OGH 5Ob71/17b

OGH5Ob71/17b23.5.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache der am 15. Jänner 1953 geborenen Irmgard J*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Sachwalters Dr. Josef Peißl, Rechtsanwalt, Judenburgerstraße 1, 8580 Köflach, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 8. März 2017, GZ 1 R 63/17t, 1 R 64/17i‑83, mit dem die Beschlüsse des Bezirksgerichts Voitsberg vom 27. Jänner 2017 abgeändert (GZ 13 P 43/15a-76) bzw bestätigt (GZ 13 P 43/15a‑77) wurden, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0050OB00071.17B.0523.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

Der Ehegatte der Betroffenen, Johann J*****, brachte im Juli 2015 gegen sie gestützt auf § 49 EheG zu 11 C 32/15x des Bezirksgerichts Voitsberg die Scheidungsklage ein. Bedenken des Scheidungsrichters im Sinn des § 6a ZPO führten zur Bestellung von Dr. Josef Peißl zum Sachwalter zur Besorgung aller Angelegenheiten für die Betroffene mit Beschluss des Erstgerichts vom 14. 4. 2016. Grund dafür war eine schwerwiegende, anhaltende und unbehandelte Psychose, die zu einem dramatischen Abbau der Denkleistungen, Verlust der Kritikfähigkeit und in weiten Lebensbereichen auch des Realitätsbezugs geführt hat.

Der Sachwalter beantragte die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der von ihm vorgelegten Scheidungsfolgenvereinbarung nach § 55a EheG in Bezug auf die Betroffene. Die Parteien seien anlässlich der Tagsatzung im Scheidungsverfahren am 25. 8. 2016 übereinkommen, die Ehe nach § 55a EheG scheiden zu wollen. Die in weiterer Folge ebenfalls begehrte pflegschaftsgerichtliche Genehmigung eines geplanten Mietvertrags ist nicht mehr Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens.

Das Erstgericht genehmigte die geplante Scheidungsfolgenvereinbarung, weil der vorgesehene wechselseitige Unterhaltsverzicht und die bedingte Verpflichtung der Betroffenen zur Leistung einer Ausgleichszahlung für die eheliche Liegenschaft deren Wohl nicht widerspreche.

Das Rekursgericht gab dem von der Betroffenen selbst dagegen erhobenen Rekurs Folge und wies den Antrag des Sachwalters auf pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der Scheidungsfolgenvereinbarung ab. Nach dem Geisteszustand der Betroffenen sei eine wirksame Ehescheidung im Einvernehmen rechtlich nicht möglich, weil eine Vertretung durch den Sachwalter bei der dazu erforderlichen höchstpersönlichen Willenserklärung ausgeschlossen sei. Der Betroffenen fehle die erforderliche natürliche Einsichts‑ und Urteilsfähigkeit. Der Entscheidungsgegenstand wurde mit 30.000 EUR übersteigend bewertet, der ordentliche Revisionsrekurs sei im Hinblick auf die eindeutige Rechtslage nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs des Sachwalters zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

1.1. Die Rechtsauffassung des Rekursgerichts, die Erklärung des Einvernehmens gemäß § 55a Abs 1 EheG sei die Ausübung eines höchstpersönlichen Rechts, wofür die natürliche Einsichts‑ und Urteilsfähigkeit des Ehegatten erforderlich sei, sodass bei Fehlen dieser Einsicht oder Verweigerung des Einvernehmens durch einen Ehegatten dieses weder durch einen Sachwalter noch durch das Pflegschaftsgericht ersetzt werden könne, kann sich auf völlig einheitliche höchstgerichtliche Rechtsprechung stützen (RIS‑Justiz RS0103635). Sie basiert auf der Grundsatzentscheidung 1 Ob 518/96 (= JBl 1996, 600 = SZ 69/75), die einen vergleichbaren Sachverhalt betraf. Dort sprach der Oberste Gerichtshof bereits aus, dass es durchaus sein könne, dass auch die Interessen eines Behinderten für die Auflösung der Ehe sprechen könnten und unter dieser Voraussetzung die Zulässigkeit der Einbringung eines Scheidungsbegehrens, das auf Verschulden eines Ehegatten gestützt sei, durch den Sachwalter aus dem allgemeinen Schutzprinzip des § 21 ABGB zu bejahen sein könnte. Bei einer Scheidung gemäß § 55a EheG sei es aber unabdingbare Voraussetzung, dass zwischen den Ehegatten das Einvernehmen über die Scheidung bestehe, sie sich also nicht kontradiktorisch gegenüberstehen, sondern in Übereinstimmung ihrer rechtlichen Interessen gemeinsam die Auflösung der Ehe anstreben. Ein derartiges Einvernehmen sei die Ausübung eines höchstpersönlichen Rechts, das schon begrifflich einer Vertretung nicht zugänglich sei. Eine analoge Anwendung der Grundsätze des § 3 Abs 1 EheG auf die Erklärung des Einvernehmens nach § 55a EheG hat der Oberste Gerichtshof somit bereits abgelehnt.

1.2. Diese Rechtsprechung wurde bis in jüngste Zeit in den in RIS‑Justiz RS0103635 indizierten Entscheidungen aufrechterhalten; auch die Entscheidung 5 Ob 94/05t (= JBl 2005, 781) hielt daran fest. Abgesehen davon, dass sie die Genehmigung einer Scheidungsklage nach § 55 EheG (und nicht eines Einvernehmens nach § 55a EheG) betraf und die im Revisionsrekurs zitierte Lehrmeinung von Dullinger (Zur Prozessfähigkeit Minderjähriger und geistig behinderter Personen, RZ 1989, 6) nur ganz allgemein erwägt, mangels eigener Handlungsfähigkeit des Schutzbefohlenen könne ein gesetzlicher Vertreter auch in höchstpersönlichen Bereichen einschreiten, wenn und soweit dies zur Wahrnehmung der Interessen des Handlungsfähigen erforderlich sei, ohne eine konkrete Aussage zum Einvernehmen nach § 55a EheG zu tätigen, ließ der Oberste Gerichtshof dort ausdrücklich dahingestellt, ob der Ansicht Dullingers generell zu folgen sei. Eine Abkehr von der völlig einheitlichen Rechtsprechung ist darin nicht zu erkennen.

1.3. Die Literatur vertritt im Übrigen dieselbe Auffassung wie die Rechtsprechung (Hopf/Kathrein, Eherecht3 § 55a EheG Rz 2/1; Weitzenböck in Schwimann/Kodek ABGB4 § 55a EheG Rz 4; Pierer, Grenzen der Vertretungsmacht des Sachwalters bei erb‑ und familienrechtlichen Rechtsgeschäften, EF‑Z 2013, 244 [246] Stabentheiner in Rummel 3 § 55a EheG Rz 6; Gitschthaler, Handlungsfähigkeit Minderjähriger und besachwalteter Personen, ÖJZ 2004, 121 [123]). Es ist daher davon auszugehen, dass das Rekursgericht im Sinne einer einheitlichen und von der Lehre anerkannten Rechtsprechung entschieden hat, weshalb die Zulässigkeit des Revisionsrekurses nur mit neuen bedeutsamen Argumenten begründet werden könnte (RIS‑Justiz RS0042405). Dies gelingt dem Revisionsrekurswerber hier nicht:

2.1. Richtig ist, dass eine Person, für die ein Sachwalter in allen Angelegenheiten bestellt ist, grundsätzlich mit Zustimmung des Sachwalters eine gültige Ehe schließen kann (Stabentheiner in Rummel 3 § 3 EheG Rz 1a; Koch in KBB5 § 3 EheG Rz 1). Allerdings stellt § 3 Abs 1 EheG auf die beschränkte (Ehe‑)Geschäftsfähigkeit ab. Unter beschränkt Geschäftsfähigen sind gemäß § 102 Abs 2 EheG Minderjährige über sieben Jahre und Personen zu verstehen, denen ein Sachwalter nach § 268 ABGB bestellt ist. Völlig ehegeschäftsunfähig sind aber gemäß § 102 Abs 1 EheG Kinder unter sieben Jahren und Personen über sieben Jahre, die den Gebrauch der Vernunft nicht haben. Diese Personen können gemäß § 2 EheG eine Ehe überhaupt nicht eingehen. Abzustellen ist darauf, ob jemand völlig unfähig ist, die Tragweite rechtsgeschäftlichen Handels einzusehen (Koch in KBB5 § 2 EheG Rz 1; Hopf/Kathrein, Eherecht3 § 2 EheG Rz 1). Ein gewisses Maß an Einsichts‑ und Urteilsfähigkeit ist daher jedenfalls auch für eine wirksame Erklärung, die Ehe schließen zu wollen Voraussetzung; ein völlig Ehegeschäftsunfähiger könnte die Ehe selbst dann nicht schließen, wenn sein Sachwalter dieser Eheschließung zustimmen würde. Ein Widerspruch zu § 3 EheG ist somit im Gegensatz zu den Revisionsrekursausführungen nicht zu erkennen; zu dieser Bestimmung hat der Oberste Gerichtshof im Übrigen bereits in seiner Leitentscheidung 1 Ob 518/96 gerade in einem vergleichbaren Fall bereits Stellung genommen. Der erkennende Senat sieht auch aufgrund der Revisionsrekursausführungen keinen Grund davon abzugehen, zumal der Oberste Gerichtshof in der zitierten Entscheidung auch bereits ausführlich zum Unterschied zwischen der Einbringung einer Scheidungsklage und dem zu erklärenden Einvernehmen iSd § 55a EheG Stellung nahm.

2.2. Auch die Änderung des § 97 EheG durch das FamRÄG 2009 BGBl I 2009/75 rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Einerseits waren Verträge zum Zweck der Aufteilung ehelicher Ersparnisse im Voraus in der Rechtsform des Notariatsakts auch bereits nach § 97 Abs 1 EheG idF vor FamRÄG 2009 BGBl I 2009/75 durchaus zulässig; das FamRÄG 2009 hat die rechtliche Möglichkeit der Vorwegvereinbarung lediglich erweitert und sich– hinsichtlich Vereinbarungen betreffend die Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens außer der Ehewohnung – mit der Schriftform anstelle der Notariatsaktsform begnügt (Gitschthaler, Die neuen Vorwegvereinbarungen nach dem FamRÄG 2009, EF‑Z 2010/5). Der im Revisionsrekurs angesprochene Widerspruch, die Betroffene könne durch ihren Sachwalter nach Erteilung einer pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung Vorausvereinbarungen gemäß § 97 EheG treffen, nicht aber eine Scheidungsvereinbarung nach § 55a EheG, wenn ihr die Einsichts‑ und Urteilsfähigkeit fehle, wäre daher bereits vor dem FamRÄG 2009 gegeben gewesen, liegt aber ohnedies nicht vor. Im hier zu beurteilenden Fall ist völlig unzweifelhaft, dass die zur Genehmigung vorgelegte Vereinbarung ausschließlich zum Zweck der Ermöglichung einer Ehescheidung nach § 55a EheG abgeschlossen werden soll und daher nur dann wirksam werden kann, wenn die Betroffene tatsächlich über eine ausreichende Einsichts‑ und Urteilsfähigkeit in Bezug auf das von ihr zu erklärende Einvernehmen zur Ehescheidung verfügt. Die vorgelegte Vereinbarung mag als solche im Zusammenhang mit dem Scheidungsverfahren nach § 97 Abs 5 EheG in Bezug auf die vorgeschlagene Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der Ersparnisse durchaus genehmigungsfähig sein, dies ist hier aber mangels eines darauf abzielenden Antrags nicht näher zu erörtern. Vertretungshandlungen des gesetzlichen Vertreters können in der vorgelegten Form nur genehmigt, nicht hingegen abgeändert werden (RIS‑Justiz RS0048113).

2.3. Dass die vom Rekursgericht vertretene Auffassung dazu führt, dass zum Zweck der Scheidung der streitige Rechtsweg beschritten werden muss, ist dann richtig, wenn es den Betroffenen tatsächlich an ausreichender Einsichts‑ und Urteilsfähigkeit fehlt. Dass eine einvernehmliche Scheidung rascher und kostengünstiger abgewickelt werden könnte als ein streitiges Scheidungs‑ und daran anschließendes Aufteilungsverfahren, liegt zwar auf der Hand. Diese rein prozessökonomischen Überlegungen rechtfertigen aber kein Abgehen von den in ständiger Rechtsprechung vertretenen Grundsätzen zur Höchstpersönlichkeit der Zustimmung zur einvernehmlichen Scheidung.

2.4. Wenn der Revisionsrekurswerber unter Hinweis auf eine Protokollabschrift aus dem Scheidungsverfahren damit argumentiert, die Betroffene wünsche ohnedies die Ehescheidung, ist ihm entgegenzuhalten, dass er selbst davon ausgeht, „naturgemäß könne die Betroffene aufgrund der unstrittig näher bestehenden psychischen Erkrankungen ohne Zustimmung des Sachwalters weder die Ehe eingehen noch eine solche beenden“. Die Beurteilung des Rekursgerichts, der Betroffenen selbst fehle die erforderliche Einsichts‑ und Urteilsfähigkeit aufgrund der im Detail festgestellten psychiatrischen Diagnosen, wird im Revisionsrekurs daher nicht nur nicht bezweifelt, sondern zugestanden. Damit kann aber eine allenfalls im Scheidungsverfahren nach Sachwalterbestellung abgegebene Erklärung der Betroffenen selbst nicht die nun vom Sachwalter unterstellte Bedeutung haben, zumal sich aus den Rekursausführungen der Betroffenen zu ergeben scheint, dass sie den Sinn der Scheidung nicht versteht (Rekurs Seite 2), bzw meint, ihre „einzige Eheverfehlung war, sich nicht lautstark zu wehren“ (Rekurs Seite 5). Die im Revisionsrekurs mehrfach angesprochene „unmissverständliche Zustimmung“ der Betroffenen zur einvernehmlichen Scheidung und der vorgelegten Scheidungsfolgenvereinbarung ist daher zumindest zweifelhaft.

3. Der außerordentliche Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen.

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