Einklang zu bringenden Interessen – des Schutzes der personenbezogenen Daten und der Privatsphäre auf der einen, des Schutzes der Meinungsäußerungs‑ und Informationsfreiheit im Zusammenhang mit journalistischen Tätigkeiten auf der anderen Seite (vgl nur EuGH C‑73/07 , Satakunnan Markkinapörssi und Satamedia, ECLI:EU:C:2008:727 Rz 54 ff) – schließt sich der Senat der in der Literatur vertretenen Ansicht an, dass die Privilegierung von Datenverarbeitungen zu journalistischen Zwecken eines gewissen Maßes an journalistischer Bearbeitung und meinungsbildender Wirkung für die Allgemeinheit bedarf, weil ansonsten der Schutz der personenbezogenen Daten Betroffener allzu einfach ausgehöhlt würde.
[49] Das im vorliegenden Fall festgestellte bloße Errechnen des Durchschnitts der abgegebenen Bewertungen und das Zugänglichmachen dieser Durchschnittsbewertungen ist im Lichte dieser Abwägung nicht ausreichend, um bei einer an Art 85 Abs 2 DSGVO ausgerichteten unionsrechtskonformen Auslegung des § 9 Abs 1 DSG die Privilegierung der Datenverarbeitung der Beklagten durch die Ausnahme von den Kapiteln II bis VII und IX der DSGVO zu rechtfertigen.
[50] 2.12. Der EuGH wies die Beurteilung, ob eine konkrete Verarbeitung personenbezogener Daten „allein zu journalistischen Zwecken“ im Sinn der unionsrechtlichen Öffnungsklausel erfolgte, den nationalen Gerichten zu (C‑73/07 , Satakunnan Markkinapörssi und Satamedia, ECLI:EU:C:2008:727 Rz 62). Aus diesem Grund sieht sich der Senat nicht veranlasst, entsprechend der Anregung der Beklagten den EuGH gemäß Art 267 AEUV zur Vorabentscheidung anzurufen.
Zur Zulässigkeit der Datenverarbeitung
[51] 3.1. Unstrittig ist, dass der Name des Klägers, sein akademischer Grad und die ihn betreffenden Bewertungen personenbezogene Daten iSd Art 4 Z 1 DSGVO sind. Indem die Zweitbeklagte diese Daten erhebt, erfasst, ordnet, speichert und den Nutzern des Portals gegenüber offenlegt, verarbeitet sie die Daten iSd Art 4 Nr 2 DSGVO (vgl BGH VI ZR 488/19, Ärztebewertung IV, Rz 26).
[52] 3.2. Art 6 DSGVO regelt jene Tatbestände, die eine Verarbeitung von Daten rechtfertigen (6 Ob 56/21k [Vorabentscheidungsersuchen]). Die Beklagten stützen sich auf den Erlaubnistatbestand des Art 6 Abs 1 lit f DSGVO. Nach dieser Bestimmung ist die Verarbeitung rechtmäßig, wenn sie zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen, insbesondere dann, wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind handelt.
[53] 3.3. Nach Art 6 Abs 1 lit f DSGVO ist die Verarbeitung personenbezogener Daten unter drei kumulativen Voraussetzungen zulässig: Erstens muss von dem für die Verarbeitung Verantwortlichen (hier also der Zweitbeklagten) oder von einem Dritten (hier den Nutzern der App) ein berechtigtes Interesse wahrgenommen werden, zweitens muss die Verarbeitung der personenbezogenen Daten zur Verwirklichung des berechtigten Interesses erforderlich sein und drittens dürfen die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der Person, deren Daten geschützt werden sollen, nicht überwiegen (EuGH C‑597/19 , Mircom vs Telenet, ECLI:EU:C:2021:492 Rz 106; C‑13/16 , Rīgas satiksme, ECLI:EU:C:2017:336 Rz 28; 6 Ob 150/19f – Dome-Kamera des Nachbarn, [ErwGr. 6] justIT 2020, 75 [Thiele] = ImmoZak 2020, 23 [Prader] = immolex 2020, 194 [Löffler] = EvBl 2020/103 [Gruber]; Kastelitz/Hötzendorfer/Tschohl in Knyrim, DatKomm [39. Lfg] Art 6 DSGVO Rz 51 [39. Lfg]; Frenzel in Paal/Pauly, DS‑GVO/BDSG³ [2021] Art 6 DSGVO Rz 27).
[54] 4.1. Das Interesse an der Datenverarbeitung ist weit zu verstehen (Frenzel in Paal/Pauly, DS‑GVO/BDSG³ [2021] Art 6 DSGVO Rz 28). In Betracht kommen rechtliche, wirtschaftliche und ideelle Interessen (Schulz in Gola, Datenschutz-Grundverordnung² [2018] Art 6 DSGVO Rz 57).
[55] 4.2. Ein berechtigtes Interesse zur Datenverarbeitung kann sich aus der Wahrnehmung des Rechts auf Meinungs- und Informationsfreiheit ergeben (Kastelitz/Hötzendorfer/Tschohl in Knyrim, DatKomm [39. Lfg] Art 6 DSGVO Rz 54). Dabei ist zu beachten, dass Art 10 EMRK sowohl das Empfangen von Informationen und Ideen als auch deren Weitergabe schützt (vgl 6 Ob 236/19b – Ibiza-Video, [ErwGr B.5.1.] MR 2020, 72 [Frauenberger] = ecolex 2020, 617 [Hofmarcher]). Das gilt schon nach dem Wortlaut der Bestimmung ebenso für die Freiheit der Meinungsäußerung und die Informationsfreiheit nach Art 11 GRC.
[56] 4.3. Die Beklagten sehen ein berechtigtes Interesse zur Datenverarbeitung darin, dass Schülern eine Möglichkeit zur Bewertung ihrer Lehrer gegeben wird und dadurch für die breite Öffentlichkeit, insbesondere für Schüler, Eltern und Schulen, eine verstärkte Transparenz im Bereich der Bildung erreicht, die Qualität der Ausbildung einer nachvollziehbaren Kontrolle zugänglich gemacht, die Unterrichtsqualität gesteigert und den Schülern eine bessere Möglichkeit für ihre Entwicklung geboten wird.
[57] Der Kläger sieht darin kein legitimes Interesse, weil Schüler sich ihre Lehrer nicht aussuchen könnten und weil die Beklagten mit der App in Wahrheit kommerzielle Interessen verfolgten.
[58] 4.4. Die App ermöglicht einerseits die Bewertung von Lehrern anhand vorgegebener Kategorien, andererseits die Einsicht in die Bewertungsergebnisse durch die Öffentlichkeit. Sie dient damit einem legitimen Informationsinteresse in Form der Ausübung der Meinungs- und Informationsfreiheit der bewertenden Schüler ebenso wie der Personen, die die Bewertungen einsehen.
[59] 4.5. Der Umstand, dass sich Schüler ihre Lehrer an einer Schule nicht aussuchen können, steht der Annahme eines berechtigten Interesses nicht entgegen, weil das Recht auf die Äußerung und den Empfang von Meinungen nicht danach differenziert, ob die Meinungen für allfällige Dispositionen des Informationsempfängers (zB Schulwahl) nützlich sind oder nicht. Vielmehr muss in einer demokratischen Gesellschaft den Betroffenen auch dort, wo sie keine oder nur eine mittelbare Auswahlentscheidung treffen können, die Möglichkeit offen stehen, Kritik an den handelnden Personen zu äußern und in Erfahrung zu bringen.
[60] 4.6. Der von der Rechtsordnung gebilligte Zweck liegt hier daher nicht darin, der interessierten Öffentlichkeit einen Überblick über die auf einem Markt angebotenen Leistungen zu bieten – worin der BGH eine gesellschaftlich erwünschte Funktion von Bewertungsplattformen erkannte (vgl BGH VI ZR 488/19, Ärztebewertung IV, Rz 28; VI ZR 495, 496, 497/18, www.yelp.de , Rz 46; VI ZR 30/17, Ärztebewertung III, Rz 15) –, sondern darin, in einer Situation, in der eine unmittelbare Auswahl ausscheidet, dennoch eine Auseinandersetzung mit der Unterrichtsqualität einzelner Lehrer im Weg von subjektiven Einschätzungen zu ermöglichen.
[61] 4.7. Dass die App in Wahrheit lediglich kommerzielle Interessen verfolge und durch den mit der Bewertung verbundenen Unterhaltungsaspekt bloß Nutzer zu kommerziellen Zwecken angezogen werden sollen, kann dem festgestellten Sachverhalt nicht entnommen werden.
[62] 5.1. Im zweiten Schritt ist zu klären, ob die konkrete Datenverarbeitung zur Wahrung der berechtigten Interessen erforderlich ist. Voraussetzung dafür ist, dass kein milderes, gleich effektives Mittel zur Verfügung steht, um diese Interessen zu erreichen (Buchner/Petri in Kühling/Buchner, DS‑GVO/BDSG³ [2020] Art 6 DS‑GVO Rz 147a).
[63] 5.2. Der Kläger sieht die Datenverarbeitung zur Zielerreichung nicht als erforderlich an, weil die App zur Steigerung der Transparenz und der Unterrichtsqualität sowie der Chancen von Schülern nicht geeignet sei. Für die Befriedigung des Informationsbedürfnisses der Öffentlichkeit im Hinblick auf eine Schulwahl würde zudem eine weniger eingriffsintensive Datenverarbeitung – etwa mit einer pseudonymisierten anstatt einer namentlichen Nennung der bewerteten Lehrer oder durch Zusammenfassung der Bewertungen nach Schulfächern – ausreichen.
[64] 5.3. Dass für den Bewertungsvorgang selbst die Verknüpfung der Bewertungen mit den Namen der bewerteten Lehrer zu erfolgen hat, zieht der Kläger nicht in Zweifel. Seine Einwendungen gegen die Erforderlichkeit beziehen sich auf die Einsehbarkeit der Bewertungen unter Nennung seines Namens. Daraus ergibt sich aber nicht die mangelnde Eignung zur Zielerreichung. Eine nach Fächern zusammengefasste oder pseudonymisiert dargestellte Bewertung der Lehrenden geht für die Personen, die die App einsehen, mit Informationsverlusten einher. Es trifft zu, dass für ein Feedback gegenüber dem einzelnen bewerteten Lehrer eine Offenlegung nur ihm gegenüber ausreichen würde; es mag auch zutreffen, dass eine pseudonymisierte Wiedergabe der Bewertungen einzelner Lehrer eine gewisse Entscheidungshilfe für die Schulwahl bieten kann. Allerdings ist kein Grund ersichtlich, warum das legitime Informationsinteresse der an einer bestimmten Schule interessierten Öffentlichkeit mit der Auswahl der Schule enden sollte. Es besteht vielmehr auch ein legitimes Interesse daran zu erfahren, wie die Unterrichtsqualität individueller Lehrer von ihren Schülerinnen und Schülern bewertet wird. Die namentlich zugeordnete Wiedergabe der (Durchschnitts‑)Bewertungen ist daher zur Erreichung der legitimen Informationsziele geeignet; die Erforderlichkeit der Datenverarbeitung ist zu bejahen.
[65] 5.4. Das Berufungsgericht verneinte die Erforderlichkeit mit der Begründung, die App würde einen Missbrauch im Wege von Bewertungen durch Personen, die vom betroffenen Lehrer gar nicht unterrichtet werden, nicht verhindern. Die Gefahr von unsachlich motivierten oder durch schulfremde Personen vorgenommenen Bewertungen kann aber durch eine weniger eingriffsintensive Verarbeitung der Daten des Klägers – konkret durch eine pseudonymisierte oder nach Fächern aggregierte Veröffentlichung der Bewertungsergebnisse – nicht hintangehalten werden. Die Missbrauchsmöglichkeit steht daher dem Befund, dass eine Veröffentlichung der mit den Namen der Lehrer verknüpften Bewertungen zur Zielerreichung geeignet ist, nicht entgegen.
[66] Die mit derartigen Missbräuchen verbundenen Gefahren für die Persönlichkeitsrechte der bewerteten Lehrer sind aber in die Abwägung, ob die Grundrechte und Grundfreiheiten des Betroffenen gegenüber den mit der Datenverarbeitung verfolgten Interessen überwiegen, einzubeziehen.
[67] 6.1. Für die Abwägung der einander gegenüber stehenden Interessen stützt sich der Kläger auf sein Recht auf Achtung des Privat‑ und Familienlebens, der Privatsphäre, der Namensanonymität und seines guten Rufs. Er macht geltend, er habe keinen Anlass zu einer öffentlich einsehbaren Bewertung seiner beruflichen Tätigkeit unter Nennung seines Namens gegeben; er sei der Gefahr einer Prangerwirkung, insbesondere durch unsachlich motivierte schlechte Bewertungen, ausgesetzt.
[68] Diesen Interessen halten die Beklagten das Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit über die Unterrichtsqualität sowie die von ihnen getroffenen Maßnahmen gegen einen Missbrauch der App zu Zwecken der Stimmungsmache entgegen.
[69] 6.2. Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung ist zunächst allgemein zu berücksichtigen, dass eine Überspannung des Schutzes der Persönlichkeitsrechte zu einer unerträglichen Einschränkung der Interessen anderer und jener der Allgemeinheit führen würde (RS0008990).
[70] Im Rahmen der Interessenabwägung ist danach zu differenzieren, in welche Sphäre der Persönlichkeit eingegriffen wurde (6 Ob 100/20d Gesinnungsverwirrung [ErwGr 2.3.2.]). Der höchstpersönliche Lebensbereich, der jedenfalls die Gesundheit, das Sexualleben und das Leben in und mit der Familie erfasst, stellt den Kernbereich der geschützten Privatsphäre dar (RS0008990 [T11]). Keinen so weitgehenden Schutz genießt die Sozialsphäre, in der der Betroffene als in Gemeinschaft stehender Mensch in Kommunikation mit Außenstehenden tritt (vgl 6 Ob 100/20d – Gesinnungsverwirrung). Hier muss er sich auf die Beobachtung und Bewertung seines Verhaltens einstellen. Dies gilt in umso höherem Maße, je intensiver sich eine Person im öffentlichen und sozialen Leben betätigt. Auch im Bereich der Sozialsphäre sind aber schwerwiegende Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht, insbesondere Stigmatisierung und Ausgrenzung, jedenfalls verboten (6 Ob 100/20d – Gesinnungsverwirrung [ErwGr 2.3.2.]).
[71] 6.3. Auch das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitete Recht auf Namensanonymität (RS0008998) gewährt kein allgemeines Recht, den öffentlichen „Gebrauch“ des Namens eines anderen, soweit dies durch bloße Namensnennung geschieht, zu unterlassen (RS0009319; RS0109217 [T3]). Die allfällige Rechtswidrigkeit einer solchen Namensnennung ergibt sich erst aus dem Inhalt der damit verbundenen Aussage (RS0009319). Im Zuge der gebotenen Interessenabwägung ist zwar zu berücksichtigen, ob der Namensträger zur Nennung seines Namens einen sachlichen Anlass gegeben hat; wenn er dies nicht getan hat, führt dies aber nicht in jedem Fall zwingend zur Unzulässigkeit der Namensnennung (6 Ob 266/06w [ErwGr 3.6.]). Es kommt vielmehr auf die Abwägung der einander konkret gegenüber stehenden Interessen an.
[72] 6.4. Die Beurteilung, ob ein Eingriff in den wirtschaftlichen Ruf und die persönliche Ehre einer Person nach § 1330 ABGB rechtswidrig ist, bedarf ebenfalls einer umfassenden Interessenabwägung (RS0008987). An der Verbreitung unwahrer rufschädigender Tatsachenbehauptungen (RS0008987 [T7]; vgl RS0107915) oder von Wertungsexzessen (RS0054817 [T31, T42, T45]) besteht kein von der Meinungsäußerungsfreiheit gedecktes Interesse. Im Übrigen sind die Schwere des Eingriffs, die Verhältnismäßigkeit zum verfolgten Zweck, der Grad der Schutzwürdigkeit des Interesses, aber auch der Zweck der Meinungsäußerung entscheidend (RS0054817 [T30]).
[73] 6.5. Das zentrale Argument des Klägers für das Überwiegen seiner Interessen liegt darin, dass die App die Abgabe von Bewertungen durch Personen ermöglicht, die gar nie seine Schüler waren.
[74] 6.5.1. Dem Kläger ist zuzustimmen, dass ein derartiger Missbrauch möglich ist. Nach den Feststellungen zum Registrierungsprozess ist es möglich, dass ein Schüler aus Ärger über einen bestimmten Lehrer seine Freunde – auch jene, die den betreffenden Lehrer gar nicht kennen – dazu ermuntert, schlechte Bewertungen abzugeben.
[75] In den Nutzungsbedingungen der App wird zwar darauf hingewiesen, dass eine Bewertung nur dann erlaubt ist, wenn der Bewertende „selbst persönliche Erfahrungen mit dem jeweiligen Lehrer gemacht [hat]“. Der Registrierungsvorgang stellt dies aber nicht sicher, weil dafür bloß (irgend-)eine Mobiltelefonnummer vorhanden sein muss. Die Beklagten haben auch nicht vorgebracht, dass die App so programmiert sei, dass Personen vor der Abgabe einer Bewertung die Frage beantworten müssten, ob sie mit dem bewerteten Lehrer persönliche Erfahrungen gemacht haben.
[76] Ein Missbrauch der App in der Art, dass Personen, die gar nie von einem bestimmten Lehrer unterrichtet wurden, diesen trotzdem bewerten, wird daher vom Design der App nicht verhindert und auch nicht erschwert.
[77] 6.5.2 Soweit die Beklagten auf dem Standpunkt stehen, mit Hilfe des „Änderungen Anfordern“-Buttons sei eine Nachprüfung auf Missbrauchsfälle möglich, ist dies nicht nachvollziehbar. Die zweitbeklagte App-Betreiberin kennt weder die Namen der Bewertenden noch weiß sie, ob diese Schüler einer bestimmten Schule oder eines bestimmten Lehrers sind. Ob Personen, die keine Erfahrungen mit dem bewerteten Lehrer hatten, Bewertungen oder ob Schüler – durch Registrierung mit mehreren Mobiltelefonnummern – Mehrfachbewertungen abgaben, ist in Wahrheit nur dann überhaupt erkennbar, wenn die Anzahl der abgegebenen Gesamtbewertungen höher ist als die Zahl der Schüler, die vom betreffenden Lehrer unterrichtet werden.
[78] In den Fällen, in denen sich ein Missbrauch der Bewertungsfunktion nicht schon aus der unrealistisch hohen Anzahl von Bewertungen ergibt, kann sich der betroffene Lehrer gegen die Bewertungen durch Personen, die keine persönliche Erfahrungen mit ihm gemacht haben, nach dem festgestellten Sachverhalt schon deshalb nicht effektiv zur Wehr setzen, weil es ihm an konkreten Anhaltspunkten für das Vorliegen eines Missbrauchs fehlen wird.
[79] 6.5.3. Gibt eine Person eine Bewertung über einen Lehrer ab, so gibt sie damit implizit auch zu verstehen, als Basis der Bewertung über eigene Erfahrungen mit dem Bewerteten zu verfügen. Ist das nicht der Fall, ist die Äußerung geeignet, den Adressaten in einem wichtigen Punkt irrezuführen (vgl 6 Ob 143/21d zur Bewertung einer Rechtsanwaltskanzlei auf einer Online-Plattform unter Weglassen des Umstands, dass der Bewertende gar nicht Mandant dieser Kanzlei war). Ein berechtigtes Interesse von Personen, die mit einem Lehrer keinen persönlichen Kontakt hatten, diesen zu bewerten, besteht daher nicht. An solchen Bewertungen besteht auch kein legitimes Informationsinteresse der Öffentlichkeit.
[80] 6.5.4. Ob diese Missbrauchsmöglichkeit die Datenverarbeitung des Klägers oder anderer Lehrer und damit im Ergebnis den Betrieb der App schlechthin unzulässig macht, hängt aber davon ab, wie intensiv die zur Missbrauchsverhinderung denkbaren Maßnahmen sämtliche in die Interessenabwägung einzubeziehenden Grundrechte einschränkt.
[81] 6.6.1. Ein Missbrauch der App dadurch, dass Personen ohne eigene Erfahrungen mit einem bestimmten Lehrer diesen trotzdem bewerten, könnte dadurch verhindert oder zumindest hintangehalten werden, dass dem Betreiber der App eine Verpflichtung zur Überprüfung auferlegt wird. Eine solche Verpflichtung hält das Berufungsgericht für rechtlich geboten.
[82] 6.6.2. Wie eine derartige Überprüfung ausgestaltet sein kann, wurde im Verfahren nicht erörtert. Es liegt aber auf der Hand, dass jede Überprüfung durch die Betreiberin der App mit einer Einschränkung der Anonymität der Bewertenden einhergeht.
[83] 6.6.3. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) anerkennt in ständiger Rechtsprechung ein legitimes Interesse von Internetnutzern, ihre Identität nicht offenzulegen. Er geht von der Erwägung aus, dass Anonymität lange ein Mittel zur Vermeidung von Repressalien und ungewollter Aufmerksamkeit war und als solches geeignet ist, den freien Fluss von Ideen und Informationen auf bedeutende Weise zu fördern, vor allem im Internet (16. 6. 2015, Bsw 64569/09, Delfi AS gegen Estland, Rz 147; 7. 12. 2021, Bsw 39378/15, Standard Verlagsgesellschaft mbH gegen Österreich, Rz 76, 95). Der EGMR hält fest, dass im Internet verschiedene Stufen von Anonymität möglich sind. Demnach kann ein Internetnutzer für die breite Öffentlichkeit anonym, aber für einen Diensteanbieter über ein Konto oder Kontaktdaten identifizierbar sein, die entweder unbestätigt oder irgendeiner Art von Prüfung unterworfen sein können, reichend von einer beschränkten Verifizierung etwa durch die Aktivierung eines Kontos per Email oder über einen Account in einem sozialen Netzwerk bis zur Sicherstellung der Authentifizierung etwa durch die Verwendung nationaler elektronischer Identitätskarten oder Online-Banking-Authentifizierungsdaten, die eine sichere Identifizierung des Nutzers erlauben. Der Diensteanbieter kann seinen Usern aber auch eine umfassende Anonymität gestatten, womit der User sich überhaupt nicht identifizieren muss und nur in beschränktem Maß über die Informationen rückverfolgbar ist, die von Internetzugangsanbietern aufbewahrt werden und deren Herausgabe in der Regel eine Verfügung von Gerichten oder Ermittlungsbehörden erfordert (vgl EGMR 16. 6. 2015, Bsw 64569/09, Delfi AS gegen Estland, Rz 148; 7. 12. 2021, Bsw 39378/15, Standard Verlagsgesellschaft mbH gegen Österreich, Rz 77). Obwohl die Anonymität im Internet als wichtiger Wert anerkannt wird, muss sie stets gegen andere Rechte und Interessen abgewogen werden (EGMR 16. 6. 2015, Bsw 64569/09, Delfi AS gegen Estland, Rz 149; 7. 12. 2021, Bsw 39378/15, Standard Verlagsgesellschaft mbH gegen Österreich, Rz 91 f).
[84] 6.6.4. Bei anonymen Äußerungen besteht immer die Möglichkeit, dass Personen Leistungen bewerten, obwohl sie mangels persönlicher Erfahrungen redlicher Weise keine subjektive Einschätzung abgeben dürften. Aus der dargestellten Rechtsprechung des EGMR ist zu folgern, dass die Möglichkeit anonymer Meinungsäußerung im Internet dennoch nicht schlechthin unterbunden werden darf, sondern eine Interessenabwägung stattzufinden hat. Das bedeutet, dass Personen, die von missbräuchlichen Bewertungen betroffen sind, einen derartigen Missbrauch bis zu einem gewissen Grad hinzunehmen haben.
[85] 6.7. Im vorliegenden Fall ist zu prüfen, ob das Interesse des Klägers, nicht von Personen bewertet zu werden, die nicht seine Schüler waren, sowie sein Interesse daran, dass keine derartigen Bewertungen veröffentlicht werden, es rechtfertigen, der Zweitbeklagten die vom Berufungsgericht verlangte Authentifizierung abzuverlangen. Zu prüfen ist weiters, ob die Interessen des Klägers an der Verhinderung missbräuchlicher Bewertungen es rechtfertigen, die Bearbeitung der Daten des Klägers im Zuge des Betriebs der App schlechthin zu untersagen.
[86] 6.7.1. Ausgangspunkt der Abwägung ist, dass eine verlässliche Überprüfung durch die App-Betreiberin – das Berufungsgericht verlangt, dass „sichergestellt“ werde, dass eine Person von einem bestimmten Lehrer unterrichtet wurde – die Angabe der Klarnamen der bewertenden Personen sowie die Vorlage von Nachweisen, Schüler eines bestimmten Lehrers zu sein, erfordert. Eine solche Präventivmaßnahme würde aber insbesondere bei Personen, die tatsächlich Schüler des betreffenden Lehrers sind, die Bereitschaft zur Vornahme von Bewertungen herabsetzen. Gerade weil Schüler oft über Jahre hinweg von denselben Lehrern unterrichtet werden und sie sich ihre Lehrer nicht aussuchen können, werden sie geneigt sein, aus Angst vor Repressalien eine kritische Bewertung nicht mit der Angabe ihrer Klarnamen – sei es auch nur gegenüber dem Plattformbetreiber – zu verbinden. Bereits die Verpflichtung, sich unter Klarnamen zu registrieren, würde eine Selbstzensur der (tatsächlichen) Schüler eines Lehrers auslösen.
[87] 6.7.2. Auf Seiten des Klägers ist zu berücksichtigen, dass die hier strittigen Bewertungen ausschließlich seine Berufsausübung, sohin die Sozialsphäre betreffen, die nur einen geringeren Schutz beanspruchen kann als die Privatsphäre. Die Namensnennung in der vorliegenden App kann daher nur dann untersagt werden, wenn sich aus den damit verbundenen, veröffentlichten Inhalten ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte von nicht bloß geringem Gewicht ergibt.
[88] 6.8. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass rechtlich relevante Gründe dafür, Bewertungen der Unterrichtsqualität des Klägers durch seine eigenen Schüler zu untersagen, nicht vorliegen.
[89] 6.8.1. Die zur Verfügung stehenden Bewertungskategorien betreffen ausnahmslos die Berufsausübung, nicht das Privat‑ oder Familienleben. Sie legen eine Beeinträchtigung der Personenwürde des Klägers (iSd § 1330 Abs 1 ABGB) nicht nahe. Darüber hinaus schließt die eingeschränkte Bewertungsmöglichkeit – ausschließlich durch die Vergabe von Sternen, also ohne Freitextbewertung – Beleidigungen von vornherein aus. Konkrete Befürchtungen im Hinblick auf seinen wirtschaftlichen Ruf (iSd § 1330 Abs 2 ABGB) hat der Kläger nicht vorgebracht. Es ist auch nicht offenkundig, dass einem Lehrer durch eine schlechte Durchschnittsbewertung auf dem Bewertungsportal der Zweitbeklagten berufliche Nachteile drohen. Schwache Bewertungen in den hier vorhandenen Kategorien berühren die freie Entfaltung der Persönlichkeit nicht. Die Gefahr schlechter Bewertungen ist grundsätzlich hinzunehmen (vgl BGH VI ZR 488/19, Ärztebewertung IV, Rz 39; vgl EGMR 24. 11. 2015, Bsw 72966/13 Kucharczyk gegen Polen, zur Kritik an einem Rechtsanwalt), weil jede Beurteilung inhaltsleer würde, wenn schlechte Bewertungen bereits per se beanstandet werden könnten.
[90] 6.8.2. Für die passiven Nutzer der App (also jene Personen, die die Bewertungen bloß lesen und keine eigenen Bewertungen abgeben) ist zudem klar ersichtlich, dass in die Gesamtbeurteilung eines Lehrers sowie in die Bewertungen der einzelnen Kategorien die subjektiven Einschätzungen mehrerer Personen eingeflossen sind. Sie werden den jeweiligen Sterne-Angaben daher nur die Bedeutung beimessen, eine Tendenz bzw eine gemittelte Stimmungslage widerzuspiegeln. Dadurch, dass die Bewertungen zwar ohne Registrierung, aber dennoch nur für Personen einsehbar sind, die die App herunterladen und eine konkrete Schule auswählen, ist mit der Namensnennung auch nicht zwingend die Gefahr verbunden, dass der Kläger vor eine Öffentlichkeit gezerrt wird, die ansonsten auf ihn überhaupt nicht aufmerksam geworden wäre. Auch mit einer auf der App veröffentlichten schwachen Durchschnittsbewertung ist daher keine Prangerwirkung verbunden.
[91] 6.8.3. Soweit der Kläger beanstandet, dass etwa in der Bewertungskategorie Pünktlichkeit unrichtige Tatsachenbehauptungen geäußert werden könnten, die von der Meinungsfreiheit nicht gedeckt seien (vgl RS0032201 [T2]), trifft dies nicht zu. Auch wenn den Bewertungskategorien eine Tatsachenbasis zugrunde liegt, wie etwa in der Kategorie „Pünktlichkeit“, stellen die einzelnen abgegebenen Bewertungen dennoch keine Tatsachenbehauptungen, sondern Werturteile dar, weil die subjektive Einordnung auf einer Skala von einem bis fünf Sternen nicht objektiv auf ihre Richtigkeit überprüft werden kann (vgl RS0032212 [T11]). Genauso wenig können die veröffentlichten Durchschnitts-bewertungen als Tatsachenbehauptung qualifiziert werden.
[92] 6.8.4. Soweit eine Missbrauchsgefahr darin gesehen wird, dass die (eigenen) Schüler des Klägers aus unsachlichen Motiven, wie etwa Ärger, schlechtere Bewertungen vergeben, als es ihrer eigenen Einschätzung entspricht, führt dies ebenfalls nicht zu einem Überwiegen der Anonymitätsinteressen des Klägers. Unsachliche Motivationslagen einzelner Bewertender können durch die Gestaltung der App schon grundsätzlich nicht vermieden werden. Vielmehr sind auch unsachlich motivierte Werturteile von der Meinungsäußerungsfreiheit erfasst, solange kein Wertungsexzess vorliegt.
[93] 6.8.5. Zusammengefasst liegt bei Bewertungen, die von den eigenen Schülern des Klägers abgegeben werden, kein überwiegendes Interesse des Klägers am Unterbleiben der beanstandeten Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten vor.
[94] 6.9. Aber auch die Gefahr, dass Bewertungen von Personen abgegeben werden, die nicht Schüler des Klägers waren, führt nicht zur Unzulässigkeit der hier beanstandeten Datenverarbeitungen.
[95] 6.9.1. Es wurde bereits ausgeführt, dass die individuellen Interessen der Personen, die die Unterrichtstätigkeit des Klägers bewerten, ohne persönliche Erfahrungen mit ihm gemacht zu haben, gegenüber den Interessen des Klägers zurücktreten. Zu beurteilen ist dabei aber weiters, ob die Missbrauchsgefahr derart massiv in die Interessen des Klägers eingreift, dass deshalb die Einschränkung der Meinungs- und Informationsfreiheit sämtlicher App-Nutzer gerechtfertigt ist.
[96] 6.9.2. Auch in diesem Zusammenhang ist wesentlich, dass die Bewertung allein die von der Schulöffentlichkeit wahrnehmbare berufliche Tätigkeit des Klägers, nicht aber seine Privatsphäre betrifft, dass die veröffentlichten Durchschnittsbewertungen aufgrund der Beschränkung auf die Vergabe von Sternen Ehreingriffe durch Beschimpfungen oder exzessive Formulierungen verhindern und dass für passive Nutzer der App erkennbar ist, dass die Durchschnittsbewertungen bloß eine aus mehreren Bewertungen gemittelte Tendenz wiedergeben. Besonderes Gewicht kommt in diesem Zusammenhang dem Umstand zu, dass die Bewertungen der Unterrichtstätigkeit des Klägers nur von Personen eingesehen werden können, die die App herunterladen und die konkrete Schule auswählen, sodass nicht zu erwarten ist, dass der Kläger allein durch die App einer breiten Öffentlichkeit bekannt wird. Der Eingriff in seine Interessen durch die beanstandete Datenverarbeitung ist daher – auch unter Berücksichtigung der Missbrauchsmöglichkeit – nicht höher zu bewerten als das Interesse der Gesamtheit der App-Nutzer daran, die Unterrichtstätigkeit des Klägers zu bewerten und die (durchschnittlichen) Bewertungen einsehen zu können.
[97] 6.10. Dieses Ergebnis entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der – noch vor Inkrafttreten der DSGVO – auf Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung die Erhebung, Speicherung und Ermittlung personenbezogener Daten einer Lehrerin im Rahmen eines Bewertungsforums im Internet als zulässig beurteilte (BGB VI ZR 196/08, www.spickmich.de ).
Ergebnis
[98] 7.1. Die Verarbeitung personenbezogener Daten des Klägers in der App ist gemäß Art 6 Abs 1 lit f DSGVO rechtmäßig. Das Unterlassungsbegehren des Klägers gegen die zweitbeklagte Betreiberin der App ist daher nicht berechtigt.
[99] 7.2. Aufgrund der Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung nach Art 6 Abs 1 lit f DSGVO ist auch der vom Kläger geltend gemachte, auf Art 17 Abs 1 lit d DSGVO gestützte Löschungsanspruch nicht berechtigt.
[100] 7.3. Da die beanstandete Datenverarbeitung nicht rechtswidrig ist, ist auch das Klagebegehren gegen den Erstbeklagten abzuweisen, ohne dass auf die Frage des Wegfalls der Wiederholungsgefahr durch Einbringung seines protokollierten Einzelunternehmens in die Zweitbeklagte einzugehen ist.
[101] 7.4. Auf die vom Kläger in seiner Revision gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens durch Zuspruch eines Aliud muss nicht eingegangen werden, weil das Klagebegehren zur Gänze abzuweisen ist.
[102] 7.5. Im Ergebnis ist daher die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.
[103] 8. Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet auf § 52 Abs 3 ZPO. Das Berufungsgericht hat die Kostenentscheidung zweiter Instanz bis zur rechtskräftigen Erledigung der Streitsache vorbehalten. Daran ist auch der Oberste Gerichtshof gebunden (vgl RS0129336).
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