OGH 10Ob14/16f

OGH10Ob14/16f13.4.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm, die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. P*****, vertreten durch Mag. Gerald Steiner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei M*****, vertreten durch Dr. Klaus Dörnhöfer ua, Rechtsanwälte in Eisenstadt, wegen Räumung, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Berufungsgericht vom 26. Jänner 2016, GZ 13 R 141/15f‑13, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Neusiedl am See vom 8. Juni 2015, GZ 6 C 31/15t‑9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0100OB00014.16F.0413.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die beklagte Gesellschaft war Mieterin eines Geschäftslokals, das im Erdgeschoss eines im Alleineigentum der Klägerin stehenden ehemaligen Bauernhauses liegt. Das Gebäude war von den Rechtsvorgängern der Klägerin (deren Eltern) Mitte der 70‑iger Jahre erworben worden. Es umfasst einen Trakt links und einen Trakt rechts der Einfahrt mit jeweils zwei gassenseitig gelegenen Fenstern sowie längsseitig an der linken Grundstücksgrenze angeordnete Räume. An der rechten Grundstücksgrenze befinden sich Nebengebäude; hinter einer (versperrten) Tür liegt ein etwa 15 m2 bis 20 m2 großer, niedriger Abstellraum. Zwischen den Trakten liegt ein Innenhof. Am rückwärtigen Ende des Hofs ‑ abgetrennt durch eine Mauer (mit Tür) ‑ steht eine sich über die gesamte Breite der Liegenschaft erstreckende Halle (Scheune). Die Halle ragt noch 5 m weit in die Nachbarliegenschaft hinein. Auf der Nachbarliegenschaft befindet sich das Haus der Großeltern der Klägerin, das von den Großeltern, den Eltern und auch der Klägerin selbst bewohnt wurde. Die Halle war ursprünglich nicht vorhanden, sondern wurde erst von den Eltern der Klägerin nach dem Ankauf der Liegenschaft errichtet und wird von den Eltern bzw Großeltern der Klägerin zum Abstellen von landwirtschaftlichen Maschinen und Fahrzeugen verwendet. Das Hallentor befindet sich auf Höhe der Bestandliegenschaft. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrags im Jahr 2004 waren noch zwei Geschäftslokale (eines im linken und eines im rechten Trakt) vorhanden. Nach Umbau‑ und Renovierungsarbeiten betrieb die beklagte Gesellschaft dort eine Vinothek. Gegenstand des Mietvertrags war neben dem Gebäude auch der Hof, nicht aber der Abstellraum und die Halle (Scheune).

Die Klägerin begehrt die Räumung des Bestandobjekts. Nach Auslaufen auch der zuletzt nur mündlich vereinbarten Verlängerung der Mietvertragsdauer benutze die Beklagte das Bestandobjekt titellos.

Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren mit der Begründung statt, das Objekt unterliege zufolge § 1 Abs 2 Z 5 MRG nicht den Bestimmungen des MRG. Obwohl die zuletzt vorgenommene Befristung nicht schriftlich fixiert worden sei, sei sie außerhalb des Anwendungsbereichs des MRG gültig. Die Vorinstanzen gingen ‑ bezogen auf den Abschluss des Mietvertrags ‑ von zwei selbständig vermietbaren Geschäftslokalen aus. Der Abstellraum und die Halle seien aufgrund der spezifischen Gegebenheiten des vorliegenden Falls bei der Ermittlung der Anzahl der selbständig vermietbaren Wohnungs‑ oder Geschäftsräume nicht mitzuzählen.

Rechtliche Beurteilung

In ihrer außerordentlichen Revision zeigt die Beklagte keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung auf:

1.1 Nach § 1 Abs 2 Z 5 MRG sind vom Anwendungsbereich des MRG Mietgegenstände in einem Gebäude mit nicht mehr als zwei selbständigen Wohnungen oder Geschäftsräumlichkeiten ausgenommen; nachträgliche neu geschaffene Dachbodenausbauten sind nicht zu zählen („Ein‑ und Zweifamilienhäuser“).

1.2 Für die Ausnahmeschädlichkeit zusätzlicher Räume kommt es in der Regel auf deren selbständige Vermietbarkeit an. Eine Ausnahme davon ist nur für Räume zu machen, die ‑ obwohl sie abgesondert vermietbar wären ‑ üblicherweise zu einem Einfamilienhaus oder Zweifamilienhaus gehören, wie etwa Abstellräume, Garagen etc) oder Bestandteil eines Wohnungsverbands sind. Dies findet seinen Grund darin, dass dadurch der Charakter eines Ein- oder Zweifamilienhauses nicht verloren geht, auch wenn diese Räume selbständig zugänglich sind und daher selbständig vermietbar wären. Zu beurteilen ist dabei der tatsächliche Zustand im Zeitpunkt des Mietvertragsabschlusses (RIS‑Justiz RS0112564). Die Frage ob ein „Gebäude mit nicht mehr als zwei selbständigen Wohnungen oder Geschäftsräumlichkeiten“ vorliegt, entscheidet letztlich die Verkehrsauffassung (RIS‑Justiz RS0079853).

1.3 War im maßgeblichen Zeitpunkt der Vermietung ein selbständig vermietbarer Raum tatsächlich genutzt oder vermietet, geht die Verkehrsauffassung dahin, dass damit die Zugehörigkeit dieser Räume zu einer anderen Wohnung oder einem anderen Geschäftslokal aufgehoben wurde (5 Ob 68/00m = RIS‑Justiz RS0112564 [T3, T14]). Bei einer selbständigen Vermietung von Nebenräumen greift die Vermutung der Zugehörigkeit zu einem anderen Mietobjekt aber nicht (RIS‑Justiz RS0112564 [T7]), sondern ist stets auf die Besonderheiten des Einzelfalls abzustellen. Daher kann es gerechtfertigt sein, die Eigennutzung des Vermieters einer Vermietung gleichzustellen; dies ist aber keineswegs zwingend (5 Ob 76/03t = RIS‑Justiz RS0112564 [T12]).

1.4 Von diesen Grundsätzen weicht die Rechtsansicht der Vorinstanzen nicht ab, die von der Nachbarliegenschaft nach Herstellung eines Mauerdurchbruchs erfolgte Nutzung des Abstellraums durch die Klägerin bzw deren Angehörige (Eltern, Großeltern) stehe der Erfüllung des Ausnahmetatbestands des § 1 Abs 2 Z 5 MRG nicht entgegen. Die von den Vorinstanzen vertretene Ansicht, nach der Verkehrsauffassung sprächen die baulichen Gegebenheiten dagegen, die Eigennutzung des Vermieters bzw dessen Angehöriger einer selbständigen Vermietung an Dritte gleichzustellen, ist jedenfalls vertretbar. Wie die Vorinstanzen ausführten, wäre der Abstellraum von der Bestandliegenschaft aus nur durch den (mitvermieteten) Hof und von der Nachbarliegenschaft aus nur nach Durchquerung eines Vor‑ und eines Waschraums zugänglich gewesen.

2. Auch die Frage, ob die erst von den Eltern der Klägerin errichtete Halle (Scheune) bei der Ermittlung der Anzahl der selbstständig vermietbaren Wohn‑ oder Geschäftsräume mitzuzählen ist, lässt sich an Hand der bisher zu § 1 Abs 4 Z 2 MRG aF und § 1 Abs 2 Z 5 MRG ergangenen Rechtsprechung lösen. Es kommt darauf an, ob tatsächlich und wirtschaftlich voneinander getrennte selbständige Objekte bzw Häuser vorliegen und jedes für sich allein als wirtschaftlich selbständige Einheit zu betrachten ist (RIS‑Justiz RS0069823 [T7]). Dies ist letztlich nach der Verkehrsauffassung zu beurteilen (RIS‑Justiz RS0079850 [T6, T7]; RS0069823 [T4]). Das Vorhandensein gemeinsamer Versorgungseinrichtungen ist eines der Kriterien für die Einheitlichkeit, daneben spielen aber auch, das unterschiedliche Alter der Gebäude, die bauliche Trennung, der Erhaltungszustand und auch die unterschiedliche Verwendung eine entscheidende Rolle. Dass bei verschiedenen Problemlagen verschiedene Kriterien zur Unterscheidung herangezogen werden, bedeutet nicht, dass stets alle vorliegen müssen (RIS‑Justiz RS0069823 [T7, T9]); es kommt jeweils auf die Umstände des Einzelfalls an.

Nach den im vorliegenden Fall getroffenen Feststellungen sprechen eindeutig mehr Kriterien gegen eine wirtschaftliche Einheit. Im Vordergrund steht insbesondere der Umstand der erst nachträglichen Errichtung, die bauliche Trennung vom Hof durch eine Mauer, die unterschiedliche Verwendung einerseits zur Vermietung als Geschäftsraum und andererseits zu landwirtschaftlichen Zwecken (für die Bewohner des Nachbarhauses) sowie die eigene, nicht durch den Hof führende Zufahrt. Dass die Halle von der Bestandliegenschaft aus „wirtschaftlich versorgt“ wird, ist nicht festgestellt. Auf die in der außerordentlichen Revision als erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO erachtete Rechtsfrage, ob die Halle (Scheune) bei der Ermittlung der Anzahl der selbstständig vermietbaren Wohn‑ oder Geschäftsräume (allein schon) aus dem Grund nicht mitzuzählen wäre, weil sie über die Liegenschaftsgrenze hinweg 5 m weit in die Nachbarliegenschaft hineinragt, muss somit nicht mehr eingegangen werden.

Mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO war die Revision der Beklagten daher zurückzuweisen.

Stichworte