OGH 4Ob88/07f

OGH4Ob88/07f22.5.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Hana P*****, vertreten durch Dr. Gerald Perl, Rechtsanwalt in Gänserndorf, als Verfahrenshelfer, gegen die beklagte Partei und Gegner der gefährdeten Partei Thomas P*****, wegen einstweiligen Unterhalts gem § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom 18. Jänner 2007, GZ 20 R 3/07t-27, mit dem der Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Gänserndorf vom 11. November 2006, GZ 555 C 56/06b-12, [nunmehr GZ 3 C 94/06g-12] zurückgewiesen wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird in seinem Ausspruch über die Zurückweisung des Rekurses der klagenden und gefährdeten Partei aufgehoben und dem Rekursgericht in diesem Umfang die Sachentscheidung über das Rechtsmittel unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Rekurskosten sind weitere Kosten des Rechtsmittelverfahrens.

Text

Begründung

In Verbindung mit ihrer Klage auf Ehescheidung begehrt die Klägerin die Zuerkennung eines Geldunterhalts von monatlich 850 EUR „ab der rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens". An einstweiligem Unterhalt gemäß § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO beantragte sie gleichfalls 850 EUR monatlich ab 1. 8. 2006. Ferner begehrte sie die Bewilligung der Verfahrenshilfe auch unter Beigebung eines Rechtsanwalts als Verfahrenshelfer.

Der Beklagte beantragte u. a. die Abweisung des Sicherungsantrags. Das Erstgericht gab dem Antrag der Klägerin auf Bewilligung der Verfahrenshilfe unter Beigebung eines Rechtsanwalts als Verfahrenshelfer mit Beschluss vom 31. 7. 2006 statt (ON 5). Mit Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 14. 11. 2006 (ON 15) wurde für die Klägerin ein bestimmter Rechtsanwalt als Verfahrenshelfer bestellt. Eine Ausfertigung dieser Entscheidung wurde dem Verfahrenshelfer am 20. 11. 2006 zugestellt (RS bei ON 14). Am gleichen Tag wurde der Klägerin eine Ausfertigung dieses Bescheides, aber auch des Beschlusses auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zugestellt (ON 16). Den Sicherungsantrag hatte das Erstgericht indes bereits mit Beschluss vom 11. 11. 2006 abgewiesen. Eine Ausfertigung dieses Beschlusses wurde der Klägerin persönlich am 14. 11. 2006 zugestellt. Eine Zustellung an den Verfahrenshelfer unterblieb.

Die Klägerin erhob gegen die Abweisung des Sicherungsantrags - vertreten durch den Verfahrenshelfer - Rekurs. Auf dessen Urschrift findet sich die mit 5. 12. 2006 datierte Eingangsstampiglie des Erstgerichts iVm dem handschriftlichen Vermerk „persönl." (ON 21). Das Rekursgericht wies u. a. den Rekurs der Klägerin zurück und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die Rekursfrist sei mit Zustellung des Bestellungsbescheids an den Verfahrenshelfer am 20. 11. 2006 in Gang gesetzt worden und deshalb am 4. 12. 2006 abgelaufen; der erst am 5. 12. 2006 beim Erstgericht überreichte Rekurs sei verspätet „und somit unzulässig". Die Entscheidung hänge nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage nach §§ 78, 402 EO iVm § 528 Abs 1 ZPO ab.

Rechtliche Beurteilung

Das Rechtsmittel ist zulässig und berechtigt.

1. Einleitend ist festzuhalten, dass die Klägerin im Rekursverfahren noch den Zuspruch von 630 EUR monatlich an einstweiligem Unterhalt begehrt. Gemäß § 58 Abs 1 JN ist (auch) der Wert einstweiligen Unterhalts zwingend mit der dreifachen begehrten Jahresleistung vorgegeben (1 Ob 262/05v). Angesichts dessen beträgt der Wert des Entscheidungsgegenstands zweiter Instanz 22.680 EUR (= Summe aus 36 mal 630 EUR). Er übersteigt somit 20.000 EUR. Deshalb ist der in zweiter Instanz ergangene Zurückweisungsbeschluss gemäß §§ 78, 402 EO iVm § 528 Abs 3 ZPO mit außerordentlichem Revisionsrekurs bekämpfbar. Als solcher ist das Rechtsmittel der Klägerin zu behandeln und zu erledigen.

2. Die unberechtigte Zurückweisung eines Rechtsmittels wegen Verspätung wirft eine erhebliche Rechtsfrage auf, weil damit ein tragender Grundsatz des Verfahrensrechts verletzt wird (RIS-Justiz RS0041365 [T4]). Nicht von Belang ist hier, dass die Zurückweisung des Rekurses gegen einen Beschluss des Erstgerichts aus formellen Gründen in zweiter Instanz nicht als bestätigender Beschluss iSd § 528 Abs 2 Z 2 ZPO zu qualifzieren ist, wenn der angefochtene Beschluss - wie im Anlassfall - nicht auch meritorisch nachgeprüft wurde (E. Kodek in Rechberger § 528 Rz 30; Zechner in Fasching/Konecny² IV/1 § 528 ZPO Rz 13 je mN aus der Rsp), ist doch der Revisionsrekurs im Verfahren auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung im Fall einer gänzlichen Bestätigung des Beschlusses erster Instanz in der Sache selbst gemäß § 402 Abs 1 EO nicht bereits zufolge § 528 Abs 2 Z 2 ZPO absolut unzulässig.

3. Die Klägerin behauptet, ihren Rekurs rechtzeitig zur Post gegeben zu haben. Sie legte als Nachweis den Postaufgabeschein für den Rekurs und einen Auszug aus dem Fristenbuch des Verfahrenshelfers - jeweils in Kopie - vor. Diese Urkunden belegen, dass der Rekurs nicht persönlich bei Gericht überreicht, sondern am 4. 12. 2006, dem letzten Tag der vierzehntägigen Rekursfrist (§ 402 Abs 3 EO), wäre sie durch den Zustellakt an den Verfahrenshelfer am 20. 11. 2006 in Gang gesetzt worden, zur Post gegeben wurde.

4. Der Oberste Gerichtshof sprach zur Unterbrechung der

Berufungsfrist gemäß § 464 Abs 3 ZPO bereits aus, dass die

Unterbrechung nicht nur dann eintritt, wenn die Partei die Beigebung

eines Rechtsanwalts als Verfahrenshelfer innerhalb der

Rechtsmittelfrist beantragte, sondern überdies dann, wenn sie bereits

vorher die Bewilligung der Verfahrenshilfe (auch) durch Beigebung

eines Rechtsanwalts begehrt hatte (1 Ob 2394/96g = JBl 1997, 465; 3

Ob 130/05x = EvBl 2005/194; RIS-Justiz RS0120072). Diese Rechtslage

gilt auch im Rekursverfahren (3 Ob 137/06b).

5. Nach der soeben erörterten Rechtslage setzt der Beginn des Fristenlaufs nicht nur die Zustellung einer Ausfertigung des Bescheids des Ausschusses der zuständigen Rechtsanwaltskammer über die Bestellung eines bestimmten Rechtsanwalts als Verfahrenshelfer, sondern auch die Zustellung einer Ausfertigung der jeweils anfechtbaren Entscheidung an den bestellten Verfahrenshelfer voraus (RIS-Justiz RS0041632, RS0041654).

6. Hier wurde dem Verfahrenshelfer der Klägerin am 20. 11. 2006 nur eine Ausfertigung des Bescheids des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 14. 11. 2006 über seine Bestellung, dagegen keine Ausfertigung des Beschlusses über die Abweisung des Sicherungsantrags zugestellt. Der durch den Verfahrenshelfer namens der Klägerin erhobene Rekurs konnte daher - ungeachtet der Frage danach, ob das Rechtsmittel an einem bestimmten Tag beim Erstgericht überreicht oder an einem bestimmten anderen Tag zur Post gegeben wurde - jedenfalls nicht verspätet sein, hatte doch die Rekursfrist mangels Zustellung (auch) einer Ausfertigung des Beschlusses über die Abweisung des Sicherungsantrags an den Verfahrenshelfer noch gar nicht zu laufen begonnen. Ein Beschluss kann allerdings bereits bekämpft werden, noch ehe die Rekursfrist als Folge eines Zustellakts in Gang gesetzt wurde (E. Kodek aaO § 521 Rz 3; Zechner aaO § 521 ZPO Rz 13 je mN aus der Rsp). Das Rekursgericht wird daher über das Rechtsmittel der Klägerin meritorisch entscheiden müssen.

7. Der Kostenvorbehalt beruht auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 52 Abs 1 ZPO.

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