OGH 10Ob33/00a

OGH10Ob33/00a2.5.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr, Dr. Steinbauer, Dr. Hopf und Dr. Fellinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ingrid N*****, vertreten durch Dr. Karl Maier, Rechtsanwalt in Knittelfeld, gegen die beklagte Partei Max L*****, Land- und Forstwirt, ***** vertreten durch Dr. Klaus Hirtler, Rechtsanwalt in Leoben, wegen S 300.000 sA, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 18. November 1999, GZ 6 R 126/99t-29, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Leoben vom 2. April 1999, GZ 4 Cg 113/97t-24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass sie als Zwischenurteil zu lauten hat:

"Das Klagebegehren besteht dem Grunde nach zu Recht.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz wird der Endentscheidung vorbehalten."

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens wird der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Eigentümerin einer Liegenschaft mit einem darauf befindlichen Wohnhaus. Der Beklagte ist Eigentümer eines in unmittelbarer Nachbarschaft hangaufwärts über dieser Liegenschaft liegenden Waldgrundstücks. Über Auftrag des Beklagten führten am 18. 2. 1997 zwei Forstarbeiter Schlägerungsarbeiten auf seinem Grundstück durch. Dabei rutschte ein ca 25 m langer Baumstamm bergabwärts auf die Liegenschaft der Klägerin, schlug dort in das Wohnhaus ein und richtete erheblichen Sachschaden an.

Die Klägerin begehrt vom Beklagten Ersatz ihrer mit S 300.000 bezifferten Schäden im Wesentlichen mit der Begründung, dass diese Schäden auf das unsachgemäße Vorgehen der vom Beklagten beauftragten Forstarbeiter zurückzuführen seien. Darüber hinaus hafte der Beklagte als Grundstückseigentümer aufgrund des verschuldensunabhängigen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruches.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Schäden am Wohnhaus der Klägerin seien auf einen nicht vorhersehbaren Zufall zurückzuführen, für den weder er noch die von ihm beauftragten Forstarbeiter verantwortlich gemacht werden könnten. Insbesondere liege kein für eine Haftung nach § 176 Abs 3 ForstG vorausgesetztes vorsätzliches oder grob fahrlässiges Fehlverhalten vor. Auch eine nachbarrechtliche Haftung komme nicht in Betracht, weil keine behördlich genehmigte Anlage bzw ein vergleichbarer faktischer Entzug der Unterlassungsklage vorliege und die Beeinträchtigung des Eigentums der Klägerin nicht - wie Immissionen durch behördlich genehmigte Anlagen - Folge eines Rodungsbewilligungsverfahrens sei, das den Gesetzgeber bewogen hätte, die beeinträchtigten Eigentümer auf Ausgleichsansprüche zu verweisen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Ausgehend von seinen Feststellungen, wonach die beiden Forstarbeiter die ihnen vom Beklagten aufgetragenen Schlägerungsarbeiten sach- und fachgerecht durchgeführt haben, verneinte das Erstgericht das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Verschuldenshaftung. Selbst ein allfälliges geringfügiges Verschulden der beiden Forstarbeiter könnte eine Haftung aus Verschulden nicht begründen, weil dafür nach § 176 Abs 3 ForstG das Vorliegen eines zumindest grob fahrlässigen Fehlverhaltens Voraussetzung wäre. Auch nach allgemeinen schadenersatzrechtlichen Grundsätzen komme eine Haftung des Beklagten nicht in Betracht. Die Klägerin habe nicht behauptet, dass den Beklagten selbst ein Verschulden treffe. Ein Verschulden der beiden Forstarbeiter hätte der Beklagte gemäß § 1315 ABGB nur dann zu vertreten, wenn diese ihm als untüchtig oder gefährlich bekannt gewesen wären. Davon könne nicht ausgegangen werden. Schließlich sei auch die Anwendbarkeit des § 364a ABGB und des darin geregelten verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruches nicht gegeben, weil diese Bestimmung nicht auf Einwirkungen durch feste Körper wie den im vorliegenden Fall schadensauslösenden Baumstamm anzuwenden sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Nach der Rechtsprechung (SZ 58/195) sei ein verschuldensunabhängiger Ausgleichsanspruch in Analogie zu § 364a ABGB dann zu gewähren, wenn zwar die Möglichkeit einer Unterlassungsklage bestehe, jedoch infolge der mit einer behördlichen Genehmigung zunächst verbundenen Annahme der Gesetzmäßigkeit und Gefahrlosigkeit der bewilligten Maßnahme praktisch erschwert oder unmöglich gemacht werde, wie beispielsweise bei behördlich genehmigten Bau- und Abbrucharbeiten oder Aufgrabungen in öffentlichen Verkehrs- oder Erholungsflächen. Diese die Analogie zu § 364a ABGB rechtfertigenden Voraussetzungen träfen aber auf das Abrutschen eines Baumstammes auf ein Nachbargrundstück im Zuge der Waldbewirtschaftung nicht zu. Die Beeinträchtigung des Nachbarn durch Schlägerungsarbeiten sei nicht - wie Immissionen durch behördlich genehmigte Anlagen - die Folge eines Bewilligungsverfahrens, das den Gesetzgeber bewogen habe, die beeinträchtigten Eigentümer auf Ausgleichsansprüche zu verweisen. Dass das Forstgesetz Vorschriften über die Durchführung von Schlägerungsarbeiten enthalte, sei dem nicht gleichzuhalten. Da ein verschuldensunabhängiger Ausgleichsanspruch in analoger Anwendung des § 364a ABGB somit zu verneinen sei und auch eine Verschuldenshaftung aufgrund der zutreffenden Erwägungen des Erstgerichtes nicht in Betracht komme, sei das Klagebegehren nicht berechtigt.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei, weil keine Rechtsfrage im Sinne dieser Gesetzesstelle zu lösen gewesen sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte hat in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist zulässig, weil das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung von der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (vgl insbesondere 5 Ob 3/99y) abgewichen ist. Die Revision ist auch berechtigt.

Die Klägerin wendet sich in ihren Revisionsausführungen nicht mehr gegen die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass ausgehend von den getroffenen Feststellungen eine Haftung des Beklagten aus Verschulden nicht gegeben ist. Soweit die Klägerin eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens darin erblickt, dass ihrem in erster Instanz gestellten Antrag auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen nicht stattgegeben wurde, ist darauf zu verweisen, dass dieser in der Berufung geltend gemachte, vom Berufungsgericht aber verneinte Mangel nach ständiger Rechtsprechung in der Revision nicht mehr gerügt werden kann (SZ 68/101 mwN uva). Die Frage, ob ein weiteres Sachverständigengutachten zum selben Beweisthema einzuholen sei, gehört ebenso wie die Frage, ob das eingeholte Sachverständigengutachten die von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen rechtfertigt, in das Gebiet der nicht revisiblen Beweiswürdigung (SZ 68/101 mwN uva).

Im Revisionsverfahren ist somit nur noch strittig, ob der Klägerin in analoger Anwendung des § 364a ABGB ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch zusteht.

Nach § 364 Abs 1 ABGB darf die Ausübung des Eigentumsrechtes grundsätzlich nur insofern stattfinden, als dadurch in die Rechte eines Dritten nicht eingegriffen wird. Nach Abs 2 dieser Gesetzesstelle kann der Eigentümer eines Grundstückes dem Nachbarn die von dessen Grund ausgehenden Einwirkungen durch Abwässer, Rauch, Gase, Wärme, Geruch, Geräusch, Erschütterung und ähnliche insoweit untersagen, als sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benutzung des Grundstückes wesentlich beeinträchtigen. Ein verschuldensunabhängiger Ausgleichsanspruch wird von der Rechtsprechung in Fällen des § 364 Abs 2 ABGB aber auch dann zugebilligt, wenn sich aus der Interessenlage ausreichende Anhaltspunkte für eine Analogie zu § 364a ABGB ergeben. Dies wurde beispielsweise in Fällen von baubehördlich bewilligten Bauvorhaben angenommen, bei denen infolge des mit einer behördlichen Genehmigung zunächst verbundenen Anscheins der Gesetzmäßigkeit und Gefahrlosigkeit der bewilligten Maßnahmen die Abwehr praktisch erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht wird (Oberhammer in Schwimann, ABGB2 Rz 5 zu § 364a mwN; RIS-Justiz RS0010668 mwN uva).

Nach den Feststellungen des Erstgerichtes waren die Holzschlägerungsarbeiten "in dieser Form behördlicherseits genehmigt". Gemäß § 87 Abs 1 ForstG hat der Waldeigentümer - wenn nicht eine freie Fällung im Sinn des § 86 ForstG vorliegt, die der Forstbehörde nur zu melden ist - die Erteilung einer Fällungsbewilligung im Sinn des § 88 ForstG zu beantragen, die nur nach forstrechtlichen Kriterien zu erteilen ist und lediglich die forstrechtliche Zulässigkeit bescheinigt (Bobek-Plattner-Reindl, ForstG2 Anm 2 zu § 88). Die Frage, ob das Vorliegen einer solchen Fällungsbewilligung somit wie eine behördliche Anlagengenehmigung im Sinne des § 364a ABGB die tatsächliche Wirkung hätte, dass sich der Grundnachbar, ohne in der Lage zu sein, erfolgreich ein Unterlassungsbegehren stellen zu können, mit der anscheinend gefahrlosen Maßnahme abfinden muss und daher im Sinne der ständigen Rechtsprechung auch in diesem Fall eine Gewährung des verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruches in Analogie zu § 364a ABGB gerechtfertigt wäre (vgl JBl 1999, 524; RdU 1998/136; NZ 1997, 11 mwN; JBl 1992, 641; SZ 58/195 uva) kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben.

Die Klägerin hat nämlich in ihrer Berufung die Feststellung des Erstgerichtes, die Arbeiten seien "in dieser Form behördlicherseits genehmigt gewesen", als aktenwidrig bekämpft. Das Berufungsgericht hat dazu die Rechtsansicht vertreten, die gerügte Aktenwidrigkeit betreffe keine entscheidungsrelevante Tatsache. Da für die vom Erstgericht getroffene Feststellung keine Beweisgrundlage ersichtlich ist - auch der bestellte Sachverständige hat am Ende seiner mündlichen Gutachtenserörterung in der Tagsatzung vom 12. 10. 1998 nur davon gesprochen, dass jede Schlägerung im Schutzwald anzumelden ist - , ist im Folgenden auf die Rechtslage unter der Annahme, dass keine behördliche Fällungsbewilligung vorgelegen ist, einzugehen.

In der jüngeren Rechtsprechung wurde auch bei ohne behördlicher Genehmigung durchgeführten Arbeiten in analoger Anwendung des § 364a ABGB ein verschuldensunabhängiger Ausgleichsanspruch des Geschädigten bejaht, wenn der Schaden bereits eingetreten gewesen ist, ehe der von dieser Einwirkung Betroffene die Möglichkeit zur Ausübung des Untersagungsrechts faktisch nützen konnte, sodass er sich in einer Situation wie derjenige befunden hat, dem aus anderen Gründen die Unterlassungsklage verwehrt gewesen ist (RdU 1998/121 [Kerschner]; SZ 68/101 mwN ua). Darüber hinaus wurde eine Haftung nach § 364a ABGB auch dann angenommen, wenn eine Anlage eine besondere Gefahrensituation schafft und allfällige Schadensfolgen für den Betreiber objektiv kalkulierbar sind (SZ 64/3 mwN ua; Oberhammer aaO mwN).

An dieser nunmehr herrschenden Rechtsprechung hat erst jüngst der 5. Senat in seiner einen vergleichbaren Sachverhalt betreffenden

Entscheidung 5 Ob 3/99y (= JBl 1999, 520 [Rummel] = RdU 1999/178

[Oberhammer] = ecolex 1999, 237) trotz teilweiser Kritik aus der Lehre ausdrücklich festgehalten und wiederum ausgesprochen, dass auch bei ohne behördlicher Genehmigung durchgeführten Arbeiten in analoger Anwendung des § 364a ABGB ein verschuldensunabhängiger Ausgleichsanspruch des Geschädigten zu bejahen ist, wenn der Schaden bereits eingetreten gewesen ist, ehe der von dieser Einwirkung Betroffene die Möglichkeit zur Ausübung des Untersagungsrechts faktisch nützen konnte, sodass er sich in einer Situation wie derjenige befunden hat, dem aus anderen Gründen die Unterlassungsklage verwehrt gewesen ist (vgl auch SZ 68/101 mwN).

Weiters ist darauf hinzuweisen, dass selbst wenn im vorliegenden Fall

die beabsichtigten Schlägerungsarbeiten nicht mittels förmlicher

Fällungsbewilligung (§ 88 ForstG), sondern dadurch gestattet wurden,

dass die entsprechende Anzeige zur Kenntnis genommen wurde, sich

nichts daran ändert, dass dadurch der Anschein der Gefahrlosigkeit

der beabsichtigten Maßnahmen hervorgerufen wurde. Für die Klägerin,

die als Nachbarin von den Schlägerungsarbeiten offenbar gar nicht

verständigt worden ist, ist dieser Anschein erst durch das

gegenständliche Schadensereignis widerlegt worden, sodass ihr eine

Unterlassungsklage faktisch nicht zur Verfügung gestanden ist. Wenn

man weiters berücksichtigt, dass durch die vom Beklagten zu seinem

Nutzen in Auftrag gegebenen winterlichen Schlägerungsarbeiten auf

einem sehr steilen Hanggrundstück eine besondere Gefahrensituation

geschaffen wurde und die Schäden infolge des nicht untypischen

Abrutschens von Baumstämmen für den Beklagten ein objektiv

kalkulierbares Risiko darstellten, ist auch im vorliegenden Fall eine

analoge Heranziehung des § 364a ABGB gerechtfertigt (vgl auch 5 Ob

3/99y). Durch das hier besonders stark hervortretende Element einer

besonderen Gefahrensituation unterscheidet sich nach Ansicht des

erkennenden Senates der gegenständliche Fall auch von den den

Entscheidungen 6 Ob 239/98k (= JBl 1999, 524 = RdU 1999/177

[Kerschner] = ecolex 1999, 238) und 6 Ob 2323/96b (= RdU 1998/91

[Kerschner] = JBl 1997, 521) zugrunde liegenden Sachverhalten (vgl

auch EvBl 1978/155).

Eine Haftung analog § 364a ABGB ist auch bei grob körperlichen Einwirkungen anzunehmen und auch das Haftungsprivileg des Waldeigentümers gemäß § 176 Abs 3 ForstG steht der Annahme einer nachbarrechtlichen Gefährdungshaftung nicht entgegen, weil es Ersatzansprüche nach allgemeinem Schadenersatzrecht betrifft (5 Ob 3/99y mwN; vgl auch Glosse von Oberhammer zu RdU 1999/178). Dass der Beklagte ein schädigendes Verhalten der von ihm beauftragten Forstarbeiter zu vertreten hat, ist nicht weiter strittig (vgl SZ 69/220 mwN; JBl 1992, 641 mwN ua).

Der Klägerin gebührt demnach in Analogie zu § 364a ABGB ein verschuldensunabhängiger Ausgleichsanspruch. Ihrer Revision war somit im Sinne der Fällung eines Zwischenurteils über den Grund des Anspruches Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 393 Abs 4 und § 52 Abs 2 ZPO.

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