OGH 3Ob137/06b

OGH3Ob137/06b26.7.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Dr. Prückner, Dr. Sailer und Dr. Jensik als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei B***** AG, *****, vertreten durch Dr. Walter Hasibeder und Dr. Josef Strasser, Rechtsanwälte in Ried im Innkreis, wider die verpflichtete Partei Verlassenschaft nach Gisela S*****, vertreten durch den Alleinerben Ing. Richard S*****, vertreten durch Mag. Jörg Steinschnack, Rechtsanwalt in Ried im Innkreis als Verfahrenshelfer, wegen 135.618,11 EUR s.A., infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der verpflichteten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Ried im Innkreis als Rekursgericht vom 4. April 2006, GZ 6 R 93/06b-43, womit der Rekurs der verpflichteten Partei gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Ried im Innkreis vom 23. November 2005, GZ 10 E 29/05h-29, als verspätet zurückgewiesen wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Rekursgericht die meritorische Entscheidung über den Rekurs der verpflichteten Partei aufgetragen. Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Kosten des Rekursverfahrens.

Text

Begründung

Das Erstgericht bewilligte am 28. Februar 2005 die beantragte Zwangsversteigerung einer im bücherlichen Eigentum der am 10. September 2002 verstorbenen Gisela S***** stehenden Liegenschaft. Als verpflichtete Partei wurde bislang die Verlassenschaft, vertreten durch den eingeantworteten Alleinerben (im Folgenden: Verpflichteter) behandelt. Am 13. Juli 2005 gab das Exekutionsgericht den Schätzwert mit 105.548,50 EUR bekannt. Die betreibende Partei beantragte am 25. Juli 2005, die Liegenschaft mit einem geringsten Gebot von zwei Dritteln des Schätzwerts auszubieten. Am 14. Juli 2005 wurde vom Verpflichteten beim Erstgericht ein Verfahrenshilfeantrag eingebracht, mit welchem die Verfahrenshilfe in vollem Umfang und die Beigebung eines Rechtsanwalts für das gesamte Verfahren beantragt wurde (ON 19). Am 6. Oktober 2005 ersuchte der Verpflichtete, Zustellungen an ihn unter der Adresse R*****, vorzunehmen (AV des Erstgerichts vom 6. Oktober 2005, ON 21). Am 10. Oktober 2005 erteilte das Erstgericht einen Verbesserungsauftrag an den Verpflichteten zur Vorlage von Urkunden zum Nachweis der Einkommens- und Vermögensverhältnisse (ON 22). Am 24. Oktober 2005 wies das Erstgericht den Verfahrenshilfeantrag des Verpflichteten wegen fehlender Verbesserung ab (ON 24). Dieser Beschluss wurde dem Verpflichteten an der von ihm angeführten Adresse am 28. Oktober 2005 zugestellt. Mit Beschluss vom 27. Oktober 2005 setzte das Erstgericht das geringste Gebot mit zwei Dritteln des Schätzwerts der Liegenschaft fest (ON 25). Dagegen brachte der Verpflichtete per Fax vom 12. November 2005, 00.00 Uhr, einen Rekurs ein, mit dem er einen neuerlichen Verfahrenshilfeantrag sowie einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verband (ON 26). Der Rekurs gegen den Beschluss ON 24 und der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde vom Erstgericht am 22. November 2005 (ON 27) als verspätet zurückgewiesen. Die Rekursfrist sei am 11. November 2005 abgelaufen. Dieser Beschluss wurde an der vom Verpflichteten bekanntgegebenen Zustelladresse in Ried durch Hinterlegung am 24. November 2005 zugestellt.

Gegen den Beschluss ON 25 erhob der Verpflichtete Rekurs per Fax vom 21. November 2005 und beantragte gleichzeitig, Rechtsanwalt Dr. Stefan Glaser als Verfahrenshelfer zu bestellen (ON 28). Mit Beschluss vom 23. November 2005 wies das Erstgericht den Rekurs ON 28 als verspätet zurück (ON 29). Dieser Beschluss wurde dem Verpflichteten gemeinsam mit einer Ladung für den 13. Dezember 2005 und einem Formblatt für das Vermögensbekenntnis und einem erklärenden Beisatz über die Notwendigkeit der Verbesserung durch Nachweis der Einkommensverhältnisse am 29. November 2005 durch Hinterlegung zugestellt (ON 30).

Am 12. Dezember 2005 langte beim Erstgericht ein Rekurs des Verpflichteten gegen die Zurückweisung seines Rekurses und des Wiedereinsetzungsantrags (ON 27) ein, der am 9. Dezember 2005 per Fax sowie auch durch Überreichung beim Erstgericht eingebracht wurde (ON 31 und 32). Auch in diesem Rechtsmittel wurde ein Verfahrenshilfeantrag gestellt. Den Verfahrenshilfeantrag wiederholte der Verpflichtete bei seiner Vernehmung am 13. Dezember 2005 (ON 33). In dieser Tagsatzung legte er ein ausgefülltes Vermögensbekenntnis samt Urkunden vor.

Mit Fax vom 14. Dezember 2005 erhob der Verpflichtete Rekurs gegen den Beschluss ON 29 unter Wiederholung des Verfahrenshilfesantrags und beantragte ferner hilfsweise die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (ON 34). Am 19. Dezember 2005 bewilligte das Erstgericht dem Verpflichteten die Verfahrenshilfe im vollen Umfang (ON 37). Mit Bescheid vom 23. Dezember 2005 bestellte die Rechtsanwaltskammer Rechtsanwalt Mag. Jörg Steinschnack zum Verfahrenshelfer (ON 38). Das Erstgericht stellte dem Verfahrenshelfer am 16. Jänner 2006 die Beschlüsse ON 27 und 29 neben Kopien von Schriftsätzen zu. Der Verfahrenshelfer brachte am 30. Jänner 2006 beim Erstgericht gegen beide Beschlüsse Rekurs ein und beantragte hilfsweise die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (ON 40).

Das Rekursgericht wies den Rekurs des Verpflichteten gegen den erstinstanzlichen Beschluss ON 27 als unzulässig zurück, weil sich der Rechtsmittelwerber durch die nun bekämpfte Abweisung seines Verfahrenshilfeantrags infolge der in der Zwischenzeit ohnehin bewilligten Verfahrenshilfe nicht für beschwert erachten könne (ON 42).

Mit dem weiteren, nun mit außerordentlichem Revisionsrekurs bekämpften Beschluss wies das Rekursgericht mit ON 43 den Rekurs des Verpflichteten gegen den erstinstanzlichen Beschluss ON 29 (das ist die Zurückweisung des Rekurses ON 28 = das Rechtsmittel gegen ON 25, womit das geringste Gebot mit zwei Drittel des Schätzwerts bestimmt wurde) als verspätet zurück. Das Rekursgericht begründete die Zurückweisung im Wesentlichen wie Folgt:

Gemäß § 521 Abs 3 ZPO iVm § 78 EO betrage die mit der Zustellung der schriftlichen Beschlussausfertigung beginnende Rekursfrist 14 Tage. Die Rechtsmittelfrist sei hier wegen der am 29. November 2005 erfolgten Beschlusszustellung am 13. Dezember 2005 beendet gewesen. Der erst am 14. Dezember 2005 eingebrachte Rekurs des Verpflichteten sei daher verspätet. Daran könne die nachträglich erfolgte Bewilligung der Verfahrenshilfe für den Verpflichteten sowie die Zustellung auch des Beschlusses ON 29 an den bestellten Verfahrenshelfer nichts ändern. Gemäß § 521 Abs 3 ZPO iVm § 464 Abs 3 ZPO beginne die Rechtsmittelfrist nämlich nur dann erst mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwalts samt einer schriftlichen Entscheidungsausfertigung an diesen, wenn die die Verfahrenshilfe beantragende Partei innerhalb der mit der Zustellung der Entscheidung an die Partei in Gang gesetzten Rechtsmittelfrist die Beigebung eines Rechtsanwalts beantragt habe. Hier habe der Verpflichtete seinen zunächst persönlich verfassten und gleichzeitig mit einem Antrag auf Beigebung eines Verfahrenshelfers verbundenen Rekurs aber erst einen Tag nach Ablauf der 14tägigen Rekursfrist erhoben.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs im Hinblick auf die eindeutige Gesetzeslage nicht zulässig sei. Mit seinem rechtzeitigen außerordentlichen Revisionsrekurs beantragt der durch den Verfahrenshelfer vertretene Verpflichtete die Aufhebung zur meritorischen Entscheidung durch das Erstgericht (richtig: durch das Rekursgericht) über seinen Rekurs.

Der außerordentliche Revisionsrekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts zulässig. Das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Grundsätzlich treffen die Überlegungen des Rekursgerichts zu, dass der Rekurs des Verpflichteten ON 34 (Fax vom 14. Dezember 2005) erst am 15. Tag, also außerhalb der 14tägigen Rekursfrist eingebracht wurde und dass der im Rekurs gestellte Verfahrenshilfeantrag wegen dieser Verspätung schon wegen eingetretener Rechtskraft zu keiner Unterbrechung und dem neuerlichen Beginn der Rechtsmittelfrist iSd § 464 Abs 3 ZPO iVm § 521 Abs 3 ZPO führen könnte. Eine Ausführung des Rekurses ON 34 durch den in der Folge bestellten Verfahrenshelfer käme demnach nicht in Betracht.

2. Die im Revisionsrekurs vertretene Ansicht, dass der erstinstanzliche Beschluss ON 25 an der Zustelladresse in Ried wegen Ortsabwesenheit des Verpflichteten nicht wirksam zugestellt habe werde können, muss schon an der Bestimmung des § 8 Zustellgesetz (ZustG) scheitern. Danach hat die Partei eines Verfahrens eine Änderung der Abgabestelle der Behörde unverzüglich mitzuteilen. Bei Unterlassung der Meldepflicht sind die Schriftstücke an der bisherigen Abgabestelle zu hinterlegen. Ein solcher Sachverhalt liegt hier vor, weil an der vom Verpflichteten bekanntgegebenen Adresse in Ried (ON 21) zugestellt worden war. Der weitere Hinweis, dass der Beschluss ON 29 (gesetzwidrig) an der Adresse in Bad Ischl zugestellt worden sei, ist aktenwidrig. Auch dieser Beschluss wurde an der vom Verpflichteten bekanntgegebenen Zustelladresse in Ried zugestellt.

3. Zu Recht rügt der Revisionsrekurswerber jedoch, dass zum Zeitpunkt der Einbringung des vom Rekursgericht zurückgewiesenen Rekurses, also am 14. Dezember 2005, zuvor schon gestellte Verfahrenshilfeanträge noch nicht erledigt waren. Wohl war der erste Verfahrenshilfeantrag vom Erstgericht schon am 24. Oktober 2005 abgewiesen worden (ON 24). Es mag auch zutreffen, dass der Rekurs dagegen (ON 26) zu Recht wegen Verspätung zurückgewiesen wurde (ON 27) und dass die Abweisung dieses Verfahrenshilfeantrags in Rechtskraft erwachsen ist. In späteren Eingaben (in den Rekursen ON 28 und 31) sowie in der Tagsatzung vom 13. Dezember 2005 (ON 33) hatte der Verpflichtete jedoch weitere Verfahrenshilfeanträge gestellt, sodass die Frage zu prüfen ist, ob ungeachtet dessen der Verpflichtete innerhalb der 14-Tages-Frist ab Zustellung des Beschlusses ON 29 den Rekurs einbringen bzw. jedenfalls einen (neuerlichen) Verfahrenshilfeantrag zur Ausführung des Rekurses hätte stellen müssen. Die diese Frage im Ergebnis bejahende Entscheidung des Rekursgerichts hätte zwar den Wortlaut des § 464 Abs 3 ZPO für sich (arg: „... innerhalb dieser Frist"), übersieht aber das Schutzbedürfnis der Partei, die für einen schriftlichen Rekurs eine anwaltliche Fertigung benötigt (§ 520 Abs 1 ZPO). Der Oberste Gerichtshof hat daher zur Unterbrechung der Berufungsfrist gemäß § 464 Abs 3 ZPO schon ausgesprochen, dass die Unterbrechung der Berufungsfrist gemäß § 464 Abs 3 ZPO nicht nur eintritt, wenn die Partei die Beigebung eines Rechtsanwalts als Verfahrenshelfers innerhalb der Rechtsmittelfrist beantragte, sondern auch dann, wenn sie die Bewilligung der Verfahrenshilfe auch durch Beigebung eines Rechtsanwalts bereits vorher begehrt hatte (1 Ob 2394/96g = JBl 1997, 465; 3 Ob 130/05x = EvBl 2005/194; RIS-Justiz RS0111923). Diese Erwägungen müssen auch für das vorliegende Rekursverfahren gelten. Dies bedeutet, dass infolge der noch nicht erledigten Verfahrenshilfeanträge die Rekursfrist noch nicht zu laufen begonnen hatte und dass der Rekurs ON 34 demgemäß auch nicht verspätet war. Das Rekursgericht wird daher über das Rechtsmittel meritorisch zu entscheiden haben.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens beruht auf § 78 EO iVm § 52 Abs 1 ZPO.

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