OGH 5Ob126/20w

OGH5Ob126/20w2.9.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann, die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragsteller 1. D*, 2. Mag. F*, 3. B*, alle vertreten durch Dr. Wolfgang Wiedner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Antragsgegnerin V*, vertreten durch Mag. Klemens Mayer, Mag. Stefan Herrmann, Rechtsanwälte in Wien, wegen § 9 Abs 2 iVm § 37 Abs 1 Z 6 MRG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 1. April 2020, GZ 39 R 54/20k-12, mit dem der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Josefstadt vom 22. Jänner 2020, GZ 5 MSch 36/19v-7, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 24. Jänner 2020, GZ 5 MSch 36/19v-8, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E129491

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Sachbeschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens sowie neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Die Antragsteller sind Eigentümer einer Liegenschaft mit einem mehrgeschossigen Wohnhaus. Die Antragsgegnerin ist Mieterin einer in diesem Haus gelegenen Wohnung.

Die Antragsteller als Vermieter dieser Wohnung begehren von der Antragsgegnerin den Rückbauvon Veränderungen der Wohnung, durch die unter anderem im Vorraum ein Windfang abgetrennt, ein Büroraum neu geschaffen, dort eine Decke abgehängt und ein Heizkörper verkleidet, sowie ein Türdurchbruch erweitert und Durchreichen hergestellt worden waren. Die Antragsgegnerin habe die Veränderungen ohne Zustimmung der Antragsteller durchgeführt. Ihr Antrag, die Zustimmung der Vermieter zur Vornahme dieser Veränderungen zu ersetzen, sei mit der im Verfahren zu AZ 5 MSch 40/12x des Erstgerichts ergangenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 5 Ob 57/14i rechtskräftig abgewiesen worden. Zu AZ 6 MSch 6/15h des Erstgerichts habe die Antragsgegnerin begehrt, auszusprechen, dass für die von ihr in der gemieteten Wohnung durchgeführten Arbeiten keine Einwilligung der Vermieter erforderlich sei, in eventu, dass die Einwilligung hiezu ersetzt werde. Diesen Antrag habe das Erstgericht wegen entschiedener Rechtssache rechtskräftig zurückgewiesen. Dennoch habe die Antragstellerin die vorgenommenen Veränderungen nicht rückgebaut.

Die Antragsgegnerin bestritt die Zulässigkeit des außerstreitigen Rechtswegs und brachte vor, dass die Antragsteller mit zivilrechtlich bindender Vereinbarung den Umbauarbeiten zugestimmt hätten, es lägen sämtliche Voraussetzungen für die Ersetzung der Zustimmung des Vermieters nach § 9 MRG vor.

Das Erstgericht verpflichtete die Antragsgegnerin zum Rückbau der von ihr vorgenommenen Veränderungen und zur Wiederherstellung des vorigen Zustands der Wohnung. Ansprüche des Vermieters auf Unterlassung von Veränderungen oder auf Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands, wenn der Mieter genehmigungspflichtige Veränderungen bereits vorgenommen habe, seien im mietrechtlichen Außerstreitverfahren geltend zu machen. Die Veränderungen seien unstrittig bereits vorgenommen worden, der Antrag auf Ersatz der Zustimmung der Vermieter sei rechtskräftig abgewiesen und ein zweiter darauf gerichteter Antrag rechtskräftig zurückgewiesen worden. Die Antragsgegnerin sei daher zur Entfernung der Veränderungen binnen sechs Monaten verpflichtet.

Das Rekusgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts und bejahte wie dieses die Zulässigkeit des außerstreitigen Rechtswegs. Das Begehren der Antragsteller betreffe unstrittig genau jene Veränderungen, die Gegenstand der beiden Vorverfahren gewesen seien. Dem im Vorverfahren ergangenen abweisenden Sachbeschluss komme materielle Rechtskraft zu. Lediglich bei nachträglichen Änderungen des rechtserzeugenden Sachverhalts halte die materielle Rechtskraft nicht Stand. Tatsachen, die in dem für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt bereits entstanden, aber nicht vorgebrachtworden seien, durchbrechen die Rechtskraft demgegenüber nicht. Über das Begehren, die Zustimmung der Vermieter und nunmehrigen Antragsteller zu den durchgeführten Umbauarbeiten zu ersetzen, sei rechtskräftig abgesprochen worden. Der Mieter, der sich über die gesetzlichen Vorgaben für eine an sich zulässige Veränderung des Mietobjekts hinwegsetze und sie eigenmächtig vornehme, sei nicht schutzwürdig und habe daher grundsätzlich den früheren Zustand wiederherzustellen.

Aufgrund der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 5 Ob 57/14i stehe rechtskräftig fest, dass die Zustimmung der Antragsteller zu den hier gegenständlichen Arbeiten nicht ersetzt werde. Damit stehe als Vorfrage bindend fest, dass die Veränderungen durch die Antragsgegnerin eigenmächtig erfolgt seien. Dass nachträglich eine Vereinbarung zwischen den Mietvertragsparteien getroffen worden sei, behaupte die Antragsgegnerin gar nicht; der Behauptung, dass sieaufgrund einer Vereinbarung, die bei Anmietung der Wohnung abgeschlossen worden sei, berechtigt sei, Umbauten vorzunehmen, stehe die bindende Entscheidung im Vorverfahren entgegen. Ausgehend davon habe das Erstgericht zu Recht keine Beweise zu dieser Frage aufgenommen. Eine neuerliche Prüfung der Verkehrsüblichkeit und des wichtigen Interesses könne auf diesem Weg ebenfalls nicht erreicht werden.

Der dagegen erhobene, von den Antragstellern beantwortete außerordentliche Revisionsrekurs der Antragsgegnerin ist zulässig, weil die Beurteilung des Rekursgerichts zu korrigieren ist; er ist im Sinn des auf Aufhebung gerichteten Eventualbegehrens auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Die Vorinstanzen haben die Zulässigkeit des außerstreitigen Rechtswegs in den Entscheidungsgründen übereinstimmend – und damit für den Obersten Gerichtshof bindend – bejaht (RIS-Justiz RS0114196). Darauf ist nicht mehr einzugehen.

2. Im Verfahren AZ 5 MSch 40/12x des Erstgerichts wurde das Begehren der Mieterin und nunmehrigen Antragsgegnerin, die Zustimmung der Vermieter und nunmehrigen Antragsteller zur Vornahme von Veränderungen, die sie bereits durchführen hatte lassen, zu ersetzen, rechtskräftig abgewiesen, weil sie die Verkehrsüblichkeit der von ihr durchgeführten baulichen Maßnahmen nicht einmal behauptet und damit das Vorliegen der positiven Voraussetzungen des § 9 Abs 1 Z 2 MRG nicht erwiesen hatte (5 Ob 57/14y). Dieselben Arbeiten waren Gegenstand des von ihr zu AZ 6 MSch 6/15h eingeleiteten Verfahrens, das ebenfalls auf die Ersetzung der Zustimmung der Vermieter abzielte; ihr Antrag wurde rechtskräftig zurückgewiesen, weil eine nachträgliche Änderung des rechtserzeugenden Sachverhalts, dessen Prüfung die Rechtskraft der Vorentscheidung nicht entgegenstünde, nicht behauptet worden war (5 Ob 47/17y).

3.1 Die Antragstellerin bestreitet in ihrem Rechtsmittel nicht, dass die Änderungen am Bestandobjekt, deren Beseitigung die Vermieter von ihr nunmehr begehren, bereits Gegenstand der Vorverfahren waren. Die Ansicht des Rekursgerichts, es stehe rechtskräftig fest, dass die von ihr vorgenommenen Umbauten eigenmächtig erfolgt seien, sei jedoch unzutreffend, weil in den Vorverfahren über die Frage der Verkehrsüblichkeit der von ihr durchgeführten Arbeiten nicht abgesprochen und auch ihr wichtiges Interesse daran (im Sinn des § 9 Abs 1 Z 2 MRG) nicht geprüft worden sei.

3.2 Im Verfahren außer Streitsachen ergangene Entscheidungen sind der materiellen Rechtskraft teilhaftig und entfalten daher die aus dieser folgende Einmaligkeits- und Bindungswirkung (RS0007171 [T13]). Liegt bereits eine rechtskräftige Entscheidung vor, so kann über dieselbe Sache zwischen denselben Parteien nicht mehr entschieden werden (RS0007477 [T3]; 5 Ob 47/17y).

3.3 Die materielle Rechtskraft äußert sich als zur Zurückweisung des später gestellten Antrags führende Einmaligkeitswirkung aber nur dann, wenn und insoweit die Begehren deckungsgleich (ident) sind (RS0007201 [T2]), wobei der Verfahrensgegenstand (der Rechtsgrund) durch den Entscheidungsantrag (Sachantrag) und die zu seiner Begründung erforderlichen, vorgebrachten Tatsachen (Sachverhalt) bestimmt wird (RS0039255; RS0039347).

3.4 Soweit Ansprüche geltend gemacht werden, die zwar selbst nicht mit den bereits entschiedenen Begehren ident sind, aber die Entscheidung darüber vom Inhalt der rechtskräftigen Vorentscheidung logisch abhängt, bleibt kein Raum für die Einmaligkeitswirkung und die der Rechtskraft innewohnende Bindungswirkung kommt zum Tragen (6 Ob 3/19p; Klicka in Fasching/Konecny 3 § 411 Rz 16 mwN). Diese schließt die Verhandlung, Beweisaufnahme und neuerliche Prüfung des rechtskräftig entschiedenen Anspruchs- bzw Rechtsverhältnisses aus, nicht aber die Verhandlung und Entscheidung über das neue Klagebegehren. Der zweite Richter hat vielmehr von dem rechtskräftig festgestellten Anspruch bzw Rechtsverhältnis auszugehen und ohne weiteres seiner neuen Entscheidung zugrundezulegen (1 Ob 113/13v; 7 Ob 115/07y; Klicka aaO Rz 16).

4.1 Das Begehren der Antragsteller ist auf Entfernung derjenigen Umbauten gerichtet, die die Antragsgegnerin zum Gegenstand der Vorverfahren gemacht hatte und hinsichtlich der ihr Begehren, die Zustimmung der Vermieter zu ersetzen, ab- bzw zurückgewiesen wurde. Damit steht das von der Antragsgegnerin noch im Revisionsrekursverfahren verfolgte Ziel, die Voraussetzungen des § 9 Abs 1 MRG neuerlich zu ihren Gunsten zu prüfen, in einem Unvereinbarkeitsverhältnis, weil der rechtskräftig entschiedene Anspruch in diesem Umfang eine Vorfrage für das nunmehr über Antrag der Vermieter eingeleitete Verfahren bildet. Insoweit greift zwar nicht die Einmaligkeitswirkung, wohl aber die Bindungswirkung der materiellen Rechtskraft ein (6 Ob 3/19p; Klicka aaO Rz 50), sodass die Vorinstanzen die Frage der Verkehrsüblichkeit und des wichtigen Interesses an der Durchführung der Arbeiten im Sinn des § 9 Abs 1 MRG entgegen der Ansicht der Revisionswerberin zu Recht nicht neuerlich geprüft haben und von einer Bindung an die im Verfahren AZ 5 MSch 40/12x des Erstgerichts ergangene Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 5 Ob 57/14y ausgegangen sind.

5.1 Die Antragsgegnerin hat sich im Verfahren erster Instanz aber auch darauf berufen, dass zwischen den Streitteilen eine zivilrechtlich bindende Vereinbarung bestehe, die sie berechtige, Umbauten in der Wohnung vorzunehmen, weil die Wohnung in einem unbewohnbaren Zustand angemietet worden sei. Danach soll ihrerlaubt gewesen sein, Umbauarbeiten nach ihrem persönlichen Geschmack und den persönlichen Erfordernissen durchzuführen. Die Vorinstanzen haben sich mit diesem Vorbringen unter Berufung auf die Bindungswirkung der Entscheidung im Vorverfahren AZ 5 MSch 40/12x des Erstgerichts nicht auseinandergesetzt. Tatsachen, die in dem für die Entscheidung (des Vorverfahrens) maßgeblichen Zeitpunkt bereits entstanden gewesen, aber nicht vorgebracht worden seien, könnten die Rechtskraft nicht durchbrechen. Dies ist unzutreffend, sodass die Antragsgegnerin im Ergebnis berechtigt eine sekundäre Mangelhaftigkeit des Verfahrens aufzeigt.

5.2 Ansprüche des Mieters gemäß § 9 MRG auf Duldung von Veränderungen des Mietgegenstands oder Abgabe von Erklärungen in diesem Zusammenhang sind gemäß § 37 Abs 1 Z 6 MRG ebenso in das Verfahren außer Streit verwiesen, wie die Geltendmachung der korrespondierenden Ansprüche des Vermieters auf Unterlassung der Veränderung oder Wiederherstellung des früheren Zustands (6 Ob 229/11m; Würth/Zingher/Kovanyi, Miet- und Wohnrecht23 § 37 MRG Rz 15; T. Klicka in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht³ § 37 MRG Rz 31; Kulhanek in Böhm/Pletzer/Spruzina/Stabentheiner, GeKo Wohnrecht I § 37 MRG Rz 44 je mwN).

5.3 Demgegenüber lösen Ansprüche aus konkret bindenden Absprachen über die in § 9 MRG angeführten Rechte und Pflichten die Zulässigkeit des Rechtswegs aus, wenn sie nicht ohnedies den im Gesetz genormten Inhalt eines jeden Mietvertrags entsprechen (RS0114143 [T3]). Kann sich der Anspruchsberechtigte sowohl auf eine Vereinbarung als auch auf das Gesetz stützen, muss er sich bei der Wahl der Verfahrensart entscheiden, woraus er sein Begehren ableiten will (4 Ob 322/98a; KlickaaaO § 37 MRG Rz 17; Würth/Zingher/Kovanyi aaO § 37 MRG Rz 5; KulhanekaaO § 37 MRG Rz 10).

5.4 Die Mieterin als Antragstellerin hat sich im Verfahren AZ 5 MSch 40/12x des Erstgerichts auf den ihr gesetzlich zustehenden Anspruch auf Duldung der von ihr bereits durchgeführten Veränderungen (vgl dazu RS0069681) durch die Vermieter berufen und die Abgabe von Erklärungen in diesem Zusammenhang begehrt. Gegenstand dieses Verfahrens war ausschließlich die Frage, ob die Vermieter und nunmehrigen Antragsteller den (bereits erfolgten) wesentlichen Veränderungen zustimmen müssen und damit die Prüfung der in § 9 Abs 1 Z 1 bis 7 MRG geregelten (positiven und negativen) Voraussetzungen, bei deren Vorliegen es einem Vermieter verwehrt ist, seine Zustimmung zu verweigern. Die von der Antragsgegnerin im nunmehrigen Verfahren behauptete Vereinbarung geht über den gesetzlichen Duldungsanspruch des § 9 MRG hinaus. Daraus abgeleitete Ansprüche sind auf den streitigen Rechtsweg verwiesen und hätten in dem von der Antragsgegnerin gemäß § 9 iVm § 37 Abs 1 Z 6 MRG eingeleiteten Verfahren daher auch nicht auf ihre Richtigkeit geprüft werden können. Ihrer Behauptung, sie sei aufgrund einer zivilrechtlich bindenden Vereinbarung zur Veränderung des Mietgegenstands berechtigt gewesen, kann damit entgegen der Ansicht der Vorinstanzen die der Rechtskraft der Entscheidung aus dem Vorverfahren AZ 5 MSch 40/12x innewohnende Bindungswirkung nicht entgegengehalten werden.

6.1 Vorfragen muss der Außerstreitrichter auch dann selbst prüfen, wenn sie als selbständiger Antragsgegenstand im Streitverfahren zu behandeln wären (siehe nur RS0131141 [T2]; RS0114595 [T2]; Klicka aaO § 37 MRG Rz 11; Würth/Zingher/Kovanyi aaO § 37 MRG Rz 4; KulhanekaaO § 37 MRG Rz 9).

6.2 Ob die Antragsgegnerin als Mieterin aufgrund einer bindenden Vereinbarung berechtigt war, wie sie behauptet und dazu auch Beweise anbot, die Wohnung nach ihren Vorstellungen umzubauen, ist als Vorfrage im vorliegenden Verfahren zu prüfen, weil davon die Berechtigung des von den Vermietern erhobenen Beseitigungsbegehrens abhängt. Da darüber noch nicht bindend abgesprochen wurde, haben die Vorinstanzen ein Beweisverfahren über diese Frage zu Unrecht abgelehnt.

7. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind daher aufzuheben; die Sache ist an das Erstgericht zurückzuverweisen, das Beweise über die von der Antragsgegnerin behauptete Vereinbarung aufzunehmen haben wird.

8. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 37 Abs 3 Z 17 MRG. Die danach gebotenen Billigkeitserwägungen können erst in dem die Sache erledigenden Sachbeschluss angestellt werden (RS0123011 [T1]).

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