OGH 5Ob195/17p

OGH5Ob195/17p13.3.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragstellerin I* H*, vertreten durch Dr. Bertram Broesigke, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Antragsgegner 1. A* S*, 2. Dr. M* S*, 3. F* H*, 4. P* L*, 5. Dr. P* L*, beide vertreten durch die Dr. Peter Lösch Rechtsanwalt GmbH in Wien, 6. Mag. S* S*, 7. DI D* M*, 8. Dr. M* L*, 9. MMag. E* H*, 10. W* H*, 11. B* H*, 12. A* W*, 13. M* W*, 14. H* W*, 15. Dr. R* K*, 16. C* Z*, 17. E* H*, 18. DI M* E*, 19. E* E*, 20. J* R*, 21. I* R*, 22. Mag. D* Z*, 23. Dr. K* S*, 24. W* K*, 25. E* F*, 26. R* F*, wegen § 52 Abs 1 Z 3 iVm § 30 Abs 1 Z 1 WEG, über den Revisionsrekurs der Viertantragsgegnerin und des Fünftantragsgegners gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 5. Juli 2017, GZ 39 R 46/17d-37, mit dem der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Hietzing vom 9. Dezember 2016, GZ 9 Msch 35/15y-32, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E121378

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die Viertantragsgegnerin und der Fünftantragsgegner sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Antragstellerin deren mit 460,40 EUR (darin enthalten 76,73 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Antragstellerin und die Antragsgegner sind die Mit- und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft. Gegenstand dieses Verfahrens ist der auf § 30 Abs 1 Z 1 WEG gestützte Antrag auf Sanierung des Abfallstrangs, der den übereinander angeordneten WC-Anlagen mehrerer Wohnungseigentumsobjekte, insbesondere auch der WC‑Anlage in der Wohnung der Antragstellerin dient.

Das Erstgericht gab dem Antrag statt und sprach aus, dass durch die Eigentümergemeinschaft eine Sanierung des Abfallstrangs binnen 3 Monaten ab Rechtskraft dermaßen stattzufinden habe, dass es bei Benützung der Sanitäreinrichtungen bzw der Waschmaschine in den oberhalb der Wohnung der Antragstellerin befindlichen Wohnungen zu keinen Einspülungen im WC der Antragstellerin komme. Die WC-Einmündung (der WC-Anschluss) der Wohnung der Antragstellerin sei in den Ablaufstrang, der sich im Kellerabteil der Erst- und Zweitantragsgegner befinde, zu versetzen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Viertantragsgegnerin und des Fünftantragsgegners – nach Beweiswiederholung und -ergänzung – nicht Folge. Es bestätigte den Sachbeschluss des Erstgerichts mit der Maßgabe, dass die Eigentümergemeinschaft – dem neu gefassten Spruch entsprechend – die WC-Anlage der Antragstellerin durch Versetzen eines Teils des ursprünglichen Abfallstrangs wie aus einer einen Bestandteil des Sachbeschlusses bildenden Skizze ersichtlich binnen 3 Monaten ab Rechtskraft des Sachbeschlusses sanieren lassen werde. Da die im Inneren der Mauern verlaufenden Leitungen nicht zum Wohnungseigentumsobjekt gehörten, die Sanierung solcher Leitungen daher gemäß § 28 Abs 1 WEG der Eigentümergemeinschaft obliege, diese jedoch untätig geblieben sei, habe die Antragstellerin zu Recht von ihrem in § 30 Abs 1 Z 1 WEG geregelten Minderheitsrecht Gebrauch gemacht. Die für dessen Durchsetzbarkeit geforderte Dringlichkeit der Erhaltungsarbeit ergebe sich aus der Unzumutbarkeit für die Antragstellerin noch weiter zuzuwarten. Wenn es – wie hier festgestellt – bei Betätigung der WC-Spülung in der oberhalb gelegenen Wohnung zu Rückspülungen von durch Fäkalien verfärbtem Abwasser komme, was teilweise mit einer Geruchsbelästigung verbunden sei, könne von einer bloß minimalen Einschränkung der Funktionsfähigkeit keine Rede sein. Derartige unappetitliche Auswirkungen eines Mangels bedürften vielmehr der ehestbaldigen Beseitigung. Die Antragstellerin müsse dabei nicht die von den Rekurswerbern bevorzugte Variante der Mängelbehebung durch Austausch des bestehenden Hänge-WCs gegen ein Stand-WC hinnehmen, nur weil diese möglichen Varianten kostengünstiger seien als die bei Belassung des Hänge-WCs erforderliche Versetzung des Abfallstrangs. Der Austausch des Hänge-WCs gegen ein Stand-WC sei der Antragstellerin nicht zumutbar, auch wenn sie bei Errichtung des Gebäudes eine Sonderausstattung gewählt hätte. Zudem führten die zusätzlich zum Austausch notwendigen baulichen Maßnahmen zu einer nicht zumutbaren optischen und tatsächlichen Beeinträchtigung. Gleiches gelte für das Höhersetzen des vorhandenen Hänge-WCs, weil in diesem Fall eine normale Benützung nicht mehr möglich wäre.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei, weil keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob einem Wohnungseigentümer, der sein Minderheitsrecht nach § 30 Abs 1 Z 1 WEG geltend mache, eine Sanierungsvariante in seinem Wohnungseigentumsobjekt aufgezwungen werden könne, die zu einer Beeinträchtigung führe und ein Abgehenmüssen von einer ihm bei Errichtung des Wohnungseigentumsobjekts zur Wahl gestandenen Ausführungsvariante bedeute.

Mit ihrem Revisionsrekurs machen die Viertantragsgegnerin und der Fünftantragsgegner eine unrichtige rechtliche Beurteilung geltend. Sie beantragen, die Entscheidung des Rekursgerichts abzuändern und den Antrag abzuweisen. Hilfsweise stellen sie einen Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag.

Die Antragstellerin beantragt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen, in eventu diesem keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts (§ 52 Abs 2 WEG iVm § 37 Abs 3 Z 16 MRG und § 71 Abs 1 AußStrG) – nicht zulässig.

1.1. Nach § 28 Abs 1 Z 1 WEG gehört die Erhaltung der allgemeinen Teile der Liegenschaft iSd § 3 MRG, einschließlich baulicher Veränderungen, die über den Erhaltungszweck nicht hinausgehen, zur ordentlichen Verwaltung. Zweckmäßige und wirtschaftlich gebotene Erneuerungsarbeiten gehören auch dann noch zur Erhaltung bestehender Anlagen, wenn es sich um die erstmalige Herstellung eines mängelfreien Zustands handelt, es dabei zu einer vollständigen Erneuerung kommt und/oder dabei Veränderungen vorgenommen werden, die gegenüber dem vorigen Zustand als „Verbesserungen“ anzusehen sind (RIS‑Justiz RS0114109; RS0083121). Voraussetzung für die Qualifikation als Erhaltungsarbeit ist jedoch eine Reparaturbedürftigkeit, Schadensgeneigtheit oder Funktionseinschränkung (RIS-Justiz RS0116998; RS0069944 [T11]).

1.2. Nach § 30 Abs 1 Z 1 WEG kann jeder Wohnungseigentümer die Entscheidung des Gerichts unter anderem darüber verlangen, dass Arbeiten iSd § 28 Abs 1 Z 1 WEG durchgeführt werden. Voraussetzung für die Anrufung des Gerichts ist also die Untätigkeit der Mehrheit oder des Verwalters, entweder durch die Unterlassung einer Beschlussfassung oder die Ablehnung einer Erhaltungsarbeit (5 Ob 107/16w; 5 Ob 225/15x; 5 Ob 212/13g mwN; vgl auch RIS-Justiz RS0116139). Ein wesentliches Kriterium für die Durchsetzbarkeit der von einem Wohnungseigentümer nach § 30 Abs 1 Z 1 WEG begehrten Erhaltungsmaßnahmen ist deren Dringlichkeit; überdies ist auf wirtschaftliche Aspekte, wie Kostenaufwand und Finanzierbarkeit, Bedacht zu nehmen (RIS-Justiz RS0123169 [T1, T4, T5]; RS0116139; RS0083121).

2.1. Die Qualifikation der Sanierung des nach den Feststellungen nur eingeschränkt funktionstauglichen, den WC-Anlagen mehrerer Wohnungseigentumsobjekte dienenden Abfallstrangs als Maßnahme der Erhaltung eines allgemeinen Teils der Liegenschaft ist im Revisionsverfahren ebenso wenig strittig wie deren Dringlichkeit.

2.2. An der daraus folgenden Erhaltungspflicht der Eigentümergemeinschaft nach § 28 Abs 1 Z 1 WEG ändert auch der Umstand nichts, dass die konkrete Ausführung des WCs im Wohnungseigentumsobjekt der Antragstellerin (als Hänge-WC) nicht der Standardausstattung entspricht, sondern auf einem Sonderwunsch beruht. Ein solcher bei der Errichtung des Objekts ausgeführter Sonderwunsch ist nach der Rechtsprechung kein gesetzlich vorgesehener Grund, der die Erhaltungspflicht der Eigentümergemeinschaft nach § 28 Abs 1 Z 1 WEG einschränkt (5 Ob 230/13d [Heizungspumpe für Fußbodenheizung] immolex 2014, 190 [krit Prader] = wobl 2014, 278/104 [Vonkilch]). Dies steht im Einklang damit, dass die allgemeine Regel des § 28 Abs 1 Z 1 WEG auch für die Erhaltung eines geänderten Wohnungseigentumsobjekts gilt, selbst wenn die Änderung nur einem einzigen Wohnungseigentümer zugute gekommen ist (RIS-Justiz RS0116332 [T2, T5]).

2.3. Entgegen der Auffassung der Revisionsrekurswerber sind auch allfällige im Zusammenhang mit der Ausführung von solchen Sonderwünschen getroffenen allgemeinen Vereinbarungen zwischen dem Wohnungseigentumsorganisator und/oder den Wohnungseigentümern, die (nur) die interne Kostentragung der Wohnungseigentümer betreffen, schon inhaltlich kein nach § 30 Abs 1 Z 1 WEG (iVm § 28 Abs 1 Z 1 WEG) maßgebliches Entscheidungskriterium und daher für die Beurteilung eines auf der genannten Gesetzesstelle beruhenden Antrags eines Wohnungseigentümers nicht relevant (5 Ob 212/13g; RIS‑Justiz RS0129473).

3.1. Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Erhaltungsarbeit über Antrag eines Wohnungseigentümers iSd § 30 Abs 1 Z 1 WEG aufzutragen ist, ist dem Gericht ein gewisser Beurteilungsspielraum eingeräumt (RIS-Justiz RS0083121 [T9]; RS0123169 [T2]; RS0116139 [T4]). Diesen Ermessensspielraum hat das Rekursgericht auch in Bezug auf die Konkretisierung der Sanierungsmaßnahmen nicht verlassen.

3.2. Die Entscheidung des Gerichts im Verfahren nach § 30 Abs 1 WEG ist rechtsgestaltend. Sie ersetzt den von der Eigentümergemeinschaft abgelehnten oder versäumten Mehrheitsbeschluss. Die Durchführung von Erhaltungsarbeiten bleibt dabei in der Kompetenz der Eigentümergemeinschaft. Der diese vertretende Verwalter ist an die Entscheidung, die Erhaltungsarbeiten durchzuführen, gebunden (RIS-Justiz RS0123170). Bei der Entscheidung nach § 30 Abs 1 Z 1 WEG ist demnach (auch) auf die Durchführbarkeit der Erhaltungsmaßnahme Bedacht zu nehmen.

3.3. Nach § 16 Abs 3 zweiter Satz WEG trifft den Wohnungseigentümer in Zusammenhang mit der Erhaltung allgemeiner Teile der Liegenschaft und der Behebung von ernsten Schäden des Hauses zwar eine Duldungspflicht gegenüber der Eigentümergemeinschaft (vgl RIS-Justiz RS0125904). Der Wohnungseigentümer hat das Betreten und die Benützung des Wohnungseigentumsobjekts zu gestatten, soweit dies zur Erhaltung der allgemeinen Teile der Liegenschaft und der Behebung ernster Schäden des Hauses erforderlich ist. Diese Duldungspflicht umfasst auch die (dauernde) Veränderung des Wohnungseigentumsobjekts (Prader/Malaun, Zur Duldungspflicht und zum vermögensrechtlichen Nachteil des § 16 Abs 3 WEG, immolex 2009, 330 [331 f]; Vonkilch in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht – WEG4 § 16 WEG Rz 64; ders,Anmerkung zu 5 Ob 16/05x, wobl 2006, 212/93). Jedenfalls ist aber im Einzelfall zu prüfen, ob ein derartiger Eingriff in die Rechte des Wohnungseigentümers auch wirklich erforderlich ist. Wenn mehrere Sanierungsmaßnahmen zur Wahl stehen, muss der Wohnungseigentümer eine Form der Sanierung, die der Eigentümergemeinschaft zwar vielleicht Kosten erspart, ihn aber übermäßig beeinträchtigen würde, nicht dulden. Sind zeit- und/oder kostspieligere Maßnahmen möglich, ist die Umsetzung einer derartigen Maßnahme bei der anzustellenden umfassenden Interessenabwägung eben gerade nicht erforderlich (Vonkilch aaO § 16 WEG Rz 63; Prader/Malaun, immolex 2009, 330 [332]).

3.4. Vor diesem Hintergrund vertrat das Rekursgericht die Auffassung, dass die Antragstellerin die nach seinen ergänzenden Feststellungen in Betracht kommende (mit ca 2.500 EUR statt ca 6.200 EUR) kostengünstigere Sanierungsvariante nicht zu dulden habe, weil sie gegenüber der (vom Sachverständigen als optimale Lösung bezeichneten) Sanierung durch Versetzung des Abfallstrangs zu einem unzumutbaren Eingriff in das Nutzungsrecht der Antragstellerin führte. Bei der von den Revisionsrekurswerbern bevorzugten Variante müsste nämlich das bestehende Hänge‑WC durch ein Stand-WC ersetzt und außerhalb der Wand ein Bogen gesetzt werden. Den damit verbundenen optischen und tatsächlichen Beeinträchtigungen maß es dabei (implizit) entscheidend mehr Gewicht bei, als jenen, die mit der Versetzung des Ablaufstrangs im Kellerabteil der Erst- und Zweitantragsgegner verbunden sind. Diese auf den konkreten Umständen des Einzelfalls beruhende Beurteilung ist jedenfalls vertretbar.

4.1. (Auch) Der Einwand der mangelnden Bestimmtheit des Spruchs der Entscheidung des Rekursgerichts ist nicht stichhältig.

4.2. Die rechtsgestaltende Entscheidung des Gerichts im Verfahren nach § 30 Abs 1 Z 1 iVm § 52 Abs 1 Z 3 WEG enthält keinen Leistungsbefehl und ist nicht vollstreckbar; sie ersetzt vielmehr den von der Eigentümergemeinschaft abgelehnten oder versäumten Mehrheitsbeschluss (RIS-Justiz RS0123170). In einem Grundsatzbeschluss der Eigentümergemeinschaft ist die Festlegung der Details der Ausführung nicht erforderlich, wenn – wie im vorliegenden Fall – die möglichen Varianten aus technischen Gründen ohnehin begrenzt und überdies nur von Fachleuten beurteilbar sind (5 Ob 42/09a). Ungeachtet dessen ist die Erhaltungsmaßnahme durch die Bezugnahme auf eine Skizze des Sachverständigen im Spruch der angefochtenen Entscheidung und den diese konkretisierenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen (vgl RIS‑Justiz RS0000300; RS0000296; RS0000234) ohnedies hinreichend deutlich definiert.

5.1. Der Revisionsrekurs ist daher wegen Fehlens der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG (iVm § 52 Abs 2 WEG, § 37 Abs 3 Z 16 MRG) unzulässig und zurückzuweisen.

5.2. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 2 WEG iVm § 37 Abs 3 Z 17 MRG. Die Antragstellerin hat in der Revisionsrekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hingewiesen, weshalb ein Kostenzuspruch der Billigkeit entspricht. Der Streitgenossenzuschlag beträgt allerdings nur 10 %, weil der Antragstellerin im Revisionsrekursverfahren nur mehr die Viertantragsgegnerin und der Fünftantragsgegner gegenüber standen.

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