OGH 6Nc18/11s

OGH6Nc18/11s13.10.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Kalivoda sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Firmenbuchsache der im Firmenbuch des Landesgerichts Feldkirch zu FN ***** eingetragenen H***** GmbH, über den von 1. der Gesellschaft und 2. ihrer Geschäftsführerin H***** S*****, beide vertreten durch Weh Rechtsanwalt GmbH in Bregenz, gestellten Antrag auf Ablehnung des 9. Senats des Obersten Gerichtshofs, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Ablehnungsantrag wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Das Oberlandesgericht Innsbruck hat den Rekursen der Gesellschaft und deren Geschäftsführerin gegen die Beschlüsse des Landesgerichts Feldkirch vom 24. Mai 2011, womit über die Genannten Zwangsstrafen von je 700 EUR wegen nicht rechtzeitiger Einreichung des Jahresabschlusses zum 31. Mai 2010 verhängt wurden, nicht Folge gegeben und den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zugelassen.

Dagegen erheben die Genannten den außerordentlichen Revisionsrekurs, womit sie die ersatzlose Behebung der Zwangsstrafen beantragen.

Die Revisionsrekurswerber machen in ihrem Rechtsmittel überdies die Befangenheit aller namentlich bezeichneten Mitglieder des „Ablehnungssenats“, somit des 9. Senats (Dr. Rohrer, Dr. Hopf, Dr. Kuras, Mag. Ziegelbauer und Dr. Dehn), bei der ihnen nach der Geschäftsverteilung des Obersten Gerichtshofs obliegenden Aufgabe, über den zeitgleich von den Revisionsrekurswerbern eingebrachten Ablehnungsantrag betreffend HR Univ.-Prof. Dr. Georg Kodek, Mitglied des für Rechtsmittel gegen Zwangsstrafen nach § 283 UGB zuständigen 6. Senats des Obersten Gerichtshofs, wegen dessen behaupteter kampagnenartiger publikatorischer Tätigkeit in Bezug auf die im Rechtsmittel behandelten Rechtsfragen zu entscheiden, geltend. Die Mitglieder des 9. Senats hätten in ihrem Beschluss vom 4. Mai 2011, 9 Nc 6/11y (betreffend das Zwangsstrafverfahren 6 Ob 64/11x, in dem dieselbe Rechtsanwaltskanzlei wie hier für andere Parteien als im vorliegenden Fall einschritt), in dem sie ebenfalls über die Befangenheit von HR Univ.-Prof. Dr. Georg Kodek aus demselben Grund zu entscheiden hatten, die Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte „fundamental verweigert“ und stattdessen „in krasser Verkennung der Menschenrechtsvorgaben“ Ablehnungskriterien postuliert, die eindeutig in „diametralem Widerspruch“ mit der „Menschenrechtsrechtsprechung“ stünden.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen die Mitglieder des 9. Senats gerichtete Ablehnungsantrag ist unzulässig.

Gemäß Art 92 Abs 1 B-VG ist der Oberste Gerichtshof die oberste Instanz in Zivil- und Strafsachen. Er wird bei Ausübung der Gerichtsbarkeit zufolge § 5 OGHG in Senaten tätig. Hat ein solcher Senat in einer bestimmten Rechtssache entschieden, so ist dessen Entscheidung, die eine solche des Obersten Gerichtshofs als der höchsten Instanz ist, im innerstaatlichen Instanzenzug nicht mehr überprüfbar, sondern sie klärt die Rechtslage im entschiedenen Einzelfall endgültig.

Daraus folgt aber zwingend, dass der Senat des Obersten Gerichtshofs, der nach dessen Geschäftsverteilung über Ablehnungsanträge gegen bestimmte seiner Mitglieder abzusprechen hat, nicht kompetent ist, die Entscheidung eines anderen Senats des Obersten Gerichtshofs als Voraussetzung der Bejahung oder Verneinung einer allfälligen Befangenheit inhaltlich nachzuprüfen. Anderenfalls wäre derjenige Senat des Obersten Gerichtshofs, der über Ablehnungsanträge gegen bestimmte seiner Mitglieder zu erkennen hat, ein „Übersenat“, der Entscheidungen anderer Senate dieses Gerichtshofs nachprüfend zu beurteilen hätte. Für eine solche Funktion existiert jedoch - wie schon dargelegt - keinerlei Rechtsgrundlage. Es ist daher unzulässig, dieses Nachprüfungsverbot unter Berufung auf das Ablehnungsrecht umgehen zu wollen.

Stützt daher ein Ablehnungswerber seine Behauptung, Mitglieder des Obersten Gerichtshofs seien befangen, ausschließlich darauf, sie hätten als Spruchkörper des Obersten Gerichtshofs in einer anderen, ihn betreffenden Rechtssache unrichtig entschieden, so ist ein solcher unzulässiger Ablehnungsantrag gemäß § 24 JN sofort zurückzuweisen, ohne dass eine vorherige inhaltliche Äußerung der abgelehnten Richter zu solchen Ablehnungsgründen zulässig wäre, weil sich eine solche nur mit Erläuterungen zur gefällten Vorentscheidung befassen könnte. Solche Erläuterungen verbietet aber die Endgültigkeit der Urteile und Beschlüsse des Obersten Gerichtshofs. Wegen des erörterten Nachprüfungsverbots könnten derartige Erläuterungen bei der Entscheidung über den Ablehnungsantrag auch gar nicht berücksichtigt werden (1 N 506/99 = RIS-Justiz RS0111658).

Auch im vorliegenden Fall wird die Befangenheit der Mitglieder des 9. Senats ausschließlich damit begründet, die zitierte Vorentscheidung dieses Senats sei unrichtig gewesen. Dass hier im Unterschied zur zitierten Rechtsprechung die von den Rechtsmittelwerbern für unrichtig erachtete Vorentscheidung des 9. Senats nicht in einer die hiesigen Parteien betreffenden Rechtssache ergangen ist, rechtfertigt keine andere Beurteilung der Sache. Bereits in der Entscheidung 8 Nc 25/07d hat der Oberste Gerichtshof angedeutet, dass es nicht darauf ankommt, ob die als unrichtig kritisierten Vorentscheidungen in den Ablehnungswerber betreffenden Verfahren ergangen sind („stützt sich der Ablehnungswerber im Wesentlichen auf Entscheidungen in Vorverfahren, die teilweise nicht einmal unmittelbar ihn betreffen“). Es ist nicht ersichtlich, warum der die zitierte Rechtsprechung tragende Grund, nämlich dass Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs gemäß Art 92 B-VG endgültig und verbindlich sind und nicht im Umweg eines nachgeschalteten Ablehnungsverfahrens indirekt überprüft werden dürfen, nicht auch dann gelten sollte, wenn die als unrichtig bezeichnete Vorentscheidung in einem den Ablehnungswerber nicht betreffenden Verfahren ergangen ist.

Im Übrigen wären auch die von den Ablehnungswerbern vorgetragenen Argumente für eine Befangenheit der Mitglieder des 9. Senats nicht zutreffend.

Der 9. Senat hat in der Vorentscheidung ausgeführt, Befangenheit liege vor, wenn ein Richter an eine Rechtssache nicht mit voller Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit herantrete, somit eine Hemmung zu unparteiischer Entscheidung durch sachfremde psychologische Motive gegeben sei. Auch wenn grundsätzlich schon der Anschein einer Befangenheit genüge, so setze ein solcher voraus, dass konkrete Umstände dargetan werden, die geeignet erschienen, aus der Sicht eines objektiven Beurteilers die volle Unbefangenheit des betreffenden Richters aus persönlichen Gründen in Zweifel zu ziehen (RIS-Justiz RS0096914; RS0096880). Das Vertreten einer, sei es auch in der Rechtsprechung abgelehnten, Rechtsmeinung bilde im Allgemeinen keinen Ablehnungsgrund. Ebenso sei es kein Ablehnungsgrund, wenn der Richter schon eine bestimmte Rechtsansicht in einem Rechtsstreit geäußert (RIS-Justiz RS0045916; vgl auch RS0111290) oder in Form wissenschaftlicher Abhandlungen veröffentlicht habe (RIS-Justiz RS0045916 [T2] = 4 Ob 36/89). Eine Besorgnis der Befangenheit liege erst dann vor, wenn der abgelehnte Richter zu erkennen gegeben hätte, dass er nicht bereit wäre, seine damals vertretene Rechtsansicht erneut selbstkritisch zu überprüfen und gegebenenfalls seine Meinung zu ändern (RIS-Justiz RS0036155). Nach diesen Grundsätzen gebe aber alleine der Umstand, dass sich Hofrat des Obersten Gerichtshofs Univ.-Prof. Dr. Georg Kodek - wenn auch nicht im Sinne der Antragsteller - bereits literarisch zu den rechtlichen und faktischen Gegebenheiten beim Vollzug der Offenlegungspflichten nach den §§ 277 ff UGB geäußert habe, keinen Grund zur Annahme, dass er sich bei einer Entscheidung über das Rechtsmittel der Antragsteller von sachfremden Motiven leiten lassen könnte. Der Ablehnungsantrag biete auch keine Anhaltspunkte dafür, dass er aufgrund seiner Publikation keine Bereitschaft mehr hätte, unter dem Eindruck des Rechtsmittels seine Rechtsansicht erneut kritisch zu überprüfen und gegebenenfalls seine Meinung zu ändern.

Diese Rechtsausführungen des 9. Senats stehen im Einklang mit der ständigen, zitierten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs.

Soweit die Ablehnungswerber in der kritisierten Entscheidung des 9. Senats einen Widerspruch zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) orten, wäre ihnen Folgendes zu entgegnen:

Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR ist es in einer demokratischen Gesellschaft von grundlegender Bedeutung, dass die Gerichte Vertrauen in der Öffentlichkeit genießen (vgl EGMR [Große Kammer] 13. 12. 2005, Appl. no. 73797/01, Kyprianou/Zypern, Nr 118 mwN; ua). Der Begriff der Unparteilichkeit ist dahingehend auszulegen, dass er grundsätzlich das Fehlen von Voreingenommenheit oder Befangenheit bedeutet (EGMR 10. 08. 2006, Appl. no. 75737/01, Schwarzenberger/Deutschland, NJW 2007, 3553, Nr 38 ua). Das Vorliegen von Unparteilichkeit prüft der EGMR in ständiger Rechtsprechung unter den zwei Gesichtspunkten der subjektiven und der objektiven Unparteilichkeit (vgl nur Grabenwarter, EMRK4 § 24 Rz 42 ff). Das Vorliegen von Unparteilichkeit ist anhand des konkreten Einzelfalls zu beurteilen (EGMR 10. 08. 2006, Appl. no 75737/01, Schwarzenberger/Deutschland, NJW 2007, 3553, Nr 37 ua).

Beim subjektiven Zugang („subjective approach“) untersucht der EGMR die persönliche Überzeugung des Richters sowie dessen Interesse an einem bestimmten Fall (EGMR [Große Kammer], Appl. no. 73797/01, Kyprianou/Zypern, Nr 118 mwN). Auch das Verhalten des Richters in einem bestimmten Verfahren ist von Bedeutung (EGMR 10. 08. 2006, Appl. no. 75737/01, Schwarzenberger/Deutschland, NJW 2007, 3553, Nr 38). Das Verhalten des Richters darf aber nicht aus dem Zusammenhang gelöst werden, sondern ist im Kontext des gesamten Verfahrens zu bewerten. Die Unvoreingenommenheit des Richters ist bis zum Beweis des Gegenteils zu vermuten. Diese Vermutung spiegelt den rechtsstaatlichen Grundsatz wider, dass die Urteile eines Gerichts endgültig und verbindlich sind, bis sie von einem höheren Gericht wegen Unrichtigkeit oder mangelnder Fairness außer Kraft gesetzt werden (EGMR [Große Kammer] 15. 12. 2005, Appl. no. 73797/01, Kyprianou/Zypern, Nr 119, uva).

Dabei ist sich der EGMR auch der Schwierigkeit bewusst, die es bedeutet, den Beweis der subjektiven Unparteilichkeit zu erbringen, eine gewisse Abhilfe kann durch die ebenfalls immer erfolgende Prüfung nach objektiven Kriterien („objective approach“) geboten werden (vgl EGMR [Große Kammer] 15. 12. 2005, Appl. no 73797/01, Kyprianou/Zypern, Nr 119, ua).

Beim „objective approach“ prüft der EGMR, ob unabhängig von den persönlichen Einstellungen und vom persönlichen Verhalten des Richters feststellbare Umstände vorliegen, die Anlass zu Zweifeln an dessen Unparteilichkeit geben (EGMR 23. 10. 2001, Appl. no. 50171/99, Vogl und Vogl/Österreich, ÖJZ 2002/11 [MRK] uva). Es ist zu fragen, ob ausreichende Garantien für den Ausschluss berechtigter Zweifel bestehen (EGMR [Große Kammer] 15. 12. 2005, Appl. no. 73797/01, Kyprianou/Zypern, Nr 118, ua). Auch der Anschein der Unparteilichkeit kann von Bedeutung sein (EGMR [Große Kammer] 22. 10. 2007, Appl. nos. 21279/02 und 36448/02, Lindon, Otchakovsky-Laurens und July/Frankreich, Nr 77 ua). Daher muss sich ein Richter aus dem Verfahren zurückziehen, wenn gerechtfertigter Anlass besteht, an seiner Unparteilichkeit zu zweifeln. Auf dem Spiel steht das Vertrauen, das die Öffentlichkeit den Gerichten in einer demokratischen Gesellschaft entgegenbringen muss (vgl nur EGMR [Plenum] 24. 05. 1989, Appl. no. 10486/83, Hauschildt/Dänemark, Nr 48, ua). Zweck der Regelungen über die Unparteilichkeit ist es, dieses Vertrauen zu erhalten (Grabenwarter, EMRK4 § 24 Rz 45). Demnach muss ein Gericht nicht offensichtlich unbegründeten Zweifeln an der Unparteilichkeit nachgehen (EGMR 23. 04. 1996, Appl. no. 16839/90, Remli/Frankreich, Nr 48). Dabei ist die Einschätzung der betroffenen Partei zwar wichtig, aber nicht entscheidend. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Befürchtung objektiv gerechtfertigt werden kann (EGMR, 20. 05. 1998, Appl. nos. 21257/93 ua, Gautrin und andere/Frankreich, Nr 58).

Die Ablehnungswerber zeigen nicht auf, inwiefern die von ihnen für unrichtig erachtete Entscheidung des 9. Senats von dieser Rechtsprechung abweichen würde. Für ihre Behauptung, es widerspreche der Rechtsprechung des EGMR diametral, von einer Partei den unmöglichen Beweis zu verlangen, dass ein Richter zu erkennen gegeben hätte, dass er nicht bereit wäre, seine Rechtsansicht erneut selbstkritisch zu überprüfen und gegebenenfalls seine Meinung zu ändern, bleiben sie jeglichen Nachweis schuldig. Soweit ersichtlich, hat sich der EGMR nämlich mit der Frage der Unparteilichkeit eines akademisch interessierten und wissenschaftlich tätigen und publizierenden Richters bislang noch nicht auseinandergesetzt (vgl Scott Crichton Styles, Judicial Opinions and Judicial Impartiality, Juridical Review 2007, 293 [299]).

Der Ablehnungsantrag könnte daher auch im Fall seiner Zulässigkeit nicht erfolgreich sein.

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