OGH 5Ob174/21f

OGH5Ob174/21f4.11.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Dr. Erich Kafka, Dr. Manfred Palkovits, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei H*, vertreten durch Winkler Reich‑Rohrwig Illedits Wieger Rechtsanwaltspartnerschaft in Wien, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 30. Juni 2021, GZ 39 R 115/21g‑21, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0050OB00174.21F.1104.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Das Erstgericht hob die auf die Kündigungsgründe des dringenden Eigenbedarfs und des unleidlichen Verhaltens gestützte Aufkündigung auf und wies das Räumungsbegehren ab. Den Eigenbedarf der beiden Töchter des Klägers habe er selbst verschuldet. Dass der Beklagte den Kläger im Zug eines Streits ohne Verletzungsabsicht an den Schultern gepackt, gerüttelt und als Lügner bezeichnet habe, sei ein einmaliger Vorfall gewesen, der eine Kündigung wegen unleidlichen Verhaltens nicht rechtfertige.

[2] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig.

[3] Die dagegen erhobene außerordentliche Revision des Klägers zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

Rechtliche Beurteilung

[4] 1.1. Nach ständiger Rechtsprechung kommt eine Eigenbedarfskündigung dann nicht in Betracht, wenn zwar ein Eigenbedarf des Vermieters objektiv besteht, dieser jedoch durch zumutbare Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten hätte verhindert werden können (RIS‑Justiz RS0107875, RS0070602). Bei Selbstverschulden kann Eigenbedarf daher nicht als Kündigungsgrund geltend gemacht werden (RS0068225; 5 Ob 83/07b mwN). Dies ist dann anzunehmen, wenn der Vermieter schuldhaft eine Sachlage herbeiführt, die ihn zwingt, zur Deckung seines Eigenbedarfs zur Kündigung zu schreiten, sei es, dass er den Eigenbedarf durch positives Tun hervorruft, sei es, dass er eine Gelegenheit versäumt, den Eigenbedarf auf andere Weise als durch Kündigung zu befriedigen. Für die Annahme selbstverschuldeten Eigenbedarfs genügt es, dass dieser vorhersehbar war (RS0070602). Die Frage, ob der Eigenbedarf des Vermieters selbst verschuldet war, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Eine solche Beurteilung wirft abgesehen von einer – hier nicht vorliegenden – korrekturbedürftigen Fehlbeurteilung im Regelfall keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf (4 Ob 224/18x).

[5] 1.2. Die Vorinstanzen gingen von der Vorhersehbarkeit eines Wohnbedarfs der 1994 und 1996 geborenen Töchter des Klägers aus, als er die bereits mehr als ein Jahr leerstehende Wohnung im Gartenhaus der Liegenschaft unbefristet vermietete. Nicht die Tatsache der Vermietung an sich, sondern dass der Kläger es unterließ eine zulässige Befristung zu vereinbaren, haben sie ihm als Verletzung der zumutbaren Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten vorgeworfen. Dagegen führt er in der Revision allgemein ins Treffen, Eltern könne nicht zugemutet werden, jederzeit Wohnraum für ihre Kinder bereit zu halten. Damit geht er aber nicht konkret auf die Beurteilung des Berufungsgerichts ein, bei der unbefristeten Vermietung seien die Töchter bereits in einem Alter gewesen, in dem mit einem baldigen Ausziehen aus dem elterlichen Haushalt nach allgemeiner Erfahrung selbst dann zu rechnen sei, wenn ihre künftigen beruflichen Pläne noch nicht abgeschätzt werden können. Zum Kern des Vorwurfs an den Kläger, er hätte seiner Schwägerin in einer schwierigen Situation auch dadurch beistehen können, dass er ihr die Wohnung im Gartenhaus befristet vermietet, enthält die außerordentliche Revision keine Ausführungen.

[6] 1.3. Ein Verschulden wäre zu verneinen, wenn der Bedarf erst nach Vermietung einer Wohnung entstanden ist. Die Behauptungs- und Beweislast für das Verschulden trifft den Mieter (RS0067961, RS0070596). Dies ändert aber nichts daran, dass die Vorhersehbarkeit von Eigenbedarf für die Annahme selbstverschuldeten Eigenbedarfs ausreicht (RS0070602). Die vom Revisionswerber zitierte Entscheidung 8 Ob 581/91, von der das Berufungsgericht abgewichen sein soll, betraf einen anderen Sachverhalt, weil der Eigenbedarf der Tochter dort krankheitsbedingt erst nach der Vermietung entstanden war. Mit dieser Entscheidung hat sich das Berufungsgericht im Übrigen detailliert auseinandergesetzt und ausführlich begründet, weshalb es den Sachverhalt als nicht vergleichbar ansah. Dazu lässt die Revision nähere Ausführungen vermissen.

[7] 1.4. Bei der jüngeren Tochter wäre dringender Eigenbedarf schon deshalb zu verneinen, weil sie diese im Fall der erfolgreichen Aufkündigung die Wohnung gar nicht selbst nutzen, sondern ihrer älteren Schwester überlassen würde.

[8] 1.5. Da es erst dann, wenn der Eigenbedarf und seine Dringlichkeit bejaht werden könnten, zur Interessensabwägung zu kommen hätte (RS0068279), ist auf die diesbezüglichen Ausführungen der Revision nicht näher einzugehen. Die Auffassung der Vorinstanzen, hier sei aufgrund der unbefristeten Vermietung im Jahr 2013 von einer schuldhaften Herbeiführung des Eigenbedarfs des Klägers auszugehen, bedarf keiner Korrektur im Einzelfall.

[9] 2.1. Eine Kündigung wegen unleidlichen Verhaltens nach § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG setzt eine Störung des friedlichen Zusammenlebens voraus, die durch längere Zeit fortgesetzt wird oder sich in häufigen Wiederholungen äußert und überdies nach ihrer Art das bei den besonderen Verhältnissen des einzelnen Falls erfahrungsgemäß geduldete Ausmaß übersteigt (RS0070303; RS0067678; RS0070437). Einmalige Vorfälle können diesen Kündigungsgrund dann verwirklichen, wenn sie schwerwiegend sind (RS0070303). Abzustellen ist auf das Gesamtverhalten des Mieters (vgl RS0070321). Der Frage, ob ein bestimmtes Verhalten des Mieters oder seiner Mitbewohner als unleidlich zu qualifizieren ist, kommt regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zu, weil es sich um eine Abwägung der Umstände im Einzelfall handelt (RS0042984). Dies ist daher – vom hier nicht gegebenen Fall einer korrekturbedürftigen Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts abgesehen – nicht revisibel.

[10] 2.2. Hier hat sich ein freundschaftliches, nahezu familiäres Verhältnis der Streitteile und ihrer Angehörigen immer weiter abgekühlt, wobei es in vielen kleinen Streitpunkten (wie dem Blumengießen, dem Heckenschneiden, dem Grüßen, dem Offenhalten der Kellertür) fallweise zu verbalen Auseinandersetzungen kam, die die zuvor angenehme Grundstimmung im Haus verschlechtert haben. Darin im Sinn der Rechtsprechung (noch) nicht ein rücksichtsloses, anstößiges oder sonst grob ungehöriges Verhalten des Mieters und seiner Angehörigen zu sehen, verlässt den den Vorinstanzen zukommenden Ermessensspielraum nicht und ist daher nicht korrekturbedürftig (vgl RS0067693). Dies gilt auch für den Umstand, dass die Vorinstanzen die einmalige Entgleisung des Beklagten, als er den Kläger im Zug einer verbalen Auseinandersetzung an den Schultern nahm, ihn rüttelte und Schimpfworte ausstieß, nicht als so schwerwiegend werteten, dass er die Kündigung nach § 30 Abs 2 Z 3 MRG rechtfertigen könnte, zumal sich dieser Vorfall bereits im August 2018 ereignete und nicht wiederholte.

[11] 2.3. Die in der Revision behaupteten „zahlreichen Animositäten“ zwischen den Familien wurden nicht festgestellt. Dass eine soziale Verbindung zwischen den Familien nicht mehr besteht, mag sein, ist zwischen Vermietern und Mietern aber auch nicht die Norm. Eine stetige Anspannung des Klägers und seiner Familie ist den Feststellungen ebenso wenig zu entnehmen wie der Umstand, dass die Bewohner konkret befürchten müssten, vom Beklagten im Keller eingesperrt zu werden. Warum aus dem Umstand, dass die Gattin des Beklagten im Zug des Streits im August 2018 ihre eigenen (!) Blumentöpfe weggeworfen hat, auf ihren impulsiven und unkontrollierten Charakter geschlossen werden sollte, ist nicht nachvollziehbar.

[12] 2.4. Zu den behaupteten sekundären Feststellungsmängeln wies schon das Berufungsgericht darauf hin, dass sie Vorfälle betreffen, die der Kläger in der Kündigung nicht geltend gemacht hat, weshalb ihrer Berücksichtigung die im Kündigungsverfahren geltende Eventualmaxime entgegensteht. Dazu enthält die Revision keine Ausführungen.

[13] 2.5. Auch die Verneinung des Kündigungsgrundes des unleidlichen Verhaltens nach § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall ABGB durch die Vorinstanzen ist daher keine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung.

[14] 3. Die außerordentliche Revision war somit zurückzuweisen, ohne dass dieser Beschluss einer weiteren Begründung bedürfte (§ 510 Abs 3 ZPO).

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