European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E124135
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung:
Der Rechtsvorgänger des Klägers vermietete dem Beklagten am 14. Juli 2006 das Lager im ersten Stock des Gebäudes S* zu geschäftlichen Zwecken. Zwischen den Parteien ist strittig, ob für dieses Bestandverhältnis die Voraussetzungen des Vollausnahmetatbestands nach § 1 Abs 2 Z 5 MRG vorliegen.
Das Erstgericht bejahte den Ausnahmetatbestand und erklärte die Aufkündigung des Klägers für rechtswirksam.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die ordentliche Revision nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision des Beklagten zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.
1. Die behauptete Nichtigkeit wegen Gehörverletzung aufgrund der Ablehnung der beantragten Wiedereröffnung der Verhandlung könnte nur dann eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO begründen, wenn sie tatsächlich vorläge (RIS‑Justiz RS0043067 [T2]; 5 Ob 11/17d), was nicht der Fall ist. Das Erstgericht hat dem Beklagten die Möglichkeit eingeräumt, zu den iSd § 193 Abs 3 ZPO nachträglich vorgelegten Urkunden (Grundbuchsauszug und Baurechtsvertrag) Stellung zu nehmen, er hat sich dazu auch geäußert und beide Vorinstanzen gingen auf seine Argumente ein. Der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO wäre nur im Fall eines ungesetzlichen Vorgangs gegeben, der einer Partei die Möglichkeit nimmt, vor Gericht zu verhandeln (RIS‑Justiz RS0042202). Ein solcher ist nicht zu erkennen, zumal die Parteien kein Recht auf Wiedereröffnung einer gemäß § 193 Abs 3 ZPO geschlossenen Verhandlung haben (RIS‑Justiz RS0036979) und die Vorinstanzen das Vorbringen des Beklagten zu den nachträglich vorgelegten Urkunden ohnedies inhaltlich behandelten.
2. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft, sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Ob die Voraussetzungen für eine Wiedereröffnung vorlagen, betrifft nur eine allfällige Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz (vgl RIS‑Justiz RS0036916), die das Berufungsgericht verneinte. Im Revisionsverfahren kann der Beklagte diesen Mangel des Verfahrens erster Instanz nicht neuerlich geltend machen (RIS‑Justiz RS0042963).
3.1. Gemäß § 1 Abs 2 Z 5 MRG sind vom Anwendungsbereich des Mietrechtsgesetzes Mietgegenstände in einem Gebäude mit nicht mehr als zwei selbständigen Wohnungen oder Geschäftsräumlichkeiten ausgenommen (Ein‑ und Zweifamilienhäuser); nachträglich neu geschaffene Dachbodenausbauten sind nicht zu zählen (8 Ob 116/17t = immolex 2018/11 [Pfiel]). Die Beurteilungskriterien für Ein- und Zweifamilienhäuser sind in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs seit langem geklärt und die Vorinstanzen wichen hievon nicht ab, sodass eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht vorliegt. Abzustellen ist auf die Anzahl der selbständig vermietbaren Objekte (RIS‑Justiz RS0127181) zum Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrags (RIS‑Justiz RS0079363; RS0112564). Sowohl für Wohnungen als auch Geschäftsräume kommt es auf die Zahl getrennt zugänglicher (abgeschlossener) Raumeinheiten an, die selbständig vermietbar sind, wobei typische Nebenräume eines Hauses oder eines Bestandobjekts wie Abstellräume, Kellerräume oder Garagen nicht zu berücksichtigen sind, es sei denn, der Charakter als Nebenraum wäre durch tatsächliche Vermietung aufgehoben worden. Abzustellen ist auf den objektiv baulichen Zustand im Zeitpunkt der Vermietung nach Maßgabe der Verkehrsauffassung (8 Ob 116/17t mwN). Es handelt sich typischerweise um eine von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls abhängige Frage (RIS‑Justiz RS0079853 [T3]). Eine auch im Einzelfall korrekturbedürftige Fehlbeurteilung vermag die Revision nicht aufzuzeigen.
3.2. Die beiden im Erdgeschoss nordseitig gelegenen Räume sind zwar durch den Lieferanteneingang direkt erreichbar, allerdings durch Türen mit den übrigen Erdgeschossräumlichkeiten verbunden. Einer der Räume dient als Zugangsraum zur Lagerhalle und bei Mietvertragsabschluss (14. Juli 2006) waren sämtliche Erdgeschossräumlichkeiten einheitlich einer Mieterin zu Geschäftszwecken in Bestand gegeben. Die in der Revision angesprochene fiktive separate Vermietbarkeit dieser Räume würde nach den Feststellungen bauliche Adaptierungen und besondere Zugangsvereinbarungen der Mieter erfordern. Darin keinen baulich abgeschlossenen Teil eines Gebäudes zu sehen, der selbständig vermietbar wäre, hält sich im Rahmen der zitierten Rechtsprechung und bedarf daher keiner Korrektur durch das Höchstgericht.
4.1. Wegen der im MRG üblichen Gleichsetzung von Haus und Liegenschaft sind zwar grundsätzlich bei der Beurteilung nach § 1 Abs 2 Z 5 MRG alle vermieteten Teile eines Grundbuchkörpers in die Beurteilung einzubeziehen. Die Judikatur macht aber dann eine Ausnahme, wenn es unbillig wäre, mehrere selbständige Gebäude als Einheit zu betrachten (RIS‑Justiz RS0079849). Ein derartiger Ausnahmefall wurde etwa angenommen, wenn auf einer sonst der Landwirtschaft dienenden Liegenschaft neben dem Wohngebäude des Betriebsinhabers und Wirtschaftsgebäuden ein davon abgesondertes Wohnhaus vorhanden ist (5 Ob 141/95). Ob es unbillig wäre, mehrere selbständige Gebäude als Einheit zu betrachten, hängt davon ab, ob tatsächlich und wirtschaftlich von einander getrennte selbständige Objekte bzw Häuser vorliegen und jedes für sich allein eine wirtschaftlich selbständige Einheit bildet. Eines der Kriterien, die für die Einheitlichkeit sprechen, ist das Vorhandensein gemeinsamer Versorgungseinrichtungen, daneben spielen aber auch Alter der Gebäude, bauliche Trennung, Erhaltungszustand, aber auch unterschiedliche Verwendung einerseits zu Wohnzwecken, anderseits zu betrieblichen Zwecken eine entscheidende Rolle (5 Ob 163/09w = wobl 2010/137; 5 Ob 141/95). Auch hier ist die Verkehrsauffassung entscheidend. Dass bei verschiedenen Problemlagen verschiedene Kriterien zur Unterscheidung herangezogen werden, bedeutet nicht, dass stets alle vorliegen müssen (RIS‑Justiz RS0069823 [T6, T9]), es handelt sich um eine typische Einzelfallbeurteilung (10 Ob 14/16f = immolex 2016/90 [Cerha]).
4.2. Die Auffassung des Berufungsgerichts, aufgrund der völligen Eigenständigkeit des Gebäudes S* liege ein Ausnahmefall vor, der es zulasse, dass dieses Gebäude im Zusammenhang mit der Beurteilung der Anwendbarkeit des MRG losgelöst von den übrigen damals noch zur Grundbuchseinlage zählenden Grundstücken und Gebäuden zu betrachten sei, widerspricht bisheriger Rechtsprechung nicht. Der ehemals auf dem Grundbuchskörper betriebene geschlossene Hof ist bereits seit den 70er‑Jahren stillgelegt und die Gebäude auf den Grundstücken dieser Liegenschaft werden seitdem unterschiedlich verwendet. Während das Gebäude mit dem Bestandobjekt des Beklagten zu Geschäftszwecken verwendet wird, dienen die Gebäude auf den anderen Grundstücken – die sich im Übrigen jenseits der öffentlichen Straße befinden – ausschließlich Wohnzwecken. Ein bei Vermietung noch vorhandener ehemaliger Schweinestall ist mittlerweile abgerissen. Das Gebäude S* weist selbständige Versorgungsleitungen auf und die nur aus historischen Gründen noch gegebene Verbindung der ehemals zum geschlossenen Hof gehörenden Grundstücke in einer einheitlichen Einlagezahl, die den faktischen Gegebenheiten schon seit den 70er‑Jahren nicht mehr entsprach, wurde mittlerweile auch rechtlich durch Abschreibung des Grundstücks mit dem Bestandobjekt des Beklagten aufgehoben. Dass eine Ausnahme von der Anknüpfung an den Grundbuchskörper aus Billigkeitsgründen nur für einen „kleinen Vermieter“ eines Wohnhauses, das für eine enge familiäre Einheit geschaffen wurde, gemacht werden könnte, ist der bisherigen Rechtsprechung nicht zu entnehmen. So hielt es der Senat zu 5 Ob 163/09w (wobl 2010/137) für nicht korrekturbedürftig, von zwei selbständigen Gebäuden auszugehen, wenn sich auf der Liegenschaft einerseits ein im Jahr 1908 errichtetes gemauertes mehrstöckiges Wohnhaus, andererseits ein in den 90er‑Jahren in Holzbauweise errichtetes einstöckiges Objekt befand, in dem der dortige Antragsteller einen Gastgewerbebetrieb führte (sogar ungeachtet der gemeinsamen Strom‑, Gas‑ und sonstigen Energieversorgung). Auf die in der Revision genannten Kriterien des kleinen Vermieters und der familiären Einheit wurde dort bei vergleichbarem Sachverhalt nicht abgestellt.
5. Mangels erheblicher Rechtsfrage war die außerordentliche Revision somit zurückzuweisen, einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
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