OGH 5Ob190/11v

OGH5Ob190/11v13.12.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Ulrich Schwab und Dr. Georg Schwab, Rechtsanwälte in Wels, und der Nebeninterventin auf Seite der klagenden Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Christian Preschitz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei *****gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch Mag. Dr. Dirk Just, Rechtsanwalt in Wien, und der Nebenintervenientin auf Seite der beklagten Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Hauser Milchram und Stadlmann, Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 33.201,50 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. Juli 2011, GZ 2 R 123/11i-22, womit infolge der Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 29. März 2011, GZ 51 Cg 33/11a-17, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Klägerin ist Eigentümerin der Liegenschaft ***** 41 in *****, die Beklagte Eigentümerin der von dieser Liegenschaft durch eine Straße getrennten Liegenschaft ***** 38 in *****.

Im Zuge von Bauarbeiten, die von der Beklagten beauftragt wurden, stürzte am 27. 1. 2009 ein Autokran der Nebenintervenientin der Klägerin auf der Liegenschaft der Beklagten um und beschädigte dabei das Haus der Klägerin. Die Nebenintervenientin auf Seite der Klägerin ist Eigentümerin und Halterin des umgestürzten Krans (Turmdrehkran) und war mit Baumeisterarbeiten auf der Liegenschaft der Beklagten beauftragt.

Die Beklagte hatte ihren Ausschreibungsunterlagen ein geotechnisches Gutachten angefügt, aus dem hervorging, dass auf der Liegenschaft zuvor ein Keller vorhanden war, der hinterfüllt worden war.

Die Nebenintervenientin auf Seite der Klägerin entschied über den exakten Aufstellplatz des Krans. Im Zeitpunkt des Umstürzens des 60 t schweren Krans waren seine Pratzen nicht fest mit dem Boden der Liegenschaft verbunden, sondern auf Kanthölzern aufgelegt.

Die Nebenintervenientin auf Seite der Beklagten war Planungskoordinatorin der Baustelle. Die Projektleitung führte die Beklagte durch einen eigenen Mitarbeiter selbst durch.

Die Beschädigung des Hauses der Klägerin entstand dadurch, dass der Kranausleger in das Dachgeschoss des Hauses einschlug.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin den Betrag von zuletzt 33.201,50 EUR sA von der beklagten Liegenschaftsnachbarin für die an ihrem Haus durch das Umstürzen des Krans verursachten Schäden. Die Beklagte hafte sowohl nach § 364a ABGB als auch nach § 1319 ABGB und aus der Verletzung vertraglicher Schutz- und Nebenpflichten.

Die Beklagte, in deren Auftrag die Bauarbeiten durchgeführt worden seien, habe es unterlassen, durch geeignete Veranlassungen sowohl bei Vertragsabschluss als auch anlässlich der Aufstellung und des Betriebs des Krans das nachfolgende Umstürzen des Krans zu verhindern. Der Hohlraum, über dem die Kranabstützung eingebrochen sei, sei für den Kranführer nicht erkennbar gewesen.

Auch die Nebenintervenientin auf Seite der Klägerin brachte vor, dass für sie ein Einbrechen der Stützen des Autokrans infolge eines weit unter der Erdoberfläche befindlichen Hohlraums unvorhersehbar gewesen sei. Das Bodenrisiko sei nicht auf die Nebenintervenientin übertragen worden.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und beantragte dessen Abweisung. Ein Autokran sei kein Werk iSd § 1319 ABGB. Eigentümerin und Halterin des Autokrans sei nicht die Beklagte, sondern die klägerische Nebenintervenientin. Am Kranunfall treffe die Beklagte kein Verschulden. Sie sei auch nicht passiv legitimiert.

Der Anspruch könne aber auch nicht auf §§ 364, 364a ABGB gegründet werden. Beim Autokran handle es sich nicht um eine behördlich genehmigte Anlage auf nachbarlichem Grund. Der Autokran habe nur dazu gedient, einen Drehturmkran aufzustellen.

Ein Eigenverschulden der Beklagten sei zu verneinen, weil sie der Nebenintervenientin der Klägerin ein geotechnisches Gutachten über die Bodenverhältnisse ausgefolgt habe. Für Fehler der Nebenintervenientin habe die Beklagte nicht einzustehen.

Ausgehend von den oben wiedergegebenen Feststellungen wies das Erstgericht das Klagebegehren ab. Ein verschuldensunabhängiger nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch nach § 364a ABGB stehe nur zu, wenn die Emission für den Betrieb einer genehmigten Anlage typisch sei. Dass die Bauarbeiten auf der Liegenschaft der Beklagten baubehördlich genehmigt worden seien, führe nicht dazu, den aufgestellten Kran als genehmigte Anlage iSd § 364a ABGB zu bewerten. Außerdem sei beachtlich, dass die Liegenschaften der Klägerin und der Beklagten nicht aneinandergrenzten.

Eine analoge Anwendung des § 364a ABGB komme dort in Betracht, wo die Abwehr eines Eingriffs zwar zulässig bleibe, aber durch die mit einer behördlichen Genehmigung verbundene faktische Vermutung der Gefahrlosigkeit doch erschwert werde, doch sei die Analogie nicht auf den gegenständlichen Fall auszudehnen. Hier sei ein Autokran aufgrund der Beschaffenheit des Untergrundes in einen Hohlraum eingebrochen und habe das Haus der Klägerin beschädigt. Mit Sachverhalten, die in Analogie § 364a ABGB unterstellt würden, also einen unmittelbaren direkten massiven Eingriff zur Folge hätten, wie dies § 364 Abs 2 ABGB vorsehe, sei dieser Fall nicht vergleichbar. Hier habe die Verschuldenshaftung der §§ 1293 ff ABGB einzugreifen. Vorliegendenfalls komme § 1319 ABGB in Betracht, weil die Ereignung die Folge der mangelhaften Beschaffenheit des Werks war. Der in Anspruch Genommene habe zu beweisen, dass er alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet habe. Mit einem solchen Begehren könne aber nur der Halter des Krans, nicht aber die beklagte Liegenschaftseigentümerin in Anspruch genommen werden. Gegenüber der Beklagten sei § 1319 ABGB keine taugliche Haftungsgrundlage.

Wegen einer von der Klägerin angesprochenen Haftung aus einem Vertragsverhältnis mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter könnte ebenfalls nur die Nebenintervenientin auf Klagsseite in Anspruch genommen werden.

Der gegen dieses Urteil von der Klägerin erhobenen Berufung gab das Gericht zweiter Instanz nicht Folge.

Es stellte in rechtlicher Hinsicht klar, dass eine Haftung nach § 364a ABGB auch gegenüber einem mittelbaren Nachbarn zum Tragen komme, es also nicht schade, dass zwischen den Liegenschaften der Klägerin und der Beklagten eine Straße verlaufe (RIS-Justiz RS0010489). Eine Haftung in analoger Anwendung des § 364a ABGB komme aber nur dann in Betracht, wenn vom Nachbargrund ausgehende Einwirkungen für den Betrieb der schadensverursachenden Anlage typisch seien. Das werde zwar dann bejaht, wenn beim Abbruch einer Grenzmauer eine Baggerschaufel auf das Nachbargrundstück ausschwinge und dadurch einen Schaden verursache (4 Ob 89/10g). Dass ein Kran in einen Hohlraum einbreche, umstürze und Schäden auf einer benachbarten Liegenschaft verursache, bilde aber keinen Geschehensablauf, der mit Bauarbeiten dieser Art typischerweise verbunden sei.

Soweit das Begehren auf § 1319 ABGB gegründet worden sei, sei der Kran zwar zutreffenderweise als „Werk“ im Sinn dieser Gesetzesstelle eingestuft worden. Eine Haftung treffe aber denjenigen, der über den Gebrauch der Sache disponieren könne, in moderner Terminologie also den „Halter“. Halterin sei ausschließlich die Nebenintervenientin der Klägerin gewesen, sodass sich darauf keine Haftung der Beklagten gründen lasse.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil Rechtsfragen von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO nicht vorlägen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinn einer Klagsstattgebung. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte und die Nebenintervenientin auf Seite der Beklagten haben von der ihnen eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, Revisionsbeantwortungen zu erstatten und hierin jeweils beantragt, die gegnerische Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin erweist sich als zulässig, weil die Vorinstanzen die Voraussetzungen eines auf § 364a ABGB gestützten Anspruchs verkannten (auf den Haftungstatbestand des § 1319 ABGB greift die Revisionswerberin nicht mehr zurück). Die Revision ist auch im Sinn des in ihr gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

1. Die ständige Rechtsprechung billigt einen verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruch auch dann zu, wenn sich aus der Interessenlage ausreichende Anhaltspunkte für eine Analogie zu § 364a ABGB ergeben. Eine § 364a ABGB analoge Situation wird in Fällen angenommen, in denen durch die Bewilligung der Anschein der Gefahrlosigkeit und damit der Rechtmäßigkeit der bewilligten Maßnahme hervorgerufen und dadurch die Abwehr zwar nicht rechtlich ausgeschlossen, aber faktisch derart erschwert wird, dass der Nachbar die Maßnahme praktisch hinnehmen muss, so vor allem bei behördlich genehmigten Bau- und Abbruchsarbeiten (RIS-Justiz RS0010668 [T1; T5; T7; T9; T11; T20]).

2. Dem Grundeigentümer muss die Störung durch einen Dritten zuzurechnen sein, er muss sie veranlasst oder geduldet haben (RIS-Justiz RS0010448, RS0010648). Seine Dispositionsbefugnis in Form eines effektiven Hinderungsrechts wird dann zugrunde gelegt, wenn er zum Schädiger in einem sich darauf beziehenden Rechtsverhältnis steht (1 Ob 221/98a; 7 Ob 182/02v JBl 2003, 372; 4 Ob 89/10g EvBl 2011/67 [Praxishinweis EvBl Redaktion]).

3. In diesem Zusammenhang wird die nachbarrechtliche Haftung des Grundeigentümers für von ihm beauftragte, schadensstiftende Baumaßnahmen und Arbeiten bejaht. Ihm ist das schädigende Verhalten des beauftragten Bauunternehmers und seiner Leute zuzurechnen (5 Ob 444/97y RdU 1988/121; 1 Ob 221/98a bbl 1999, 267; 2 Ob 136/99k bbl 2001/9; 4 Ob 89/10 EvBl 2011/67 [Zoppel]).

4. Das alles gilt auch für Schäden, die auf Baumaßnahmen im Zug der Errichtung einer Anlage zurückzuführen sind (RIS-Justiz RS0106324 [T3]; 1 Ob 182/10m = EvBl 2011/73).

5. Die Haftung aufgrund analoger Anwendung des § 364a ABGB wird auch bei grob körperlichen Einwirkungen und auch bei unmittelbarer Zuleitung bejaht (4 Ob 89/10g = EvBl 2011/67 [Zoppel]; Kerschner/Wagner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch Klang 3 § 364a ABGB Rz 319).

6. Die Haftung nach § 364a ABGB setzt weiters voraus, dass von der Anlage Einwirkungen auf den Nachbargrund ausgehen, die für deren Betrieb „typisch“ sind (1 Ob 2170/96s SZ 69/220 mwN; RIS-Justiz RS0010670; RS0106324; RS0010668 [T10; T19]; zuletzt 4 Ob 89/10g EvBl 2011/67). Dabei ist maßgebend, ob für den Haftpflichtigen der Eintritt des Schadens ein kalkulierbares oder gar kalkuliertes Risiko bildete, das er zu seinem Nutzen eingegangen ist (10 Ob 33/00a RdU 2000, 153; 1 Ob 196/06i bbl 2007, 65; zuletzt 4 Ob 89/10g EvBl 2011/67). Unter in diesem Sinn „betriebstypischen“ Schäden, also solchen die aus dem Gefährdungspotential der Anlage resultieren (vgl Kerschner/Wagner aaO § 364a ABGB Rz 316), sind die adäquat verursachten Folgen zu verstehen (1 Ob 196/06i bbl 2007/6). Eine adäquate Verursachung ist (nur) dann nicht anzunehmen, wenn ein Verhalten seiner Natur nach völlig ungeeignet erscheint, einen Erfolg nach der Art des eingetretenen herbeizuführen und nicht bloß eine außergewöhnliche Verkettung der Umstände vorliegt (RIS-Justiz RS0098939; Kerschner/Wagner aaO § 364a ABGB Rz 317 unter Hinweis auf 1 Ob 196/06i bbl 2007/61).

7. Unter Berücksichtigung der zur Zeit der Kranaufstellung bekannten bzw jedenfalls erkennbaren Bodenbeschaffenheit des Baugrundes, nämlich dass es sich nicht durchgehend um gewachsenen Boden handelte, sondern vielmehr dort ein unterfüllter Keller vorhanden war, ist entgegen der Ansicht der Vorinstanzen zugrundezulegen, dass das Einsinken eines Krans, dessen Umstürzen und damit verbundene Beschädigung einer Nachbarliegenschaft im verbauten Stadtbereich keine für den Betrieb untypische Folge war. Angesichts des eingeholten geotechnischen Gutachtens war diese besondere Naturgegebenheit bekannt und ist ein kalkulierbares oder gar kalkuliertes Risiko des Haftpflichtigen somit zu bejahen.

8. Darauf, dass „Nachbar“ im Sinn der Bestimmung des § 364a ABGB auch ein „mittelbarer Nachbar“ sein kann (RIS-Justiz RS0010489), hat bereits das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen.

9. Das Erstgericht hat allerdings ausgehend von seiner, vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht, dass es sich vorliegendenfalls nicht um betriebstypische Schäden handelte, für die die Beklagte nicht einzustehen hätte, Feststellungen über die Höhe des der Klägerin entstandenen Schadens unterlassen. Das wird im ergänzenden Verfahren nachzutragen sein.

Eine Aufhebung war daher unumgänglich.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.

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