OGH 5Ob82/13i

OGH5Ob82/13i16.5.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Partei S***** R*****, vertreten durch Dr. Herbert Gartner und Mag. Daniel Karandi, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Dr. E***** H*****, 2. Dr. E***** H*****Privatstiftung, *****, beide vertreten durch Dr. Klaus Krebs, Rechtsanwalt in Wien, wegen 5.696,74 EUR sA, (Revisionsinteresse 5.530,07 EUR), über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 30. Jänner 2013, GZ 18 R 135/12z‑88, mit dem infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Mödling vom 23. April 2012, GZ 3 C 134/10t, 4 C 398/11z‑78, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 614,84 EUR (darin 102,47 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil ‑ soweit ersichtlich ‑ keine höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu vorliege, ob die analoge Anwendung des § 364a ABGB zulässig sei, wenn

1. die besondere Gefahrensituation durch einen Betreiber hervorgerufen werde, der (anders als in den bislang vom Obersten Gerichtshof behandelten Sachverhalten) keine gewerbliche Tätigkeit im weiteren Sinn ausübe, sondern bloß auf einer zu Wohnzwecken genutzten Liegenschaft eine Entwässerungsanlage errichtet habe, und

2. die faktische Unmöglichkeit der Unterlassungsklage darauf beruhe, dass die Gefahrenquelle (ein Betonrohr knapp vor der eigenen Grundstücksgrenze) zwar objektiv leicht erkennbar, für die Klägerin aber subjektiv aufgrund der örtlichen Gegebenheiten (Hecke) von ihrer Liegenschaft aus nicht wahrnehmbar gewesen sei.

Die von den Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) ‑ Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig, was gemäß § 510 Abs 3 ZPO nur kurz zu begründen ist:

Rechtliche Beurteilung

1. Die von den Vorinstanzen übereinstimmend bejahte Passivlegitimation beider Beklagten wird in deren Revision nicht mehr releviert; auf diese selbstständige Rechtsfrage ist folglich nicht mehr einzugehen (5 Ob 189/09v mwN).

2.1. Ein verschuldensunabhängiger Ausgleichs-anspruch wird ‑ neben einem hier nicht zu beurteilenden Unterlassungsanspruch ‑ von der Rechtsprechung in Fällen des § 364 Abs 2 ABGB auch dann zugebilligt, wenn sich aus der Interessenlage ausreichende Anhaltspunkte für eine Analogie zu § 364a ABGB ergeben (5 Ob 3/99y mzN).

3. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Ersatzpflicht der Beklagten sei in analoger Anwendung des § 364a ABGB zu bejahen, folgt den schon vom Gericht zweiter Instanz wiedergegebenen, in ständiger Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen höchstgerichtlicher Judikatur:

3.1. Danach ist ein verschuldensunabhängiger (RIS‑Justiz RS0010449 [insb T4, T8]; 8 Ob 523/92 mwN JBl 1992, 641 (krit Rummel ) = EvBl 1992/176) nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch dann zu gewähren, wenn dem Geschädigten ein Abwehrrecht, das ihm wegen Bestehens einer an sich gefährlichen Situation nach dem Inhalt seines dinglichen Rechts sonst zugestanden wäre, genommen war (1 Ob 48/87 SZ 60/265 mwN).

3.2. Ein Ausgleichsanspruch wird in analoger Anwendung des § 364a ABGB auch in Fällen gewährt, in denen der Schaden bereits eingetreten war, bevor der von dieser Einwirkung Betroffene das Untersagungsrecht faktisch ausüben konnte, sodass er sich in einer Situation wie derjenige befand, dem aus anderen Gründen die Unterlassungsklage verwehrt war (1 Ob 620/94 SZ 68/101; 5 Ob 444/97y RdU 1998, 148; 5 Ob 3/99y).

3.3. Die Verpflichtung zum Ersatz von Schäden, die dem Nachbarn durch einmalige Vorfälle wie durch Eindringen von Wasser (zB Wasserrohrbrüche) entstanden, wird von der Rechtsprechung ebenfalls anerkannt (8 Ob 48/07b mwN). Bei Herstellung einer Wasserleitungsanlage (oder ‑ wie hier ‑ eines Überlaufrohrs) kann der Nachbar zunächst auf deren Gefahrlosigkeit vertrauen und eine Untersagung der Anlage außer Betracht lassen. Es ist demjenigen, der die Anlage errichtet und den Nachbarn damit einem erhöhten Risiko aussetzte, zumutbar, dafür Sorge zu tragen, dass dem Nachbarn aus dem Bestehen der Anlage kein Nachteil erwächst (1 Ob 48/87 mwN SZ 60/265).

3.4. Voraussetzung einer Analogie zu § 364a ABGB ist nach ständiger höchstgerichtlicher Judikatur stets, dass unmittelbar von der Anlage Einwirkungen ausgehen, die für den Betrieb der Anlage typisch sind (1 Ob 47/87 SZ 61/7; 8 Ob 523/92 SZ 65/38; 1 Ob 615/94 SZ 67/212; 5 Ob 190/11v; vgl RIS‑Justiz RS0010670). Mit in diesem Sinn „betriebstypischen“ Schäden sind adäquat verursachte Folgen gemeint. Nach der ständigen Rechtsprechung zur Theorie des adäquaten Kausalzusammenhangs ist eine adäquate Verursachung dann nicht anzunehmen, wenn ein Verhalten seiner Natur nach völlig ungeeignet erscheint, einen Erfolg nach der Art des eingetretenen herbeizuführen und bloß eine außergewöhnliche Verkettung der Umstände vorliegt (1 Ob 196/06i; RIS‑Justiz RS0098939). Die Frage, ob der eingetretene Schaden noch adäquate Folge der Handlung des Schädigers war, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu lösen (vgl 1 Ob 196/06i mwN).

3.5. All die genannten Voraussetzungen hat das Berufungsgericht im vorliegenden Fall vertretbar bejaht. Durch den Einbau des ‑ direkt in Richtung der Liegenschaft der Klägerin weisenden ‑ Überlaufrohrs haben die Beklagten in die natürlichen Abflussverhältnisse unmittelbar eingegriffen. Beim schadensbegründenden Vorfall hat sich gerade der „betriebstypische“ Zweck dieser Einrichtung, nämlich die Ableitung eines nach dem Pumpenausfall und infolge Starkregens nicht mehr anders beherrschbaren Wasseraufkommens verwirklicht. Die Klägerin durfte die von einem Professionisten errichtete Anlage, auch unabhängig von der Frage, ob sie deren gesamte Konstruktion übersehen konnte, zunächst für gefahrlos halten; immerhin nehmen auch die Beklagten infolge Beauftragung eines Installationsunternehmens für sich in Anspruch, sie hätten die Gefahrengeneigtheit nicht erkennen können. Schließlich hat der Oberste Gerichtshof die Möglichkeit der analogen Anwendung des § 364a ABGB ‑ entgegen der Behauptung der Beklagten ‑ auch schon in Schadensfällen ohne Zusammenhang mit einer gewerblichen Nutzung grundsätzlich bejaht (vgl 7 Ob 273/08k wobl 2009/107).

4.1. Aus den dargestellten Erwägungen stellt sich insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage; dies muss zur Zurückweisung der Revision der Beklagten führen.

4.2. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen (RIS‑Justiz RS0035979). Die Kostenbemessungsgrundlage beträgt 5.530,07 EUR.

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