European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0050OB00024.24A.0312.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der Kläger suchte am 25. 4. 2018 aufgrund einer Überweisung seiner Hausärztin ein Röntgeninstitut auf, deren Betreiberin nunmehr die Beklagte als Gesamtrechtsnachfolgerin ist, um dort eine Ultraschalluntersuchung wegen des Verdachts eines Muskelrisses oder Muskelfaserrisses unter der rechten Achsel durchführen zu lassen. Die dort tätige Fachärztin befundete die Geschwulst unter der rechten Achsel des Klägers als gutartiges Lipom. Der Kläger vertraute zunächst dieser Auskunft.
[2] In den nächsten Monaten vergrößerte sich die Geschwulst, was den Kläger zu weiteren Untersuchungen veranlasste. Nach Durchführung einer MRT‑Untersuchung und einer Biopsie erhielt der Kläger am 23. 8. 2018 die Diagnose, dass es sich bei der Geschwulst um ein bösartiges Hodgkin‑Lymphom handelt.
[3] In einem gegen seine Hausärztin wegen eines vermuteten Behandlungsfehlers geführten Gerichtsverfahren gab der dort bestellte Sachverständige in der Verhandlung vom 9. 6. 2021 zu Protokoll, dass die bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten hergestellten Sonographiebilder nicht nach einem Lipom aussehen würden.
[4] Erstmals am 3. 9. 2021 übermittelte der Kläger ein Anspruchsschreiben an die Beklagte wegen des behaupteten Diagnosefehlers vom 25. 4. 2018. Deren Haftpflichtversicherung antwortete mit E‑Mail vom 9. 9. 2021 und gab zur Abklärung der Haftungsfrage ein radiologisches Sachverständigengutachten in Auftrag, das am 29. 12. 2021 vorlag. Vergleichsgespräche fanden jedenfalls noch bis 21. 7. 2022 statt.
[5] Mit seiner am 30. 8. 2022 eingebrachten Klage begehrte der Kläger aus dem Titel des Schadenersatzes 29.500 EUR sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche künftigen kausalen Schäden aus dem Diagnosefehler vom 25. 4. 2018.
[6] Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung des Erstgerichts, mit der es die Klage wegen Verjährung abgewiesen hatte, ab und stellte mit Zwischenurteil fest, dass die Klageforderung nicht verjährt sei.
Rechtliche Beurteilung
[7] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten, die keine Rechtsfragen von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen kann.
[8] 1. Nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre beginnt die Verjährungsfrist des § 1489 Satz 1 ABGB zu laufen, wenn dem Geschädigten der Sachverhalt so weit bekannt ist, dass er mit Aussicht auf Erfolg klagen kann, also in der Lage ist, das zur Begründung seines Ersatzanspruchs erforderliche Sachvorbringen konkret zu erstatten (RS0034524).
[9] 2. Die Kenntnis gemäß § 1489 ABGB muss den ganzen anspruchsbegründenden Sachverhalt umfassen, insbesondere auch die Kenntnis des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Schaden und einem bestimmten, dem Schädiger anzulastenden Verhalten, in Fällen der Verschuldenshaftung daher auch jene Umstände, aus denen sich das Verschulden des Schädigers ergibt (RS0034374 [T1]; RS0034951 [T2, T5, T7]). Wann eine ausreichende Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen anzunehmen ist, hängt stets von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab (RS0034524 [T23, T41]).
[10] 3. Die Beklagte zieht die auf § 58a ÄrzteG gestützte Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht in Zweifel, dass wegen der Bereitschaft der (vormaligen) Haftpflichtversicherung zu einer außergerichtlichen Regelung mit 9. 9. 2021 eine Fristhemmung eingetreten sei (und damit Ansprüche des Klägers nicht verjährt seien). Sie wendet sich ausschließlich gegen dessen Ansicht, dass eine Verjährung nicht bereits vor dem 9. 9. 2021 eintreten habe können. Damit kann sie keine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts aufzeigen.
[11] 3.1. Richtig ist, dass sich der Geschädigte nicht einfach passiv verhalten und es darauf ankommen lassen darf, dass er von der Person des Ersatzpflichtigen oder von den genauen Umständen einer Ersatzpflicht zufällig Kenntnis erhält. Wenn er die für die erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen kann, gilt die Kenntnisnahme schon als in dem Zeitpunkt erlangt, in welchem sie ihm bei angemessener Erkundigung zuteil geworden wäre (RS0034327).
[12] 3.2. Es mag zutreffen, dass sich aus dem von der (seinerzeitigen) Haftpflichversicherung der Beklagten eingeholten Sachverständigengutachten ergibt, dass beim Kläger bereits zur Zeit der Untersuchung am 25. 4. 2018 eine Symptomatik vorgelegen habe, die auf ein Hodgkin‑Lymphom schließen ließ. Die Erkenntnisse aus der mit 29. 12. 2021 vorliegenden gutachterlichen Stellungnahme geben aber keinen Aufschluss darüber, ob für den Kläger eine Klageführung (früher) objektiv möglich gewesen wäre.
[13] 3.3. Ein objektiver Anhaltspunkt und damit ausreichende Kenntnis der maßgeblichen Sachzusammenhänge kann auch nicht allein aus der zeitlichen Nähe der Diagnose vom 23. 8. 2018 zur Befundung im Institut der Beklagten im April 2018 abgeleitet werden. Soweit die Beklagte vertritt, dass der Kläger bereits aus diesem zeitlichen Zusammenhang auf eine Fehldiagnose der im Institut der Rechtsvorgängerin der Beklagten tätigen Fachärztin schließen hätte müssen, übergeht sie, dass nach der Rechtsprechung – ist der Geschädigte (wie hier) Laie und setzt die Kenntnis des Kausalzusammenhangs sowie bei verschuldensabhängiger Haftung die Kenntnis der Umstände, die das Verschulden begründen, Fachwissen voraus – die Verjährungsfrist regelmäßig erst zu laufen beginnt, wenn er durch ein Sachverständigengutachten Einblick in die Zusammenhänge erlangt hat (RS0034603 [T2, T23]; vgl auch RS0113727). Bloße Mutmaßungen über die für den Kausalzusammenhang und das Verschulden maßgeblichen Umstände genügen nicht (RS0034603 [T26]).
[14] 3.4. Der Kläger leitet seinen Anspruch aus einem Diagnosefehler der bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten tätig gewesenen Fachärztin ab. Warum es daher unerheblich sein soll, ab „welchem Zeitpunkt es für den Kläger bei objektiver Betrachtung möglich gewesen wäre, zu beurteilen, inwieweit dieser Fachärztin die (mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmende – so die Beklagte) Unrichtigkeit der im Befund vom 25. 4. 2018 angeführten Einschätzung, es handle sich um ein gutartiges Lipom, zum Vorwurf gemacht werden kann“, wie die Beklagte geltend macht, ist nicht nachvollziehbar. Diese mögliche Anspruchsgrundlage ergab sich nach den Feststellungen für den Kläger erst aus den Ausführungen des Sachverständigen in der Tagsatzung vom 9. 6. 2021 im Vorprozess. Bis zu diesem Zeitpunkt war er erkennbar von einer Fehlbeurteilung seiner Hausärztin überzeugt, sodass für ihn auch kein Anlass bestand, Nachforschungen über die (Un)Richtigkeit der Befundung vom 25. 4. 2018 anzustrengen. Inwieweit ein Telefonat mit seiner Hausärztin darüber Aufklärung bringen hätte sollen, ist nicht zu erkennen. Mit ihrem Hinweis, dass dem Kläger nach Erhalt der Diagnose vom 23. 8. 2018 zumindest bewusst sein hätte müssen, dass die zuvor betrauten Ärzte angesichts des „unsicheren“ Sonographie‑Befunds vom 25. 4. 2018 verpflichtet gewesen wären, weitere (radiologische) Untersuchungen zu veranlassen, spricht die Beklagte bloß mögliche Schlussfolgerungen aus den zeitlichen Abläufen und damit reine Mutmaßungen an. Damit kann sie keine Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht aufzeigen.
[15] 3.5. Wie bereits dargestellt, stützt der Kläger seine Ansprüche auf die seiner Ansicht nach fehlerhafte Diagnose vom 25. 4. 2018. Auch die Beklagte geht insoweit von einer möglichen Haftungsgrundlage aus. Damit kann es für die hier zu beurteilende Verjährungsfrage aber dahin stehen, ob der bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten tätig gewesenen Fachärztin (als Folge einer möglichen Fehldiagnose) darüber hinaus (selbständig) zum Vorwurf gemacht werden kann, dass sie weder weitere radiologische Untersuchungen veranlasste, noch die Hausärztin des Klägers über die Notwendigkeit solcher Schritte informierte. Feststellungsmängel liegen entgegen der Ansicht der Beklagten nicht vor.
[16] 4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
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